Frau von der Leyen, viele Menschen meinen, Politiker sollten Vorbild sein. Wie denken Sie darüber?
von der Leyen: Grundsätzlich sollten Menschen, die mit anderen Menschen in der Öffentlichkeit umgehen – ob nun Lehrer, Erzieher oder Politiker – sich bemühen, auf ihrem Gebiet vorbildlich zu sein. Allerdings fühle ich mich nicht als Vorbild, dazu ist mein Lebensweg wohl zu ungewöhnlich gewesen und das Geschenk von sieben Kindern ist etwas, was man wirklich nur als Geschenk betrachten kann. Aber ich möchte Vorkämpferin sein für Themen, die lange brach gelegen haben, die wir nicht genügend beachtet haben. Und das sind vor allem Themen rund um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
Sie haben als Mutter selbst erlebt, wie schwer es in Deutschland ist, Kinder und Beruf unter einen Hut zu bringen. Ist aus diesem Konflikt anfangs Ihr politisches Engagement entstanden?
von der Leyen: Ursprünglich bin ich in die Politik gegangen mit dem Anliegen, vor allem gesundheitspolitisch zu arbeiten, weil ich mich als Ärztin mit Zusatzausbildung in Gesundheitsökonomie im Arbeitsalltag in vielen Punkten frustriert und gelähmt fühlte. Ich wollte einfach neue politische Akzente im Gesundheitswesen setzen. Als sich dann die Diskussionen weniger um meine politischen Aussagen drehten, sondern mehr um die Frage, wie mein Mann und ich mit unseren Kindern leben, da habe ich erst gemerkt, wie ungewöhnlich es hier ist, als Frau mit Kindern in einer Führungsposition arbeiten zu wollen und als berufstätiger Mann auch aktiver Vater zu sein.
Sie haben einmal gesagt: „Kinder sind mir das Liebste, aber Luft unter den Flügeln gehört dazu“. Wenn man sieht, dass Sie gerade auf dem Höhepunkt Ihrer politischen Karriere angelangt sind: Fliegen Sie gerade?
von der Leyen: (lacht). Nein, ich glaube im Augenblick nicht, dass ich fliege. Mit dem Begriff „Luft unter den Flügeln“ meine ich, dass ich erlebt habe, dass Kinder eine große Bereicherung sind und dass mit ihnen auch eine Entfaltung der eigenen Kräfte im Beruf möglich ist. Dass beides zusammen dazu führen kann, dass man über sich hinaus wächst. Auf der anderen Seite kann es auch sehr schwer sein, Beruf und Familie zu vereinbaren, wenn man in diesem Spagat ausbrennt und die Anlagen, die man gehabt hat, nicht zum blühen kommen.
Sie haben über den Konflikt von Beruf und Familie schon oft Auskunft gegeben, dennoch die Frage: sieben Kinder, zwei Ziegen, ein Pony, eine glückliche Ehe und ein belastender Beruf – wie schaffen Sie das? Welche Eigenschaften sind dafür erforderlich?
von der Leyen: Ich habe gelernt, dass man bei solch einer Frage den Focus weniger darauf richten sollte, was heute da ist, sondern mehr auf den langen Weg, der zu dem geführt hat, was heute sichtbar ist in meinem Leben. Das Erste ist natürlich, dass ich mit jemandem verheiratet bin, der so wie ich eine unglaublich tiefe Sehnsucht nach mehreren Kindern hatte und von Tag eins an seinen Teil der Verantwortung auch sehr ernsthaft getragen hat. Das hat mir in Zeiten, in denen man verzweifelt ist und das Gefühl hat, es nicht mehr zu schaffen, den nötigen Antrieb und Rückhalt gegeben.
