Joey, ihr seid mit Calexico im Sommer auf deutschen Festivals aufgetreten, wie war’s?
Burns: Hurricane und Soutside-Festival waren beide toll, nicht nur das Wetter war gut, sondern auch das Line-Up, angefangen bei The Notwist bis zu Tocotronic, Nada Surf waren da, Elbow hat mir gut gefallen, die schätze ich sehr. Und Sigur Ros natürlich, die waren fantastisch. Auch Radiohead waren großartig.
Ihr scheint auf Festivals viel Zeit zu haben, andere Bands zu hören.
Burns: Ja, wir hatten Glück, wir waren zu einer guten Zeit eingeplant. Und du bist halt den ganzen Tag da, kommst am Morgen, spielst am Nachmittag Frisbee, isst zu Mittag, hängst die ganze Zeit mit den Leuten rum – auf einem Festival hast du eine wunderbare Zeit.
Ist das ein Hauptgrund, warum man auf Festivals spielt, um andere Bands zu hören, die Konkurrenz sozusagen?
Burns: Nicht nur zu hören, sondern zu gucken und zu erfahren, wie die so sind, mit denen zu quatschen und sie backstage zu treffen.
Mit „Carried to Dust“ habt ihr gerade ein neues Album vorgelegt. Was macht es zu einem besonderen Calexico-Album?
Burns: Wir haben bisher eigentlich jedes Album in unserer Heimatstadt Tucson aufgenommen, nur das Letzte nicht. Jetzt waren wir aber wieder in Tucson, Craig Schumacher war wieder dabei und hat „Carried to Dust“ abgemischt. Er hat große Arbeit geleistet, er schafft den Raum, in dem unsere Arrangements und Instrumentation am besten klingen, er hat ein gutes Gespür für den Sound von John Covertinos Schlagzeug, die Art wie die Trompeten dazukommen, die Akustik-Gitarren und all die vielen Instrumente – wir haben ja ziemlich viele, die wir auch gar nicht alle mit auf Tour nehmen können. Also, auf der einen Seite ist es die hervorragende Produktion, die Instrumentation.
Auf der anderen Seite gibt es diese Reiseerfahrungen, die für uns schon immer ein Einfluss waren. Wir wollten immer schon nach Südamerika gehen, und jetzt waren wir endlich da. Deshalb sind ein paar der neuen Songs sind von einer Reise nach Chile inspiriert.
Calexico ist eine Stadt an der amerikanisch-mexikanischen Grenze und eure Musik wird oft mit Mexiko assoziiert. Habt ihr schon in Mexiko gespielt?
Burns: Nein, wir wurden noch nicht eingeladen. Wir warten noch auf eine geeignete Einladung. Ich hoffe, das geschieht bald. Vielleicht können wir jetzt, nachdem wir bereits in Südamerika gespielt haben, auch in Mexiko-City spielen. Wir würden das gerne.
Aber du selbst warst schon in Mexiko…
Burns: Ja, ich war schon da und wo ich heute lebe, das war früher Mexiko, bis in die 1850er Jahre. Es gibt viele Generationen die mexikanisch-amerikanisch sind, dafür ist natürlich die Einwanderung ein Grund, sowohl die dokumentierte als auch die nicht dokumentierte. Das beeinflusst dich auch, es gibt dir ein Gefühl von Kultur und zeigt dir eine andere Lebensperspektive.
Ihr spielt u.a. mit Musikern aus den USA, Spanien und Deuschland zusammen – ist Calexico ein Produkt der musikalischen Globalisierung?
Burns: Nein, das klingt mir jetzt zu technisch. Es ist nur Musik und ein Ergebnis von Reisen. Das ist nicht so kompliziert und sollte nicht länger als zwei Worte sein: Musiker haben Spaß. OK, das waren drei.
Viele Musiker klagen ja über das ständige Reisen. Wie anstrengend ist das für euch?
Burns: Mir macht das Reisen nicht so viel aus, das gehört zum Job.
Aber vielleicht hast du eine Anekdote auf Lager?
Burns: Es gab eine Tour wo wir quer durch die USA gefahren sind auf der wir Schnee in Amarillo/Texas hatten, Feuer in Oklahoma, Platzregen in Nashville Tennesee, das war verrückt.
Vor kurzem habe ich den Fehler gemacht, über London-Heathrow zu fliegen, zur gleichen Zeit ist nämlich George W. Bush in Heathrow gelandet, weshalb alle Flüge Verspätung hatten und angehalten wurden. Auch unser Fliege. Und um unseren Anschluss zu Frankfurt zu kriegen, mussten Jacob Valenzuela und ich von einem Terminal zum nächsten eilen…
Mit der Gitarre auf dem Rücken?
Burns: Er hatte seine Trompete auf dem Rücken, meine Gitarre war irgendwo in Heathrow liegengeblieben und kam am nächsten Tag nach Frankfurt. Die Geschichte ist gut ausgegangen.
