Nicolette Krebitz

Frauen sind ganz besessen davon, immer alles hinzukriegen.

Regisseurin Nicolette Krebitz über ängstliche Mütter, ratlose Väter, Therapeuten, die an Rosen riechen lassen und ihre neue Regiearbeit „Das Herz ist ein dunkler Wald“

Nicolette Krebitz

© X-Verleih / Joachim Gern / Ulla Kimmig

Nicolette, in Ihrem neuen Film entdeckt Marie, gespielt von Nina Hoss, dass ihr Mann ein heimliches zweites Leben, mit einer anderen Frau und einem weiteren Kind führt. Wie konnte es zu diesem Dilemma kommen?
Krebitz: Marie hat sich nach einer erfolgreichen Zeit in ihrem Beruf für Kinder entschieden. Es fällt ihr auch schwer, plötzlich nur noch Mutter zu sein. Sie ist, wie wir alle, so erzogen worden, sich sehr über den Beruf zu definieren. In den ganz normalen Mutter- und Fraueigenschaften ist sie wahrscheinlich nicht besonders gut ausgebildet. Auch ihr Mann Thomas steht den Anforderungen als Ehemann und Vater eher ratlos gegenüber.

Also handelt Ihr Film von der Angst, überfordert zu sein?
Krebitz: Er handelt auch von Ängsten. Von Ängsten, die einem nicht von einem Bausparvertrag genommen werden können. Frauen sind ja in der ersten Zeit als Mutter ziemlich außer Gefecht gesetzt. Erst die Schwangerschaft, dann die Zeit in der gestillt wird… Mütter erleben sofort ganz direkt die Verantwortung, die sie haben. Das Kind lebt nur, weil man selber lebt. Das ist bei Männern anders. Väter erwischt es eher später, wenn sie im Kind den Menschen und darin ihren Bezug, ihre Aufgabe erkennen. Das ist ein Unterschied, der sich auch auf das alltägliche Leben auswirkt.

Inwiefern?
Krebitz: Väter sind anfangs noch etwas „ungebundener“, Frauen schon sehr dem Kind zugewandt. Aus diesem Ungleichgewicht entsteht die Idee, dass es ja theoretisch möglich wäre, dass der Vater eine zweite Familie haben könnte. Umgekehrt ist das ja gar nicht möglich. Umgekehrt ist das vielleicht nur mit der Ungewissheit des Mannes vergleichbar, ob sein Kind wirklich von ihm ist. Marie wird durch diese „Neuigkeit“ aus ihrer heilen Welt geschüttelt. Als der Schock nachlässt, erkennt sie, dass die Welt, in der sie lebte, so heile ja gar nicht war. Eine Familie zu gründen war für sie so wichtig geworden, dass sie die Wirklichkeit ausgeblendet hat.

Maries Reaktion auf den Betrug ist sehr nach innen gerichtet. Wäre da ein emotionaler Ausbruch nicht gesünder gewesen?
Krebitz: Das ist doch das Schöne an Temperamenten wie Salma Hayek. Die würde auf so eine Situation ganz klar reagieren: „Wer ist diese Frau??? Raus hier!!! Und was fällt Dir ein? Mach, dass Du verschwindest, oder ich hau dir eine rein!!!“ Wir in Mitteleuropa sagen dann sehr höflich: „ Aha, Guten Tag! Was machen Sie denn hier? Gut. Dann gehe ich wohl besser. Wiedersehen.“ Und irgendwann später kommt es dann zu irgendeiner kaputten Konfrontation, nie direkt aus dem Herzen, sondern irre kopflastiges Zeug.

Den Rest erledigt der Psychotherapeut?
Krebitz: Ein Alptraum! Dann sitzen alle bei ihren Therapeuten, erzählen das und der Therapeut fragt: „Warum haben Sie das in dem Moment nicht gesagt?“ „Ja, weiß nicht. Ich habe das nicht gefühlt in dem Moment.“ „Was fühlen sie denn jetzt?“ „Ja weiß nicht, ich fühl irgendwie gar nichts.“ „Hier, diese Rose, riechen sie mal daran“. Sie riechen an der Rose. „Hm, riecht gut.“ Dann sagt der Therapeut: „Tun Sie das öfter. Riechen Sie an Blumen. Schulen Sie Ihre Sinne. Kommen Sie Ihren Gefühlen auf die Spur.“ (lacht) So Woody Allen-Kram. Davon handelt das alles, finde ich (lacht).

