Herr Barsotti, was fällt Ihnen zu den Sätzen "I Feel my Heart is Burning" und "Don’t turn away!" ein?
Marcel Barsotti: Das waren die ersten Anfänge meiner Unterhaltungsmusik in den 80ern mit der Popformation "Chaya". Ich kann mich noch erinnern, dass der Titel "I feel my Heart is burning" damals die erste Singleauskopplung war, die von der Plattenfirma ausgewählt wurde und "Don’t turn away" die dritte, die dann vor allem in Frankreich erfolgreich gelaufen ist und letztendlich auch am meisten meinem gewünschten Stil entsprach.
Was trieb Sie damals zur Popmusik?
Marcel Barsotti: Ich habe ja am Konservatorium in München Klavier, Kompositon und Klarinette studiert und mir war eigentlich schon relativ früh klar, dass man mit Klassik heutzutage nur noch relativ wenig Chancen hat seine Ziele zu erreichen. Ich wollte eigentlich schon immer zur Filmmusik und das war auch ein Grund für mich bei dem amerikanischen Komponisten Harold Faltermeyer anzufragen, ob es irgendwelche Möglichkeiten gäbe mit ihm zusammen zu arbeiten. Das Problem war nur, dass es zunächst einfach keinen Film für mich gab. Er erzählte mir dann, dass er mitlerweile auch viel im Popbereich produzieren würde. Ich bot ihm einige komponierte Songs an und relativ schnell meinte er dann: "Hey, lass uns eine Schallplatte daraus machen!" und so entstand schließlich der Weg zur Popmusik.
Würden Sie vom heutigen Zeitpunkt gesehen noch einmal mit Popmusik in den Charts vertreten sein wollen?
Marcel Barsotti: Also, ich glaube es ist nie schlecht irgendwo vertreten zu sein und gerade die Popmusik ist ja auch ein sehr weiter Begriff. Wenn Popmusik gut produziert ist, hätte ich überhaupt nichts dagegen!
Würden Sie sagen, dass die "Superstar"-Musik von Dieter Bohlen gut produziert ist?
Marcel Barsotti: Also, man sollte da einen ganz klaren Unterschied machen zwischen einem natürlichen Geschmacksunterschied und einer guten Musikproduktion! Ich würde sagen, die Bohlensachen sind alle sehr gut produziert; nicht ohne Grund sind sie deshalb auch so erfolgreich. Geschmacklich gesehen ist es nicht meine Richtung, weil es mir immer zu sehr nach dem gleichen Strickmuster verläuft. Das ist ja das schöne an der Filmmusik, dass du ganz andere Nuancen und Welten schaffen und damit genauso erfolgreich sein kannst.
Sie wurden 1963 in Luzern/Schweiz geboren und nahmen bereits 1966, im Alter von drei Jahren, Schlagzeugunterricht bei Harzy Osterwald (Harzy Osterwald Sextett). Was hat Sie dazu getrieben, so früh ein Instrument zu lernen?
Marcel Barsotti: Marcel Barsotti: Ja, das ist schon unglaublich! Da spielen natürlich auch verschiedene Überlieferungen eine Rolle, weil ich diese Zeit erst im Alter von 4 Jahren überhaupt richtig realisiert habe. Meine Eltern waren damals in der Schweiz mit vielen Künstlern befreundet, so auch mit dem damals sensationell erfolgreichen Hazy Osterwald, der durch Songs wie "Kriminal Tango" international auf sich aufmerksam machte. Wenn wir dann Hazy in seiner Villa in Zürich besuchen gingen war im Keller immer sein großes Tonstudio voll mit Schlagzeugen und Vibraphonen. Meine Mutter erzählte mir später, dass ich mir als 3 jähriger immer wie besessen jedes Instrument gepackt hätte und sofort losspielte. Hazy erkannte das relativ früh und machte dann regelmäßig verschiedene Taktübungen mit mir. Das war alles sehr prägend für mich und letztendlich mein erster Schlagzeugunterricht.
Inwiefern wurden Sie darüber hinaus von Ihren Eltern musikalisch geprägt?
Marcel Barsotti: Von meinen Eltern wurde ich eigentlich überhaupt nicht in dieser Richtung geprägt! Meine Eltern betrachte ich als absolut unmusikalisch; da gibt’s nicht mal einen Akkord! Ich glaube, dass sich die Gene da eher von meinem Großvater übertragen haben. Er war Opernsänger und stand 30 Jahre lang in München auf der Bühne.
War es denn jemals so, dass Ihre Eltern Sie daran hindern wollten, Musik zu machen?
