Sebastian Koch

Er hatte etwas Geniales an sich.

Der Schauspieler Sebastian Koch über seine Darstellung des Architekten Albert Speer, dessen Verhältnis zu Hitler und die Schlüsselposition Speers in der NS-Diktatur

Sebastian Koch

© Stefan Falke / WDR

Herr Koch, Sie haben bereits Erfahrung mit der Darstellung historischer Persönlichkeiten – ist es für einen Schauspieler schwieriger, Menschen zu spielen, die tatsächlich gelebt haben?
Koch: Nein, überhaupt nicht. Ich bin Schauspieler und suche mir die besten Rollen aus. Jede dieser Figuren hatte ihren eigenen ganz wunderbaren Kosmos. Dass viele historische Rollen darunter waren, war Zufall und hat sich einfach so ergeben. Gedanken, dass ich darauf festgelegt werden könnte, habe ich mir nie gemacht.

Vor Albert Speer haben Sie Claus Schenk Graf von Stauffenberg gespielt, eine andere zentrale Figur des Dritten Reichs. Hat Ihnen das bei der Arbeit an „Speer und Er“ geholfen?
Koch: Es war insofern ein Vorteil, weil ich durch die Arbeit an „Stauffenberg“ bereits mit dem Stoff, mit der Geschichte des Dritten Reichs sehr vertraut war. Ansonsten haben die beiden herzlich wenig miteinander zu tun.

Obwohl sie beinahe einmal kooperiert hätten. Stauffenberg wollte Speer dafür gewinnen, gemeinsam ein Attentat auf Hitler zu verüben.
Koch: Ja, das stimmt. Speer hatte aber definitiv nicht das Rückgrat, um bei so etwas mitzumachen.

Speer erscheint in dem Film von Heinrich Breloer durchaus als Sympathieträger. Gleichzeitig wird er als skrupelloser Karrierist gezeigt. Wie passen diese beiden Seiten seiner Persönlichkeiten zusammen?
Koch: Albert Speer war ein sympathischer, freundlicher, intelligenter Mann. Nur so lässt sich erklären, dass ihm immer geglaubt wurde. Auch er selbst hat sich immer geglaubt. Heinrich Breloer war in diesem Punkt übrigens anderer Meinung als ich. Er war der Ansicht, dass Speer die anderen und sich selbst belogen hat. Meiner Meinung nach kann ein Mensch aber nicht derart viele unterschiedliche Leben planen, durchdenken und auch noch permanent glaubwürdig darstellen. Speer war ein Gedanken-Architekt. Er hatte die Fähigkeit, sich Gedanken-Räume zu bauen, in denen er sich perfekt bewegte. Er hat einfach eine Tür zugemacht und einen anderen Raum betreten. Das ist etwas ganz Merkwürdiges, eine sehr zweifelhafte Begabung, die es ihm aber ermöglicht hat, diesen ganzen Wahnsinn zu ertragen und sich immer sauber zu halten. Speer war ein sehr sauberer Mensch.

Sauber inwiefern?
Koch: Er war eben kein Teufel – kein Himmler, kein Göring, kein Goebbels. Diese ganzen Masken kennen wir. Mit Speer kam da plötzlich ein edler, guter Mensch daher, der sagt: „Ich war zwar ganz nah dran an der Macht, aber wirklich gewusst habe ich nichts.“ Das hat für ganz viele Menschen als Alibi funktioniert. Deshalb hat dieser Mann auch soviel mit unserem Land zu tun, er ist wie ein Spiegel. Und deshalb ist es auch so wichtig, über ihn zu sprechen.

Hitler hat Speer zu seinem Rüstungsminister gemacht und ihn sehr gefördert. Hätte Speer auch ohne diese Protektion Karriere gemacht?
Koch: Speer wäre nie ein Durchschnittsmensch geworden. Er war ein ganz machtbewusster Mensch, ein Instinktmensch. Er hatte durchaus etwas Geniales an sich. Genau das macht ihn auch so schwer fassbar. Speer war ein hochintelligenter Mann, wie er sich als Rüstungsministers in nur drei Monaten diesen ganzen Panzerabwehr-Handgranaten-Kram draufgeschafft hat – da kann man nur staunen. Außerdem war Speer kein Mensch, der mitfühlte. Für ihn waren Opfer Zahlen. Er war sein eigenes Universum. Das hat sich auch in seiner extremen Körperhaltung gezeigt: die Brust raus, Kopf und Arme immer etwas nach hinten. Er war völlig autark und schien niemanden zu brauchen. Speer war ein absoluter Kopfmensch. Und trotzdem hatte er so warme, schöne, so melancholische Augen.