Das Instrument ist für viele Musiker ein äußerst wichtig, viele haben eine Art persönliche Verbindung zu ihrem Instrument. Du auch?
Burns: Manchmal, nicht immer. Ich liebe die Instrumente, die ich habe, ich weiß, dass ich auch schon welche verloren habe. Aber es gibt noch eine Reihe großer Instrumente da draußen, es gibt so viel, zu dem du dich physisch hingezogen fühlst. Wahrscheinlich wirst du die Welt irgendwann verlassen, aber die Instrumente bleiben da.
Du erwähntest bereits George W. Bush, zuvor die amerikanisch-mexikanische Grenze und den Aspekt der Migration. Sind die USA immer noch ein Land, in das es wert ist, zu immigrieren?
Burns: (lacht) Gute Frage. Ich denke schon, es ist immer noch so etwas wie eine Wirtschaft geblieben, im Gegensatz zu dem, was so erzählt wird: der US-Dollar geht runter, der kanadische hoch, der Euro ist in der Stratosphäre und das Pfund kannst du gar nicht mehr sehen, ist irgendwo im Weltraum. Die Dinge ändern sich aber gerade, es gibt ein Licht am Ende des Tunnels. Und das ist gut.
Wer oder was ist dieses Licht?
Burns: Veränderung. Mehr Veränderung. Hoffentlich eine Veränderung zum besseren. Hoffnung ist am Endes des Tunnels.
Was sind die Dinge, die du an den USA hasst, welche magst du?
Burns: Dinge, mit denen ich Probleme habe, ist der Fakt, dass es kaum internationales Fernsehen gibt. Das Fernsehen selbst ist so sehr beschränkt auf Hype, Elend, Kontroversen. Katastrophen, negative Schlagzeilen. Was ich am meisten mag ist der Raum, besonders in den westlichen Staaten, wo ich aufgewachsen bin, da gibt es immer noch viel Freiräume.
Was genau meinst du?
Burns: Du kannst einfach abhauen, ohne jemanden zu treffen, tagelang.
Wird so etwas in den USA nicht immer weniger? Sogar in Deutschland stehen inzwischen überall Überwachungskameras.
Burns: Aber es ist immer noch ein großes Land und es gibt viel Raum da draußen und das ist wichtig. Ich weiß, dass sich viele Städte und Gemeinden ausdehnen, das geschieht viel. Aber ich denke, die Leute fangen inzwischen an zu begreifen, dass sie sich ändern müssen: ihre Art zu denken, zu leben, im ökologischen, sozialen und politischen Sinn. Es wird eine ganze neue Wählergeneration geben, mit unterschiedlichem ethnischen Hintergrund und Alter – das ist gut, das sehe ich auch als Teil vom Licht am Ende des Tunnels.
Viele Produkte amerikanischer Firmen werden in mexikanischen Fabriken zu Billiglöhnen produziert. Werden sich die Konsumenten in den USA solcher Zusammenhänge mehr und mehr bewusst bei ihren Kaufentscheidungen?
Burns: Natürlich wünsche ich mir, dass die amerikanischen Konsumenten ihre Shopping-Entscheidungen als politische Wahl begreifen. Aber so weit sind sie noch nicht, das wird noch eine Weile dauern. Die USA sind ein isoliertes Land und das ist ein Zustand, der schwer zu überwinden ist. So wenig Amerikaner wissen etwas über das Leben außerhalb der USA. Aber wie verändert man das? Das ist eine schwere Frage, und noch schwerer ist es, diese Aufgabe in Angriff zu nehmen. Vielleicht ändert sich das auch, wenn mehr Menschen in die USA kommen, Touristen zum Beispiel. Das wird helfen, ein wenig mehr Leben reinzubringen, eine Perspektive.
Denkst du, Musiker können an diesen Veränderungen mitarbeiten?
Burns: Musiker können einen schönen Soundtrack zu einem Teil dieser Veränderungen liefern. Und du brauchst einen guten Soundtrack. Manchmal, am Ende das Tages, wenn du all diese Gedanken, Gefühle, Worte, verarbeitest, all das, was du gesehen oder gelesen hast, dann brauchst du eine Musik, die dir hilft, von einem zum nächsten Tag zu gelangen.
Geht es da mehr um Musik, weniger um Text?
Burns: Nein, die Texte sind genauso wichtig. Das ganze Paket. Sogar die Musikvideos (lacht).
Was ist denn mit den Musikvideos? Findest du die eher lächerlich?
Burns: Nein, die sind wichtig, wirklich wichtig. Schließlich gibt es heute das Internet. Aber sie schränken dich auch ein. Es wäre gut, eine andere Form der visuellen Repräsentation auszuprobieren. Warum nicht in ein Live-Konzert gehen, ich denke das ist sowieso besser.
Hast du einen Ipod?
Burns: Ja, ich habe eins der ersten Modelle, den hat mir die Band geschenkt und ich habe den immer noch. Aber ich hoffe, dass sich die Qualität der Aufnahmen noch verändert, weil bis jetzt klingt es wirklich nicht so gut.
