Herr Rosenmüller, angenommen Ihre Filme wären Produkte der Landwirtschaft, als was für eine Art Bauer würden Sie sich sehen, als Biobauer oder Industrieller?
Rosenmüller: Biobauer wäre sicher mit dabei, weil ich immer hoffe, dass meine Arbeit Qualität hat, dass man keinen Schaden von ihr nimmt. Und was meine Produkte angeht – ich würde Kartoffeln anbauen, aus denen kann man soviel machen, Kartoffelsuppe ist mein Lieblingsessen. Und allein bei dem Wort Bratkartoffeln assoziiere ich gleich Spinat oder einen Leberkas. Also, ich wäre Bauer von Biokartoffeln. (lacht)
Sie setzen also auf Produkte, die möglichst vielfältig…
Rosenmüller: Nicht vielfältig, sondern möglichst klar und gut.
Und wie schaffen sie es, so viele Ernten in nur wenigen Monaten einzufahren?
Rosenmüller: Das schaffe ich nur mit guten Erntehelfern, einem guten Team.
Um von der Bauernmetapher ins Konkrete zu wechseln: Haben Sie deswegen acht Jahre lang Film studiert, um in dieser Zeit dieses effektive Team aufzubauen?
Rosenmüller: Ich habe ja nicht acht Jahre lang studiert. Das steht nur so in der Vita, weil du vier Jahre studierst und dann daran arbeitest, das nötige Geld für deinen Abschlussfilm zusammenzusammeln. Ich hab Dokumentationen gemacht, viel am Bau gearbeitet und am Bauernhof als Hausmeister, drei Jahre lang, bevor ich endlich mein Diplom machen konnte. Letzten Endes habe ich einfach das große Glück gehabt, dass ich gleich nach „Wer früher stirbt…“ ein paar weitere Filme machen durfte. Und ich habe schon ein tolles Team zusammenbekommen: meinen Komponisten, meine Kameramänner, die Regieassistentin…. Es erspart schon einiges, wenn du die gleiche Sprache mit deinem Team sprichst, sonst wäre unser Pensum nicht möglich gewesen.
Kinofilme gelten aber generell als langwieriges Geschäft. Auch renommierte Regisseure brauchen selten weniger als drei Jahre, um einen einzigen Film fertig zu stellen. Irgendwas müssen Sie, vom guten Team abgesehen, doch anders machen?
Rosenmüller: Ich gehe schon ganz schön lange mit meinen Ideen schwanger. Ich habe die „Perlmutterfarbe“ ja auch schon vor drei Jahren angeboten bekommen. Und schon damals begannen die Überlegungen, was ich für diese Thematik alles brauche, obwohl ich noch mit etwas ganz anderem beschäftigt war. Bei mir ist es allerdings so, dass ich erst durch die Arbeit mit den Schauspielern und dem Team auf Gedanken komme, die mir allein im stillen Kämmerlein nie gekommen wären. In diesem Austausch und unter dem Druck eines festen Drehtermins kommen mir einfach mehr Ideen. Ich habe oft Kabarett gemacht und mir immer wieder gedacht, jetzt gehst du aber nicht wieder so unvorbereitet dahin! Ich habe meinen Hintern zum Schreibtisch bewegt, habe Reden geschrieben, und die nachher alle in die Tonne schmeißen müssen. Der Druck hat gefehlt.
Führt so ein unorthodoxes, spontaneres Arbeiten nicht auch zu Unsicherheiten?
Rosenmüller: Das ist leider für meine Mitarbeiter sehr schwierig, wenn ich Sachen zum Beispiel im Drehbuch stehen habe, von denen ich weiß, dass ich sie so sicher nicht drehen werde. Je später ich dann beim Drehen erst kapiere, wo wer und was stehen muss, desto schwieriger wird es dann, das gleich umzusetzen. Aber ich kann mir da vertrauen, solange ich eine Grundbasis hab, wenn ich weiß, was ich aussagen mag. Wenn ich, zum Beispiel bei „Die Perlmutterfarbe“ eine klare politische Aussage drin habe, dann weiß ich auch an der Oberfläche, wie ich sie erzählen muss.
Fassbinder oder auch Herbert Achternbusch wären zumindest zwei weitere in Bayern sehr verwurzelte Regisseure, mit zum Teil enormer Produktivität. Ist Arbeitswut vielleicht auch etwas typisch Bayerisches?
Rosenmüller: Na, die beiden sind ja schon voneinander sehr verschieden. Für mich sind beide keine filmischen Vorbilder und in einer ganz anderen, höheren Liga angesiedelt, als ich. Aber ich habe vor beiden Respekt.
Achternbusch hat allein zwischen 1981-und 1984 acht Filme gedreht, Fassbinder hat das 1970 sogar innerhalb eines Jahres geschafft.