Marcel Barsotti: Nein, meine Mutter wollte immer, dass ich das mache was mir am meisten Spaß bringt. Klar gab es auch Bedenken, ob man mit so einem Künstlerberuf überhaupt finanziell überleben kann, aber sie haben mir eigentlich in jeder Hinsicht immer viele Freiheiten gelassen.
Sie haben von 1982-88 am Richard-Strauß-Konservatorium Komposition, Klavier und Klarinette studiert. Ist eine solche Ausbildung wichtig, wenn man in der heutigen Zeit als Komponist Erfolg haben will?
Marcel Barsotti: Das ist immer eine schwierige Frage! Ich glaube jede Möglichkeit der Ausbildung ist im Musikbusiness immer ein positiver und wichtiger Schritt nach vorne. Ich glaube ganz ohne Ausbildung wird es immer schwer sein in diesem Business Fuß zu fassen. Jeder gute Sänger und Komponist sollte einfach eine fundierte Ausbildung haben! Man sieht es ja auch bei Bohlen, dass wenn es nun in die anspruchsvolle Literatur geht eigentlich nichts möglich ist. Ich will jetzt nicht vermessen klingen, aber ich glaube da wird es schon schwierig für Bohlen ein ganzes Orchester zu orchestrieren. Es gibt natürlich auch immer wieder Komponisten die autodidaktisch zum Erfolg zu kommen, aber die großen Komponisten wie Hans Zimmer ("König der Löwen") oder John William haben alle eine intensive Ausbildung absolviert.
Welcher klassische Komponist hat Sie am stärksten geprägt?
Marcel Barsotti: Das war George Gershwin! Als ich anfing zu studieren und auch meine erste klassische Literatur am Klavier spielte habe ich relativ schnell mit Gershwin begonnen. Gershwin war ja so ein Überreiter! Er hat Klassik gemacht, aber wenn man sich dann so Stücke wie "Summertime" anguckt, dann ist das ja fast schon Jazz. Mich hat diese Kombination zwischen wilden Jazzrhythmen und klassischen Linien immer sehr interessiert und habe davon auch viel in meine heutige Arbeit übernommen.
Haben Sie nach Beendigung ihres Musikstudiums 1988 eigentlich den weiteren Weg Ihrer Kommilitonen verfolgt?
Marcel Barsotti: Ich habe mich in den letzten Jahren öfters mit meinem ehemaligen Komponistenlehrer getroffen und er hat zu mir gesagt, dass ich eigentlich der einzige Absolvent wäre, der heute erfolgreich als Komponist arbeiten würde. Das Problem liegt einfach darin, dass man ja zuerst ein Instrument studiert und dann Komposition, es aber nun sehr schwierig ist sich im Bereich der klassischen Komposition aufzuhalten. Die meisten arbeiten heute als Arrangeure oder als Musiklehrer, aber nicht als Komponisten.
Ich habe einmal nachgezählt: Sie haben seit Mitte der 90er Jahre bis dato Januar 2004 ganze 23 TV-Soundtracks, 7 Kinosoundtracks und 8 Pop-Veröffentlichungen veröffentlicht und darüber hinaus noch Werbejingles z.B. für "Lufthansa", "Vodafone", "Davidoff" produziert und sicherlich vieles, vieles mehr. Es scheint als seien Sie ein Workaholic…
Marcel Barsotti: Nein, das bin ich eigentlich überhaupt nicht! Ich arbeite für mein Leben gerne, aber ich erinnere mich daran, dass ich bis Mitte der 90er eigentlich 15 Jahre brotlos komponiert habe und ich auch zugeben muss, dass ich im Alter von 30 eine Wende hatte und mir gesagt habe, dass wenn es jetzt nicht endlich klappt ich mir zwangsläufig eine neue Berufung suchen muss. Dann kam ein Glücksfall nach dem anderen, so alleine im letzten Jahr 2003 sieben Filmproduktionen. Das kann sich ruhig auch wieder normalisieren, aber die Auftragslage ist momentan einfach ziemlich gut und ein paar Glückstreffer sind mir denke ich auch gelungen.
Ich würde sagen, die Bohlensachen sind alle sehr gut produziert.
Wie betrachtet man die momentan äußerst hohen Arbeitslosenzahlen wenn man selber so gut im Geschäft ist?
Marcel Barsotti: In dieser Situation erinnere ich immer wieder an meine 15 jährige Durststrecke, in der ich fast ausschließlich nichts verkauft habe und wenn ich mal was verkauft habe, haben meistens nur die anderen daran verdient. Ich habe ein gutes Fundament, komme aus einer sehr einfachen Familie und habe mir auch mein Studium selber finanziert. Ich kann das sehr gut nachfühlen! Man kann in so einer Situation glaube ich nur sagen, dass man ja auch sehr viele Abgaben an den Start leistet, was dann ja auch wieder anderen Menschen zugute kommt.
