Hans Zimmer und Enjott Schneider

Die Musik der Zukunft ist die Musik zu Bildern.

Filmkomponist Hans Zimmer und Filmkomponist Enjott Schneider über Filmmusik als Erfolgsfaktor, echte und synthetische Orchester und die Situation an den Hochschulen in den USA und in Deutschland

Hans Zimmer und Enjott Schneider

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Herr Schneider, die Hochschule für Musik in München, an der auch Sie unterrichten, ist in Deutschland die einzige mit einem Studiengang Filmmusik. Lediglich sieben Studienplätze stehen zur Verfügung …
Enjott Schneider: … was ich sehr bedauernswert finde. In verschiedenen Konzepten habe ich schon vor langer Zeit angedeutet, was sich in den letzten Jahren bewahrheitet hat: die Musik der Zukunft ist die Musik zu Bildern. Die Musikpädagogik weiß ja, dass etwa 90 Prozent aller Musik, die Menschen heute hören, immer im Kontext von Bildern gehört wird, sei es im Kino, in Videoclips, im Fernsehen – die pure Musik gibt es deutlich weniger. Auch in der zeitgenössischen Musiklandschaft werden visuelle Elemente immer wichtiger, viele Komponisten schreiben inzwischen ‚multimedial‘. Angesichts dessen ist es traurig, dass eigentlich nur an einer einzigen Hochschule das visuelle Moment in Verbindung mit Musik ernst genommen wird.

Worin sehen Sie die Gründe für diesen Mangel?
Enjott Schneider: Zum einen kommen bei uns viele vom deutschen Autorenfilm, viele begreifen den Film als intellektuellen, politischen Film, stark dokumentarisch, wie noch in den 60er Jahren. Die haben sozusagen Angst vor der Musik, weil sie eher eine äußere Realität vertreten und auf die innere, emotionale Realität wenig achten. Zum anderen gibt es in Deutschland eine Denkweise, wie sie in keinem anderen Land vorkommt, nämlich die Unterscheidung zwischen U- und E-Musik – dies ist für die Medienkultur tödlich. Es wird in der Musik hierzulande alles gefördert, was sich im Bereich des E befindet, da gibt es Hochschulen, Wettbewerbe, Presse … Film ist bei uns aber nach wie vor im U-Bereich, gilt in Bildungskreisen nicht als Kunstform und Filmmusik wird dementsprechend nicht beachtet, nicht gefördert und man kann keine historische, selbstreflektierende Kultur ausbilden.

Wären denn deutsche Filme mit besserer Filmmusik international erfolgreicher?
Enjott Schneider: Sicher, man muss sich ja nur angucken, welche deutschen Regisseure bisher international erfolgreich sind. Tom Tykwer mit „Lola rennt“, der Film wäre ohne Musik undenkbar. Oder Werner Herzog, international renommiert wäre er ohne die Musik in seinen Filmen nie gewesen. Wolfgang Petersens Filme waren schon sehr früh extrem musiklastig, genauso war es bei Roland Emmerich, Margarethe von Trotta oder Joseph Vilsmaier. Ein Produzent müsste wissen: je mehr er sich auf die internationale Sprache der Musik einlässt, um so internationaler wird auch sein Film, denn durch die Musik bekommt der Film eine überall verständliche Emotionalität.

Viele deutsche Produktionen müssen aber bisher auf Orchestereinspielungen verzichten, da zu teuer.
Enjott Schneider: Ja, ich war selbst vor kurzem elf Stunden am Stück dirigieren und musste drei verschiedene Filme auf einen Produktionstag legen, um mir das überhaupt leisten zu können. Denn sonst hätten wir – wovon die meisten Produzenten ausgehen – mit Midi arbeiten müssen. Echte Musiker schwingen aber sensibler als Midi-Elektronik! Kommunikation zwischen Menschen findet ja auf einem Mikrobereich statt, wenn zwei Menschen miteinander kommunizieren, kann man feststellen, dass bei Sympathie die Härchen tanzen, dass sich die Zellen im Bereich von Milisekunden synchronisieren. Da laufen die eigentlichen Schwingungen von Musik ab, wo aber jeder Computer versagt.

Wie sieht es in Deutschland momentan aus mit der Praxis des Temporary Score? (Dem Komponisten wird der fertige Film vorgelegt, provisorisch vertont mit Musik aus einem zuvor erfolgreichen Film, an der er sich meist orientieren soll.)
Enjott Schneider: Diese Praxis ist in Deutschland leider sehr extrem verbreitet, vor allem bei Sendern wie Pro7, Sat.1 oder RTL. Jeder Film, den du da als Komponist kriegst, ist voll mit solchen Temporary Tracks und dann heißt es: Vogel friss, oder stirb. Ich bin sehr oft als Gutachter tätig in Rechtsstreitigkeiten, wo ein Komponist etwas zu nah am Temporary Score dran war und dann vom Original-Komponisten verklagt wird. Vor allem Newcomer lassen sich zu dieser Praxis drängen, weil sie sonst den Job nicht kriegen. Nur kommt es eben nicht selten vor, dass später der eine den anderen verklagt. Vor allem aber ist es eine erhebliche Beschneidung eigener Phantasie, wenn man eine andere berühmte Filmmusik kopieren soll.

Zitiert

Film ist bei uns nach wie vor im U-Bereich, gilt in Bildungskreisen nicht als Kunstform und Filmmusik wird dementsprechend nicht beachtet und nicht gefördert.

