Maya, Sonja, Elina, der Name „Jewdyssee“ ist mit Sicherheit nicht zufällig gewählt. Die Odyssee ist ja für Odysseus keine Vergnügungsreise, sondern ein Trip mit vielen Hindernissen, immer auf der Suche nach einem Weg zurück zu seiner Frau Penelope. Wer ist denn eure Penelope?
Saban: Wir wollen diese Reise antreten, um ein neues selbstbewusstes, vergnügtes jüdisches Lebensgefühl zu vermitteln…
Askarjan: Eine gegenwartsbezogene Zelebrierung eines neuen jüdischen Selbstwertgefühls.
Saban: Das Ende der Reise ist noch ungewiss. Wir hoffen natürlich, dass wir Leute inspirieren können und sie diesen Weg mit uns gehen.
Askarjan: Die jüdische Thematik ist zwar in Deutschland nicht mehr negativ behaftet, aber das Wort „Jüdisch“ taucht meistens in einem schwierigen Kontext auf, und diese Hindernisse wollen wir eben mit einem vergnügenden Faktor überwinden, insbesondere im Hinblick für die nachfolgenden Generationen.
Während der WM im Sommer 2006, so heißt es, hat Deutschland zu sich selbst gefunden. Ist es seitdem vielleicht sogar leichter eine neue positive deutsch-jüdische Lebensphilosophie zu entwerfen?
Saban: Sicher, aber wir sind gar nicht so sehr auf Deutschland fixiert, wie es wahrscheinlich bei so einem Projekt zunächst einmal anzunehmen wäre. Wir machen das nicht, um Deutschland zu sagen „Bitte, seht uns nicht immer als leidende Juden“. Im Gegenteil, dieses Projekt soll Menschen, die mit der jüdischen Kultur noch nicht allzu viel zu tun hatten, die Berührungsängste nehmen.
Tilipmann: Wir versuchen allen zu zeigen, dass unsere Lebensphilosophie deutsch aber auch jüdisch sein kann.
Das Judentum ist ja nicht nur eine Kultur, sondern auch eine Religion. Hat eure Arbeit denn auch eine spirituelle Dimension?
Askarjan: Da hat jede von uns Dreien ihren ganz eigenen Zugang zu, und das ist eigentlich auch das Spannende. Wir bringen alle unsere ganz spezielle jüdische Identität mit ein und bauen sie gleichzeitig aus.
Saban: Wir sind 3 Frauen, die in den letzten Jahren zunehmend gemerkt haben, dass jüdisch geboren zu sein die eine Sache ist. Eine andere Sache ist es hingegen, seinen eigenen individuellen Zugang zum Judentum zu finden. Ich kann von mir sagen, dass ich nicht wirklich religiös bin. Ich bin sehr traditionell aufgewachsen, meine Mama arbeitet bei Keren Hayesod, mein Vater kommt aus Haifa und würde nie seinen israelischen Akzent ablegen, obwohl er es bestimmt schon könnte. Ich bin während meiner Kindheit auf zahlreiche Machanot, also jüdische Ferienlager gefahren, und mein Bruder spielte jahrelang bei Makkabi Fußball. Ich sehe mich als deutsche Jüdin mit israelischen Wurzeln.
Tilipmann: Meine Familie ist unreligiös, aber traditionell. Ich bin in einem komplett unjüdischen Umfeld aufgewachsen, in einer kleinen norddeutschen Stadt. Würde da jemand das Wort „Jude“ hören, wüssten sie gar nicht recht was sie damit anfangen sollen oder würden direkt an den Holocaust denken. Für mich persönlich habe ich, seitdem ich 2002 nach Berlin gezogen bin, das Judentum in kultureller, aber auch zum Teil religiöser Weise komplett neu für mich entdeckt – was ich sehr schön finde. Ich lerne täglich neue Dinge über das Jüdischsein.
Sonja, Elina, ihr seid wahrscheinlich nach dem Zerfall der Sowjetunion 1990 nach Deutschland gekommen…
Askarjan: Nein, schon mit der ersten großen Welle. Das war in den 80ern. Israel hatte damals seinen größten Transferpoint in Wien und zum damaligen Zeitpunkt waren an die 50.000 Flüchtlinge aus der UDSSR dort. Israel hat sich natürlich angeboten uns aufzunehmen und meine Eltern hatten, was ich unfassbar finde, Green Cards und Tickets für New York…
Tilipmann: Meine auch…
Askarjan: Aber mein Vater hat aus irgendeinem Grund Deutschland präferiert.