Der zweite Punkt, der für unser Leben entscheidend gewesen ist, war der Wechsel ins Ausland. Wir sind dort in ein Klima gekommen, wo ich erlebt habe, was es bedeutet, nicht andauernd dafür kritisiert zu werden, dass man als Ärztin nicht genügend Zeit für den Beruf und als Mutter nicht genügend Zeit für die Kinder hätte. Vielmehr wurde ich positiv bestärkt, da man bestimmte Fähigkeiten im Beruf entwickelt, gerade weil man Kinder hat. Und ich wurde als Mutter bestärkt, weil ich einerseits den Lebensunterhalt für die Kinder verdiene und mir andererseits immer wieder Zeit für die Kinder freischaufele.
Als Mutter lebt es sich besser in den USA als in Deutschland?
von der Leyen: Es ist ein Riesenunterschied zu dem Klima hier, in dem ich mich oft schuldig gefühlt habe und mich immer rechtfertigen musste. In den USA wird mehr auf die Starken geschaut, dadurch haben mein Mann und ich überhaupt erst unsere Stärken entwickeln können, weil andere auf unsere Stärken und nicht auf unsere Schwächen geschaut haben.
Ist dieses von Ihnen erwähnte Klima in Deutschland auch die Ursache für die niedrige Geburtenrate?
von der Leyen: Wir beobachten bei allen Wissensgesellschaften in den hoch industrialisierten Ländern, dass mit steigender Bildung die Bereitschaft zu Kindern sinkt. Vor dreißig Jahren lag die Geburtenrate in Deutschland bei etwa vier. Heute liegt sie weit unter zwei Kindern. Diesen Rückgang haben Länder wie die USA oder Kanada, Australien, Frankreich und die skandinavischen Länder auch erlebt, aber sie haben früher und flexibler reagiert. Mit der Folge, dass dort heute mehr Kinder geboren werden, es gibt vor allem eine stärkere Tendenz zu Mehrkind-Familien, also Familien mit einem dritten oder vierten Kind…
… was in Deutschland immer seltener wird.
von der Leyen: Ja, und in diesen Ländern ist auch eine entspanntere Einstellung zu beobachten, dass Arbeit und Kindererziehung Hand in Hand gehen können, und dass Eltern nicht gleich „Rabeneltern“ sind, nur weil beide berufstätig sind. Das hat zur Folge, dass diese Gesellschaften stärker um Kinderbedürfnisse organisiert sind und versuchen, den Alltag rund um die Familie zu erleichtern, d.h. sie haben ein besser ausgebautes Bildungssystem mit der Folge, dass die Kinder in den Bildungsvergleichen zum Teil wesentlich besser abschneiden als Deutschland. Insbesondere Kinder aus sozial benachteiligten Familien haben in diesen Ländern bessere Bildungschancen. In diesen Ländern existiert auch ein viel größerer Markt rund um haushaltsnahe Dienstleistungen wie Kinderbetreuung oder Pflegedienstleistungen. Für Menschen der mittleren Generation ist es dort leichter, dem Beruf nachzugehen, aber auch genug Zeit für die Kinder zu haben oder für die Pflege älterer Angehöriger. Gleichzeitig finden gerade auch gering Qualifizierte in dem Markt um haushaltsnahe Dienstleistungen einen Arbeitsplatz.
Da greift eins ins andere.
von der Leyen: Ja, da greift eins ins andere und wir sehen, dass andererseits in Gesellschaften, wo der Geburtenrückgang drastisch und ungebremst ist, ein gemeinsames Merkmal die sehr tradierte Rollenteilung ist. Das bedeutet: Es werden weniger Kinder geboren, dann aber in eher in den Gruppen, wo der Beruf keine große persönliche Identifikationsrolle spielt. Junge Frauen mit einem gewissen Maß an Bildung entscheiden sich dagegen oftmals für den Beruf, wenn sie von der Gesellschaft vor die Wahl gestellt werden, berufstätig oder ‚eine gute Mutter’ zu sein. Diese scharfe Trennung, die zeigt sich eben nicht nur in Deutschland, sondern auch in Spanien, Portugal, Griechenland oder Italien – also in Ländern, die vor 30 Jahren noch klassische „Kinderländer“ waren, und wo heute die Bildung der jungen Frauen mit der streng definierten männlichen Rolle des alleinigen Ernährers in Konflikt gerät.
