Herr Delling, Sie kommentieren jetzt seit zehn Jahren zusammen mit Günter Netzer die Fußballländerspiele in der ARD. Wie sieht Ihre Zwischenbilanz aus?
Delling: Die Zusammenarbeit hat sich absolut gelohnt und uns beide nicht nur arbeitsmäßig, sondern auch menschlich bereichert. Und in den meisten Fällen ist es nach wie vor ein Vergnügen, gemeinsam vor der Kamera zu stehen.
Es ist ja auch längst noch nicht Schluss, Sie machen über 2010 hinaus weiter. Zwischenzeitlich gab es allerdings Gerüchte, Sie beide würden nach der Europameisterschaft in diesem Jahr getrennte Wege gehen.
Delling: Das ist damals einfach falsch geschrieben worden. Wir waren beide im Urlaub, als es vermeldet wurde. Und wenn man sich nicht innerhalb von einem Tag gegen eine falsche Berichterstattung wehrt, wird die falsche Meldung von anderen übernommen und verbreitet. Weil sie denken, es sei autorisiert, wenn sie nichts Gegenteiliges hören.
Gab es denn mal die Überlegung, die Zusammenarbeit zu beenden?
Delling: Die Überlegung gibt es immer. Aber die Frage ist nie, ob wir aufhören, sondern ob wir weitermachen. Wir denken von Veranstaltung zu Veranstaltung. Das haben wir immer so gehalten. Bislang sind wir nach Rücksprache mit den ARD-Verantwortlichen und Kollegen, die uns nahe stehen, immer unisono zu dem Ergebnis gekommen, dass wir gerne weitermachen möchten und dass es auch für die ARD Sinn macht.
Kürzlich haben Sie beide den von der Gesellschaft für deutsche Sprache verliehenen Medienpreis für deutsche Sprachkultur erhalten. Ist das für Sie eine besondere Auszeichnung?
Delling: Als beste Sportkommentatoren haben wir ja schon viele Preise erhalten. Wirklich tolle Preise, den Grimme-Preis, den Goldenen Löwen. Hier geht es jetzt um Sprache, das ist auf jeden Fall noch mal eine besondere Ehrung. Klar, auch bei uns gibt es die eine oder andere krumme Formulierung. Aber zumindest bemühen wir uns, ein bisschen auf die Sprache zu achten. Daher freue ich mich sehr über den Preis.
Sind Sprachkultur und Fußball nicht eigentlich zwei Dinge, die gar nicht zueinander passen?
Delling: Nee, finde ich gar nicht. Das einzige Problem ist, dass man die Fußballersprache als Moderator nicht eins zu eins kopieren kann. Das würde zu einer etwas derben Sprache führen. Das heißt allerdings auch: Es ist nicht so einfach, eine Sprache für Leute zu treffen, die selbst Fußball spielen und sich gleichzeitig gewählt auszudrücken. Man muss bedenken, dass auch viele Jugendliche zugucken. Wenn wir dastehen und fluchen würden, wäre das ein falsches Beispiel. Auf der anderen Seite funktioniert Fußball aber auch so, Sport generell. Da geht es, was die Ausdrucksweise angeht, einfach auch mal etwas derber und unüberlegter zur Sache. Deswegen finde ich sehr schwer, beides unter einen Hut zu bringen. Umso glücklicher bin ich, dass es uns offensichtlich doch irgendwie gelungen ist.
Wie finden Sie die Balance?
Delling: Das Einzige, was ich mir sage, ist: So sprechen, wie mir der Schnabel gewachsen ist, minus Schimpfwörter und ganz derbe Ausdrücke. Weil ich finde, dass die nicht an die Öffentlichkeit gehören.
Wo wir gerade bei Sprachkultur sind: Was halten Sie von den klassischen Fußballerinterviews direkt nach einem Spiel?
Delling: Oft sind die natürlich grausam. Für einen Reporter ist es sehr schwer, eine gute Frage zu stellen, weil er sich seine Fragen in den meisten Fällen im Prinzip selbst beantworten kann. Das ist einfach so. Einen Mathematikprofessor kann man fragen, was eine binomische Formel ist. Das wäre eine gute Frage, wenn man es selbst nicht weiß. Aber wenn sie die binomische Formel kennen, würden Sie sich nicht trauen, danach zu fragen, sondern Sie würden sich etwas anderes überlegen. Insofern werden diese Interviews oftmals aus der Not heraus geboren.
Es ist also für die Fragensteller mindestens genauso schwer, schlaue Fragen zu stellen, wie für die Spieler, sinnvolle Antworten zu geben?
Delling: Ja, manchmal schon. Man kann natürlich fragen: „Wieso haben Sie den Ball nicht rein geschossen?“ Aber das sieht man ja. Der Reporter würde am liebsten sagen: „Ich weiß, warum er den nicht rein geschossen hat“. Aber dann bräuchte er ja nicht mehr zu fragen.
