Steve Buscemi

Jede Nation sollte sich mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen.

Steve Buscemi über den Film "John Rabe", Heldentaten, Erwartungen an Obama und seine politische Einstellung

Steve Buscemi

© Majestic Film Verleih

Mr. Buscemi, hat Sie der Film „John Rabe“ auf eine besondere Weise berührt?
Steve Buscemi: Ja, weil ich vorher von dieser Geschichte absolut nichts wusste. Ich wusste nichts von John Rabe, Doktor Robert Wilson oder irgendeiner der beteiligten Personen. Ich habe durch den Film sehr viel gelernt.

Aber was hat Sie dazu gebracht, in einer deutsch-französisch-chinesischen Koproduktion zu einem Thema mitzuwirken, von dem Sie noch nie etwas gehört haben?
Buscemi: Natürlich habe ich mir angeschaut, was Regisseur Florian Gallenberger vorher gemacht hat. Ich war sehr beeindruckt von seinem Kurzfilm – aber auch vom Drehbuch zu „John Rabe“, er hat diese wirklich sehr komplexe Story großartig adaptiert. Und es war eine schöne Erfahrung in fremden Kulturen, nämlich in China an einem deutschen Film, mit vielen chinesischen, deutschen und französischen Kollegen, zu arbeiten.

Wie frei durften Sie Ihre Rolle des amerikanischen Chirurgen Robert Wilson interpretieren?
Buscemi: Die meiste Arbeit hatte Florian mit meiner Rolle, da er als Quelle nur John Rabes Tagebücher hatte und sie wie viele der anderen Rollen erfinden oder ausschmücken musste. Er konnte sich – genau wie auch wir Schauspieler – zwar in die Zeit einlesen, aber eben nur mit den Materialien, die uns zur Verfügung standen. Niemand kann sich in den wahren Horror dieser Zeit hineinversetzen.

Robert Wilson war jener Arzt, der in der von John Rabe errichteten Sicherheitszone chinesische Opfer der japanischen Besatzer behandelte…
Buscemi: Er war sehr gebildet, sprach Chinesisch und er entschied sich trotz der lebensbedrohlichen Situation zu bleiben. Zusätzlich hatte er – zumindest ist die Rolle so angelegt – auch eine dunkle Seite, war zynisch und sicherlich nicht immer auf der Sonnenseite des Lebens. Seine Figur macht im Laufe des Films eine interessante Wandlung durch, gerade im Verhältnis zu John Rabe, den er am Anfang überhaupt nicht akzeptiert, sich ihm aber annähert und ihn später respektiert.

Wie würden Sie in einer solchen Situation reagieren? Gehen oder bleiben?
Buscemi: Ich glaube keiner von uns könnte das vorhersagen, solange er nicht mit einer solchen Situation konfrontiert worden ist. Leute die behaupten, dass sie bleiben würden, würden davonlaufen, während andere bleiben würden, die sich das nicht zugetraut hätten. Da ist es schwierig, zu urteilen, was richtig oder falsch ist. Ich denke, niemand kann eine solche Frage beantworten, solange er nicht in eine solche „Leben-oder-Tod“-Situation gerät.

Was glauben Sie, was der Film in Japan bewirkt, wo gerade diese Kriegsverbrechen verschwiegen werden?
Buscemi: Ich kann nicht sagen, was er bewirken wird, aber ich denke jede Nation sollte sich mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen und sich vor Augen führen, was das Land getan hat. Viele Nationen haben das getan und viele müssen es noch tun. Gerade die USA müssen lernen mit ihrem eigenen Horror umzugehen. Es ist in jedem Fall für jedes Land gut, sich der eigenen Vergangenheit zu stellen und wenn nötig, sich zu entschuldigen. Nur so können Wunden heilen und die Länder vorankommen. Das macht Bücher und Filme wie diesen wichtig. Sie legen ein Fundament, auf dem irgendwann aufgebaut werden kann. Ich bin fest davon überzeugt, dass Kunst das Potential hat, Dinge zu verändern. Nicht mit sofortiger Wirkung, aber auf lange Sicht ist Kunst für unser Überleben notwendig.

Hat der Film „John Rabe“ insofern auch eine universelle Botschaft?
Buscemi: Das sollte eher der Regisseur beantworten. Ich persönlich fand sehr interessant, dass die auf der einen Seite tiefsten Abgründe menschlichen Handels auf der anderen Seite solch bemerkenswert menschliche Taten provozieren. Für viele der Menschen im Film endete ihr hoffnungsloses Leben tragisch mit dem Tod, aber die, die überlebten und sich aufopferten indem sie blieben, geben mir Hoffnung. Für mich ist das sehr inspirierend. Viele hätten fliehen oder aufgeben können – einige haben das auch getan. Aber es gab genauso Leute die unter großen Risiken gekämpft und einander geholfen haben.