Tilipmann: Meine sind auch schon 1979 losgezogen und wollten eigentlich in die USA, weil meine Großeltern dort schon lebten. Sie hatten sogar schon die Möbel rübergeschickt und sind dann aber in Wien von einem Herrn aufgegabelt worden, der sie nach Bremen rübergebracht hat, wo ich dann geboren wurde.
Gerade in den letzten Jahren gab es ja einige Projekte, die sich auf ihren jüdischen Wurzeln zurückbesonnen haben, wie zum Beispiel Matisyahu, oder auf alternativer Ebene diverse Versuche die jüdisch-andalusische Kultur wiederzubeleben. Warum wollen auf einmal immer mehr Künstler, nicht nur jüdische, ihre Wurzeln in die moderne Welt retten, während es in den 90ern noch One World, One Love Parade hieß?
Askarjan: Das ist, glaube ich, ein europäisches Phänomen. Europa ist seit der EU stark zusammengewachsen und damit ist auch wahrscheinlich die Angst gestiegen, Jahrtausend alte Identitäten zu verlieren.
Tilipmann: Jede Kultur versucht das Beste aus sich selbst und aus dem eigenen Land rauszuholen, weil natürlich die Angst da ist, es könnte verloren gehen. Es ist eine große Sehnsucht, das Eigene zu erfahren. So ist es auch irgendwie bei uns. Wer nicht die jüdische Kultur jetzt lebt, wer wird es in den nächsten Generationen tun?
Saban: Es ist ganz interessant, dass gerade im letzten Jahr bei jedem von uns aus irgendeinem Anlass die Frage hochgekommen ist: Wer sind wir? Wo kommen wir her? Bis zu dem Zeitpunkt wurde das Judentum in meinem Fall einfach vorgelebt, es gibt diese Bräuche, jene Feiertage, ich war auf der jüdischen Schule. Jüdischsein heißt für mich aber nicht, ich muss koscher essen.
Tilipmann: Wenn alles vorgelebt wird, bedeutet es meist aber auch eines Tages, dass man es einfach weiter so lebt, sich abwendet oder sich komplett neu damit identifiziert.
Askarjan: Es ist einfach nicht so wie für einen Deutschen, der sagt „Ich bin Atheist“. Das Judentum hat einfach diesen stark betonten kulturellen Aspekt, gerade wenn man in der Diaspora lebt.
Und wie habt ihr euch gefunden? Wart ihr zusammen weg und habt euch überlegt: „Eigentlich müsste man ja mal….“ oder habt ihr euch von einem zum anderen gecastet?
Saban: Ich singe schon seitdem ich sprechen kann und habe unter meinem Namen in den letzten Jahren zwei Alben raus gebracht. Letztes Jahr stand ich dann vor der Situation, dass ich mich in der Struktur mit Plattenlabels, Management und allem drum und dran nicht mehr wohl und verstanden gefühlt habe. Ich habe mich von all dem gelöst und nach einer Weile spürte ich, dass es für mich musikalisch in eine andere Richtung gehen muss. Dann kam die Idee, jiddische Lieder und hebräische Gebete modern und clubbig zu interpretieren und eigene neue Songs zu schreiben. Sonja und ich kennen uns schon seit dem Kindergarten und sind seit dem sehr eng befreundet. Da lag es nahe, sie zu fragen ob sie mit meiner Idee, das jüdische Leben auf eine neue Weise auszudrücken, etwas anfangen kann. Dann kam eines zum anderen. Elina kannte ich wiederum mehr aus dem musikalischen Bereich. Wir haben uns immer mal wieder auf Konzerten getroffen und irgendwie landete sie dann mal auf meinem Geburtstag. Dann haben wir gemerkt, dass wir beide jüdisch sind…
Bei Männern ist es ja klar, wie man das merkt, zumindest in der Fußballkabine, aber bei Frauen?
Tilipmann: Man weiß es halt! Wir haben uns bei Maya´s Geburstag wirklich das erste Mal richtig unterhalten und dann merkt man halt auch, dass man gewisse Gemeinsamkeiten hat. Wir hatten lange vorher gemeinsame Bekannte und ich wusste auch genau, wer sie war und wo sie wohnt…
Saban: …und das noch vor Facebook und dem ganzen Stalker-Programm!
