Danny Elfman

Ich habe jetzt 65 Filme gemacht – und es ist kein bisschen einfacher geworden.

Filmkomponist Danny Elfman über seine Arbeit in Hollywood, Tränen im Kinosaal, sein Gehörleiden, zu laute Soundeffekte und seine Musik zum Dokumentarfilm „Standard Operating Procedure“

Danny Elfman

© Sony Pictures

Mr. Elfman, der Dokumentarfilm „S.O.P“ über den Skandal von Abu-Ghraib ist gerade in den USA gestartet, allerdings nur in sehr wenigen Kinos…
Elfman: Ja, bei uns kommen solche Filme oft nur in sehr begrenztem Rahmen in die Kinos. Es wird versucht Mundpropaganda zu erzeugen, und danach werden die Spielorte erweitert. Aber wie das jetzt genau funktioniert, das geht über meinen Verstand hinaus und hat mit der etwas sonderbaren und geheimnisvollen Welt des Filmmarketing zu tun.

Aber es ist auch das Thema des Films, dass den Amerikanern Probleme bereitet, oder?
Elfman: Ja, ich denke, das Thema wird für viele ein Problem sein. Die Amerikaner haben ein sehr kurzes Nachrichten -Gedächtnis, von vielleicht sechs Monaten und wenn du ihr Interesse für ein bestimmtes Thema wecken willst, muss das innerhalb von sechs Monaten geschehen. Weil sonst sagen die Leute ab einem bestimmten Punkt: „Ich kenne das bereits, ich muss davon nichts mehr wissen.“ Oder im Fall von Abu-Ghraib sagen die meisten: „Das ist unangenehm, ich will davon nichts mehr wissen.“
Aber es wird natürlich immer Leute geben, die interessiert sind, die die Geschichte genauso kennen, aber die noch mehr wissen wollen, die neugierig sind.

Was hat Sie an dem Thema interessiert?
Elfman: Da gibt es zwei verschiedene Ebenen: Erstens war ich sehr interessiert daran, die Geschichten der Leute zu hören, die in den Abu-Ghraib-Skandal verwickelt waren. Sie sind damals ja schon zu Medienikonen geworden, man hat über sie gelesen, man kannte ihre Gesichter, sie waren bereits im kulturellen Gedächtnis der Amerikaner verankert. Deswegen meine große Neugier, ich wollte wissen: Wer sind sie, wie sind sie und wie reden sie?
Und dann gab es noch diese ganz eigennützige Ebene: Ich bin ein großer Fan von Errol Morris und als er mich gefragt hat, für ihn zu arbeiten, war ich sehr aufgeregt. Die Idee, einen Dokumentarfilm von Errol Morris zu vertonen war etwas, wo ich bereit war, alles für zu tun, egal um welches Thema es gehen sollte.

„S.O.P.“. ist der erste Dokumentarfilm, den Sie vertont haben.
Elfman: Richtig.

Warum haben Sie sich dafür eines der schwärzesten Kapitel der jüngsten amerikanischen Geschichte ausgesucht?
Elfman: Das ist für mich ein Plus, kein Minus. Ich finde es aufregender, einen der dunkleren Momente der US-Geschichte zu vertonen, als einen lustigen oder glücklichen Moment. Natürlich kann auch eine Dokumentation zum Beispiel über die Olympischen Spiele großer Spaß sein, doch ein Film über Abu-Ghraib oder das Leben einer unheimlichen, düsteren Person finde ich weitaus spannender.

Aber auf der anderen Seite haben Sie schon jede Menge Superhelden mit Musik bestückt: Batman, Spiderman, Hellboy – um nur einige zu nennen.
Elfman: Ja, klar (lacht). Aber musikalisch mag ich es, an jeden Ort zu gehen, der interessant ist. Und dass ich bisher viele Helden und Superhelden gemacht habe, war meistens Zufall. Das Schicksal bringt dich halt manchmal zu solchen Filmen, aber genauso landest du dann auch hin und wieder bei sonderbaren und exzentrischen Figuren. Wirklich, ob es jetzt Edward mit den Scherenhänden ist oder Spiderman, für mich macht das keinen großen Unterschied. Es ist nur die Frage: Schaue ich auf eine Leinwand, bei der ich Spaß habe, Farbe draufzuwerfen? Ich mag große Leinwände. Und wenn mir eine große Leinwand dazu noch eine gewisse Freiheit erlaubt, dann bin ich normalerweise zufrieden damit. Es spielt für mich dann keine Rolle, ob das Bild auf der Leinwand eine große Zeichentrickfigur ist, oder ein winziges Portrait.