Rosenmüller: Ja, bei Fassbinder paarten sich absolute Arbeitswut und absolutes politisches und gesellschaftliches Interesse. Ich sehe mich tatsächlich auch als Unterhalter, mit einer anderen Botschaft. Bei mir sind eher Helmut Käutner und Joachim Ringelnatz Vorbilder. Fassbinder hat eher etwas Erzieherisches, und Achternbusch hat, bei all seinem Anarchismus, auch immer was Vorwurfvolles. Ich habe immer eine große Liebe zu Menschen, die manchmal einfach nur einen kleinen Schubs brauchen, nicht nur die vernichtende Kritik. Ich mag es, Leute zu unterhalten und ihnen so das Gefühl zu geben, dass es für sie besser werden wird. Es wäre schön, wenn sie aus dem Kino rausgehen und versuchen, mit dem anderen besser umzugehen. Ich bemühe mich zumindest immer, das zu erreichen. (lacht)
Und diesen Nerv hat dann auch der Roman „Die Perlmutterfarbe“ bei Ihnen getroffen?
Rosenmüller: Ja, das stimmt schon. Da spielen Kinder zwar die Hauptrollen, und als ich ihn gelesen habe, habe ich mich vor allem daran erinnert, wie es mir selbst als Kind ergangen ist. Aber die Thematik der Mitläufer betrifft Erwachsene ja genauso. Das geht bis zu der Frage, welches Fleisch man essen soll, und welches nicht.
Sind Sie in dem südbayerischen Dorf Hausham mit einem Bewusstsein dafür aufgewachsen, welche Würste von glücklichen Kühen, und welche aus der Massentierhaltung kommen?
Rosenmüller: Nein. Da rennst du auch in den Supermarkt und kaufst das abgepackte Fleisch, von dem ich erst kapieren musste, dass das einmal über die Wiesen gelaufen ist. Das ist in Hausham wie in jedem Dorf. Da ist Hausham, wie Berlin. (lacht)
Ich habe eine große Liebe zu Menschen, die manchmal einfach nur einen kleinen Schubs brauchen, nicht nur die vernichtende Kritik.
In Hausham gab es eine lange Tradition des Bergbaus. Hat der Strukturwandel Ihr Interesse für Zeiten hereinbrechender Arbeitslosigkeit geprägt, in der ja auch „Die Perlmutterfarbe“ spielt?
Rosenmüller: Ja, dieser wahnsinniger Umbruch war 1966. Den habe ich nicht erlebt, aber die Zeit hat Hausham schon sehr geprägt. Du merkst heute noch, dass das früher Bergleute waren, im Gegensatz zu den anderen Orten in der Umgebung ist Hausham weniger idyllisch. Wir haben in so einem Sozialbauwohnblock gewohnt, was für uns allerdings toll war, weil es dort viele Kinder in unserem Alter gab.
Vom britischen Kino kennen wir, dass Akzente aus den Industriestätten Nordenglands völlig selbstverständlich gesprochen werden. Hierzulande war das Kino nahezu komplett verhochdeutscht, bis Ihre Filme kamen. Muss man das vorurteilsfreie Hören von Akzenten erst wieder lernen?
Rosenmüller: Ich weiß nicht, ob man das lernen muss. Ich werde schon sehr häufig darauf angesprochen und merke, dass das offenbar ein Problem darstellt. Aber ich bin nicht der Hüter der bayerischen Heimatsprache. Sie ist für mich nur manchmal günstig, um es authentischer zu machen, erdiger, aber nicht, um jemanden auszugrenzen. Bei „Perlmutterfarbe“ war es so, dass ich den Markus Krojer unbedingt als Alexander, für die Hauptrolle besetzen wollte und Kinder lasse ich lieber so sprechen, wie sie sprechen. Sonst hört sich’s fürchterlich an. Aber es gibt leider schon eine Barriere, die weismacht, dass ein bayerischer Film recht kitschig sein muss. Ich werde sicher auch mal einen hochdeutschen Film machen, um zu sehen, ob ich das kann, aber mir ist eigentlich nur wichtig, dass meine Filme zu verstehen sind.
Die Drehbuchautorin Anna Maria Jokl hat in ihrem Roman „Die Perlmutterfarbe“ Ende der 30er Jahre im Prager Exil Erlebnisse verarbeitet, die sie 1933 zur Flucht aus Berlin gezwungen hatten. Später ist sie als Publizistin und Psychotherapeutin nach Jerusalem gezogen. Sehen Sie in Jokls Romanvorlage Ihres Films etwas Therapeutisches?
Rosenmüller: Etwas Therapeutisches nicht, aber für die Zeit, in der sie den Roman schrieb, hatte er eine sehr wahre, klare Aussage. Sie sah in den Mitläufern das Böse. Es gibt ja so eine Tendenz, für die Nazizeit nur Hitler und die überzeugten Nazis verantwortlich zu machen. Aber das Buch zeigte schon damals, auch und gerade die Mitläufer machen sich schuldig, die, die mitmarschieren, weil es der leichtere Weg ist. Das ist eine gute Aussage. Wir habe uns den Markus als Hauptfigur ausgesucht, weil er keiner ist, der von sich aus eine Bande gründen würde. Unser Held Alexander ist eigentlich der, der alles schlimm macht. Er meint es zwar nicht wirklich böse, aber er löst durch seine Feigheit einen großen Schlamassel aus.
