Nevada Tan

Die Politiker sind zu alt.

Die Rockband Nevada Tan über die Probleme der Jugendgeneration, musikalische Rebellionsversuche, die Anfänge der Band und die Abhängigkeit von der Teenie-Presse

Nevada Tan

© Universal Music

Timo, Frank, David und Christian, ihr beschreibt die Situation der heutigen Jugendgeneration in euren Songs sehr pessimistisch: Gewalt auf dem Schulhof und auf den Handys, Suizidversuche und tiefer Liebeskummer. Inwiefern findet sich das auch in eurem Leben wieder?
Timo: Ich habe die meisten der Texte geschrieben, und natürlich finden sich dann da auch viele Erlebnisse und Beobachtungen aus meinem Leben beziehungsweise meinem Umfeld wieder. Der Kollege einer Freundin von mir ist zum Beispiel vom Dach gesprungen, weil er in seinem Leben kein Sinn mehr gesehen hat. Das ist natürlich ein harter Schlag, wenn man diesen Menschen persönlich kannte, und er auf einmal nicht mehr da ist. Daraus ist dann der Song „Warum?“ entstanden, weil dieses Thema einfach angesprochen werden muss.

Hast du denn auf die Frage nach dem „Warum?“ jemals eine Antwort gefunden?
Timo: Oft sind die Eltern nicht da, kümmern sich nicht um die Probleme ihrer Kinder. Vielleicht gibt es da noch eine Clique, aber in den meisten Fällen sind diese Jugendlichen einfach Außenseiter, die niemanden mehr haben, dem sie ihr Herz ausschütten können. Viele suchen dann im Internet nach Hilfe, aber wegen der großen Anonymität und eben weil das Internet so riesig ist, werden Hilferufe im Netz oft nicht gehört und letztendlich bleibt der junge Mensch dann mit seinen Ängsten und Nöten alleine.

Inwiefern versteht ihr euch als Musiker als Sprachrohr eurer Generation?
Timo: Wir können ja nur für die Generation, für die Menschen sprechen, die wir kennen. Natürlich gibt es immer unterschiedliche Charaktere und Lebenswelten und wir können ja auch nicht für alle Menschen in unserem Alter sprechen. Wir können nur von unseren Erfahrungen, von dem was wir über die Medien und aus Erzählungen mitbekommen, erzählen und unsere Gedanken darlegen. Wir wollen nicht alles schlucken, sondern aufstehen und sagen: Da läuft grade einiges ziemlich falsch! Vielleicht schaffen wir es durch unsere Musik ein paar Menschen aufzurütteln und ihnen Denkanstöße zu geben.

In eurem Song „Revolution“ singt ihr „Ständig muss ich mich beweisen, Regeln hier, Pflichten da, ja klar! Bin ich nur dazu da, um das zu tun, was ihr mir sagt? Schule, Eltern, Staat? Ich frag mich was geht ab?“ Wo seht ihr denn in Deutschland konkret ‚Revolutionsbedarf’?
Timo: Es muss wieder mehr Geld in die Schulsysteme fließen! Ich persönlich hatte Schulbücher, die schon tierisch alt waren. Unser Drummer Jury hatte in der Schule zum Beispiel ein Buch wo drin stand, dass in einigen Jahren zum ersten Mal ein Mensch den Mond betreten wird. Das kann doch nicht angehen! Ein weiteres Beispiel: In unserer Heimstadt Neumünster wird gerade ein Textilmuseum für zig Millionen Euro gebaut, aber bei den Geldern für die Schule hakt es.
Was mir auch sehr gegen den Strich geht sind die Überlegungen von Innenminister Schäuble zu Terror und wie man damit umgehen sollte. Dass Privatcomputer durchforstet werden, dass überall in Städten überwacht wird – das kann doch nicht sein. Wo sind wir denn dann in 20 Jahren?