Was ist einfacher, Musik für einen Helden oder einen Verlierer zu schreiben?
Elfman: Ich denke, es gibt da kein ‚einfacher’. Denn ich fange bei jedem Film wieder von ganz von vorne an, jedes Mal mit der elendigen Befürchtung, dass ich keine einzige Note zustande bringen werde und mir am Ende großes Unheil droht.

John Barry hat ja mal gesagt, es sei am besten, wenn man an jeden Film herangeht als sei es der erste.
Elfman: Ja, das ist sehr wahr. Für mich scheint es aber so zu sein, dass ich gar keine andere Wahl habe. Es scheint nicht einfacher zu werden. Jedes Mal wenn ich eine neue Filmmusik beginne, fühle ich mich, als würde ich von ganz von vorne anfangen. Ich denke immer noch die ganze Zeit: „Vielleicht fällt mir etwas ein, vielleicht nicht…“ Und ich finde es merkwürdig, dass ich nach all den Jahren kein bisschen selbstsicherer geworden bin. Bis auf dass ich heute meistens die Zuversicht habe, dass ich es irgendwie schon schaffen werde, wenn ich mich hart genug anstrenge. Aber wie ich an eine neue Filmmusik rangehen soll, neue Sachen erfinden …– das fühlt sich immer an wie das erste Mal.

Ist doch auch positiv, oder?
Elfman: Ich finde es erschreckend.

Aber besser als Routine.
Elfman: Ja, vermutlich. Aber es bringt einen manchmal auch aus der Fassung, weil es dir keine Möglichkeit gibt, dich zu entspannen. Ich habe jetzt etwa 65 Filme gemacht und es ist kein bisschen einfacher geworden. Früher habe ich mir diesen Job so vorgestellt, dass es mit der Zeit immer einfacher wird. Aber das wurde es nicht.

Wie schwer war es denn, für „S.O.P.“ die richtigen Töne zu finden?
Elfman: Das Schöne an der Arbeit für „S.O.P.“ war für mich, dass ich das erste Mal gebeten wurde, Musik zu schreiben, ohne dass ich dabei den Film sehe. Das war eine wundervolle Freiheit für mich. Errol Morris wollte, dass ich den Film einmal anschaue, aber danach sollte ich nicht für bestimmte Szenen komponieren. So hatte ich beim Komponieren einen freudigen Ausdruck, den ich überhaupt nicht gewohnt bin.

Kommt das denn so selten vor?
Elfman: Wissen Sie, ein großer Teil der schwierigen Disziplin Filmmusik besteht daraus, dass du am Anfang frei heraus alle möglichen Ideen aufschreibst, sie aber dann in kleine Passagen hineinzwängen musst, für die verschiedenen Szenen: hier furchterregend, da romantisch, dort angespannt usw. Das ist die Schwierigkeit und das kostet viel Zeit. Bei „S.O.P.“ fehlte aber genau dieser Teil der Arbeit, es war eher so, dass Errol zu mir sagte: „Gib mir ein Packen Musik, frei im Ausdruck, basierend auf deinen Eindrücken vom Film.“ Das war befreiend für mich.

Und hat es einen Unterschied gemacht, dass „S.O.P.“ ein Dokumentar- und kein Spielfilm ist?
Elfman: Ja, das war ein großer Unterschied, weil ich keinem Handlungsbogen folgen musste. Ich musste mich nicht nach speziellen Details richten, sondern ich konnte mich dem Film mehr in einem generellen, impressionistischen Sinn nähern. Deshalb wollte ich ja auch unbedingt einen Dokumentarfilm machen. Um das Gefühl zu haben, längere Sequenzen schreiben zu können und nicht den Eigenheiten einer Handlung folgen zu müssen.