Warum verzichtet man dennoch nicht auf Interviews direkt nach dem Spiel?
Delling: Alle Sportarten – besonders der Fußball – haben immer davon profitiert, dass man den Protagonisten nach dem Spiel zumindest einmal kurz sieht. So dass der Zuschauer weiß: Das ist er, so sieht er wirklich aus, der kann nicht nur Fußball spielen, sondern auch sprechen. Wenn zu dem, was auf dem Spielfeld passiert ist, dann noch auf sinnvolle Weise Bezug genommen wird, ist das Interview im Regelfall gelungen. Ich verdamme diese Interviews nicht, muss ich ganz ehrlich sagen.
Überraschendes hören Sie dabei jedoch vermutlich selten.
Delling: Das darf man da aber auch nicht erwarten. Es sei denn, es gibt Stress. Dann flucht mal einer. Das kann jedoch nicht das Ziel sein. Enthüllungsinterviews finden woanders statt. Auch bei Olympia in Peking wird man in solchen Interviews keine großen Demonstrationen starten und über Politik sprechen. Dafür gibt es schließlich die Studios. Dort muss so etwas natürlich stattfinden.
Sie sind mit Günter Netzer gut befreundet, er war sogar Trauzeuge bei Ihrer Hochzeit. Unterhalten Sie sich privat anders als vor der Kamera?
Delling: Eigentlich nicht. Da gibt es keine Unterschiede.
Es ist nicht so einfach, eine Sprache für Leute zu treffen, die selbst Fußball spielen und sich gleichzeitig gewählt auszudrücken.
Sind die Kabbeleien zwischen Ihnen und Netzer ein bewusst eingesetztes Stilmittel?
Delling: Nein, das passiert zufällig, und hat auch damit zu tun, dass er offensichtlich ähnlich groß geworden ist wie ich. Bei uns war es früher Gang und Gäbe, so miteinander zu reden. Als ich beim NDR anfing war es ähnlich, danach beim Südwestfunk genauso. Da haben die Kollegen nur so miteinander verkehrt. Ich muss ganz ehrlich sagen: Ich finde es gut, dass wir diese Kabbeleien mit uns machen und nicht mit Sportlern, für die, das, was sie tun, sehr wichtig ist. Ich freue mich, jemanden zu haben, mit dem das so gut geht.
Haben Sie beide die gleiche Art von Humor?
Delling: Ich glaube, es gibt zumindest eine große Schnittmenge. Darüber hinaus gibt es sicher auch unterschiedliche Arten des Humors. Grundsätzlich ist es so, dass wir beide Humor in jedem Fall mögen. Das ist ja auch nicht immer so gegeben.
Wie wichtig ist Humor generell für Ihre Arbeit?
Delling: Humor ist für mich lebenswichtig, aber auch das ist in einer Materie wie Sport eine schwere Geschichte. Weil man darf nicht vergessen: Die, die da den Sport betreiben, finden das gerade nicht so witzig. Sie machen es ernsthaft, es ist deren Beruf. Man wird sich auch nicht mit Angela Merkel hinsetzen und Späßchen darüber machen, dass sie den Dalai Lama trifft. Es gibt nicht so viele Möglichkeiten, einen Gassenhauer nach dem anderen raus zu hauen. Aber es wäre für mich brutal niederschmetternd, wenn nach so vielen gemeinsamen Jahren vor der Kamera und oft vielen Stunden an einem Abend nicht die Möglichkeit bestünde, wenigstens ab und zu mal ein bisschen locker zu sein. Wenn sich dann daraus mal ein blöder Spruch ergibt und auch einer mal daneben geht, finde ich das vollkommen in Ordnung. Wir veräppeln uns ja auch selbst. Aber es ist kein Kleinmachen im wahrsten Sinne des Wortes, es gehört einfach dazu. Ich empfinde es als ein Lebenselixier auf einer so langen gemeinsamen Strecke.
Humorvoll gemeinte Sätze können bei den Betroffenen auch Verärgerung hervorrufen – der Ausraster von Rudi Völler ist legendär.
Delling: Das was ich da gesagt habe, war gar nicht als Detailkritik an der Mannschaft gedacht. Es war tatsächlich nur ein unterhaltsam gemeinter Spruch, der die ganz große Schärfe aus einem wirklich schlechten Spiel herausgenommen hat. Aber daran sieht man sehr gut, wie die Empfindung auf der anderen Seite eine ganz andere sein kann. Deswegen finde ich es auch ganz natürlich, dass auch immer wieder Spieler dabei sind, die ihre Leistung komplett anders einschätzen, als wir es tun. Umgekehrt ist es aber auch so. Andere sagen in Interviews über uns auch Dinge, wo wir manchmal denken: das deckt sich nicht. Aber es ist fast immer sehr verträglich gewesen, weil wir nie jemanden persönlich angreifen. Das ist mir wichtig. Schließlich sind diejenigen, über die wir sprechen, keine schlechten Menschen, nur weil sie gerade mal ein schlechtes Spiel machen. Wir sind hingegen genauso wenig schlechte Menschen, wenn wir mal einen schlechten Tag haben.
