Nina Hagen

Ich brauche nicht viel zum Leben.

Nina Hagen über ihre zweite Heimat USA, politisches Engagement, Punk, Faszination für die Musik der 30er Jahre, ihr Album "Irgendwo auf der Welt" und ihre Begegnungen mit Gott und Elvis

Nina Hagen

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Nina, du lebst hauptsächlich in den USA – warum eigentlich?
Hagen: Ich bin seit 1980 in L.A. Damals hatte mich Bennett Glotzer, der Manager von Frank Zappa, in Deutschland gesehen, als ich so ein Punk-Theater-Projekt gemacht habe. Er hat mir dann einfach angeboten, eine neue Band zusammenzustellen, damit ich richtig meine Arbeit mache. Er hat mich also unter seine professionellen Flügel und mit nach Amerika genommen, seit dem bin ich dort, meine Tochter ist dort auf die Welt gekommen… Erst war ich sechs Jahre am Stück dort, in denen ich drei bis vier Alben gemacht habe, dann bin ich in den 90er Jahren vier Jahre lang dort gewesen – also, Amerika ist schon auch meine zweite Heimat. Kalifornien liebe ich einfach.

Wolltest du dich damals aus Deutschland zurückziehen?
Hagen: Nein, ich wollte nicht unbedingt weg, aber ich wollte schon immer nach Amerika. Ich habe als Kind diese Fernsehsendung „New York, New York“ gesehen. Das war eine supergeile Sendung, in der sie alle möglichen Leute vorgestellt haben, die in New York was gemacht haben. Auch Deutsche, Bertold Brecht und die Weill-Generation, oder auch der Robert Gilbert und der Bruno Balz, die die Songs „Irgendwo auf der Welt“ und „Roter Mohn“ geschrieben haben. Die waren ja beide Juden, der eine wurde deportiert, hat aber die Flucht aus dem Konzentrationslager geschafft. Und sie sind beide für eine Weile im Exil gewesen in Amerika.

Auf deiner neuen Platte „Irgendwo auf der Welt“ singst du nun eine Reihe Jazz- und Swing-Standards aus der damaligen Zeit…
Hagen: …wo in Amerika ja auch so ein Rassismus-Faschismus herrschte, gegen die Schwarzen. Da kommt die ganze Musik ja auch her, aus dem schwarzen Amerika. Die wahren amerikanischen Helden sind doch Menschen wie Martin-Luther King, die Schwarzen, die uns Blues gebracht haben, den Jazz und den Rock’n’Roll. Und das sind einfach Schatzkisten, Songs, bei denen ich nicht stillhalten kann und die ich schon seit meiner Kindheit kenne, aus den vielen UFA-Filmen und aus den amerikanischen Filmen. Mein Gott, im Grunde genommen bin ich Zigarettenraucher geworden, weil ich seit kleinster Kindheit das immer so toll fand, wenn die sich im Film die Zigarette angezündet haben. Mit 12 oder 13 Jahren habe ich da schon mitgeraucht.

Wenn du jetzt ein Jazz-Album machst, ist das dann auch ein Resultat deiner Sozialisation in den USA?
Hagen: Nein, das ist einfach ein Bestandteil von der Musik, die wir machen. Die ganze Welt ist doch voll mit Musikern und Sängern, die finden sich zusammen und wollen dann einfach miteinander Musik machen, weil sie drauf stehen und weil sie es gut können. Und weil es auch eine Bedeutung für uns hat, als Menschen. Wir wissen ja, dass wir durch die Musik unheimlich viel bewirken können, nämlich tanzen und zusammen sein, eine Sprache sprechen, die anders ist als unsere sonstigen verbalen Schlagabtausche. Und das ist jetzt bei dem Album nicht anders, als wenn ich mit meiner Rockband Konzerte gebe.

Du arbeitest musikalisch also nach wie vor an verschiedenen Fronten.
Hagen: Ja, ich bin auch jede Woche im Studio mit meiner Band, wir arbeiten seit vier Jahren an zwei neuen Alben. Dann gibt es noch ein Projekt, das heißt „Nina Hyena“, ein politischer, satirischer Zeichentrickfilm mit einer kleinen Hyäne, dann plane ich gerade meine eigene TV-Show und ich bin ganz viel unterwegs und gebe Konzerte.

Ist das alles auch immer noch eine Art Ausprobieren?
Hagen: Das ist mein Beruf.

Und der heißt?
Hagen: Warst du schon mal bei einem Nina Hagen Band Konzert? Wenn nicht, dann lade ich dich hiermit herzlich ein – und danach sprechen wir uns noch mal.