Um eine gute Mutter oder ein guter Vater zu sein, bedarf es auch mentaler Eigenschaften wie Disziplin und Geduld. Hier herrscht vor allem bei sozial schwachen Familien oft ein Defizit, durch fehlende Tagesstruktur oder persönliche Probleme. Was kann die Politik hier verändern?
von der Leyen: Die Politik kann versuchen, den Teufelskreis zu durchbrechen in Familien, wo junge Eltern bereits so viele eigene Probleme haben – Arbeitslosigkeit, Sucht, die Erfahrung der Sozialhilfe-Abhängigkeit über mehrere Generationen – dass ihnen die inneren Instrumente fehlen, einem Kind Zuwendung, verlässliche Bindungen, Motivation und eine Zielorientierung zu geben. Hier kann die Politik stützend wirken, erstens in dem Vater und Mutter Struktur in den eigenen Alltag bekommen, d.h. Integration in Arbeit. Zweitens müssen für die Kinder verlässliche Bindungen aufgebaut werden, damit sie in den ersten Lebensjahren eben nicht nur vor dem Fernseher oder der Playstation sitzen. Es ist wichtig, den Kontakt zu anderen Kindern zu intensivieren, auch zu anderen Erwachsenen. Kinder müssen früh lernen, dass Anstrengungen auch mit Freude verbunden sein können, Freude über einen Erfolg und sei das zu Beginn nur, ein Türmchen mit Klötzchen zu bauen, wo man sich 15 mal bemüht hat und es beim 16. Mal gelingt. Es ist wichtig, dieses Gefühl des ‚Ziel-Erreichens’ zu verstärken, gekoppelt mit einer Atmosphäre, die das Kind ganz stark motiviert. Kinder wollen von Natur aus lernen, sie sind von Geburt an hoch motiviert, sie sind neugierig, offen und vertrauensvoll. Nur diese Gaben verkümmern, wenn sie nicht bestärkt werden, wenn sie verdeckt werden unter einer dicken Schicht negativer Lebenserfahrungen. Und hier kann Politik eben versuchen, den Teufelskreis der Spirale der Antriebslosigkeit, der Ziellosigkeit, auch der mangelnden Sinnorientierung eines Lebens zu durchbrechen.
In sozial schwachen und problematischen Stadtteilen hat man sehr gute Erfahrungen gemacht mit der Einrichtung von Ganztages-Kindergärten.
von der Leyen: Man muss an zwei Punkten ansetzen. Zunächst muss man den Kindern den Raum öffnen, der ihnen zusteht, wenn sie nach der ersten Zeit mit Vater und Mutter den Horizont erweitern. Früher geschah das typischerweise durch viele Geschwister, Onkel, Tanten, Vettern und Cousinen. Wenn die Eltern aber keine Möglichkeit haben, durch Krabbelgruppen oder private Kontakte diesen größeren Raum herzustellen, sind es zum Beispiel Ganztagskindergärten, wo Kinder andere Kinder und andere Erwachsene treffen können.
Ein zweiter wichtiger Faktor ist, dass die Eltern wieder einen strukturierten Tag bekommen, auch durch Arbeit. Denn wir sehen an den Langzeitstudien, dass eine Mutter durch Arbeit zum Beispiel drei Stunden vormittags an der Kasse Selbstvertrauen gewinnen kann, weil sie ihr eigenes Geld verdient und sozialen Kontakt zu anderen hat. Sie kann dann am Nachmittag entspannter und zugewandter sein und es entladen sich weniger Aggressionen und Frustration gegen das Kind.
Nun sind Sie am Tag weit mehr als drei Stunden unterwegs und arbeiten oft vermutlich am Rande Ihrer persönlichen Belastbarkeit. Wie erholen Sie sich?
von der Leyen: Ruhephasen sind für mich Familienphasen und ich habe gelernt, konsequent solche Zeiten zu verteidigen. Der Eindruck, dass ich permanent unterwegs bin, entsteht natürlich auch durch mediale Präsenz. Es kann sein, dass ich im Fernsehen in einer Aufzeichnung erscheine, während ich gleichzeitig Zuhause bei meinen Kindern bin.