Wie oft sind Sie und Günter Netzer fachlich unterschiedlicher Meinung?
Delling: Relativ oft. Aber ich bin froh darüber, weil auf diese Weise Fragen entstehen. Wenn ich merke, dass es in eine bestimmte Richtung geht, ich aber ganz anders denke, habe ich die Chance das zu hinterfragen und meine Meinung mit einfließen zu lassen. Ich finde es sehr wichtig, dass ich einen Partner habe, der sehr meinungsstark ist. Sonst wäre es mit uns beiden auch nicht so lange gut gegangen und vermutlich genauso schwierig wie bei den Fußballerinterviews nach dem Spiel.
Könnten Sie sich auch vorstellen, gemeinsam mit Netzer für eine ganz andere Sendung vor der Kamera zu stehen?
Delling: Ich könnte mir viel vorstellen. Wir waren ja auch schon mal zusammen bei einem Quiz. Aber das war eher so ulkmäßig. Es müsste dann schon etwas sein, wo er als Experte seine Meinung einbringen könnte. Denn das ist beim Fußball der Vorteil. Er versteht total etwas davon und hat darüber hinaus mittlerweile eine gewisse Erfahrung, so dass er auch ein bisschen über den Tellerrand hinaus blicken kann. Es gab aber durchaus schon einige Angebote, was für Shows wir beide alles machen könnten…
…und zwar?
Delling: Das kann ich Ihnen nicht erzählen. Denn die waren zum Teil so unsinnig, dass wir darüber gar nicht diskutieren mussten.
War auch eine Styling-Show dabei?
Delling: (lacht) Nee, eine Styling-Show nicht. Dafür wären wir auch höchstens als schlechtes Beispiel geeignet.
Es wird Ihnen ja hin und wieder nachgesagt, dass Sie sich auch optisch mit der Zeit einander angenähert hätten…
Delling: Das ist wie mit den Hunden in einer Familie. Herrchen, Frauchen und Hund sehen nachher alle ähnlich aus.
Herr Delling, Sie moderieren längst nicht mehr nur Sportsendungen, seit Oktober letzten Jahres haben Sie auf dem früheren Sendeplatz von „Hart aber fair“ mit „Dellings Woche“ sogar eine eigene Sendung im WDR. Welchen Stellenwert hat der Sport noch für Sie?
Delling: Sport ist immer mein Leben gewesen. Auch aktiv, schon als kleines Kind. Ich habe mit drei angefangen, Fußball zu spielen und spiele auch heute noch. Zudem habe ich mal eine Zeitlang parallel zum Fußball Leichtatlethik gemacht, und auch den Handball liebe ich sehr. Das möchte ich nicht missen, es ist einfach ein Teil meines Lebens. Deshalb ist die Moderation von Sportsendungen für mich eigentlich auch gar keine Arbeit, sofern es nicht mit langen Reisen und sehr viel Vorbereitung verbunden ist. Ich würde es auch so machen, und ich würde mir auch so jedes Spiel einer Europameisterschaft angucken. Genauso selbstverständlich ist für mich aber auch, dass ich mich natürlich auch für andere Dinge interessiere, weil ich finde, dass das Spektrum ein bisschen breiter sein muss. Diese Auffassung hatte ich schon immer, nicht zuletzt deshalb habe ich Volkswirtschaft studiert. Ein Standbein bleibt ganz definitiv Sport, aber selbstverständlich werde ich andere Bereiche auch in Zukunft nicht aus den Augen verlieren.
Im Sommer 2005 haben Sie für eine Woche als Vertretung von Anne Will auch schon einmal die „Tagesthemen“ moderiert. Würde Sie dieses Format reizen?
Delling: Na klar. Die „Tagesthemen“ sind ganz toll, das ist ein super journalistisches Format. Aber ich denke nicht darüber nach, denn da ist schließlich alles geklärt. Da gibt es einmal eine klare Besetzung und eine klare Struktur. Die Woche im Sommer 2005 war jedoch wunderbar und unglaublich intensiv, weil genau in diese Woche die Anschläge in London fielen. Es hat extrem viel Spaß gemacht mit der sehr professionellen Crew der „Tagesthemen“ zusammenzuarbeiten. Deswegen: Für die „Tagesthemen“ kann man mich nachts jederzeit aus dem Bett holen, wenn mal einer ausfällt.
Zum Schluss Ihr Tipp: Wer wird Europameister?
Delling: Ich hoffe auf das großartige Endspiel Deutschland-Italien. 3:3 nach Verlängerung. Nach dem Elfmeterschießen laufen wir dann auf den Platz…