Sie haben kürzlich einmal gesagt, in Amerika wären die Bedingungen für Filmkomponisten wesentlich besser als in Deutschland. Die enormen Etats, die dort für Produktionen zur Verfügung gestellt würden, würden dem Komponisten wesentlich mehr Freiraum und Entfaltungsmöglichkeiten bieten. Würden Sie irgendwann einmal nach Amerika auswandern?
Marcel Barsotti: Ja, natürlich! Ich habe letztes Jahr mit "The Poet" (Regie: Paul Hills) meine erste internationale Produktion gemacht. Ich habe die amerikanischen Produzenten hier in Deutschland kennen gelernt, durfte aber leider nie rüberfliegen. Ich könnte mir aber auf jeden Fall vorstellen, später auch in Amerika zu komponieren, alleine schon wegen den besseren Arbeitsbedingungen.
Wie entsteht eigentlich eine Scoremusik zu einen großen Kinofilm? Was sind die Arbeitsschritte?
Marcel Barsotti: Der aller erste Schritt ist sich erst mal mit dem Regisseur oder der Produktion oder dem Sender zu treffen um zu klären, was der Sender für eine Vorstellung hat von der Musik für den Film, den man angeboten bekommt. Im zweiten Schritt trifft man sich dann wiederum mit dem Regisseur oder der Produktion und spottet den Film durch. Spotting bedeutet, dass man den Film Minute für Minute durchgeht und genau markiert, an welcher Stelle Musik eingesetzt werden soll, wie lange sie dauern muss und was sie letztendlich ausdrücken soll. Der nächste Schritt ist der eigene. Man setzt sich hin und komponiert die ersten 30 Minuten Film, trifft sich wieder mit dem Team um zu checken, ob auch alles in die gewünschte Richtung läuft und wenn das gegeben ist, arbeitet man durch, trifft sich noch ein paar Mal und arbeitet dann die meiste Zeit im Studio. Zuletzt geht’s in die Mischung und der fertige Soundtrack wird im gewünschten Format abgeliefert.
Inwiefern unterscheidet sich der Arbeitsrhythmus des Filmkomponisten bei Kino- im Gegensatz zu Fernsehproduktionen?
Marcel Barsotti: Beim Fernsehen muss einfach alles sehr viel schneller gehen und die Musikproduktionen sind lange nicht so aufwendig wie Kinoproduktionen. Man versucht eben immer noch den Unterschied zu schaffen, dass Kino etwas besonders sein soll. Sehr selten findet man bei Kinofilmen eine Orchesterproduktion im synthetischen Sinne. Du hast einfach mehr Geld zur Verfügung und in der Regel auch mehr Zeit für deine Kompositionen, obwohl es da natürlich auch Unterschiede gibt. Das hängt dann immer davon ab, zu welchem Zeitpunkt du den Auftrag bekommst und wann die Musik fertig sein soll. Bei "The Poet" (Regie: Paul Hills) hatte ich beispielsweise nur 4 Wochen Zeit um die fertige Filmmusik abzuliefern.
Kennen Sie in solchen Momenten eigentlich die berühmte Angst vor dem weißen Blatt?
Marcel Barsotti: Nein, davor bin ich bis jetzt zum Glück verschont geblieben!
Die Filmmusik, die Sie 2001 für das Jugenddrama "Grüne Wüste" (Regie: Anno Saul) zusammen mit den Münchener Symphonikern produziert haben besticht durch seine Sentimentalität, Dramatik und Melancholie. Sind Sie ein melancholischer Mensch?
Marcel Barsotti: Ja, das bin ich durchaus! Ich glaube meine Melancholie spiegelt sich auch in meiner Musik wider. Das Piano und Forte in der Musik kann ich auch mit meinen Emotionen gut vereinbaren.
Träumen Sie gerne?
Marcel Barsotti: Hin und wieder schon ein bisschen, aber nicht so viel!
Wo träumen Sie denn am liebsten?
Marcel Barsotti: Am liebsten wäre mir eine Insel, ein Cocktail, ein Buch, Ruhe und sonst nichts…
… und natürlich Musik!
Marcel Barsotti: Nein, gerade das nicht! Wenn ich Urlaub mache, dann habe ich überhaupt keine Verbindung mehr zu irgendetwas, das mit Musik zu tun hat. Die einzige Ausnahme musste ich vorletztes Jahr für die Musik zu "Das Wunder von Bern" machen, als ich ein paar On-Musiken für die berühmte Rock’n Roll-Szene schreiben sollte und das dann doch komplizierter war als ich zunächst dachte. Ich habe mir also die Platten von Bill Ramsey und Duke Ellington und diese ganzen 40er/50er Jahre Songs mit in den Urlaub genommen um einfach in den richten Tune zu kommen. So etwas kommt aber sehr sehr selten vor!