Trotzdem die Frage: Könntest du deine Arbeit in ein Wort oder in einen Satz fassen?
Hagen: 51 Jahre Arbeit in ein Wort zu fassen ist glaube ich ein bisschen schwer, junger Mann.

Entertainerin?
Hagen: Bin ich auch.

Was sind die Dinge, die dich momentan am meisten beschäftigen?
Hagen: Das hier, das sind Sachen die mich beschäftigen. (Nina Hagen reicht uns einen Stapel von Foto-Ausdrucken, darauf zu sehen sind Missbildungen bei Soldaten, Frauen und Kindern aus dem Irak.) Ich habe seit Monaten Artikel übersetzt, über die Verstrahlung durch Uran-Munition durch die Amerikaner im Irak. Da müssen wir jetzt alle reinhauen, weil wenn da nix passiert, sehe ich schwarz. Das sagen auch Strahlungsexperten, Wissenschaftler und Politiker.
Und wenn wir in Deutschland sagen „Amerika ist unser Freund“: man lässt doch seine Freunde keine Kriegsverbrechen begehen. Aber wenn eine Regierung seine eigenen Leute mit Uran verstrahlt und dass dann auch noch abstreitet – das gehört vor ein Kriegsverbrechergericht. Und das versuchen in den USA ja auch verschiedene Gruppierungen, zurückgekehrte Soldaten haben sich einen Rechtsanwalt genommen und verklagen jetzt die ganze Regierung.

Bist du trotzdem optimistisch, glaubst du, dass die Zeiten sich wieder bessern?
Hagen: Ich weiß aufgrund der ganzen Sachen, die ich gelesen habe, die ich gehört habe und die ich auch in meinem eigenen Leben erkannt habe, dass die Zeiten nicht besser werden – eher wird es noch schlimmer. Und die Amerikaner, die fangen auf jeden Fall einen Krieg mit dem Iran an. Egal wer was dagegen sagt, die gegenwärtige US-Regierung macht sowieso was sie will. Und wenn die Medien nix machen, dann passiert gar nix, dann können noch so viele Leute auf die Straße gehen und Schilder hochhalten – aber man wird es nicht erfahren.
Aber die Medien schlagen ja jetzt auch noch einen ganz anderen Weg ein und provozieren: anstatt dass sie den Bush karikieren, der es eigentlich verdient hätte, hauen sie auf diejenigen rauf, die sowieso schon wütend sind, weil sie in Palästina unter einer Besetzungsmacht leben. Und gerade unsere Angie Merkel, die aus dem Käfig namens „DDR“ kommt, die müsste das doch eigentlich nachvollziehen können, wie es ist, wenn ein Volk unter einer Besetzungsmacht leben muss.

Im Jahr 2000 warst du ja mal mit ihr zusammen auf dem Cover der Zeitschrift „SuperIllu“ unter dem Titel „Die neuen Superfrauen aus dem Osten“. Siehst du dich noch als Frau aus dem Osten?
Hagen: Ich glaube schon. Denn so hat es ja angefangen. Damals, als Baby bin ich aufgewacht und habe nur Schreibmaschinenklänge gehört. Mein Vater war ja Schriftsteller und seine Schreibmaschine für mich das schönste Geräusch der Welt. Und ich durfte den ganzen Tag Zeitungen zerreißen, das „Neue Deutschland“ und die „Junge Welt“ … Mein Papi war meine liebste Bezugsperson. Aber als ich drei Jahre alt war, haben die den plötzlich rausgeschmissen, Scheidung.
Dann kam Biermann, er und meine Mama haben sich verliebt. Und den haben tolle Leute besucht, Bob Dylan, Hedy West, Joan Baez, Udo Lindenberg, Heinrich Böll. Aber in der Schule durfte plötzlich keiner mehr mit mir sprechen, das hatten der Elternrat und der Schulrat so beschlossen. Ich bin ich in die Schule gegangen und keiner hat mehr mit mir gesprochen – ich dachte, ich spinne. Aber dieses Phänomen begleitet mich eigentlich mein ganzes Leben lang, dass ich irgendwie immer ausgegrenzt werde.

Auch heute noch? Von wem?
Hagen: Von den offiziellen deutschen Medien zum Beispiel. Und wenn Stefan Raab bei der Frage nach deutschen Sängerinnen, die national und international was geleistet haben, nur Jule Neigel einfällt… – man fühlt sich von den eigenen Kollegen nicht respektiert.

