André Hennicke

Als Künstler dürfen wir uns diese Überhöhung erlauben.

Schauspieler André Hennicke über seine Psychopathen-Rolle in "Antikörper", Ästhetisierung von Gewalt, seine eigene Filmproduktion und Rollen, für die er sich "rein ökonomisch" entscheidet

André Hennicke

© Kinowelt Filmverleih

Herr Hennicke, stimmt es, dass man Ihnen vor kurzem die Rolle des "Kannibalen von Rotenburg" angeboten hat?
Hennicke: Ja, ein befreundeter Regisseur hat vor kurzem den Stoff angeboten bekommen und er hat mich gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, diesen Kannibalen zu spielen. Ich muss aber erst noch das Drehbuch lesen, erst dann kann ich sagen, ob es mich reizen würde, das darzustellen.

Wer braucht denn so einen Film?
Hennicke: Das Thema war ja in allen Medien, da geht es nur um Quote. Das kam auch von einem Privatsender und die wollen so ein Thema natürlich groß verkaufen.

Und Sie sagen dann mit Blick auf die Quote zu?
Hennicke: Nein, mich interessieren immer nur die Rollen. Und wenn das eine sehr komplexe Rolle ist… Oft sind diese Mörder ja scheinbar ganz ‚normale‘ Leute, von denen die Nachbarn immer sagen: "Das hätten wir ja gar nicht von dem gedacht, dass der jemanden umgebracht hat."

Aber der Mörder, den Sie nun in "Antikörper" spielen, ist ja ganz und gar nicht ‚normal‘ sondern eher eine überzeichnete Psychopaten-Figur.
Hennicke: Ja, das ist ja auch eine Kunstform. Wir gehen nicht vom realen Leben aus, sondern wir machen einen Genre-Film, wo es um den Unterhaltungswert geht. Und so ein Genrefilm der muss schockieren. Wir könnten jetzt auch halblang machen und sagen, "das Böse ist nicht einfach böse, sondern es hat auch soziale Ursachen" usw. Wir erzählen das aber nicht so, wie es die Medien tun, sondern im Genre-Film gibt es bestimmte Parameter, nach denen wir uns richten. Wir haben auch große Vorbilder wie "Schweigen der Lämmer" oder "Sieben" – wir wissen, in welcher Welt wir uns da bewegen.

Aber warum nicht die Realität als Vorbild nehmen? Der von Ihnen dargestellte Serienkiller scheint kaum der Realität entlehnt zu sein, ist dafür aber mit allerlei Klischees beladen.
Hennicke: Das ist ja die Überhöhung. Und wir dürfen uns als Künstler diese Überhöhung erlauben. Das Genre braucht das, da geht es um extreme, psychische Momente, die wir darstellen. Da sitzt ein Serienmörder im Knast, im Rollstuhl, kann sich eigentlich nur im Geist bewegen und so seine Manipulation betreiben, durch die Gitterstäbe hindurch. Das war der Punkt, der mich an der Rolle fasziniert hat, damit eine spannende Geschichte zu erzählen. Da geht es mehr um den Unterhaltungseffekt als um irgendeine soziale Komponente.

Sind Sie denn während der Dreharbeiten dem Phänomen des Serienmörders etwas näher gekommen?
Hennicke: Ein bisschen, was mich auch sehr schockiert hat. Aber ich habe nicht die Neigung, mich da noch tiefer hineinzuversetzen. Ich habe nach den Dreharbeiten aufgehört, mich damit zu beschäftigen. Wobei es manchmal Momente gibt, wo das wieder hochkommt. Das ist wie mit den Liedern aus meiner Jugend: ich bin ja in der DDR aufgewachsen und seitdem habe ich russische Lieder oder Pionierlieder im Kopf – die kriege ich da nicht mehr raus. Die schmoren dann lange Zeit in deinem Kopf in einem kleinen Kämmerchen und irgendwann geht die Tür auf und sie kommen wieder raus.

Wie stehen Sie generell zur Ästhetisierung von Gewalt im Film?
Hennicke: Also, es gab ja schon bei "Apocalypse Now" von Francis Ford Coppola die große Diskussion um die Frage, ob man die Schrecken des Krieges so ästhetisieren darf, dass er schon wieder faszinierend und angenehm wirkt. So weit geht das bei "Antikörper" aber gar nicht. Bei uns ist die Ästhetik ja keine schöne Ästhetik, sondern sie bedient viel mehr diese kalte Welt. Und mit der Ästhetik wird versucht, eine bestimmte Atmosphäre zu erzeugen, in der der Zuschauer von der ersten bis zur letzten Sekunde drin bleibt.