Zitiert

Gerade die USA müssen lernen mit ihrem eigenen Horror umzugehen.

Steve Buscemi

Glauben Sie, dass Filme wie „Operation Walküre“ und „John Rabe“, die zeigen, dass Deutschland auch zu Zeiten des zweiten Weltkriegs nicht nur aus Nationalsozialisten bestand, das Image Deutschlands in der Welt verbessern?
Buscemi: Deutschland hat kein schlechtes Image in den USA. Alle Filme oder Bücher, die Licht in eine Story bringen, von der wir glaubten, alles zu kennen, sind gut und lehrreich. Ich habe zum Beispiel vor neun Jahren im Film „The Grey Zone“ mitgespielt, da ging es um eine jüdische Einheit, die von der SS eingesetzt wurde, und andere Juden in die Gaskammern geführt hat. Diese Einheit hat auch erfolgreich revoltiert und Gaskammern zerstört, dennoch wurden später alle ermordet. Aber allein der Fakt, dass sie Widerstand geleistet haben, ist wichtig.

Sind Sie politisch?
Buscemi: Ich denke, jeder ist politisch, sogar Nicht-Wähler sind politisch. Wissen Sie, ich bin Vater eines 18-jährigen, der also schon durch die ganze Bush-Regierungszeit musste… Klar bin ich da politisch aktiv. Nicht mehr so sehr wie bei der letzten Wahl für Kerry, aber ich bemühe mich. Dass es Obama nun geschafft hat ist sehr aufregend. Als die Leute zum ersten Mal seinen Namen hörten, dachte jeder: Das ist unmöglich. Gerade wegen seines zweiten Vornamens.

Was erwarten Sie sich von ihm?
Buscemi: Es fühlt sich großartig an, wie eine Befreiung, dass die alte Regierung draußen ist. Wir müssen denen, die vieles kaputt gemacht haben, jetzt nicht mehr zuhören. Auf Obama warten riesige Herausforderungen, aber ich denke er ist dafür gewappnet. Und: Er inspiriert Menschen – und zwar nicht nur in den USA, sondern überall auf der Welt. „Hoffnung“ scheint mehr als ein bloßer Slogan zu sein.
Ich persönlich mag, dass er zu seinen Fehlern steht und sie Nennt. Hoffentlich entwickelt sich mein Land unter ihm wieder zum Positiven, was zu allererst – wie Obama richtig sagt – von uns selbst abhängt. Er wird uns nicht allein retten, er braucht dafür Hilfe. Immerhin ist er jemand, der erkennt, dass die Entscheidungen der Vergangenheit nicht im Sinne des Landes  gewesen sind.

Welche Chancen erwachsen für den Film in Zeiten der Finanzkrise?
Buscemi: Vielleicht erfindet er sich ja neu… Nein! Am Beispiel Sally Potters Film „Rage“ sieht man Entwicklungen. Sie hat ihren Film nicht gedreht, wie man das für gewöhnlich macht, mit der üblichen Menge Geld, mit der üblichen Art ein Buch zu schreiben. Sondern das ist ein inspirierendes Beispiel für einen wirklichen Low-Budget-Film, der sich auf die Stärken der Schauspielerei und des Schreibens verlässt. Innovative Filmemacher werden immer Mittel und Wege finden, um ihre Filme zu verwirklichen. Sicher, das Klima ist hart, wir bewegen uns in einer Zeit des Umbruchs, wo sich Dinge verschieben… Aber ich denke, es wird etwas Gutes dabei herauskommen.

In Ihrer Filmografie finden sich mitunter auch Blockbuster wie „Armageddon“ oder „Con Air“. Was reizt Sie an solchen Filmen? Das Geld?
Buscemi: In erster Linie muss ich Spaß daran haben. Und Filme wie „Con Air“ und „Armageddon“, die beiden einen tollen Cast hatten, machen mir Spaß. Und ja, solche Filme sind gut bezahlt, was einem aber wiederum auch andere Türen öffnet.

Zum Schluss: In einer Szene von „John Rabe“ singen Sie an der Seite von Ulrich Tukur, völlig losgelöst. Wie gut müssen sich die Darsteller für eine solche Szene kennen?
Buscemi: Bevor der Dreh anfing, haben wir sehr viel in Shanghai geprobt und uns dabei besser kennen gelernt. Die Szene wirkt wohl von daher vertraut, weil Uli immer anfing zu spielen wenn irgendwo ein Klavier stand und wir dann gemeinsam gesungen haben. Das ist ein Riesenspaß mit ihm, wer weiß, vielleicht gehen wir ja mal gemeinsam auf Tour.

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