In Bezug auf die Eltern singt ihr: „Ohne euch wär’ die Welt nicht mehr so klein; ohne euch würde ich endlich frei sein!“…
David: Natürlich muss man auch auf die Eltern eingehen. Es gibt nun mal viele Jugendliche, die von Haus aus unter einem enormen Druck leiden, und wenn man keine Clique hat, keine Freunde, dann hat man ein Problem. Dann ist man völlig alleine. Darum muss es einfach viel mehr Anlaufstellen geben, wo Jugendliche Halt finden können, wenn es zu Hause Stress gibt.

Wenn man sich in der Gesellschaft umsieht bekommt man das Gefühl, dass eure besungene „Revolution“ im Grunde gar nicht stattfindet. Stichwort „Studiengebühren“ – die Gebühren wurden eingeführt, doch der anfängliche Protest ist mittlerweile versandet…
Frank: (unterbricht)…der Protest ist ja nicht versandet. Es gibt ja viele Bundesländer in denen die Studiengebühren bis heute nicht bezahlt wurden, wo die Studenten auch mit Hilfe von Anwälten dagegen vorgehen wollen. Sicherlich ist es schwer gegen den Beschluss einer Regierung vorzugehen, aber ich habe schon das Gefühl, dass der Protest in dieser Richtung noch lange nicht eingeschlafen ist.

Aber gibt es heutzutage noch eine Jugendbewegung die konsequent ihre Ziele verfolgt und für ihre Ideale eintritt?
Frank: Also wenn ich an den Irak-Krieg zurückdenke, wie da in meiner Heimatstadt Heidelberg protestiert wurde, wo ja damals auch noch das Nato-Headquarter war, da waren schon 5.000, 6.000 Jugendliche auf der Straße und haben gegen den Krieg demonstriert. Es gibt dauernd Proteste gegen Schulreformen zum Beispiel. Nur am Ende kommt es drauf an, was die Medien aufbauen wollen und was nicht. Manche Proteste kommen ganz groß ins Fernsehen: Wenn ein „Spiegel-TV“- Reporter einem Schüler 50 Euro gibt, damit er einen Stuhl aus dem Fenster schmeißt, dann siehst du das fünf Monate über die Bildschirme flimmern. Aber wenn irgendwo 3000 Leute protestieren, weil eben kein Geld da ist für Bücher oder sonst was, und es interessiert keinen – dann wird es auch niemand erfahren.

Inwiefern geht die Politik eurer Meinung nach an den Jugendlichen vorbei?
Franky: Das ist auf jeden Fall so! Die Politiker sind zu alt, die Jugendministerin geht stark auf die 50 zu, Ursula von der Leyen hat sechs Kinder, aber natürlich auch wiederum vier Betreuer und kümmert sich selbst nicht um ihre Kinder, will uns aber sonst was erzählen. Das sind immer die falschen Leute. Die Leute im Vatikan zum Beispiel wollen den Menschen erzählen wie sie ihre Kinder zu erziehen haben, sie selbst leben aber im Zölibat. Das funktioniert nicht, dass immer die Leute den Mund aufmachen und über Sachen reden, die sie selbst gar nicht betreffen. Jetzt werden Beschlüsse zum Klimaschutz gemacht, von Ministern, die in 20 Jahren nicht mehr leben. Aber wir leben dann noch und unsere Kinder – und in Japan kippen sie immer noch den Müll ins Meer.

Ihr habt ein sehr junges Publikum, und wenn ihr nun über „Revolution“ singt, stellt sich die Frage: Ist Rebellion heute ein Stückweit eine Trenderscheinung?
David: Rebellion ist auf jeden Fall ein jugendlicher Trend. Ich glaube es gibt keine Jugend, die nicht mal rebelliert hat.
Wir machen diese Musik aber schon einige Jahre und ich würde nicht sagen, dass es da einen Punkt gab, wo wir uns gesagt haben: Jetzt sind wir mal total revolutionär, weil man damit gut Kohle machen kann! Der Song „Revolution“ ist schon drei, vier Jahre alt und wir haben uns damals nicht mit 15 hingesetzt und gesagt: So, jetzt wollen wir Geld verdienen. Sondern wir wollten aufschreiben, was uns beschäftigt. Und anscheinend gefällt es den Leuten, weil es sie nämlich auch beschäftigt. Das hat nichts mit Kommerzialisierung zu tun.

