Spielen Sie eigentlich Schach, Herr Ebert?
Ebert: Nee, warum?
Nun ja, ich habe mich gefragt, wie ein Naturwissenschaftler wie Sie sein Gehirn trainiert.
Ebert: Indem ich einfach versuche zu denken (lacht). Ich bin kein Sudoku-Spieler, dafür aber ein absoluter Lese-Junkie. Ich kann ein 200 Seiten-Buch in zweieinhalb Stunden durchlesen, wenn es gut geschrieben ist. Ich habe immer Bücher dabei und sauge Informationen auf, währenddessen mache ich mir sofort Notizen und Querverweise. Das ist mein Gehirn-Jogging.
Sie sagen, Sie denken einfach. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, tun es die Deutschen aus Ihrer Sicht insgesamt aber zu wenig.
Ebert: Gar nicht unbedingt zu wenig, sondern vor allem falsch.
Aha. Wir begehen also einen Denkfehler nach dem anderen.
Ebert: So ungefähr. Jeder behauptet zwar, dass er denkt, und da ist ja auch was dran. Aber ein Astrologe macht sich mindestens genauso viele Gedanken wie ein Astronom. Nur das eine ist halt Blödsinn und das andere ist eine Wissenschaft. Es geht darum, den Leuten eine Methode an die Hand zu geben, mit der man tiefe Wahrheiten von tiefem Blödsinn unterscheiden kann, und das ist eben die Methode der Wissenschaft. Ich erkläre es immer mit dem Kühlschrank-Prinzip. Wenn ich vermute, im Kühlschrank könnte Bier sein und ich gucke nach, ist es eine Vorform von Wissenschaft. Wenn ich nur sage, im Kühlschrank ist Bier, bin ich Theologe – weil in der Theologie Vermutungen schließlich nicht überprüft werden. Wenn ich hingegen sage, im Kühlschrank ist Bier, nachgucke, kein Bier finde und trotzdem behaupte, es ist Bier im Kühlschrank, dann bin ich Esoteriker. Dieses Beispiel erklärt, worum es in 2500 Jahren Wissenschaftsgeschichte geht und wie die unterschiedlichen Denkmethoden funktionieren.
Und wir sind also alle miteinander zu wenig Wissenschaftler, weil wir zu oft glauben, anstatt zu überprüfen?
Ebert: Genau. Nicht-Denken heißt einfach zu glauben, was andere sagen. Viele Leute haben zu aktuellen Themen – zum Beispiel in Hinblick auf Gentechnologie – eine Meinung, sehr oft eine negative. Wenn man dann aber mal nachfragt, kriegt man oft mit, dass die Leute keinen blassen Schimmer haben, worum es bei dieser Technologie eigentlich geht. Gleiches gilt für das Thema Atomausstieg und andere klassische Reizthemen. Da sage ich eben: Naja, nur weil ständig in der Zeitung steht, dass irgendetwas schlimm ist, heißt es noch lange nicht, dass es so ist. Wenn man sich ein Urteil bilden will, muss man einfach ein bisschen genauer recherchieren.
Wir verlassen uns zu oft auf andere, die das Denken für uns übernehmen, zum Beispiel auf die Medien?
Ebert: Ja, aber es ist natürlich auch bequem. Es ist einfacher, irgendetwas zu glauben, als der Wahrheit auf den Grund zu gehen. Das Schlimme in der Wissenschaft ist ja, dass es keine absolute Wahrheit gibt, dass man immer nur ein vorläufiges Wissen produziert. Wenn Sie morgen ein Experiment aufbauen, das die Relativitätstheorie widerlegt, kann Einstein einpacken. Dann ist Einstein zwar nicht falsch, grob verbesserungsbedürftig aber in jedem Fall. Das ist eine unangenehme Eigenschaft der Wissenschaft. Man irrt sich quasi empor, aber man weiß nie, wann man an der Wahrheit angelangt ist. Man muss permanent mit der Unsicherheit leben, dass irgend so ein blöder Wissenschaftler kommt und einem seine Theorie irgendwann mal wieder widerlegt. Aber es ist letztendlich die einzige Methode, um der Wahrheit auf den Grund zu gehen.