Haben Sie bei der Annäherung an die Figur Speer jemals Widerwillen verspürt?
Koch: Um eine Figur spielen zu können, muss ich sie irgendwie mögen. Ich nähere mich einer Figur ja physisch und emotional an. Es hat mich allerdings saumäßig angestrengt. Ich habe fast vier Monate gebraucht – solange wie die gesamten Dreharbeiten gedauert haben –, um wieder von diesem Wahnsinn wegzukommen. Diese Haltung, in der man über Monate hinweg steckt, macht ja auch etwas mit deinem Körper.

Speer hat einmal gesagt: „Wenn Hitler überhaupt Freunde gehabt hätte, wäre ich bestimmt einer seiner engen Freunde gewesen.“ Wie würden Sie die Beziehung zwischen Speer und Hitler beschreiben?
Koch: Hitler und Speer waren sehr autarke Menschen, die nichts und niemanden an sich heranließen. Speer hat immer gesagt, zwischen den Menschen und ihm sei eine Wand. Das galt selbst für seine Frau und die Kinder. In der Beziehung zu Hitler war in dieser Wand zumindest eine Tür, die man aufstoßen konnte. Speer kannte Hitler sehr gut und hatte ein Gespür dafür, wann und wie er reagieren würde. Er hat wie ein Luchs den richtigen Moment abgewartet. Nur deshalb konnte er sich auch überhaupt so lange in dem Intrigenspiel dieser neidzerfressenen, machtbesessenen Nazis halten. Speer liebte Hitler vielleicht auch als eine Art Vaterfigur, die ihm Bestätigung gab, weil Speer selbst war ja ein ungeliebtes Kind. Und wenn der mächtigste Mann Deutschlands zu dir sagt „Bauen Sie, was Sie wollen, Geld spielt keine Rolle“, hat ihn das natürlich gebauchpinselt.

Hitler wäre gern Künstler geworden. War auch das etwas, was die beiden verband?
Koch: Da ist sicher etwas dran. Beide sind verkappte Künstler, obwohl Speer mehr Mathematiker als Künstler war. Um sich mit dieser enormen Geschwindigkeit in diese ganzen Rüstungsdinge einzuarbeiten, braucht es ein mathematisches Hirn. Die Sehnsucht nach dem Bohèmehaften, nach dem Künstlerdasein, hat aber sicher beide getrieben.

Albert Speer junior ist wie sein Vater Architekt geworden. Im Film scheint es, als habe er im Gegensatz zu den anderen Kindern als Einziger die Geschichte des Vaters wirklich verarbeitet.
Koch: Ja, das stimmt. Für die Kinder ist es natürlich furchtbar schwierig. Zum einen ist da der Vater, den man liebt. Gleichzeitig muss man ihn hassen, weil er ein Kriegsverbrecher ist. Darin spiegelt sich auch der Verdrängungsmechanismus vieler Menschen in unserem Land wider. Sie sind damals einem Traum gefolgt und wenn sie jetzt darüber sprechen, laufen sie natürlich Gefahr, beschädigt zu werden. Das bricht dieser Film hoffentlich auf.

Ist das Leben Speers also ein Schlüssel zum Verständnis der Nazi-Diktatur?
Koch: Ich glaube ja. Man kann Hitler nicht näher kommen als über Speer. Er stand ihm am nächsten. Der große Schachzug des Films ist, dass er den Menschen hinter dem Teufel zeigt. Hitler hatte eine enorme Kraft. Es gab zum Beispiel viele Menschen, die ein Attentat auf ihn geplant hatten. Wenn sie dann aber vor ihm standen, hat sie der Mut verlassen. Auch die Generäle in seinem unmittelbaren Umfeld haben sich nicht getraut, ihn auf die vielen militärischen Fehlentscheidungen aufmerksam zu machen oder ihm zu sagen, dass der Krieg verloren ist. Einer der wenigen, der Hitler etwas sagen konnte, war Albert Speer.

Filme wie „Der Untergang“ oder „Sophie Scholl“, die sich mit dem Nationalsozialismus beschäftigen, haben derzeit Hochkonjunktur. Besteht nicht die Gefahr, das Publikum könnte irgendwann übersättigt sein?
Koch: Ja, durchaus. Was ich an der Machart von „Speer und Er“ aber so großartig finde, ist, dass der Film immer wieder in die Gegenwart springt, etwa in den Interviews mit den Speer-Kindern. Die Fiktion, das Gefühlige, das man ja auch braucht, nimmt dadurch nicht überhand, weil immer wieder eine Verbindung zum Heute geschaffen wird. Der Film regt dadurch zum Nachdenken an und schafft eine Verbindung zwischen dem Zuschauer und diesem Teil der Geschichte.

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