Ich baue auch immer wieder Phasen ein, in denen ich fachlich arbeite, also interessante Studien lesen oder gute Bücher, weil die mich beflügeln, weiter zu machen und neue Schritte zu gehen. Ansonsten: Sport tut gut. Laufen. Und ich achte darauf, wenn’s irgendwie geht, nicht weniger als sechs Stunden zu schlafen, weil ich weiß: wenn ich unter diese Grenze gehe, ist mein Kopf am nächsten Tag wie in Watte gepackt und ich kann einfach nicht mehr denken.
Ihre Arbeit als Ministerin ist aber nicht nur eine große zeitliche Belastung, sondern hinzu kommt die große Verantwortung und der enorme Erwartungsdruck. Was erleben Sie als belastender: das hohe Arbeitspensum, oder die Verantwortung, die Sie in Ihrem Amt haben?
von der Leyen: Das Arbeitspensum muss ich zum Teil beschneiden, weil der Druck allein aus dem Ministerium grenzenlos ist. Es gibt einen unersättlichen Druck, mehr zu tun, noch eine Veranstaltung, noch eine Rede. Ein typischer Satz ist: „Die halbe Stunde werden sie doch wohl noch haben“. Da muss ich eisern sein. Die Verantwortung trage ich gerne. Höher ist der Druck, permanent zu allen möglichen Dingen öffentlich Stellung nehmen zu müssen, weil das immer wieder zu einer Spirale der Diskussion und der schnellen Schlagzeile wird. Da ist es ratsam, sparsam und wohlüberlegt mit Worten zu sein.
Wofür Ihnen oft nur wenig Zeit bleibt.
von der Leyen: Ja, und deshalb meine ich auch immer wieder, dass es in so einem verantwortungsvollen Amt zu den wichtigsten Dingen gehört, dass man sich Zeit nimmt, sachlich zu arbeiten und immer mal wieder inne zu halten. Dass man auch eine Distanz zum Thema bewahrt, um sich anzuschauen, was eigentlich die wichtige Grundbotschaft ist. Mit einer schnellen Antwort läuft man Gefahr, sich wie im Hamsterrad zu drehen, ohne vorwärts zu kommen.
Frau von der Leyen, was bedeutet Glück für Sie?
von der Leyen: Glück ist meines Erachtens vor allem, Menschen um sich zu haben, mit denen man eine vertrauensvolle, warme Beziehung hat. Für mich gehört zum Glück auch dazu, mich geborgen zu fühlen in dem Kontext in dem ich lebe und meinen inneren Kompass und mein Ziel zu haben.
Unsere Schlussfrage lautet: Das Leben ist ein Comic – welche Figur sind sie?
von der Leyen: (lacht, überlegt lange). Kennen Sie Calvin und Hobbes? Ich möchte am liebsten Hobbes sein, der Tiger von Calvin. Das ist eine Figur, die ich einfach phänomenal gut finde und die ich in hohem Maße schätze.
Sie versteht auch was von Wirtschaft
Diese Frau ist auch von mir bewundert. Allerdings auch Ihre Änderungswünsche hangen davon ab, daß in Deutschland mehr Arbeitsplätze angeboten werden. Dazu darf der Staat für seine Aufgaben nicht immer nur gerade diese Arbeitsplätze belasten. Hier würde das Mehrertsteuer-potenzialkonzept helfen, das ich Ihr vor einiger Zeit vorgestellt habe. Ich glaube, Sie hat es verstanden!!Für mehr Infos einfach googeln unter MWPOT.
Alle Rabbenmütter?
Ich bewundere Ursula von der Leyen. Sie ist füe viele eine Provokation und sie geht damit suverän um. Allerding ist es nicht so, daß Fraun vollzeit Mütter werden, um nicht Rabbenmütter genannt zu werden. Sie täte gut daran die vollzeit Mütter mehr einzubeziehen und zu honorieren.