Um mal eine Beispiel zu nennen: 2002 haben Jugendliche in einem brandenburgischen Dorf einen Gleichaltrigen hingerichtet, nach dem Vorbild einer Szene aus dem Film "American History X". Machen Sie sich über solche möglichen Konsequenzen von Gewaltdarstellungen Gedanken?
Hennicke: Ja, schon. Ich hätte "Antikörper" zum Beispiel nicht gemacht, wenn es Gewalt-Szenen mit Kindern gegeben hätte. Das ist meine Verantwortung, wo ich sage, da geht es mir zu weit. Andererseits weiß doch jeder Kinozuschauer: das ist ein Film und nichts ist echt!

Ist es nicht aber so, dass immer mehr Jugendliche Schwierigkeiten haben, die medialen Welten und die richtige Welt auseinander zu halten?
Hennicke: Das kann bei Kids der Fall sein, ja. Aber auch wenn die in unseren Film reinrennen, glaube ich nicht, dass die darin irgendwelche Lösungsansätze für ihr eigenes Leben sehen, die sie nachahmen könnten.

Schauen Sie selbst gerne Filme, die mit Gewalt arbeiten?
Hennicke: Ich habe "Das Schweigen der Lämmer" sehr genossen, oder auch "Sieben". "Roter Drache" habe ich weniger genossen und "Hannibal" hat mir auch nicht gefallen, weil es da genau zu solchen Szenen kommt, wo ein Kopf aufgesägt wird und mit dem Löffel das Gehirn gegessen wird – da ist meine persönliche Reizwelle schon überschritten.

Und was ist mit einem Film wie "Natural Born Killers"?
Hennicke: Den habe ich gesehen – und ich habe ihn abgelehnt. Weil, der hat mich einfach kalt gemacht. Ich wollte den eigentlich nicht sehen, aber dafür meine Freundin, weshalb wir dann ins Kino sind und uns zwei Stunden diese Folter angetan haben. Als wir aus dem Film rauskamen haben wir uns gestritten und angeschrieen. Und wenn ein Film nur bewirkt, dass man sich danach nur noch streitet und sich die Gewalt, die da permanent zu sehen ist, auf den Zuschauer überträgt, dann kann das nicht gut sein.

Glauben Sie, es gibt in Ihrer eigenen Filmographie so einen Film, der bei den Zuschauern ähnliche Folgen ausgelöst hat?
Hennicke: Nein. Solche Filme gibt es in Deutschland nicht, die werden gar nicht gefördert – und die meisten Filme, die hier rauskommen sind nun mal gefördert.

Wie viel Gewalt gibt es denn in den Filmen, die Sie mit Ihrem jüngst gegründeten "Querverleih" drehen und planen?
Hennicke: Einen haben wir schon abgedreht, "Adipocire", ein Psychothriller, der auch mit Gewalt spielt. Aber die Gewalt selbst ist nicht zu sehen – nur als Zeichen und der Zuschauer muss sich das am Ende selbst zusammenreimen. Der andere Film, den wir drehen werden, ist "Großgösen", eine schwarze Komödie, in der es auch Tote gibt, die aber nicht gezeigt werden. Da geht es mehr um den schwarzen Humor, der mir in Deutschland noch ein bisschen fehlt.

Und finanziert werden diese Filme …
Hennicke: … komplett privat. Ich stecke da zum Teil selbst als Investor mit drin.

Man hört von vielen Schauspielern, dass sie für sich eine klare Trennung machen, zwischen den Filmen, wo es nur ums Geldverdienen geht und jenen Projekten, die vielleicht weniger Geld bringen, aber ihnen dafür mehr am Herzen liegen. Geht Ihnen das genauso?
Hennicke: Auf jeden Fall. Vor allem beim Fernsehen gibt es hin und wieder ein Projekt, wo ich sage, das muss ich jetzt durchziehen, weil ich das Geld brauche, um andere Dinge finanzieren zu können. Bei einer eigenen Filmproduktion muss man ja alles vorschießen und bis das Geld irgendwann zurückfließt, ist das natürlich ein langer Weg.

Jene Filme, die Schauspieler aus rein finanziellen Gründen drehen – sind die es eigentlich wert, geguckt zu werden?
Hennicke: Also, ich selber gucke die teilweise nicht an. Das sind dann Filme, für die ich mich wirklich rein ökonomisch entscheide, weil ich meinen Lebensstandard halten will und weil die anderen interessanten Filme meist unterfinanziert sind. Da muss ich halt manchmal einen Fernsehspurt einlegen, damit ich wieder etwas reinhole.