Ist Maries Reaktion nicht nur typisch mitteleuropäisch, sondern auch typisch weiblich?
Krebitz: Frauen versuchen immer das Leben und alle Aufgaben oder Probleme zu meistern. Sie sind ganz besessen davon, immer alles hinzukriegen. Männer nehmen sich die Freiheit zu fragen: Will ich das überhaupt? Wenn sie ihr Leben nicht wollen, ändern sie es und gehen. Das ist auch ein Teil der Emanzipation, der uns noch bevorsteht. Frauen müssen nicht immer einfach alles schaffen, sie müssen lernen zu erkennen, ob sie das alles überhaupt wollen. Das nehmen, was sie wollen und dafür kämpfen. Und zum Beispiel einen Partner wählen, der sie dabei unterstützen kann. Nicht den, der Wölfe verscheuchen kann.

Was sollten Männer noch lernen? Multi-Tasking?
Krebitz: Zum Beispiel. Wir leben in einer kapitalistischen Welt, die fordert, gleichzeitig viele Dinge zu tun. Von ein paar Großverdienern abgesehen kann einer allein nicht mehr eine Familie versorgen. Da muss man zusammen sehen, wie viel man braucht an Geld und eigener Freiheit und wie viel die Kinder brauchen und was man selbst braucht, um glücklich zu sein. Das sind lauter Fragen, die noch nicht genügend verhandelt wurden. Sie erledigen sich eher auf den Rücken der Mütter, weil sie durch ihre stärkere Bindung an das Kind in der schwächeren Position sind und nicht frei entscheiden können.

Am Ende wählt Marie den Medea-Weg. Das ist ein starkes Bild, kann aber kaum die Lösung ihrer Probleme sein.
Krebitz: Es ist ja nicht das wirkliche Leben, das da am Ende gezeigt wird. Oder eine Anleitung „so solltest du es tun“, das ist eher kinoreflexiv gedacht. Was erwartest du am Ende dieser Geschichte und was bekommst du? Was ist, wenn du nicht bekommst, was du erwartest? Was kann ein Film mit dir machen? Für mich war immer klar, dass es so enden muss. Ich wüsste auch nicht, was der Film sonst soll. Dahinter steht eine Sehnsucht, von mir aus auch die feministische Sehnsucht, zu sagen: Nein, das nehme ich nicht an. Ich lasse mich auch nicht fragen: Wie viel Geld brauchst du denn jetzt im Monat? Da gehe ich schon lieber ganz und gar und lasse nichts übrig. Das ist Medea. Es geht um den Stand unserer Gesellschaft, wie einig man sich ist, dass Familien gegründet und wieder aufgelöst werden und wie das mit den tatsächlich empfundenen Gefühlen zusammen passt.

Zitiert

Frauen sind ganz besessen davon, immer alles hinzukriegen.

Nicolette Krebitz

Wäre der wissenschaftliche Fortschritt, nachdem Männer zur Arterhaltung überflüssig werden könnten, wünschenswert?
Krebitz: Das Leben wäre schrecklich ohne Männer. Bevor die Evolution und technologischer Fortschritt sie überflüssig machen würde, müsste es natürlich einen Aufstand geben. Männer müssten auf die Strasse gehen und für sich demonstrieren.

Ihr Film wird zunehmend surrealer, symbolhafter. Ist „Das Herz ist ein dunkler Wald“ ein modernes Märchen?
Krebitz: Nein. Er ist so real, wie es die Gefühle sind, die man hat, wenn man etwas Schreckliches über sein eigenes Leben herausbekommt. Es fühlt sich an, wie im Traum. Man fragt sich: ist das wirklich wahr? Informationen fliegen einem um die Ohren und es dauert eine ganze Zeit, bis sie wirklich begriffen werden.

Das sind Ansätze, die man aus Filmen von David Lynch kennt.
Krebitz: Bei Lynchs letztem Film „Inland Empire“ fand ich ganz toll, dass man irgendwann aufhört, verstehen zu wollen, was da eigentlich passiert, aber emotional alles trotzdem begreift. Man wird an seinem Herzen durch den Film geführt und das ist eine Meisterleistung. Woher weiß der, wie das geht? Wie kann er sich so konzentrieren, dass das, was er macht und schneidet nachher auch tatsächlich diesen Weg findet? Ich würde mir wünschen, dass es auch in meinem Film zu Anfang eine ganz klare Realität, einen Plot gibt und dass es dann einfach nur in die Gefühlswelt dieser Frau übergeht. Und dieses Gefühl wird abgetastet, die Resonanz in der Welt, in einem selber und einem anderen Mann. Wenn man das als Frau sieht, tut es vielleicht weh aber es befreit auch, weil erzählt wird, was man sich selten traut zuzugeben.