Zitiert

Viele suchen im Internet nach Hilfe, aber wegen der großen Anonymität und eben weil das Internet so riesig ist, werden Hilferufe im Netz oft nicht gehört.

Nevada Tan

Es fällt aber auf, dass sich diese Art von Songs bei vielen Newcomern findet: Die Killerpilze singen: „Lass dich nicht regier’n, außer von dir selbst“ und Tokio Hotel empfehlen: „Schrei, bis du du selbst bist“…
David: Dann muss man sich aber auch „Die Ärzte“ anhören, Die Toten Hosen oder Limp Bizkit, die schreiben alle solche Songs, weil das einfach menschliche Probleme sind, die jeden beschäftigen. Das kam nicht erst durch Tokio Hotel und die Killerpilze.

Ihr seid bei Universal Music, einer der größten Plattenfirmen in Deutschland, unter Vertrag, schmückt jede Woche das Cover der Bravo und tretet bei Viva auf. Damit seid ihr ja auch selber in ein System eingebunden, das von Erwachsenen regiert wird…
Timo: Wir haben schon immer unsere eigene Musik gemacht und lassen uns auch von keinem Manager vorschreiben was wir anziehen und wie unsere Songs aussehen müssen. Die Leute stempeln uns immer ziemlich schnell ab, eben weil wir von der Bravo und von Viva ziemlich gehyped wurden. Man landet dann immer ganz schnell in so einer Teenie-Schublade.

Timo, du hast ja gegenüber der Bravo von einem besonderen Backstage-Erlebnis erzählt: Du hattest Sex mit einem Fan unter der Dusche. Warum muss so was über ein Teeny-Magazin an die Öffentlichkeit tragen?
Timo: Grundsätzlich ist es für einen jungen Menschen ja nicht ungewöhnlich dass er Sex hat. Warum habe ich das erzählt? Diese ganzen komischen Teenie-Zeitschriften stellen ja nicht so gute Fragen und da wird einfach viel Scheiße geschrieben. Da wird dann halt gefragt: Na, wann hattet ihr denn euren ersten Sex? Das ist schon oft sehr nervig.

Aber in gewisser Weise seid ihr ja auch abhängig von der Teenie-Presse. Wären Nevada Tan ohne die Bravo heute da wo sie jetzt sind?
Christian: Sicherlich hätte es länger gedauert, aber passiert wäre es auch so. Die Bravo ist sicherlich eins der wichtigsten Teenie-Magazine, aber es ist ja auch nicht so, dass man nur über die Bravo bekannt werden kann. Da gibt es auch viele andere Wege. Sicherlich hängt von der Bravo nicht unsere gesamte Existenz ab.

Die Band-Geschichte von Nevada Tan begann in Neumünster. Timo und David kannten sich schon aus dem Sandkasten, David gewann Preise am Klavier bei „Jugend musiziert“, Jury begann mit sechs Schlagzeug zu spielen, eure erste Band hieß „Panik“. Wie kann man sich die Anfangsjahre, die ersten Auftritte, vorstellen?
David: So wie die ersten Auftritte einer Rockband eben laufen: Man spielt und alle hauen ab! (alle lachen)
Timo: Das schlimmste Erlebnis hatten wir bei einem Konzert in einem kleinen Club. Wir haben als vierte Band gespielt, die Instrumente waren schweissnass und völlig verstimmt. Dann ist nach dem dritten Stück die Technik ausgefallen und wir wurden dann mit Bierdeckeln beschmissen. Ich denke aber, da muss jede Band irgendwie durchgehen. (lacht)
Christian: Du bist halt Schüler, hast kein Geld für Instrumente, kannst nicht weit reisen um zu spielen. Das war schon nicht immer einfach!

