Marek Dutschke

Die Leute müssen akzeptieren, dass es auch Quereinsteiger gibt.

Marek Dutschke über seine Kandidatur für einen Listenplatz von "Bündnis 90/ Die Grünen", Probleme innerhalb der Partei und die Zukunft Joschka Fischers

Marek Dutschke

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Herr Dutschke, am 1. Juni 2005 gaben Sie bekannt, dass Sie für "Bündnis 90/ Die Grünen" für den Bundestag auf dem zweiten Listenplatz kandidieren wollen und sorgten damit für ein ungebrochen großes gesellschaftliches und mediales Aufsehen. Wie haben Sie die Hektik der vergangenen Wochen erlebt?
Dutschke: Rennen, Rennen, Rennen! Ich hetze von Termin zu Termin, muss zwischendurch viel Papierkram erledigen und bin gerade dabei, mir ein Team zusammenzustellen, weil ich ja auch nicht alles alleine erledigen kann. Ich habe in den letzten Tagen von 0 auf 100 beschleunigt und mein Leben hat sich nahezu komplett verändert!

Macht Ihnen dieser Lebensstil Spaß?
Dutschke: Ja, absolut! Es bewegt sich was und man merkt auch, wie sich die Partei bewegt, weil einfach mal frischer Wind durch die Etagen weht. Das spüre ich und das treibt mich unheimlich an!

Neben Ihnen kandidieren auch der ehemalige DDR-Bürgerrechtler und Bundestagsabgeordnete Werner Schulz sowie der Berliner Grüne Wolfgang Wieland für den zweiten Listenplatz auf der Berliner Landesliste. Sind Sie dennoch siegesgewiss?
Dutschke: Ich bin entschlossen, diesen Wahlkampf durchzuziehen! Ich sehe das auch als eine Art sportlichen Wettkampf und wenn ich mir das Siegen im Vorfeld nicht zutrauen würde, müsste ich gar nicht erst an den Start gehen. Wenn man etwas bewegen möchte und von den Leuten angehört und respektiert werden will, dann muss man sich auch hinstellen und sagen: "Ich mach‘ das!"

Haben Sie nicht auch ein wenig Respekt vor diesen gestandenen und erfahrenen Politikern?
Dutschke: Natürlich sind meine Mitbewerber routinierte Politiker mit herausragenden Lebensleistungen, das muss man auch respektieren. Doch ich spüre keinerlei Angst vor einer Niederlage. Wenn ich verlieren sollte, dann werde ich mit erhobenem Haupt da raus gehen!

Was werden Sie tun, wenn Ihnen der Weg in den Bundestag versperrt bleibt? Welche Alternativen könnten Sie sich neben der politischen Arbeit vorstellen?
Dutschke: Ich werde den Berliner Grünen in jedem Fall erhalten bleiben, außerdem bewerbe ich mich ja gerade auch für das Direktmandat für die Grünen in Berlin-Lichtenberg/Hohenschönhausen und das werde ich unabhängig von der Bundestagswahl auch weiter fortführen und mich im Falle einer Bestätigung dann auch für meinen Wahlkreis engagieren.

Im Vorfeld der Kandidatur haben Sie herbe Kritik an dem grünen Außenminister Joschka Fischer geäußert und ihm vorgeworfen, er wäre "von der Basis abgehoben" und hätte als Außenminister "grüne Werte komprimieren müssen". Gab es bereits eine Reaktion von seiner Seite?
Dutschke: Nein, ich rechne auch nicht damit! Falls es unverhofft aber doch noch passieren sollten, dann würde ich mich geehrt fühlen, denn eine Reaktion von seiner Seite würde mir zeigen, dass er zuhört und sich auch vor Kritik nicht versteckt. Wir dürfen innerhalb der Partei nicht nur Monologe führen, sondern müssen aufeinander zugehen und überlegen, wie wir die Zukunft der Partei gemeinsam gestalten wollen.

Glauben Sie, die Visa-Affäre hat Joschka Fischer für alle Zeiten geschadet?
Dutschke: Ja, das ist unbestreitbar der Fall! Joschka Fischer hat seinen Höhepunkt erreicht und hinter sich gelassen. Sicherlich kann er auf der europäischen Ebene noch einiges bewirken, doch auf der Bundesebene in Deutschland ist seine Zeit zu Ende.