Sind wir durch die Möglichkeit der schnellen Informationsbeschaffung im Internet noch bequemer geworden? Hält uns der schnelle Klick im Netz vom Denken ab?
Ebert: Es ist eine sehr paradoxe Geschichte. Früher, vor 200 Jahren, waren die Menschen extrem leichtgläubig, weil sie praktisch keine Informationen hatten. Sie mussten in der Regel das glauben, was ihnen irgendwelche Pfarrer gesagt haben – die Kirche war damals ja sehr dominant. Heute wissen die Leute ebenfalls ziemlich wenig. Aber nicht weil es zu wenig, sondern weil es jetzt vielleicht zu viele Informationen gibt. Kaum jemand macht sich die Mühe, diese ganzen Informationen nach Prioritäten zu ordnen. Ich merke es immer wieder, wenn ich mich für ein Thema interessiere, über das ich irgendetwas machen will, und jedes Mal extrem lange recherchieren muss, bis ich wirklich valides Material gefunden habe. Wenn ich bei Google irgendwas eingebe, habe ich schnell 50.000 Treffer. Aber um an die wirklich relevanten Informationen zu kommen, muss ich lange suchen. Das führt dazu, dass das Informationszeitalter fast zu einer Desinformations-Kampagne verkommt. Passend dazu gibt es ja auch diesen schönen Satz: Wir hungern nach Wissen, aber ertrinken in Informationen.
Hat Kants Satz „Habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“ an Bedeutung verloren?
Ebert: Es war schon immer aufwändig, und heute ist es natürlich in einer anderen Weise aufwändig als früher. Ich habe in meinem Job den großen Luxus, dass ich mich genau mit diesen Dingen beschäftigen kann. Wenn ich jetzt einen Acht- oder Zehn-Stunden-Job hätte, nur dazu kommen würde, abends die Tagesschau zu sehen und zwei Mal in der Woche die Tageszeitung zu lesen, würde ich auch vieles glauben, was bei näherem Hinsehen gar nicht so sicher ist.
Ihr Programm heißt „Denken lohnt sich“. Lohnt sich denken immer?
Ebert: Nun ja, die Gehirnforschung hat herausgefunden, dass es ein paar Dinge gibt, wo das Gehirn auf Energiesparmodus geht – zum Beispiel beim Sex. Die Forscher haben ein Pärchen in einem Computertomographen miteinander Sex haben lassen und dabei gesehen, wie die Gehirnaktivität während des Orgasmus deutlich runter gefahren wurde. Das finde ich ein sehr charmantes Ergebnis. Dass bei einem Vorgang, wo eigentlich intelligentes Leben gezeugt werden soll, das Gehirn auf Energiesparmodus fährt.
Wie ist das, wenn Sie auf der Bühne stehen? Denken Sie da überhaupt oder spulen Sie nur ein Programm ab?
Ebert: Das ist so ein bisschen wie Zen-Buddhismus. Wenn ein Programm sitzt, ist es irgendwann ein automatisierter Vorgang.
Wann sitzt ein Programm denn?
Ebert: Ich brauche da erfahrungsgemäß 40 Vorstellungen.
Sind ja gar nicht so wenige.
Ebert: Ja, aber dadurch, dass ich viel spiele, ist das in zwei, drei Monaten erledigt.
Wie viele Auftritte haben Sie insgesamt pro Jahr?
Ebert: Weit über 200.
Gut, und nach 40 Auftritten läuft dann also alles automatisiert ab?
Ebert: Wenn man gut Tennis spielen kann, überlegt man schließlich auch nicht, wie man die Vorhand oder die Rückhand schlägt. Das liegt einfach daran, dass der Bewegungsvorgang am Anfang in der Großhirnrinde, wo der Verstand sitzt, stattfindet. Man macht sich zunächst bewusst, wie dieser Vorgang wirklich geht. Irgendwann, wenn die Bewegung automatisiert ist, ist es ein unterbewusster Vorgang. Für mich ist das ab diesem Zeitpunkt sehr entspannend.