Im vergangenen Jahr 2003 haben Sie durch die Komposition und Produktion der Filmmusik zum Erfolgsfilm "Das Wunder von Bern" in den Augen vieler Kritiker den bisherigen Höhepunkt Ihrer Karriere erreicht. Sehen Sie das auch so?
Marcel Barsotti: Viele Leute sehen das so, aber ich kann das gar nicht so genau sagen. Zweifellos ist "Das Wunder von Bern" ein absoluter Glücksfall und auch irgendwie ein Highlight! Highlight vor allem darum, weil "Das Wunder von Bern" schon heute zu den erfolgreichsten Filmen aller Zeiten gilt und es da in Deutschland eigentlich kaum noch eine Steigerung für Filmmusik gibt. Der Film ist jetzt schon in über 40 Länder verkauft worden und wird jetzt sicherlich auch International erfolgreich sein. Darüber hinaus verkaufen sich auch der Soundtrack und das Hörspiel zum Film sehr gut und das sind alles sehr positive Komponenten.
Sie müssen als Filmkomponist Ihr eigenes Ego dem Filmprojekt unterordnen. Fällt Ihnen das manchmal schwer?
Marcel Barsotti: Das kommt immer ganz auf das Projekt an. Grundsätzlich liebe ich die kleine und unscheinbare Filmmusik, die gar nicht so auffällt. Meistens ist es aber so, dass es die Regisseure wie auch Sönke Wortmann bei "Das Wunder von Bern" ganz groß haben wollen um die berühmten "Hollywood Emotionen" zu erzeugen. Das ist auch nicht immer schlecht, weil die Rechnung ja auch meistens aufgeht. Damit habe ich gar kein Problem! Allerdings habe ich Probleme damit, und das hat dann vielleicht auch mit meinem Ego zu tun, wenn ein Film musikalisch schlecht gemischt ist, also die Musik viel zu leise ist und überhaupt nicht mehr wahrgenommen werden kann. Schön und Erfreulich ist es allerdings, wenn ich wie gerade zu dem ARD-Mehrteiler "Die Rückkehr des Vaters", sehr viele positive Mails von Zuschauern bekomme und meine Musik die Menschen bewegt!
Wer ist Ihre größte Nachwuchshoffnung im Kompositionsbereich?
Marcel Barsotti: Schwer zu sagen, weil mir da spontan niemand einfällt den ich kenne. Ich mag Niki Reiser ("Pünktchen und Anton") sehr gerne, aber das ist natürlich schon lange kein Nachwuchskomponist mehr. Niki Reiser ist zum Beispiel so einer, dem ich auch international hohe Chancen gebe!
Sie geben unter anderem auch Workshops in verschiedenen Städten. Was hat es damit auf sich?
Marcel Barsotti: Ja, das habe ich in München gemacht, weil verschiedene Leute an mich herangetreten sind und mich gefragt haben. Ich finde diese Konfrontation mit verschiedenen Leuten, die ja auch alle sehr sensibel mit ihrer Musik umgehen, sehr spannend und merke, dass der Bedarf und das Interesse an Filmmusik in Deutschland momentan sehr groß ist. Ich muss aber auch ganz klar sagen, dass der Weg zum Filmkomponisten ein schwieriger Weg ist und meistens auch sehr, sehr lange dauert. Das bewegt sich dann so zwischen 5-10 Jahren harter Lehrzeit! Es dauert einfach seine Zeit, bis man Filmdramaturgie versteht und ein richtiges Fundament geschaffen hat. Die Leute, die ich jetzt aufbaue brauchen einfach ihre Zeit und der Nachwuchs wird dann auch wieder ganz normal kommen.
Unsere Schlussfrage: Das Leben ist ein Comic – welche Figur sind Sie?
Marcel Barsotti: Die großen Figuren wie Batman oder Superman wollte ich ja nie sein. Ich glaube, das hing immer damit zusammen, weil ich diese Geschichten nie wirklich ernst genommen habe. Wer mir gut gefallen hätte, wäre so einer wie Asterix. Der war schlau, hatte ein kluges Denkvermögen, witzige Formulierungen und vielleicht auch die Art und Weise humorvoll durch’s Leben zu gehen. Wer mir außerdem immer sehr gut gefallen hatte war Donald Duck, allerdings scheiterte es bei ihm letztendlich immer daran, dass egal was er anpackte nie wirklich Erfolg hatte. Das wollte ich nie!