Aber gab es nicht Momente, in denen Sie – angesichts der grausamen Taten, die Morris in „S.O.P.“. dokumentiert – nicht wussten, was für eine Musik man dazu schreibt?
Elfman: Nein, solche Sorgen hatte ich nicht. Errol wollte ja nicht, dass ich den Film dramatisch vertone. Wenn man sieht, wie die Soldaten schrecklich Dinge tun, dann wollte er dazu keine total dramatische Musik. Das Hauptthema, das ich komponiert habe, war zwar ein trauriges Thema, aber es war jetzt nicht super heftig. Ich habe auch nie daran gedacht, dass ich düster genug komponieren müsste. Weil ich wusste, dass Errol die Sachen mischen würde: bei manchen finsteren Szenen hört man eine leichte, schöne Musik und dann gibt es etwas dunklere Stücke, die aber nicht notwendiger Weise bei einer dramatischen Szene erklingen.

Wie sehr waren Sie selbst von den im Film geschilderten Dingen betroffen?
Elfman: Also, da muss ich zunächst mal Folgendes gestehen: Mich haben während des Projekts immer wieder Freunde angerufen, die meinten: „Oh Gott, diese Geschichte zieht dich bestimmt ganz schön runter.“ Und ich habe geantwortet: „Ich bin so glücklich, an diesem Film zu arbeiten, ich habe eine so gute Zeit…“ Dann fragten sie: „Wirklich? Aber diese Bilder anzuschauen muss doch deprimierend sein?“ worauf ich dann meinte: „Ganz im Gegenteil, ich könnte nicht mehr Spaß haben.“

Und Ihre Freunde waren verdutzt.
Elfman: Ja, ich habe später realisiert, dass ich das so nicht hätte sagen sollen. Was ich meinte, war ja: Ich schreibe Musik, die mir Spaß macht. Es spielt keine Rolle, was auf dem Bildschirm zu sehen ist, wenn ich im Moment des Komponierens glücklich bin. Wenn ich aber musikalisch mit einer Szene regelrecht kämpfen muss, dann bin ich unglücklich. Aber diesen Kampf gab es bei „S.O.P.“ nicht.
Und Sie müssen natürlich noch bedenken, dass ich die fürchterlichen Szenen nicht wieder und immer wieder angeschaut habe. Ich habe den Film nur einmal zu Beginn gesehen, und dann war ich weg, allein mit meiner Phantasie. Und selbst wenn ich eine Folterszene vertonen müsste: Mir macht das nichts aus, wenn die Musik plötzlich wie aus meinen Fingern strömt und ich mit einer gewissen Begeisterung dabei bin. Andererseits könnte ich eine Szene aus „Pee-wees irre Abenteuer“ oder irgendeinem albernen Film vertonen – wenn ich kämpfen muss, um etwas zu finden, was in einer Szene funktioniert, fühle ich mich in diesen Momenten einfach nur elend.

Es gibt in „S.O.P.“ eine Szene, in der ein Soldat erzählt, wie man die Gefangen in Abu-Ghraib versuchte, mit Musik zu quälen. Zu erst spielte man dröhnend laut HipHop, was nichts bewirkte, Heavy Metal funktionierte ebenso nicht …
Elfman: …aber mit Country funktionierte es.

Haben Sie an der Stelle lachen müssen?
Elfman: Mich hat in diesem Film nichts zum Lachen gebracht. Aber die humorvolle Ironie in dieser Szene sehe ich schon. Und für das amerikanische Publikum – als ich in einer Vorführung saß, haben die Leute an der Stelle gelacht – war es mehr eine Bestätigung: „Ja, Country-Musik würde bei mir das Gleiche bewirken.“ So jedenfalls, wie es der Soldat erzählt, ist es mehr die Bestätigung einer beiderseitigen Abneigung gegenüber einer bestimmten Form von Musik, man denkt dabei weniger über die Hölle nach, welche die Gefangenen gerade durchlebten. Ich denke auch, dass es in jedem düsteren Film einen Moment gibt, in dem man dem Publikum einen Lacher verzeiht. Schließlich gibt es in „S.O.P.“ nicht besonders viel heitere Momente.