Aber warum sollten die Leute sich einen Film angucken, von dem die Schauspieler selbst sagen, sie spielen nur aus rein ökonomischem Interesse mit?
Hennicke: Diese Filme haben ja auch einen Unterhaltungswert und die gehören genauso ins Fernsehen hinein. Es ist bloß die Frage, inwiefern will ich mich als Schauspieler daran beteiligen und inwiefern kann ich es mir leisten, mich da rauszuhalten? Und wenn wir mal ehrlich sind: die meisten Schauspieler wollen Kinostars sein. Aber das ist schwierig, weil es gibt richtig viele gute Schauspieler, allerdings nur richtig wenig gute Filme, wo man zum Star gemacht werden könnte.

Wo sehen Sie sich momentan?
Hennicke: Ich habe jetzt schon eine Stufe erreicht, wo ich sagen kann, ich bin in der Oberliga, was die Stoffe angeht. Ich kriege Angebote, die ich früher nicht bekommen habe, differenzierte, komplexe Hauptrollen in Kinofilmen. Und ich mache zusätzlich noch meine eigenen Sachen, die ich halt vermisse im deutschen Kino.

Wie hat sich denn durch die wachsende Bekanntheit Ihr Alltag in den letzten Jahren verändert?
Hennicke: Nicht so viel. Ich halte mich da auch bedeckt. Ich wohne jetzt schon acht Jahre in meinem Kiez im Berliner Prenzlauer Berg und dort ist das Coole, dass man nicht belästigt wird. Vor meinem Haus kleben an den Litfasssäulen gerade die "Antikörper"-Plakate mit meinem Foto, aber wenn die Leute mich dann sehen, wird keiner aufdringlich oder so. Sondern man kennt sich, man sagt "Hallo" … So will ich das auch haben, ich will meinen Beobachtungsstandpunkt behalten. Ich will Beobachter sein, weil ich ja auch Romane und Drehbücher schreibe. Deswegen muss ich den Leuten immer zugucken können. Wenn sich das umdreht, dass die Leute auf einmal mich betrachten, dann kann ich deren Eigenarten nicht mehr beobachten – und das wäre traurig.

Und die "Antikörper"-Plakate vor Ihren Fenstern, mögen Sie die?
Hennicke: Das gibt mir in gewisser Weise eine Bestätigung für meine berufliche Entwicklung. Da bin ich auch stolz drauf, weil ich einen guten Film damit verbinde. Dass von mir nun überall Poster hängen, das ist mir schnurz, das brauche ich nicht, weil ich sonst auch genug andere Sachen mache, wo ich eine Bestätigung finde.

Unsere Schlussfrage lautet: Das Leben ist ein Comic – welche Figur sind Sie?
Hennicke: Ich habe mich mit Comics nie auseinandergesetzt, außer dass ich regelmäßig die "Digedags" gelesen habe. Ich habe mehr Science-Fiction und so was gelesen, permanent. Ich habe in der DDR gelebt, in einer ziemlich engen Wohnung mit drei Schwestern und meinen Eltern zusammen. Da war so wenig Raum, den Raum habe ich dafür in diesen Büchern gefunden. Ich habe mich allerdings nie an einer bestimmten Figur orientiert, ich bin nicht so der Typ, der sich Idole sucht. Es gibt natürlich Schauspieler, die ich richtig gut finde, wo ich sage, das ist eine Richtung, in die ich auch gehen könnte.

Gab es auch mal eine Filmfigur, die Sie gesehen haben und dachten: "Das bin ich?"
Hennicke: Nein. Ich bin so komplex, so unnachahmlich, dass ich mich nirgendwo erkenne.

Oder haben Sie vielleicht schon mal selbst einen Film gedreht, der ganz nah an Ihrer Persönlichkeit dran war?
Hennicke: Nein. Physisch war "Der alte Affe Angst" ziemlich nah an mir dran, da musste ich körperlich ziemlich was leisten.

Und psychisch?
Hennicke: Nein, so einen Film gibt es nicht. Es gibt aber in jeder Rolle, die ich gespielt habe, ein Stück von mir, das schon. Und wenn man jetzt am Ende all diese Rollen zusammentragen würde, dann würde man sicher ein Stück meiner Komplexität begreifen.

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