Dabei wirst du oft als „Mutter des Punk“ bezeichnet.
Hagen: Ja, aber ich weiß gar nicht, wo das eigentlich herkommt. Es gab diesen einen Song, den Ariane von den „Slits“ und ich damals geschrieben haben, der hieß „Punk“…

Worum ging es dir beim Punk?
Hagen: Simplicity! Ich brauche doch nicht viel zum Leben. Simpel bleiben, im Rahmen des Möglichen. Ich will gar nicht den großen Luxus haben, ich will lieber das Geld in meine Arbeit stecken, ins Studio, in Projekte. Ehrlich zu sein und nicht dem Establishment zu dienen, den eigenen Weg finden. Das kam bei mir alles schon, als ich elf Jahre alt war, als Rockmusik in meinem Leben angefangen hat, eine Rolle zu spielen und dann später, als ich in London den Punkrock erlebt habe und dann auch ein Teil dieser Bewegung wurde.

Wenn du nun die „Mutter des Punk“ bist – wer ist heute deine Tochter?
Hagen: Ich würde sagen, alle sind meine Töchter. Pink und Kelly Osbourne und Cosma… Mit den Generationen hat ja das zum Vorteil, dass die Älteren den Jüngeren ein paar gute Sachen sagen können und die Jüngeren den Älteren wiederum Inspiration geben, damit die nicht verkalken.

Du bist auch sehr beliebt in der Schwulen-Szene – wie erklärst du dir das?
Hagen: Wahrscheinlich haben die mich schon mal live erlebt und sie wissen, dass ich auch ein Junge bin, dass ich auch ein kleiner Elvis bin. (lacht) Apropos Elvis: ich hatte mal einen ganz tollen Traum. Da gab es ein Festival, Elvis sollte auftreten, aber er war total heiser, hatte Schnupfen und Grippe. Er hatte einen Bademantel und einen dicken Schal an und kam voll verschwitzt von der Bühne, hustend und sagte dann „ich kann nicht singen – sie wird übernehmen“ und hat auf mich gezeigt. Ein geiler Traum.

Du bist im Traum ja auch mal Gott begegnet, oder?
Hagen: Ja, ich habe ja immer versucht, Gott zu finden, ich fand das wahnsinnig interessant, schon als kleines Mädchen. Ich habe damals „Siddharta“ von Herman Hesse gelesen, wo es um Selbstverwirklichung ging, so Buddha-mäßig, ein ganz tolles Buch. Oder ich habe von Dostojewski „Die Erniedrigten und die Beleidigten“ gelesen und dann auch die Bibel. Die Geschichte mit Jesus Christus, was der eigentlich gesagt hat, „helft einander“ und so. Da hat mich was berührt bei den ganzen Geschichten.
Und dann bin ich mit 16 nach Polen abgehauen. Weil meine Mutter meinte, ich müsste arbeiten gehen – in der DDR gab’s ja Arbeitspflicht, das waren noch Zeiten. Ich wollte aber nicht arbeiten, ich wollte ja auf die Schauspielschule, was allerdings nicht geklappt hat. Also bin ich nach Polen abgehauen, wo ich jeden Tag in den schönsten Kirchen gesessen habe, in Warschau und in Danzig, wo ich ganz viel gebetet habe.
Und später, als ich 19 war und wieder in Ost-Berlin, haben mich immer mal wieder meine polnischen Freunde besucht. Und einmal meinten sie: „Wir wollten dir eigentlich was zu rauchen mitbringen, aber es gab nur LSD“. Ich dachte „um Gottes Willen, davon habe ich gehört“, weil mir hatten ein paar Kumpels erzählt, dass es auf einem LSD-Trip passieren kann, dass du Gott triffst, oder Buddha. Jedenfalls habe ich das Ding eingepfiffen – und wie das abgelaufen ist, das war der Wahnsinn. Im Endeffekt habe ich nämlich die ganze Nacht mit dem lieben Gott zusammen gesessen, mit unserem Schöpfer, total easy. Und da habe ich gespürt, dass wir geliebt werden.

Unsere Schlussfrage lautet: Das Leben ist ein Comic – welche Figur bist du?
Hagen: Ich bin die Tochter vom Goofy, aber die kennt ihr noch nicht. Die wurde ja auch noch nie gezeigt. Aber Goofy hat mich immer sehr an meinen Vater erinnert, speziell auch die Schuhe. Goofy hat doch diese Schuhe an, die vorne ganz spitz, lang und riesig sind. Und mein Papi hat auch wie Goofy ganz viel witzige Sachen gemacht, von ihm habe ich auch meine komische Art. Weil der hat ja die ganze Zeit über dem Baby-Wagen gestanden und immer sein Gesicht so verzogen… und zu Hause dann immer die Schreibmaschine… Also ich bin Goofys Tochter. Goofy ist ein Hund, oder? Ich liebe Hunde.

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