Weinen Sie manchmal, wenn Sie Filme schauen?
Elfman: Ja, manchmal schon, aber das ist bei mir sehr unberechenbar. Ich denke, das hängt von meiner jeweiligen seelischen Verfassung ab. Zum Beispiel wenn ich ein langes Projekt abgeschlossen habe, bin ich emotional viel verletzlicher. Oder wenn ich im Flugzeug sitze und einen Film sehe – Gott weiß warum – werde ich auf einmal weinerlich. Da frage mich: Warum passiert das jetzt? – Ich weiß es nicht.

Zitiert

Ich fange bei jedem Film wieder von ganz von vorne an, jedes Mal mit der elendigen Befürchtung, dass ich keine einzige Note zustande bringen werde.

Danny Elfman

Wie sehr sind Sie denn als Filmkomponist verantwortlich für die Tränen, die die Zuschauer im Kino vergießen?
Elfman: Oh, da weiß ich jetzt keine Antwort (lacht). Ich denke, die Musik kann helfen, jemanden dazu anzustoßen, aber du kannst jetzt niemanden in Tränen hineinziehen. Du kannst jemand dahin bewegen, dass er sich emotional berührt fühlt. Das ist so, wie wenn eine Person bereits auf einer Mauer sitzt, du sie anstößt, und sie dann herunterfällt.

Sie würden nicht sagen, dass Filmkomponisten manchmal unsere Gefühle kontrollieren? Wenn in einer herzzerbrechenden Szene die schwerromantischen Streicherteppiche in der richtigen Kombination…
Elfman: Also, die „richtige Kombination“, das ist jetzt sehr subjektiv betrachtet. Wenn ich als Zuschauer in einem Film das Gefühl habe, in eine emotionale Ecke gezogen zu werden, dann bleibe ich bei meinem Standpunkt. Ich habe nichts dagegen, zu etwas hingeführt zu werden, aber ich mag es nicht, gedrängt zu werden – dem bin ich mir auch als Komponist immer sehr bewusst. Wenn ich schreibe und der Regisseur mich bittet, noch dicker und noch dicker aufzutragen, dann versuche ich meistens, mich dem zu widersetzen. Heranführen ist besser als Drängen, finde ich.
Allerdings ist auch klar: Am Ende müssen wir alle machen, was der Regisseur will, man kann nicht immer seine Vorlieben durchsetzen. Filmemachen ist eine Kunst, wo es nur einen General gibt, und das ist der Regisseur. Und der Cutter, der Kameramann und der Komponist – wir sind nur die Angestellten. Selbst wenn uns der Regisseur befiehlt aus dem Schützengraben ins Feuer zu laufen, müssen wir ihm gehorchen.

Sie haben sich schon mehrfach über den Druck beklagt, unter dem Sie arbeiten müssen. Ich habe mich gefragt: Könnten Sie ohne Zeitdruck, ohne Deadline überhaupt solche guten Soundtracks komponieren?
Elfman: Ich würde ohne eine Deadline überhaupt nichts komponieren. Ich würde heute, nach 23 Jahren, noch an meiner ersten Filmmusik arbeiten, da bin ich mir sicher. Deadlines sind sehr wesentlich für mich.
Worüber ich mich beklagt habe, ist die Situation, wenn sie bei großen Produktionen manchmal richtig brutal werden. Wo sie innerhalb kürzester Zeit immer wieder Veränderungen von dir wollen, wo es passieren kann, dass du jede einzelne Szenenmusik nochmal schreiben musst, und das drei, vier oder fünf Mal. Das wird dann zur richtigen Herausforderung, weil du die ganze Zeit gefragt wirst, Dinge umzuschreiben, die du eigentlich schon fertig hattest.

Das passiert auch Ihnen?
Elfman: Ja, ständig. Manchmal ist es der Wunsch des Regisseurs, manchmal ist es aber auch die sich verändernde Qualität des Films. Ein Film kann sich während der Produktion so radikal ändern, dass die Musik, die du dafür geschrieben hast, nicht mehr funktioniert. Manchmal wird eine Szene länger und ich bekomme dann ein Stück Musik zurückgeschickt, mit einer Leerstelle von 30 Sekunden. Dann weiß ich, sie brauchen 30 Sekunden mehr Musik. Die kann ich aber nicht einfach hinten ranhängen, sondern ich muss an vielen verschiedenen Stellen etwas einfügen, damit es funktioniert. Und wenn die Szene sagen wir insgesamt vier Minuten lang ist, dann habe ich davon am Ende bestimmt wieder zweieinhalb Minuten umgeschrieben. Das sind die Schwierigkeiten.
Und manchmal entscheidet ein Regisseur einfach: „Ich will hier jetzt ganz etwas anderes.“ Oder das Studio sagt: „Wir haben uns gerade die Version angeschaut und wir haben jetzt eine komplett neue Vorstellung, wie die Musik zu klingen hat. Wir müssen den Film viel romantischer machen…“ Dann fliegt das bisher komponierte Material raus und ich muss etwas Neues für den Film schreiben.