Hans Zimmer und Enjott Schneider

Herr Zimmer, Sie komponieren bereits seit Ende der 80er Jahre Musik für große US-Produktionen – wie tief greift heutzutage bei den Filmkomponisten jene Industrialisierung, die im Filmbetrieb Hollywood allgegenwärtig ist?
Hans Zimmer: Das kommt auf den Film an. Natürlich ist es etwas anderes, wenn ich Musik für einen großen, populären Hollywood-Film schreibe, als wenn ich mit Sean Penn einen Film nach Friedrich Dürrenmatt mache („Das Versprechen“, 2001). Ich bin aber dafür, dass man all diese verschiedenen Sachen macht, verschiedene Themen, Stile und auch Produktionsweisen kennen lernt. Bei großen kommerziellen Filmen wie zuletzt „Fluch der Karibik“ muss es manchmal sehr schnell gehen, was aber auch Spaß machen kann. Ich habe mich für den Film anderthalb Tage hingesetzt, ein paar Themen aufgeschrieben und den Rest mit meinem Kollegen Klaus Badelt erarbeitet. Da muss man nicht zu lange nachdenken oder intellektualisieren. Manchmal nervt es mich nämlich, dass ich so alleine in meinem Zimmer sitze und tagelang allein über Noten grübele, die ganzen neurotischen Sachen, die da noch dazukommen …

Sie haben nach Ihren ersten großen Erfolgen Media Ventures gegründet, ein Netzwerk mit eigenem Studio in Santa Monica, dem heute eine Vielzahl von Komponisten angehören. Was waren damals die Beweggründe?
Hans Zimmer: Bevor ich in die USA ging war ich ja noch in London bei dem Komponisten Stanley Myers sozusagen in Lehre gegangen. Als ich dann anfing, in den USA zu arbeiten, merkte ich, dass ich eigentlich der einzige junge Komponist war, der nicht mit einer Ausbildung von der Hochschule kam. Viele kamen direkt von der Universität, hatten aber noch wenig Ahnung von der Praxis und so habe ich über die Jahre mit Media Ventures versucht, eine Basis zu schaffen für diese jungen Leute, um ihnen den Zugang zur Praxis zu erleichtern.

Es besteht also noch eine große Diskrepanz zischen der Hochschulausbildung in den USA und der Praxis?
Hans Zimmer: Ja, ich habe mir mal so eine Filmmusik-Vorlesung an einer amerikanischen Hochschule angehört. Und da dachte ich: das hat ja nichts mit der Realität zu tun. Ich habe dann selbst versucht, ein paar Vorlesungen zu halten, merkte aber sehr schnell, dass ich genauso schlecht dran war, wie die ganzen Professoren – denn das, was man am Ende des Tages wirklich braucht, kann man nur durch die Praxiserfahrung bekommen. Man muss an einen Film rangelassen werden, man muss arbeiten, die Fehler machen, die man eben anfangs macht, ohne dass die Filmstudios es da sofort mit der Angst zu tun kriegen.

Was muss so ein junger Musiker mitbringen, wenn er sich der Filmmusik verschreibt?
Hans Zimmer: Eine eigene Perspektive, einen eigenen Standpunkt. Und er muss dem Film dienen. Es geht nun mal nicht darum, dass man eine große Symphonie schreibt für sich selbst, sondern man sollte ausschließlich an den Film denken und das in der Sprache der Musik ausdrücken können. Man muss heute nicht unbedingt sinfonisch schreiben, ein Komponist wie John Williams, der schreibt doch schon genug sinfonisch für uns alle. Es muss halt auch Leute geben, wie den Reinhold Heil oder David Holmes, die elektronische Sachen machen. Das sind Leute, die wieder ganz anders über Film nachdenken, aber die auch versuchen, eine Geschichte zu erzählen. Wichtig ist die eigene Sprache und dass man mit seinem eigenen kulturellen Hintergrund an einen Film rangeht.

Welche Erwartungen haben Sie für die Zukunft der Filmmusik, auch in Bezug auf den Nachwuchs und den wachsenden Anteil an elektronischer Filmmusik?
Hans Zimmer: Also, ich glaube, wir haben noch nicht alles erschöpft, was man aus dem Orchester rausholen kann. Komponisten wie Elliot Goldenthal erfinden das Orchester ja immer wieder neu. Und die elektronischen Filmkomponisten, die ich kenne, würden am liebsten sofort mit Orchestern arbeiten. Es könnte aber sein, dass es bald nicht mehr so eine große Trennung zwischen elektronischer und Orchester-Musik geben wird. Was den Nachwuchs betrifft: es gibt immer Leute, die fantastisch Filmmusik machen können. Es kommt viel mehr darauf an, dass Produzenten und Regisseure das erkennen und sich diese Leute holen. In letzter Zeit geschieht das auch, die Atmosphäre ist lockerer geworden, es gibt diesen sinfonischen Snobismus nicht mehr. Hier ist das Budget allerdings auch vorhanden, um Sachen auszuprobieren, um auch mal ein paar Risiken einzugehen. Da hat man es in Europa natürlich noch schwerer.

Ein Kommentar zu “Die Musik der Zukunft ist die Musik zu Bildern.”

  1. NJ |

    Und wo bleibt die Kunst?

    Viele dieser Filmkomponisten vergessen, daß sich Musik weiterentwickelt und mehr ist als das durmolltonale Gedudel von Glass und Konsorten…

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