Viel von Träumen hält auch der Regisseur Tom Tykwer, dessen X-Verleih Ihre Filme nicht nur herausbringt, er hat „Das Herz ist ein dunkler Wald“ auch produziert. Wie kam es zu der Zusammenarbeit?
Krebitz: Bevor der X-Verleih meinen ersten Langfilm „Jeans“ ins Kino gebracht hat, sollten noch zehn Minuten aus dem Film herausgeschnitten werden. Also hat sich Tom mit mir in den Schneideraum gesetzt. Wir kannten uns damals noch nicht. Ich glaube er war überrascht, dass ich mir in dem was ich wollte, sehr sicher war und dass mir der Film nicht einfach so passiert ist. Wir haben uns dann viel über Filme unterhalten. Ich war gerade sehr im Aufbruch mit neuen eigenen Projekten. Und als ich dann mein Kind bekommen hatte, war Tom es, der mir gesagt hat: jetzt musst du aber weitermachen. Er hat immer wieder gefragt, was ich schreibe, mich angespornt. Ohne ihn hätte ich das zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich nicht gemacht.

Tykwers Filme wie „Lola rennt“ oder „Das Parfüm“ sind auch visuell sehr ambitioniert. Sie experimentieren nun auch, unter anderem mit Handkamera und statischen Szenen auf einer Theaterbühne. War das ein Einfluss von Tykwer oder stand das für sie von Anfang an fest?
Krebitz: Ich habe mit meiner Kamerafrau Bella Halben einen Monat lang zusammen gesessen und den kompletten Film aufgelöst. Eine Zeichnerin hat unsere Beschreibungen dann gestoryboardet. Ein bisschen ist das dann beim Dreh natürlich der Realität angepasst worden, aber im Grunde haben wir es genauso umgesetzt, wie wir es uns vorher ausgedacht hatten. Manchmal funktioniert das ganz hübsch und manchmal staune ich über die Bilder, die eine fast brutale Distanz zum Zuschauer entstehen lassen. Er wird dann wie absichtlich vor dem Geschehen stehengelassen. Das ist auch der Kampf der Hauptfigur. Der hat sich anscheinend intuitiv in die Form des Films geschlichen.

Ihr Film ist auch auf der musikalischen Ebene originell gearbeitet. Welches Konzept stand dahinter?
Krebitz: Es war nicht leicht, den Sound für die Geschichte zu finden. Aber kurz vor dem Dreh bekam ich die Platte von Erlend Oyes Band The Whitest Boy Alive. Ich wollte deren Musik einsetzen, wie es in „Die Reifeprüfung“ mit „Mrs. Robinson“ von Simon & Garfunkel gemacht wurde. Ein Lied sollte am Ende stehen, das sich vorher in Einzelteilen durch den ganzen Film zieht. Darum habe ich die Band gebeten. Zu dem Zeitpunkt hatte ich den Film schon einmal komplett geschnitten und Tom meinte schon: „Wie machst du denn das? Du brauchst doch Musik, und wenn es nur eine vorläufige ist, um da Schwung in den Schnitt zu bekommen.“ Und ich dachte „Nein!!! Ich brauche die richtige Musik!“ Und dann kam das Material der Band. Ich weiß noch genau, wie die CD ins Laufwerk gezogen wurde und ich es zum ersten Mal hören konnte. Ich war sofort begeistert und wahnsinnig erleichtert

Und für welche Musik war Ihr Ex-Freund Fetisch verantwortlich, auf dessen Terranova-Album Sie einst sogar gesungen haben?
Krebitz: Für die Maskenballszenen draußen im Schloss brauchte ich einen härteren Sound und dafür habe ich natürlich wieder mit Fetisch zusammen gearbeitet. Es gab zum Beispiel dieses Bach-Stück für die Performance auf der Party, bei dem war es gar nicht so einfach, klar zu machen, was ich wollte. Alle dachten, ich will etwas seicht poppiges, wie „Rondo Veneziano“. Aber natürlich sollte Bach kaputtgemacht werden, industrial klingen. Und das kann Fetisch ja sehr gut. Die Musik und der ganze Film – diesmal war es echt Arbeit. (lacht)

Das Interview entstand im November 2007.

Ein Kommentar zu “Frauen sind ganz besessen davon, immer alles hinzukriegen.”

  1. Traude Langer |

    Woher weiß der, wie das geht?

    „Man wird an seinem Herzen durch den Film geführt und das ist eine Meisterleistung. Woher weiß der, wie das geht? Wie kann er sich so konzentrieren, dass das, was er macht und schneidet nachher auch tatsächlich diesen Weg findet? “

    Ich bin keine Kreative und kann die Frage nicht beantworten. Aber ich kenne David Lynch persönlich und bin mir ziemlich sicher, dass er sagen würde, das hat nichts mit Konzentration zu tun, sondern hat mit der Fähigkeit zu tun, mit den feinsten Ebenen des Geistes zu „arbeiten“. Lynch macht seit über 30 Jahren Transzendentale Meditation und führt seine Kreativität darauf zurück. Wenn Sie es von ihm selber wissen wollen, lesen Sie am besten sein Buch „Catching the Big Fish“.

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