Sie haben in einem Interview gesagt: Wenn man heute als Filmkomponist Erfolg haben will muss man lernen, wie man diejenigen imitiert, die erfolgreich sind.
Elfman: Ich habe das natürlich mit großer Ironie gesagt. Ich wurde gefragt, was ich heute einem jungen Komponisten raten würde, der erfolgreich sein will. Und meine Antwort wird immer die gleiche sein. Nämlich, dass es zwei Wege gibt: Der einfache ist, die anderen zu imitieren. Der schwierigere ist, eine eigene Stimme zu entwickeln mit dieser immer zu arbeiten und an dieser festzuhalten. Doch was ich in den letzten 10-15 Jahren beobachtet und auch immer wieder kritisiert habe, ist, dass Imitation mehr und mehr gefordert wird und zur Norm wird. Es lastet ein Druck auf den Komponisten, andere zu imitieren.

Ich habe mir heute den Soundtrack von Nino Rota zu „Fellinis Casanova“ angehört, den Sie einmal als eine Ihrer Lieblingsfilmmusiken erwähnt haben. Rotas Musik ist hier sehr verspielt, exzentrisch, die Klänge ungewohnt. Glauben Sie, ein großer Komponist wie Nino Rota hätte heute noch eine Chance im Filmgeschäft?
Elfman: Er wird nur eine Chance haben können, wenn er Glück genug hat, auf den richtigen Regisseur zu treffen. Er muss einen Regisseur finden, der auf seine Weise einzigartig ist und der ein spezielles Gespür und einen besonderen Verstand hat, der es dem Komponisten erlaubt, sich individuell auszudrücken. Ich denke nicht, dass Rota heute ohne Weiteres in Hollywood einsteigen könnte, ohne dass er sich radikal verändert. Seine Fähigkeiten waren so speziell und einzigartig und es war ein Glücksfall, dass er Fellini getroffen hat. Bei ihm konnte er sich in einer Vielzahl von Filmen selbst auszudrücken und seine einzigartigen Fähigkeiten weiterentwickeln. Tja, und wenn Rota heute noch unter uns wäre, wer wäre dann Fellini?

Ihr persönlicher Fellini ist sicherlich Tim Burton, mit dem Sie bereits elf Filme gemacht haben.
Elfman: Ja, die Zusammenarbeit mit Tim hat mir erlaubt hat, mich auf ganz unterschiedliche Art und Weise auszudrücken – das hätte ich ohne ihn nicht getan.

Aber würden die großen Studios heute überhaupt noch eine Musik a la Rota wollen? Oder, wenn wir noch weiter zurück gehen, a la Prokofjew oder Schostakowitsch? Die Studios würden das doch wahrscheinlich ablehnen.
Elfman: Ja, vielleicht. Aber es ist schwer zu sagen: Prokofjew und Schostakowitsch waren so immens talentiert, da ist es gut möglich, dass sie auch in der heutigen Filmmusikwelt ihren ganz eigenen Weg gefunden hätten, hin zu den besten Filmkomponisten auf diesem Planeten. Wer weiß. Es wäre natürlich interessant, zu hören, wie Prokofjew, Schostakowitsch oder auch Strawinsky heute komponieren würden.

Vor Ihrer Karriere als Filmkomponist waren Sie lange Zeit Frontmann der New Wave Band „Oingo Boingo“. Nun erwähnten Sie vor kurzem, dass die vielen Live-Konzerte Ihr Gehör beeinträchtigt hätten.
Elfman: Ja, das ist ein dauerhaftes Problem. Ich kann heute keine lauten, öffentlichen Orte mehr besuchen. Das begleitet mich zum Beispiel jedes Mal wenn ich in ein Restaurant gehen muss. Ich gehe auch nicht mehr so oft in Konzerte. Das, was ich habe, nennt man Tinnitus, das ist die Folge der vielen Jahren auf der Bühne.