Tilipmann: Ja. Aber ich kannte sie halt nicht persönlich.
Saban: Und an dem Geburtstag haben wir beschlossen uns mal so zu treffen und richtig zu unterhalten. Da steckte Jewdyssee-mässig natürlich alles noch in den Kinderschuhen und war ganz frisch.
Tilipmann: Aber es ist schon spannend zu sehen, wie sich Menschen wie wir uns begegnen, sich verstehen und zusammen ein Projekt beginnen und sagen: „Seht her, hier sind wir, drei unterschiedliche Frauen, die alle ihre eigene jüdische Identität haben und ausleben – und wir sind stolz drauf!“ Es passt auch von den Arbeitsbereichen wunderbar zusammen: Maya kümmert sich um alles was mit der Musik zu tun hat. Ich arbeite seit Jahren im Veranstaltungs- und Musikbereich und kümmere mich bei Jewdyssee um das Organisatorische und erfinde und koordiniere die Events. Sonja hat Film studiert und ist bei Jewdyssee für das visuelle zuständig – sprich Videos und Grafikdesign.
Askarjan: Film ist in Deutschland schwierig, weil alles eine Sache der Subventionen ist, deshalb bin ich dann auf Grafikdesign, Art-Direction und Fotografie ausgewichen. Das ist ja auch mein Metier, es ist etwas Visuelles und auch eine Inszenierung, siehe die Fotos auf unserer MySpace-Seite.
Jewdyssee soll auch ein Netzwerk sein für verschiedenste Künstler aus allen Bereichen. Wie sieht das dann praktisch aus bei einem Auftritt, eine Mischung aus Konzert und Vernissage?
Saban: Warum nicht? Am 27.09 zum Beispiel werden wir hier in Berlin im Goya spielen. Das Ganze nennt sich Ellinorama meets Jewdyssee. An diesem Abend werden israelische und griechische Bands auf der Bühne stehen und zusammen werden wir unsere gemeinsame Leidenschaft zelebrieren. Das Netzwerk ist etwas was wir langsam entwickeln und formen, aber hier sollen sich Leute finden die zum Thema Jüdischkeit etwas beisteuern wollen und können. Als nächstes ist unter anderem ein Kurzfilm geplant… es bleibt also weiterhin spannend.
Hast du Jiddisch richtig gelernt?
Saban: Richtig gelernt nicht, ich bin aber zum Glück sprachlich so weit begabt, dass ich es nur hören muss und dann weiß ich, wie ich es auszusprechen habe. Und natürlich sind wir alle mit den jiddischen Sprichwörtern der Großeltern aufgewachsen.
Zum Beispiel?
Saban: Elina, was sagt deine Oma immer zu dir?
Tilipmann: „A sheine Meidele“ oder „sheine punim“ zum Beispiel. Als meine Großmutter nach Deutschland kam, hat sie kaum Deutsch gesprochen, sondern meist nur Jiddisch. Das ist ja ein bisschen wie Deutsch mit einem schweren Akzent – aber man hat sie verstanden.
Saban: In unserer Generation gibt es einen richtigen Trend, gerade unter den Unter-Dreißigjährigen, wieder richtig Jiddisch zu sprechen, bzw. jiddische Wörter wie „Malochen“ zu gebrauchen.
Askarjan: Da gibt es mittlerweile ganze Kompendien von jiddischen Wörtern, die heutzutage ein ganz normaler Bestandteil der deutschen Sprache sind. Meschugge versteht jeder.
Tilipmann: Und seit Uri Geller können viele hier sogar auf Hebräisch bis drei zählen. Bei der Musik von Jewdyssee verstehen natürlich nicht alle den Text, aber sie spüren es, das Lebensgefühl. Wir sind kein Projekt, dass zum x-ten mal die Gedichte von irgendeiner Verstorbenen auskramt mit der Bitte um Teilnahme.
Askarjan: Diese gewisse Betroffenheit fällt dann endlich auch weg und das macht den Weg für die Neugierde frei.
Tilipmann: Dann verschwindet auch endlich die Angst vor dem Wort „Jüdisch“.