Wer hat Ihnen beigebracht, wie man richtig denkt?
Ebert: Dieses Nachfragen, dieses Sicht-Nicht-Zufrieden-Geben ist bei mir im Studium schon sehr gefördert worden. Wenn man ein naturwissenschaftliches Studium betreibt, vor allem, wenn man zum ersten Mal im Labor sitzt, ein Experiment aufbauen und anschließend seine eigenen Ergebnisse präsentieren muss…
…Sie haben Physik studiert und ihr Diplom mit 1,7 bestanden…
Ebert: …kriegt man relativ schnell ein Gefühl dafür, wie viel man eigentlich falsch machen kann und wie oft man Selbsttäuschungen erliegt. Wie wichtig es ist, skeptisch zu sein und auch den eigenen Erfahrungen zu misstrauen. Das war eine gute Schule. Nicht zuletzt, weil auch von den Kollegen immer wieder kritische Nachfragen kamen. Aber ich versuche eben dieses skeptische Nachfragen nicht nur bei spektroskopischen Untersuchungen irgendwelcher Kristalle durchzuführen, sondern auch im normalen Leben.
Ich habe den Eindruck, dass das Informationszeitalter fast zu einer Desinformations-Kampagne verkommt.
Inwiefern denken Naturwissenschaftler anders als andere Menschen?
Ebert: Es ist oft ein großes Dilemma, wenn man sich mit Leuten unterhält, die keinen naturwissenschaftlichen Hintergrund haben. Irgendwann kommt immer der Satz: „Das sagt mir mein Bauchgefühl“, oder „meine Intuition“. Bauchgefühl und Intuition sind extrem gut, wenn man schnell irgendetwas einschätzen muss – zum Beispiel ob mir jemand sympathisch ist oder ob eine Situation gefährlich ist. Aber Intuition ist der denkbar schlechteste Ratgeber, um herauszufinden wie irgendetwas funktioniert. Auch im Umgang mit Zahlen. Bestes Beispiel: Der Lottospieler denkt sich: „Chance auf den Hauptgewinn: eins zu 14 Millionen – es könnte mich treffen.“ Der Raucher denkt „Lungenkrebs: eins zu 1000 – warum sollte es ausgerechnet mich treffen?“
Es kann also sein, dass man Schiffbruch erleidet, wenn man sich nicht die Mühe macht, sich mit Zahlen auseinanderzusetzen.
Ebert: Ja, es besteht die Gefahr, dass Intuition einem etwas vollkommen anderes vorgaukelt als es sich in der Realität darstellt. Und da kommt auch dieser gesellschaftspolitische Aspekt, den ich mir auf die Fahne schreibe, raus. Politiker pumpen teilweise reflexartig Geld in irgendwelche Dinge, wo der normale Mensch aus dem Bauch raus sagt: „Ja, das ist ganz schlimm, das muss so gemacht werden“. Meistens sind das aber die geringsten Probleme. Und die wirklich großen Dinge werden nicht angegangen, weil sie einfach nicht so spektakulär sind.
Hat es Sie erleichtert, als Michael Glos kürzlich als Wirtschaftsminister das Handtuch geworfen hat? Von Ihnen stammt der Satz: „Ein Müllermeister als Wirtschaftsminister ist wie Edmund Stoiber als Logopäde.“
Ebert: Naja, er war ja immer so angenehm im Hintergrund. Letztendlich kann ich nicht sagen, wie gut oder wie schlecht er wirklich war. Aber mal ehrlich: Die Leute beschweren sich über die Politiker, dass die so schlecht sind, aber wählen gleichzeitig Leute ins Amt, die in einem normalen Unternehmen gerade mal die Post sortieren dürften. Das mag bei bestimmten Ämtern noch okay sein. Aber gerade wenn es um so etwas wie Wirtschafts- oder Finanzpolitik geht, wo man ein fundiertes Wissen braucht, kann man noch so gute Berater haben – wenn man einfach nicht kapiert, was eine Bilanz ist, nützt der beste Berater nichts.