Es werden auch immer mehr CDs veröffentlicht, dieses ganze Mehr an Information, das muss auf etwas hinauslaufen. Dass du dich entscheidest, zum Beispiel für ein Abo bei einer Website, wo du die Musik wirklich magst und unterstützen willst. Oder du gibst irgendwo deine Interessen an, und dann schlagen sie dir Bands vor. Das passiert ja schon im Internet. In Shopping-Netzwerken, “wenn Sie diese Platte mögen, gefällt Ihnen vielleicht auch diese Platte, dieses Buch oder dieser Film“.
Kid Rock hat sich kürzlich in einem Interview darüber beklagt, dass er aus dem Verkauf von Mp3s über Itunes nur wenig Geld erhalte. Wie siehst du die aktuelle Situation?
Burns: Also, die Situation ist zumindest nicht ideal. Den Plattenfirmen ging es lange Zeit sehr gut, sie haben viel Geld für eine CD verlangt, die nicht besonders viel kostet. Wo ging das Geld hin? Es gibt sehr wohlhabende Platten-Bosse und die sind jetzt wahrscheinlich im Ruhestand.
Heute hast du eine andere Realität, der muss man sich stellen, mit der muss man umgehen und kreativ werden. Besonders für Musiker, die einen Superstar-Status hatten, kann das eine große Veränderung bedeuten. Aber kleinere Bands, von denen wir vielleicht nie gehört hätten, die haben jetzt eine Chance, durch das Internet nach oben gespült zu werden. Das ist definitiv ein Vorteil.
Eine Band, die du im Internet entdeckt hast?
Burns: Die erste Band war „Beirut“, mit denen sind wir dann auch auf Tour gegangen und jetzt sind sie sehr bekannt. Eine andere Band war “A Hawk and a Hacksaw”. Jemand hatte mir eine CD geschickt, ich fand das interessant, habe im Netz nachgeschaut, konnte auf Myspace und ihrer Website mehr Informationen finden… Oder auch Port O’Brien, die sind zwar auf dem gleichen Label wie wir, aber ich hatte keine CDs, ich musste online gehen um die Band zu sehen oder zu hören. Das Internet ist generell der Ort wo ich mir neue Bands angucke, ich gucke auf Youtube wie sie live auftreten und höre mir auf Myspace ein paar ihrer Songs an.
Würde Calexico anders klingen, wenn es das Internet nicht gäbe?
Burns: Ich weiß es nicht. Vielleicht. Wir haben gerade für den Film „I’m not there“ mit verschiedenen Musikern zusammengearbeitet, und das zum Teil via Internet. Wir haben uns CDs und Dateien zugeschickt. Oder auch auf unserer neue Platte haben wir das gemacht.
Das ist ein Vorteil des Internets. Wir wären sonst in ein Flugzeug gestiegen und ins Ausland gereist.
Kommen wir noch mal zu analogen Medien. Liest du noch Bücher?
Burns: Ja, ich lese immer noch Bücher. Es ist schwer, online zu lesen. Ein Buch ist das Beste, du kannst es in der Hand halten, eine Zeitung genauso.
Welches Buch liest du gerade?
Burns: „At the Jim Bridger“ von Ron Carlson und ein neues Buch von Bill Carter: „Red Summer“. Er ist ein Freund von uns.
Und dann ist da noch der Cartoon-Zeichner Joe Sacco, ich lese gerade eine Sammlung seiner Cartoons mit dem Titel „Notes from a defeatist“.
Ein Buch, dass man deiner Meinung nach gelesen haben muss?
Burns: Ich fand, dass das letzte Buch von Cormac Mccarthy „The Road“ sehr gut war. Es war nicht so düster und deprimierend, wie manche seiner anderen Bücher. Ich habe meinem Vater ein paar von Mccarthys Bücher gegeben, das war ein bisschen zu düster für ihn. Aber ich denke „The Road“ ist gut für eine breites Publikum.
Beeinflusst Literatur eure Musik?
Burns: Sicher. Alles von Carlos Fuentes über Cormac Mccarthy bis zu Charles Burdon, einem Schriftsteller aus Tucson, der ist großartig.
Unsere Schlussfrage: Das Leben ist ein Comic – welche Figur bist du?
Burns: The Invisible Man.
Warum?
Burns: Wir spielen Musik, schreiben Musik, stehen auf der Bühne – da gibt einen Teil von mir der sehr sichtbar ist, und einen Teil, der überhaupt nicht zu sehen ist. Der sich vollkommen in einer anderen Zeit, einem anderen Raum bewegt. Das hat etwas schönes, egal ob du Teil einer Band bist, oder alleine Musik machst – es gibt einen Teil von dir, mit dem du dich aus einer anderen Perspektive siehst. In dem du unsichtbar bist, darfst du von der Bühne verschwinden – das ist manchmal ganz nützlich.