Askarjan: Ich glaube, jeder der einen jüdischen Hintergrund hat, kennt diesen Moment, wenn man einem Kommilitonen erzählt, dass man jüdisch ist. Die Augen verändern sich für einige Sekunden – wobei ich überhaupt nicht glaube, dass das einen antisemitischen Hintergrund hat. Ich glaube vielmehr, dass Menschen für einige Sekunden betroffen sind, wenn sie hören, dass man jüdisch ist. Das muss aufhören und ich glaube persönlich sehr stark daran, dass Jewdyssee da eine Menge ändern kann!
Würdet ihr eigentlich an einem Schabbat-Abend auftreten?
Saban: Nein, auch wenn wir kein klassisch religiöses Projekt sind, sind wir doch ein jüdisches.
Tilipmann: Gewisse Sachen sollte man schon beibehalten. Es tut einem auch nicht weh, wenn man einen Tag lang nicht arbeitet.
Ihr seid als Jewdyssee bei MySpace und Facebook aktiv…
Saban: Selbstverständlich! Das ist momentan doch die einzige Möglichkeit sich so zu präsentieren, dass die Leute das Projekt und die Musik kennen lernen können.
Askarjan: Gerade MySpace ist für Künstler fantastisch. Bei mir ist beruflich unheimlich viel über diese Vernetzung entstanden. Das ist eine Plattform und Promotionsmöglichkeit, auf die ich nie wieder verzichten möchte.
Saban: Gerade wenn man idealistisch etwas richtig Gutes machen möchte, ist es vor allen Dingen wichtig immer zu wissen, wen und was es noch so alles gibt. Ich bin oft und gerne in diesen Portalen unterwegs und höre mir immer wieder sehr gute Bands im Netz an.
Askarjan: Es gibt auch ständig Feedback für unsere Arbeit. Gerade für Jewdyssee ist es bei Facebook toll, dass praktisch die gesamte junge jüdische Gemeinschaft Berlins zu unserem „Freundeskreis“ gehört.
Thema Jüdische Gemeinschaft in Berlin. Ihr habt ja teilweise einen russisch-jüdischen Hintergrund. Fandet ihr auch, wie es in Klischees heißt, dass die alteingesessenen deutsch-jüdische Gemeinschaft euch gegenüber sich arrogant verhalten hat oder sogar verhält?
Askarjan: Schon, weil die Alteingesessenen natürlich finanziell sehr stark waren. Aber mittlerweile muss ich sagen, dass ich die deutschen Juden wirklich in der Gemeinde vermisse. Zahlenmäßig haben natürlich die russischen Juden die Oberhand gewonnen, was bekanntlich auch Probleme mit sich gebracht hat…
Könntet ihr euch vorstellen beim Karneval der Kulturen aufzutreten? Da sollen ja eigentlich auch alle Kulturen präsent sein, aber etwas Jüdisches hat es noch nicht wirklich gegeben…
Tilipmann: Witzig, dass du das ansprichst, das ist nämlich genau eines unserer aktuellen Themen. Wir überlegen, eventuell mit einem Live-Beitrag oder sogar einem Jewdyssee-Truck am KdK teilzunehmen. Das wird einfach mal langsam Zeit. Es muss kommen und wird kommen und es wird hoffentlich auch Zuspruch finden.
Saban: Ich habe vor ein paar Jahren in der Max-Schmeling-Halle zusammen mit Xavier Naidoo und den Söhnen Mannheims „Adon Olam“, also ein hebräisches Gebet, gesungen und da waren ein paar Tausend Leute und das waren nicht alles deutsche Juden. Das war einer der bewegendsten Momente in meiner musikalischen Laufbahn. Ich bin mir also sicher, das unsere Teilnahme beim KdK spektakulär werden wird.
Unsere Schlussfrage: Das Leben ist ein Comic, welche Figuren seid ihr?
Saban: Chaim se lo Picknik we gam lo Comic (Das Leben ist kein Pick und auch kein Comic). Wir leben gerne in der Realität und wissen auch, dass wir hart für unsere Ziele arbeiten und kämpfen müssen, ohne Superheldenkräfte, just Jewdyssee girls.
Klasse Mädels… macht weiter so !!
Ihr trefft mit eurem Projekt genau den Kern, um die Veränderungen zu bewirken, welche die jüdische Mentalität braucht!
Macht weiter so!
Ich drück euch fest die Daumen, damit dieses Vorhaben gelingt!