Nun hat sich den neuen Wirtschaftsminister kein Wähler ausgesucht, sondern der bayerische Ministerpräsident.
Ebert: Eigentlich reden wir hier von einer Scheindemokratie. Selbst wenn wir Leute abwählen, kommen sie über den Bundesrat oder sonst irgendwie ja doch wieder dran. Die Big 10 des Politikgeschäfts wurschteln ja immer irgendwo mit. Man kann nicht wirklich jemanden abwählen. Das haben die Alliierten damals nach dem Krieg schon clever gemacht, indem sie das Verhältniswahlrecht und das komplizierte Gefüge mit Bundesrat und Bundestag, die sich gegenseitig blockieren können, entwickelt haben. Zu dem Zweck, dass es nicht mehr möglich ist, dass so jemand wie Hitler an die Macht kommt. Heute hat es diesen riesen Nachteil, dass sich, wie in keiner anderen Industrienation sonst, die Politiker gegenseitig blockieren können.
Jedenfalls werden wir derzeit von einer Physikerin regiert. Das müsste Ihnen doch eigentlich gefallen.
Ebert: Naja, wenn ich höre, was Frau Merkel zum Thema Klimapolitik sagt, komme ich da doch ins Zweifeln. Und, man kann es kaum glauben: Auch Lafontaine ist Physiker. In der Politik gelten einfach andere Gesetze.
Mehr Politiker mit naturwissenschaftlichem Hintergrund würden uns also gar nicht unbedingt weiterhelfen?
Ebert: Doch, ich glaube schon. Es muss ja nicht unbedingt jemand sein, der ein naturwissenschaftliches Studium gemacht hat. Ich erlebe in der Politik – genauso wie in der Bevölkerung – oft eine regelrechte Naturwissenschaftsfeindlichkeit. Auf der einen Seite benutzt man Handys, legt sich in den Computertomographen, wenn man krank ist, schluckt Aspirin und Antibiotika, aber versucht gleichzeitig alles zu blockieren, das irgendwie nach Fortschritt riecht, weil es irgendwelche Risiken gibt, die eventuell auftreten könnten. Das heißt, die großen Diskussionen über Forschung – zum Beispiel über die Stammzellenforschung oder die Energiepolitik – werden im Wesentlichen ideologisch geführt, nicht pragmatisch.
Neulich stand in einer Umfrage, dass 53 Prozent der Bevölkerung Gentechnik ablehnen, selbst wenn sie nur Vorteile bringen würde.
Ebert: Das zeigt, dass es eine ideologische Geschichte ist. Ich lehne irgendetwas per se ab, egal was als Ergebnis rauskommt. Ich finde, das können wir uns nicht leisten. Gerade wenn wir uns auf die Fahne schreiben, eine Industrienation zu sein und für Fortschritt zu stehen. Mit ein paar Windrädchen und ein paar Solaranlagen werden wir keine 80 Millionen Leute mit Energie versorgen können. Aber das will man nicht hören. Man will nicht hören, dass alle Berechnungen zu regenerativen Energien absurd sind.
Wie würde es Politik verändern, wenn man sich mehr diesem von Ihnen propagierten wissenschaftlichen Denken annehmen würde?
Ebert: Es wäre sicherlich eine unpopuläre Politik, ganz klar. Letztendlich wäre es aber effektiver. Wenn man sich die Leute anguckt, die in den unterschiedlichsten Bereichen etwas zum Besseren bewirkt haben, waren sie zu der Zeit, in der sie an der Macht waren, sehr oft unpopulär. Margaret Thatcher in England hat letztendlich die englische Wirtschaft wieder aufgepäppelt, war aber während ihrer Zeit fürchterlich unbeliebt, weil sie die Gewerkschaften beschnitten hat und sehr industriefreundlich war. Oder auch Ferdinand Piëch, der Chef von VW. Letztendlich war der Mann dafür verantwortlich, dass VW ein Weltunternehmen wurde. Als der den Laden übernommen hat, war das eine Klitsche wie General Motors. Die waren am Ende. Aber Piëch war ein kantiger Typ, der sehr unpopuläre Entscheidungen getroffen hat. Trotzdem hat er etwas bewirkt. Ich glaube, Frau Merkel ist deswegen so beliebt, weil sie dem Volk nach dem Mund spricht. Ob uns das langfristig weiterhilft, sei aber mal dahin gestellt.