Was bedeutet, dass Sie Töne in Ihren Ohren hören?
Elfman: Ja… korrekt. Aber ich habe auch einen genetisch bedingten Hörschaden, das sind also zwei verschiedene Angelegenheiten. Zum einen ist es der Tinnitus, der mich sehr vorsichtig macht vor lauten Geräuschen. Das Zweite ist eine Verschlechterung des Gehörs, was mein Gehör äußerst empfindlich macht. Wenn ich zum Beispiel in eine Bar oder in ein Restaurant gehe, dann tut das in meinen Ohren weh, wenn die Leute laut reden ist das schmerzhaft für mich. Denn wenn man sein Gehör verliert, entwickelt man gleichzeitig eine Hyperempfindlichkeit in bestimmten Bereichen. Die Leute denken ja, wenn sich dein Gehör verschlechtert, dass im Ohr dann alles weicher und weicher wird. Aber so ist das nicht. Du kannst hyperempfindliche Bereiche entwickeln und bei mir ist dies genau der Frequenzbereich der menschlichen Stimme. Wahrscheinlich war es auch meine eigene Stimme, die einen Großteil meines Gehörschadens herbeigeführt hat.

Ihre eigene Stimme?
Elfman: Ja, weil den größten Schaden habe ich in dem Bereich, wo die menschliche Stimme ist. Wissen Sie, ich stand 17 Jahre auf der Bühne, hinter mir die Band und vor mir Monitorenboxen, aus denen ich sehr laut meine eigene Stimme hörte. Du musst dich ja selbst hören…

Und wenn Sie sich heute normal mit jemandem unterhalten?
Elfman: Das ist kein Problem. Aber wenn wir dieses Interview jetzt in einem Restaurant geführt hätten und es wäre gerade Mittagszeit, viele Leute wären da, dann hätte ich Probleme, mich auf das zu konzentrieren, was Sie sagen, aufgrund der Hintergrundgeräusche. Auch wenn Sie keine Probleme haben, sich auf das zu konzentrieren, was ich sage.

Aber dann dürfte ein Kinobesuch für Sie auch zu laut sein.
Elfman: Ja, wenn es die großen Sommer-Blockbuster sind, da stopfe ich mir sowieso immer Taschentücher in die Ohren. Weil die Soundeffekte in den Filmen heute so verrückt laut sind.

Zu laut, auch für gesunde Ohren?
Elfman: Ja, ich denke schon. Ich weiß zwar nicht, ob es Gehörschäden verursachen kann und es ist sicher auch nicht so schlimm, wie bei einem Live-Konzert vor den Lautsprechern zu stehen. Aber es ist in manchen Momenten schon die gleiche Lautstärke. Das ist inzwischen aber auch zum Trend geworden: Wie laut kannst du in einem Action-Film die Effekte aufdrehen? Ich habe in den letzten fünf, sechs Jahren gelernt, dass es da keine Grenze gibt.

Haben Sie denn mal versucht, die Produzenten zur Minderung zu bewegen?
Elfman: Nein, das wäre völlig zwecklos. Da geht es ja um Wettbewerb. Wenn du „Ironman“ machst, dann willst du eben nicht weniger laut sein als „Spiderman“, der auch nicht softer sein will als „Batman“ usw. – Mit jedem Action-Film ist das so, die Leute sagen: „Hey, dieser erfolgreiche Film war richtig laut, wir wollen noch lauter sein.“ Die werden ihren Film sicher nicht leiser machen. Weil die Leute der falschen Vorstellung aufsitzen: Wenn es laut genug ist, haben die Zuschauer auch einen kräftigen visuellen Eindruck vom Film.
Also, ich bin der Letzte, der sich da jetzt mit jemandem streiten wird, ich würde eh nur auf taube Ohren stoßen, wenn ich jemanden überreden wollen würde, einen Film softer zu machen. Das sind Filmemacher, die gegen ein junges Publikum antreten müssen. Ein Publikum, dass es richtig laut will.