Ist es hinsichtlich einer bevorstehenden Parteikarriere bei den Grünen, mit Verlaub, nicht taktisch unklug deren Zugpferd und Aushängeschild Joschka Fischer öffentlich zu kritisieren?
Dutschke: Das sehe ich nicht so! Ich habe einfach ein Problem damit, dass Joschka Fischer der einzige Spitzenkandidat sein soll, denn zusammen mit einer Renate Künast fände ich das wesentlich besser und effektiver. Man sollte innerhalb einer Partei keine Hierarchien aufbauen, wo gegenseitig keine Kritik mehr geäußert werden kann und keine Konflikte ausgetragen werden können.

Wie wichtig ist Ihnen Macht hinsichtlich Ihrer politischen Arbeit?
Dutschke: Macht ist nicht mein Motor. Ich bin kein Machtmensch, der die Politik nur instrumentalisiert, um sich selber nach vorne zu katapultieren. Mir geht es um politische Prozesse und Inhalte.

Zitiert

Macht ist nicht mein Motor.

Marek Dutschke

Haben Sie persönlich Angst, sich durch zunehmende Macht charakterlich zu verändern?
Dutschke: Nein, ich denke nicht dass mir das passieren wird!

Aber woran liegt es, dass sich viele Politiker mit zunehmender Macht auch charakterlich wandeln?
Dutschke: Ich glaube, das hat sehr viel mit Privilegien zu tun. Wenn man von Chauffeuren durch die Gegend gefahren wird und sich von Kofferträgern das Gepäck transportieren lässt, dann besteht natürlich die Gefahr dass man irgendwann abhebt und den Kontakt zur Basis verliert.

Was sind denn Ihre Methoden um die Bodenhaftung nicht zu verlieren?
Dutschke: In meinem Bezirk Lichtenberg/Hohenschönhausen möchte ich auf die Leute zugehen, die sonst aus der Gesellschaft ausgeblendet und an den Rand gedrängt werden, weil sie materiell nicht mehr mit dem Rest der Leute mithalten können. Es gibt viele Bezirke in Berlin, die zunehmend verelenden, doch anstatt dieser Entwicklung entgegenzutreten werden noch mehr Hochhäuser gebaut, die dann wieder zu starker Anonymisierung führen. In der Gesellschaft und auch in der Politik muss wieder ein verstärkter Dialog zwischen den Menschen stattfinden, sonst fahren wir irgendwann alle gemeinsam gegen die Wand.

Der rot-grünen Regierung wird häufig vorgeworfen durch ihre Reformen gerade diese Armut vorangetrieben zu haben…
Dutschke: In der Sozialdemokratie wurde in den letzten drei Jahren sicherlich vieles falsch gemacht, und vieles davon geht, meiner Meinung nach, auch auf das Konto der Sozialdemokraten. Die Grünen haben den Fehler gemacht, dass sie nicht rechtzeitig ihr eigenes Konzept vorgelegt haben, sondern immer mehr oder weniger im Schatten der SPD mitgelaufen sind.

Glauben Sie denn, dass die rot-grüne Regierung bei einer vorgezogenen Bundestagswahl im Herbst 2005 erneut einen Regierungsauftrag von den Wählern erhalten wird?
Dutschke: Nein, ich denke dazu wird es in diesem Jahr nicht mehr kommen; vielleicht wieder eines Tages in der Zukunft, doch im Moment sieht alles nach einer CDU-Regierung aus und wir müssen uns darauf einstellen, aus der Opposition heraus zu agieren.

Würde Sie das stören?
Dutschke: Nein, denn die Oppositionsarbeit stellt eine sehr wichtige demokratische Aufgabe dar. Die Grünen müssen während dieser Zeit ihr Profil schärfen und auch den Willen dazu haben, sich mit einer schwarzen Republik auseinanderzusetzen, so dass sie letztendlich gestärkt aus dieser Zeit herausgehen können.

Wird es Deutschland unter einer CDU-Regierung besser oder schlechter gehen als zur Zeit?
Dutschke: Schlechter, denn die CDU wird natürlich noch weitere Sozialkürzungen vornehmen und damit ist letztendlich keinem geholfen; die Zustände werden immer schlechter und Armut und Politikverdrossenheit nehmen zu.

