Thomas Quasthoff

Es muss ja nicht alles immer so furchtbar intellektuell sein.

Bariton-Sänger Thomas Quasthoff über seine Autobiographie, Nachwuchs und den Sänger-Beruf

Thomas Quasthoff

© Deutsche Grammophon

Herr Quasthoff, worüber möchten Sie momentan lieber sprechen, über die Musik oder Ihre Autobiografie, die Sie gerade veröffentlicht haben?
Quasthoff: Also, ich bin ein ganz schlechter Marketing-Mensch, was meine eigenen Sachen angeht. Dafür habe ich ja meine Plattenfirma und jetzt den Verlag. Ich habe immer Schwierigkeiten damit, mich selbst zu verkaufen, das tue ich wirklich nur durch die Musik und meine Konzerte. Aber natürlich freue ich mich, wenn die Leute das Buch lesen, weil es ja keine so gewöhnliche Biografie ist, sondern mein Lebenslauf durch meine Behinderung natürlich ein sehr viel komplizierterer und auch ereignisreicherer Weg gewesen ist.

Sie schildern im Buch eine Reihe schmerzhafter Erfahrungen, die Sie im Leben machen mussten – erleben Sie solche Dinge auch heute noch?
Quasthoff: Nein, eigentlich nicht mehr. Die Glotzerei bin ich ja seit 44 Jahren gewohnt, das ist nicht so schlimm. Ich treffe nur noch ganz selten auf unfreundliche Leute, viel mehr sind die oft nur unsicher, wie sie mir begegnen sollen und haben Angst, irgendetwas falsch zu machen. Und das mit den schlechten Kritiken, die man ab und zu bekam, das hat sich inzwischen auch gelegt.

Es ist auch festzustellen, dass in kaum einer Kritik mehr von Ihrer Behinderung die Rede ist.
Quasthoff: Ja, ich weiß ja heute auch, dass ich nicht zu Konzerten eingeladen werde, um diese Sensation zu haben, ein behinderter Künstler auf der Bühne. Da gibt es scheinbar etwas anderes, was die Leute berührt und bewegt. Und da, wo man beispielsweise bei weiblichen Kollegen liest, "sie hatte ein schönes Kleid an", konzentriert es sich bei mir inzwischen mehr auf die Musik. Das ist eine angenehme Situation.

Ihre Erfahrungen als Sänger geben Sie seit 1996 auch an Gesangs-Studenten weiter – was vermitteln Sie denen?
Quasthoff: Mir geht es als Lehrer vor allem darum, meine Studierenden sehr früh zu selbstständigen, musikalisch eigenständigen Sängern zu entwickeln. Und ich vermittle ihnen daher auch sehr deutlich, dass man einfach verdammt gut sein muss, um in diesem Beruf heute überhaupt eine Chance zu haben.

Welche Fähigkeiten sollte ein Nachwuchssänger mit sich bringen, außer der musikalischen?
Quasthoff: Ausstrahlung, Bodenständigkeit, Fleiß, Geduld – eine schöne Stimme alleine reicht jedenfalls nicht für diesen Beruf. Sie müssen mit Agenturen umgehen können, mit Stress, mit den eigenen Nerven – da spielen viele Faktoren eine Rolle.

Der Sänger-Beruf erfordert auch eine Menge Energie, woher nehmen Sie die?
Quasthoff: Ich hatte mal eine Phase in meinem Leben, wo ich relativ cholerisch war, weshalb ich irgendwann einen befreundeten Psychologen konsultiert habe. Der hat mich dann gefragt: "Wo packst du eigentlich die Blicke hin, die du jeden Tag bekommst?". "Sehe ich nicht mehr", habe ich geantwortet. Das hat er mir nicht geglaubt und hat mich gefragt, ob da nicht eine Aggression in mir aufsteigt, die man als Energie bezeichnen könnte. Da musste ich ihm Recht geben. Und dann hat er diesen einen Satz gesagt, den ich nie vergessen werde "Pack diese Energie in die Musik und in deinen Gesang." Das hat wirklich funktioniert.

Bevor Sie Sänger wurden, waren Sie unter anderem Radiosprecher beim NDR oder sind mit einem Kabarett-Programm aufgetreten. Inwiefern sehen Sie sich auch heute als Konzertsänger noch ein wenig als Entertainer?
Quasthoff: Ich denke schon, dass wir da oben auf der Bühne auch dazu da sind, Menschen zu unterhalten. Ich zum Beispiel rede gerne mit dem Publikum, erzähle etwas, weil ich mich gerne von diesem glorifizierenden Sockel holen möchte. Ich möchte, dass die Leute erst mal kapieren, dass da ein Mensch steht und nicht so eine hehre Ikone, die sich mit der hehren Kunst befasst. Es muss ja nicht alles immer so furchtbar intellektuell sein. Nein, wir sind auch dafür da, Menschen mal anderthalb Stunden aus ihrem Alltag zu ziehen, der vielleicht nicht immer so lustig ist und sie in eine Welt zu entführen, die auch schön ist, die beschreibt wie der Frühling riecht oder wie es ist, wenn man seine erste Liebe erlebt.

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