Jan Henrik Stahlberg

Die Leute müssen die Freiheit haben, die richtigen Informationen zu bekommen.

Jan Henrik Stahlberg und Lucia Chiarla über ihren Film "Bye Bye Berlusconi", die Macht des italienischen Ministerpräsidenten und den mangelnden Widerstand in Italien

Jan Henrik Stahlberg

© Jetfilm

Frau Chiarla, Herr Stahlberg, wenn man mit Italienern in Deutschland spricht, bekommt man oft gesagt: Niemand in Italien mag Berlusconi, aber er ist trotzdem an der Macht. Woran liegt das?
Stahlberg: Ich würde es anders formulieren: Sehr viele Menschen sind gegen Berlusconi, aber wenn man etwas gegen ihn macht, ist keiner dabei. Was ein großer Unterschied ist, weil es gibt natürlich Leute, die Berlusconi mögen und wählen. Auf der anderen Seite sind sehr viele Leute gegen ihn, aber die machen nichts gegen ihn. Oder sie haben immer Gründe, warum es gerade nicht geht.
Chiarla: Es gibt einen großen Teil der Bevölkerung, der niemals Berlusconi wählen würde, Leute die immer links wählen. Genauso gibt es aber auch welche, die Berlusconi wählen, weil sie immer rechts wählen. Aber dann gibt es noch etwa 20 Prozent, die unentschlossen sind und die die Wahl entscheiden können. Gerade die sind auch Ziel der großen Propaganda, die Berlusconi im Fernsehen und mit seinen Zeitungen macht. Und das Bild, das er von sich erschaffen hat, ist so gut gestrickt: manche Leute denken wirklich, Berlusconi könnte politisch etwas schaffen, könnte Arbeitsplätze schaffen usw. Und seine Medienmacht ist in den letzten Jahren so groß geworden, dass die Leute keine anderen Informationen mehr bekommen und nicht wissen, dass es eine Alternative gibt.

Und die Gegner Berlusconis protestieren nicht gegen ihn, weil sie Angst vor seiner Macht haben?
Stahlberg: Es ist einerseits so eine Art von feiger Faulheit, dass die Leute sagen: „Ach, muss jetzt nicht unbedingt sein“. Andererseits ist die Bereitschaft sehr gering, sich aus dem Fenster zu lehnen. Wir haben das bei den Dreharbeiten erlebt, als wir in einem Restaurant drehen wollten, meinte der Besitzer, er wähle zwar nicht Berlusconi, aber wenn wir in seinem Restaurant drehen würden, würde er Kunden verlieren. Er hätte uns die Erlaubnis nur für 2000 Euro erteilt. Oder wir haben versucht, für den Film einen prominenten italienischen Journalisten zu finden, der am Anfang in die Kamera sagt: „Silvio Berlusconi ist entführt worden“. Wir haben sehr viele bekannte italienische Journalisten gefragt, einige fanden unser Drehbuch auch gut. Aber sie haben alle gesagt: Ich habe hier einen Job und den könnte ich dadurch verlieren, ich muss aber meine Familie ernähren und kann das deswegen nicht machen.

Dass Berlusconi seine Macht so ausbauen konnte, hängt das auch mit Politikverdrossenheit in der italienischen Bevölkerung zusammen?
Stahlberg: Ja, aber Politikverdrossenheit ist natürlich kein rein italienisches Phänomen. Politisches Interesse gibt es in Deutschland genauso wenig. Wenn ich mir überlege, dass bei Frau Merkel ein großer Kritikpunkt ihre Haarpracht war, wenn wir uns also wirklich Gedanken darüber machen, ob unsere Bundeskanzlerin schön oder nicht schön ist – dann ist das so was von absurd und lächerlich. Das ist eine hochintelligente Frau und egal, was man von Ihrer Politik halten mag, wir haben nicht über ihre Haare zu streiten.

Und in Italien…
Stahlberg: Im italienischen Fernsehen ist das das Gleiche hoch zehn. Und Berlusconi nutzt das aus, dass sich die Leute viel mehr Gedanken über seine neuen Haare oder über seine Fettabsauggeschichten machen. Um die wichtigen harten Fakten über Korruption und seine verschiedenen Prozesse wird dagegen ein Mantel des Schweigens gehüllt. Oder aber, es wird 80 Mal im Fernsehen wiederholt, dass all diese Prozesse von den Kommunisten angezettelt wurden, die ihn politisch fertig machen wollen und er deswegen genötigt ist, Gesetze zu entwickeln, die ihn vor der dritten Kraft des Staates schützen. Da werden unabhängige Richter als Kommunisten in die Ecke gestellt, die sich nach so einer Medienkampagne erst mal rechtfertigen müssen und erklären müssen: Wir sind keine Kommunisten, sondern es geht hier um Meineid, den der Ministerpräsident geleistet hat. Die Medienmacht von Berlusconi und sein Umgang mit der Justiz, das sind per se Dinge, die indiskutabel sind, die gefährlich sind und wo er unterschätzt wird.