Und Sie als Komponist haben darauf keinen Einfluss?
Elfman: Nein, natürlich nicht. In dem Moment wo wir unsere Filmmusik abgeschlossen haben, hat unsere Meinung, wie sie abgemischt wird, wenig bis gar keinen Einfluss. Wobei die Musik an sich selten zu laut gespielt wird, es sind mehr die Effekte. Und wenn ich merke, auf der Leinwand passiert gleich etwas, dann halte ich mir die Ohren zu.

Mr. Elfman, wenn das leben ein Comic ist, welche Figur sind Sie?
Elfman: Ich wäre Nosferatu.

Warum ausgerechnet der?
Elfman: Seit ich ein Teenager bin haben wir in unserer Familie immer gewitzelt, dass wir uns fragen, wo eigentlich der Vampir herkam. Ich sehe mich ja in gewisser Weise als der Patriarch einer kleinen Vampir-Familie. Ich kann nie am helllichten Tage rausgehen und im Sonnenlicht stehen. Ich arbeite nachts, wenn die Sonne untergeht wächst meine Energie. Ich bin schon mein ganzes Leben ein Nachtarbeiter. Und ich habe in Los Angeles schon immer Möglichkeiten gefunden, das Sonnenlicht zu vermeiden.

Das klingt hart. Ich sprach vor kurzem mit dem Musiker Sergio Mendes, der insbesondere das sonnige Klima in Brasilien als eine wichtige Grundlange für seine Musik bezeichnete.
Elfman: Das mag sein. Aber ich wurde offenbar in ein sonniges Klima verfrachtet. Von meiner Veranlagung her müsste ich eigentlich in einem dunklen kalten Klima leben. Klimatisch bin ich glücklicher in London als in Los Angeles. Aber hier lebe ich, hier habe ich meine Familie und hier arbeite ich.

Und Sie sind in L.A. geboren.
Elfman: Aber ich gehe tagsüber nie raus. Und wenn, dann schütze ich mich. Ich vertrage nicht mehr als etwa zehn Minuten direkten Sonnenlichts, dann fange ich an zu verbrennen. Sogar meine Kinder sprechen vom Urgroßvater, dem Vampir, der in unseren Stammbaum gewesen sein muss. Ich kann im Licht auch nicht gut sehen. Als Kind habe ich das gar nicht verstanden, ich war so schlecht beim Sport im Freien – erst Jahre später habe ich realisiert, dass ich draußen nicht sehen konnte. Das ist eine Erbgeschichte, weil niemand in unserer Familie die Sonne gut zu vertragen scheint. Mein Sohn ist jetzt drei Jahre alt, wir schützen ihn die ganze Zeit, wir können ihn nicht zu lange ins direkte Sonnenlicht gehen lassen. Er hat dieses Blut auch in seinen Venen.

Sie haben russisches Blut…
Elfman: Ja, russisch-polnisches.

Kommt daher auch Ihre Faszination für russische Komponisten?
Elfman: Also, ich kann jetzt nicht sagen, dass das an meinem Blut liegt, so einfach ist das glaube ich nicht. Ich weiß noch, wie ich das erste Mal Prokofjew hörte, das fühlte sich an, wie als wenn es aus meinem eigenen Herzen kommen würde. Ich hatte lange Zeit eine Affinität zu russischen Melodien und zur russischen Musik. Allerdings denke ich nicht, dass die eigenen genetischen Veranlagungen eine bestimmte musikalische Neigung zur Folge haben. Aber da war definitiv so etwas wie die Liebe aufs erste Hören. Strawinskys „Le sacre du printemps“ war für mich eine Erfahrung, die mein Leben verändert hat.

Nun haben Sie selbst gerade ein Ballett mit dem Titel „Rabbit and Rogue“ geschrieben.
Elfman: Ja, das war nach meiner „Serenada Schizophrana“ erst der zweite Werkauftrag. Ich habe bald die erste Probe mit dem American Ballett Theatre, im Juni wird es dann an der Metropolitan Opera Premiere haben.