Jetzt habt ihr Erfolg und seid vor über 10.000 Menschen auf TV-Events wie „The Dome“ aufgetreten. Wie fühlt sich das an, wenn man, so jung im Geschäft, vor so vielen Leuten auftritt?
David: Na ja, was heißt „aufgetreten“? „The Dome“ ist ja immer Playback! Ich rede da eigentlich lieber immer über unseren Auftritt beim „Hallberg Open Air“ in Saarbrücken. Da waren genauso viele Menschen, aber das war live. Das war einfach hammergeil!
Timo: Wir kommen uns in dieser Plastik-Pop-Welt auch immer so’n bisschen verloren vor. Da laufen dann die Stars mit ihren komischen Sonnenbrillen und fünf Bodyguards rum, selbst auf der After-Show-Party – das ist schon ein bisschen komisch.
Und auch wenn wir bei „The Dome“ Playback spielen, versuchen wir uns da immer so ein bisschen abzuheben. Beim letzten „The Dome“- Auftritt haben wir eine Gitarre zerhauen, während das Gitarren-Solo lief und unser DJ Jan hatte auf seinem Bildschirm“ Playback rocks“ stehen. (lacht)

Eure Form von Rebellion im Musikbusiness…
Timo: Ja, genau! Wir wollen zeigen, dass wir eigentlich nicht in dieses Pop-Geschäft gehören, sondern unser eigenes Ding durchziehen. Für Musik gibt es einfach keine Regeln!

Aber müsste man dann nicht konsequenterweise auch die Zusammenarbeit mit der Teenie-Presse einstellen?
Frank: Wir haben am Anfang des Interviews ja erzählt, dass wir eine Message haben. Aber was bringt dir so eine Message, wenn du sie nur Underground bei einem Indie-Label verbreiten kannst und sie nie nach draußen dringt? So aber kriegst du den Titel auf der „Bravo“ und weißt, dass eine Million Jugendliche das Heft auf dem Tisch liegen haben und die Geschichten lesen und dann auch deine Songs hören, in denen sie unsere Message finden. Da musst du dann halt schlucken, dass es die Teenie-Presse ist.

Vor einigen Wochen fanden weltweit „Live Earth“-Konzerte statt. Stars aus der Musikbranche haben ohne Gage gespielt und ihre Botschaft zum Klimawandel unter die Leute gebracht. Können Popstars die Welt verändern?
Frank: So eine Bewegung braucht ja immer so einen Anführer, der den ersten Schritt macht. Ohne Al Gore oder Bob Geldorf würde die Klima-Problematik und das Leid der dritten Welt vielleicht gar nicht so publik gemacht werden. Insofern finde ich das schon sehr gut. Ich denke schon, dass man mit einem gewissen Bekanntheitsgrad sehr viel erreichen kann. Wir haben das auch selber schon gemerkt. Timo hat letztens einen Blog-Eintrag zum Thema Vergewaltigung geschrieben, und da gucken dann einfach massig Leute drauf und lesen sich unsere Gedanken durch. In Trier ist zum Beispiel vor zwei Monaten eine Studentin verschwunden, einfach so nach einer Party, und da habe ich eine Seite ins Internet gestellt und dadurch konnte ich so viele Leute bewegen, was zu tun. Drei Tage später gab es zwanzig Supportseiten, die das ganze weiterführen wollten. Und wir können durch unsere Songs und unsere Konzerte Probleme ansprechen.

3 Kommentare zu “Die Politiker sind zu alt.”

  1. Drunk Granny Porn |

    hm.. love it ))

    mm… interesting !

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  2. MiSs-UnDeRsToOd |

    …aber mal ne andreea sache ich find es total scheiße das das meet & greet ab 18 ist…ich meine omg was ist daran so schlimm wenn jmd ab 15 oda 16 dahin kommT???

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  3. T:mo_Girl_87 |

    Jaa,stimmt genau!!!!!!

    Eyy ich find das richtig geil das jeder seine eigene Meinung hat und soo aber in dem fall stimm ich total zu…naja alles was mit Nevada Tan zu tun hat find ich gut aber mal ganz davon abgesehn stimmen ich allen zu!!! (T:mo I love you)

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