Sie zeigen in Ihrem Film auch sehr ungeschminkt die Brutalität, die unter Kindern herrschen kann. Wie haben Sie Ihre Schulzeit erlebt?
Rosenmüller: Nicht so brutal, aber ich hab schon gewusst, dass es bei uns Banden gab, in denen es recht hart zu gegangen ist. Von dem, was heute auf Schulhöfen passiert, ganz zu schweigen. Mir war es wichtig, nicht nett zu bleiben, sondern dass der Film wirklich zeigt, was du schlimmes bewirken kannst, wenn du immer lügst und es nicht schaffst, zu sagen: Freunde, ich war schuld, es tut mir leid. Entsprechend haben wir versucht, starke, metaphorische Bilder zu finden, bis zu der Nebelschlacht, in die die Kinder so euphorisch ziehen, wie im wahren Leben einige Jahre zuvor die Soldaten in den ersten Weltkrieg gezogen waren.
Außergewöhnlich ist auch die Szene, in der ein Lehrer, gespielt von Gustav Peter Wöhler, seinem Schüler Alexander beim Lügen ertappte und vor der Klasse züchtigt. Während er geschlagen wird, wandelt sich Alexanders Gesichtsausdruck vom Schmerz in ein eine fast buddhistische Entspannung…
Rosenmüller: Schön. Das freut mich, dass das aufgefallen ist. Jeder wollte die Szene raus haben, nur ich nicht. Mir war die wichtig.
Aber sie war nicht sadomasochistisch gemeint, oder?
Rosenmüller: Nein. Ich hatte einfach ein Bauchgefühl, dass mich zu meinem jungen Schauspieler sagen ließ: Markus, und jetzt lachst du mal. Jetzt bist du zufrieden, während er draufhaut. Ich will das überhaupt nicht als politische Aussage verstanden wissen, aber ich erinnere mich, dass ich als Kind manchmal eine Erleichterung verspürt habe, wenn ich was angestellt hatte und dann dafür die Watschen bekam. Das war dann ein Wink mit dem Zaunpfahl, die eigene Schande einzugestehen, die Lüge – und mit einem Mal war dann der Druck weg.
Haben Sie als Kind oft gelogen?
Rosenmüller: Wie man als Kind lügt, das ist doch der Hammer. Danach werde ich oft gefragt, jetzt fällt mir gerade eine Sache ein. Nach der Firmung geht man ja mit seinem Firmpaten auf einen Ausflug. Alle haben erzählt, was sie besonderes gemacht haben. Nur ich hatte nichts zu erzählen. Da habe ich gesagt, wir wären in München zum BMW-Haus am Olympiastadion gefahren, einfach, weil ich auch etwas gelten wollte.
Und, kam’s raus?
Rosenmüller. Nein, ich glaube nicht.
Haben Sie Ihr lokalpolitisches Engagement in der SPD vielleicht aufgegeben, weil man in der Politik ohne Lügen nicht weiterkommt?
Rosenmüller: Nein, ich bin immer noch engagiert in der SPD, aber ich bin nicht mehr im Gemeinderat von Hausham, weil ich meinen Lebensmittelpunkt jetzt in München hab.
Irgendwann braucht auch Ihr Genosse, Christian Ude, der Oberbürgermeister von München einen Nachfolger.
Rosenmüller: (Lacht) Das schaffe ich dann zeitlich wohl wirklich nicht mehr. Außerdem wäre mir München zu groß. Draußen im Land habe ich mich ausgekannt, da weiß ich, was die Probleme sind und hätte durchaus noch die Zeit gefunden. Aber in München fehlt sie mir einfach.
Da stellt sich nur noch im Sinne von „Die Perlmutterfarbe“ die Frage, ob Mitläufer durch die Parteiräson nicht eher belohnt werden, als jene, die sich zum Beispiel gegen Andrea Ypsilanti gestellt haben?
Rosenmüller: Das war für die Frau Ypsilanti eine wahnsinnige Blamage, weil außer Frau Metzger ihre Widerständler erst einen Tag vor der Abstimmung Stellung bezogen haben. Das war ein schlechter Zeitpunkt, aber um das weiter zu kommentieren, weiß ich zu wenig über die Hessen-SPD. Ich bin SPDler wegen den Grundsätzen. Und da geht es um die soziale Gerechtigkeit. Die darf nicht vergessen werden, auch wenn sich viele darüber mokieren. Letzten Endes kann man für diesen Grundsatz auch bei den Linken, der CDU oder anderen Organisationen eintreten, wo man sich halt heimischer fühlt. Bloß nix tun, aber viel reden, finde ich schwierig.