In Ihrem Film „Bye Bye Berlusconi“ wird ihm nun der Prozess gemacht, durch eine Bande von Kidnappern.
Chiarla: Es gab ja in Italien 1978 die Entführung des früheren Ministerpräsidenten Aldo Moro, der damals von seinen Kidnappern erschossen wurde. Und dieser Fall hat uns zu der Frage gebracht: Was wäre, wenn heute Terroristen Berlusconi entführen? Wer würde ihn wirklich retten wollen? Daraus wurde dann eine Satire, und Berlusconi heißt bei uns nicht Berlusconi sondern Micky Laus und ist Bürgermeister von Entenhausen.

Sie haben den Film in Genua gedreht…
Stahlberg: …wo wir uns Unterstützung erhofft hatten. Weil wir dachten, den G8-Gipfel hat die Stadt und haben die Leute noch nicht vergessen und verwunden. Haben sie auch nicht, aber ie schon erwähnt, es gab Beispiele, wo Leute gesagt haben: Ihr könnt bei mir drehen, aber ich will 2000 Euro dafür haben. Unterstützung war nur dann da, wenn man sie sich teuer erkauft hätte.

Und die Behörden?
Stahlberg: Wir haben ja nach keiner Drehgenehmigung gefragt. Wir erzählen zwar im Film, dass unserem Film-Team die Drehgenehmigung entzogen wurde, doch in der Realität konnten die das gar nicht, weil wir nie danach gefragt haben. Dieses Problem wollten wir von vornherein umgehen.

Also sind auch die Attacken der Behördenmitarbeiter auf das Film-Team, wie sie im Film zu sehen sind…
Stahlberg: Die sind gefaked. Wir wollten, dass die Dokumentarebene im Film absolut echt wirkt, dass die Leute denken, unser Drehteam rutscht dort wirklich in dieses Problem rein.
Bei uns ist das erfunden, aber anderen Leuten ist es wirklich so ergangen.

Können Sie ein paar Fälle nennen?
Chiarla: Es gibt mehrere Künstler, die eine Satire über Berlusconi gemacht haben, aber im Fernsehen keinen Sendeplatz dafür bekommen haben. Bestimmte Journalisten haben ihre Sendeplätze verloren, weil sie kritisch über Berlusconi berichtet haben.
Stahlberg: Oder es gab den Professor und Regierungsberater Marco Biagi, der erschossen wurde, kurz nachdem ihm Berlusconi den Polizeischutz entzogen hatte. Und dann natürlich die beiden Staatsanwälte Giovanni Falcone und Paolo Borsellino, die ihr Leben geopfert haben, für den Kampf gegen die Mafia und die Korruption.

Haben Sie denn bei Ihrem Dreh in Italien auch Angst gehabt?
Stahlberg: Also, bei uns ging es ja darum, zu erzählen, was mit Leuten passiert, die etwas gegen Berlusconi machen. Wir konkret haben das aber nicht austesten wollen und wir haben deswegen diesen Film so klein gehalten, wie es nur möglich war, so, dass halt keiner davon etwas mitgekriegt hat.
Ein mulmiges Gefühl habe ich aber trotzdem gehabt bei den Dreharbeiten. Und ich habe das auch jetzt noch, wenn ich daran denke, dass Berlusconi gegen diesen Film prozessieren könnte. Und wenn er den Prozess gewinnen würde, könnte das hohe Schmerzensgeldklagen zur Folge haben, das könnte sehr unangenehm für uns werden. Aber letzten Endes haben wir nur einen Film gemacht, dagegen sind die wahren Helden Leute wie Falcone und Borsellino, die wirklich etwas gegen ihn gemacht haben und wo ich mich frage, in welcher permanenten Angst die gelebt haben müssen.

Zum Abschluss: Was muss passieren, damit Silvio Berlusconi nicht wieder Ministerpräsident wird?
Chiarla: Die Leute müssen die Freiheit haben, die richtigen Informationen zu bekommen. Weil dann werden sie erkennen, dass Berlusconi nicht gut ist für dieses Land.

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