Danny Elfman in den Fußstapfen von Igor Strawinsky?
Elfman: Nein, nein. Wenn Sie so fragen: Ich bin ein kleiner Insekt der nur ein bisschen im Schatten Strawinskys umherkriecht. Wenn ich daran denke, wie mein Ballett klingt, im Vergleich zu Strawinskys „Sacre“ – oh, ich würde mich nicht mal mehr trauen, zu einer Probe zu kommen, das wäre zu deprimierend für mich. Ich kann das auch gar nicht stark genug betonen. Ich mache was ich mache, so gut ich kann – aber ich bin nicht Strawinsky.

Wie unterscheidet sich der Filmkomponist Danny Elfman vom Konzertkomponisten?
Elfman: Ich versuche immer noch meine Musiksprache zu finden, ich experimentiere immer noch, das ist ja erst mein zweites Werk. Und ich habe viel Spaß dabei, ich schreibe verrückt, ungezügelt, ich bringe Dinge zusammen, die nicht zusammen gehören. Es gibt auch eine Verbindung zwischen der „Serenada Schizophrana“ und meinem Ballett: Ich sehe mich als zwei Komponisten, die einander bekämpfen, die beide in die Mitte der Bühne wollen. Die Musik fängt an, sich in verrückte Richtungen zu entwickeln und ich versuche nicht, sie aufzuhalten. Vielleicht muss ich es irgendwann versuchen, zu kontrollieren, um das ganze Werk runder zu machen. Aber in beiden Stücken wird stilistisch wirklich eine Art Konflikt ausgetragen.
Ich versuche mit diesen Kompositionen eine Sprache zu finden, dass später meine Kinder, Freude an dieser Musik haben können, sie anhören und verstehen können. Ich versuche Musik zu schreiben, die vom Hörer kein historisches Verständnis von zeitgenössischer Musik erfordert. Ich nehme traditionelle Orchesterformen, Genres und musikalische Elemente und lasse sie auf verrückte Weise zusammenstoßen, aber es soll dabei auch immer noch unterhaltsam sein. Das ist schwierig und ich suche immer noch nach der richtigen Balance. Vielleicht brauche ich dafür auch noch zwei bis drei solcher Werke.
Aber es ist auf jeden Fall eine faszinierende Erfahrung. Und es war wunderbar mit der Choreographin Twyla Tharp zusammenzuarbeiten und ich hoffe, ich kann noch mehr mit ihr machen.

Und offenbar finden Sie zwischen den großen Filmen noch Zeit dafür.
Elfman: Also, ich habe seit kurzem verstanden, dass ich diese beiden Sorten von Arbeit ausbalancieren muss. Sonst werde ich verrückt. Ich versuche, um kleine Filme wie „„S.O.P.“ zu kämpfen, schreibe Werke wie das Ballett und die „Serenada Schizophrana“ – weil ich das zum Ausgleich der großen Mainstream-Filme brauche. Weil ich habe leider festgestellt: Wenn ich keinen Ausgleich habe, dann werde ich diese großen Filme nicht weiter machen können. Weil es fängt an, mich verrückt zu machen. Bis vor zehn Jahren hatte ich noch eine Band, aber seit dem ich die nicht mehr habe, denke ich, ich werde verrückt. Nicht weil ich unbedingt eine Band brauche, aber ich brauche etwas um die Arbeit für Hollywood auszugleichen, bei der ich das Gefühl habe, dass sie mich langsam wirklich verrückt macht. Und jetzt verstehe ich, dass die Hollywood-Arbeit mir finanziell die Möglichkeit sichert, die kleinen Filme ohne Gage zu machen, oder Konzertmusik zu schreiben – was jetzt hoffentlich häufiger vorkommen wird. Ich fange bald eine Zusammenarbeit mit dem Cirque du Soleil an, es wird ein Musical am Broadway geben – ich suche nach interessanten Dingen, die mir einen Ausgleich zu meinem Leben in Hollywood ermöglichen. Und auch „S.O.P.“ war für mich genau so ein Projekt, viel mehr, als dass ich mich beim Komponieren erschöpft und frustriert gefühlt habe. Am Ende fühlte ich mich richtig erleichtert. Und ich muss diese Art von Dingen machen, damit ich gesund bleibe.

Kommentar schreiben

* Erforderliche Angaben. Emailadresse wird nicht veröffentlicht.