Wie könnte man diese Probleme denn effizient und langfristig lösen?
Dutschke: Bildung! Bildung! Bildung! Man muss einen Betrag in zweistelliger Milliardenhöhe auf diesem Gebiet zur Verfügung stellen und dann letztendlich für die Gesellschaft gewinnbringend investieren, anstatt die Unternehmenssteuer und den Spitzensteuersatz zu senken oder das Geld in Kohlesubventionierungsprojekte zu stecken. Es muss darüber hinaus eine gemeinsame Schulform geben, die es Kindern ermöglicht von der ersten bis zur zehnten Klasse gemeinsam unterrichtet zu werden, des weiteren dürfen familiäre und materielle Backgrounds nicht länger ausschlaggebend für das Bildungsniveau eines Kindes sein. Wir müssen Kinder und Jugendliche individuell fördern und ihnen die Chance geben sich zu entfalten und zu verwirklichen, wie es in den skandinavischen Ländern ja schon seit längerem erfolgreich getan wird. Das wurde in Deutschland bisher versäumt…

In einem Fernsehinterview sagten Sie jüngst, Sie würden nicht dazu "abkommandiert" werden wollen, "irgendwelche Ballons zu verteilen". Warum sträuben Sie sich so gegen die übliche Ochsentour durch alle Ebenen der Partei?
Dutschke: Ich schätze Kommunalpolitik sehr und gerade in Berlin nimmt sie auch einen wichtigen Raum ein, aber die Leute müssen auch akzeptieren, dass es Quereinsteiger gibt, die einen anderen Lebensweg haben und auf andere Weise im politischen Geschäft aktiv sind und sein wollen. Dadurch entsteht auch eine Meinungs- und Generationenvielfalt innerhalb der Partei und das kann nur positiv sein!

Ein grüner Spitzenpolitiker sagte kürzlich im Interview mit der "Berliner Zeitung": "Der Dutschke bringt uns die ganze Parteitagsregie durcheinander. Der läuft durch die Reihen, lässt sich feiern". Was sagen Sie dazu?
Dutschke: Diese Leute meinen mich zu kennen, aber sie haben sich in ihrer Einschätzung geirrt. Ich biete Gespräche an und suche auch den innerparteilichen Dialog, doch die Grundlage dafür ist auch die Offenheit und Gesprächsbereitschaft meines Gegenüber. Wenn sich dieser Mensch die Zeit genommen hätte ein paar Stunden mit mir zu reden, dann würde er sicherlich nicht mehr so reden!

Würden Sie sagen die Partei steht geschlossen hinter Ihnen?
Dutschke: Nein, es gibt durchaus große Bedenken hinsichtlich meiner Person und die haben wir auch in ausführlichen Gesprächen bereits thematisiert. Ich werde aber nicht bei den kleinsten Widrigkeiten aufgeben, sondern blicke hoffnungsvoll auf Sonntag, den 19.Juni 2005, denn da wird über die Kandidatur der Landeslisten entschieden.

Sie sind 25 Jahre alt und der jüngste Sohn Rudi Dutschkes, welcher als führender Kopf der deutschen "68er-Studentenbewegung" galt. Bewundern Sie Ihren Vater?
Dutschke: Was mein Vater in Deutschland bewirkt hat verdient hohen Respekt und natürlich bin ich in gewisser Weise auch stolz, sein Sohn zu sein und diesen ehrvollen Nachnahmen zu tragen. Ich will aber nicht in seine Fußstapfen treten, sondern meine eigenen hinterlassen und auch meinen eigenen Weg gehen.

Halten Sie in Zeiten der allgemeinen Politikverdrossenheit eine so starke Bürgerbewegung wie in Deutschland 1968 heute noch für möglich?
Dutschke: Das kann man nicht vergleichen, denn wir leben heute in einer ganz anderen Zeit. Berlin war damals eine eingemauerte Stadt, es gab eine große Koalition, demokratische Aktionen wurden boykottiert und andersdenkende Menschen verfolgt. Das war eine einmalige und sehr komplexe Zeit, die sich so sicherlich nicht wiederholen wird und kann.

Welche Eigenschaften haben Sie von Ihrem Vater vererbt bekommen?
Dutschke: Mein Vater war wie ich sehr sportbegeistert und natürlich verbindet uns auch das große Interesse an Politik und an politischen Prozessen.

Marek Dutschke, 1980 geboren, ist der jüngste Sohn des 1979 verstorbenen 68er-Studentenführers Rudi Dutschke. 2005 kandidierte er für die Grünen für den Deutschen Bundestag. Er scheiterte und bekam nicht den gewünschten Listenplatz für den mehr

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