Worin erkennt man denn am Politikstil der Kanzlerin die Physikerin wieder?
Ebert: Das frage ich mich auch. Sie hat ja, als sie noch nicht an der Macht war, zu den ganzen Technologien sehr klare Vorstellungen gehabt. Aber ich will mich auch nicht aus dem Fenster lehnen, und nur über die Politiker schimpfen. Wenn sie alle vier Jahre um Wählerstimmen kämpfen müssen, ändern sich ganz schnell die Prioritäten. Das sind die negativen Eigenschaften der Demokratie. Man kann sich unpopuläre Ansichten leisten, wenn man 80 oder 90 Jahre alt Ex-Bundeskanzler ist. Das ist ja das Schöne an alten weisen Menschen. Die haben nichts mehr zu verlieren und können es sich leisten, auch mal unpopulär zu sein. Und absurderweise ist ja ein Helmut Schmidt extrem beliebt. Obwohl er – oder vielleicht gerade weil er – unpopuläre Dinge ausspricht.
Als Kabarettist haben Sie diese Möglichkeit auch.
Ebert: Und ich finde es toll, dass ich jeden Abend 500 Leute erreiche und denen meine Gedanken erzählen kann. Was mich am meisten freut ist, dass ich eine so große Bandbreite an Leuten abdecke. Zu mir kommt die Aldi-Verkäuferin, die lacht sich über die Witze tot. Aber auch der Physik-Professor, der genau checkt: Der Typ macht Werbung für mein Fach. Ich will zum einen den wissenschaftlichen Laien sagen: Beschäftigt euch damit, es ist ein spannendes Thema. Zum anderen sage ich aber auch zu den Wissenschaftskollegen: Hört zu, wenn ihr in der Bevölkerung akzeptiert werden wollt, müsst ihr auch rausgehen und euch erklären. Wenn ich sehe, wer in den Talkshows sitzt, in denen es um Gentechnik und den Atomausstieg geht, bin ich wenig begeistert. Da sitzen irgendwelche Theologen, irgendwelche Schriftsteller und irgendwelche Theaterleute und diskutieren über Sachen, von denen sie keine Ahnung haben.
Was möglicherweise daran liegt, dass Naturwissenschaftler in Deutschland keinen Promi-Status haben und auf Grund dessen nicht in solche Sendungen eingeladen werden. Kaum einer kennt den Namen des letzten Physik-Nobelpreisträgers.
Ebert: Ich habe mich mal sehr lange mit einem bekannten Hirnfoscher unterhalten, der sagte mir, es sei in der Wissenschaftsszene in Deutschland fast schon ein Makel, wenn man populärwissenschaftliche Bücher schreibt. Da ist man fast ein Nestbeschmutzer. In Amerika oder in England ist es hingegen Grundvoraussetzung. Wenn man einen bestimmten Status hat, sollte man dort mindestens ein populärwissenschaftliches Buch schreiben. Das heißt, die Vermittlung von Wissenschaft ist da eine ganz andere. Ich würde mir von den Wissenschaftskollegen wünschen, dass sie auch mal rausgehen und in einer Talkshow einfach mal ein paar Sachen richtigstellen. Das wird immer noch zu wenig gemacht. Und ich glaube, es liegt nicht daran, dass es die Talkshows nicht wollen, sondern dass sich die Wissenschaft oft ein bisschen abkoppelt. Ein Wissenschaftler müsste mal den Mut haben und zu einem Bischof sagen: „Eure Heiligkeit, jetzt halten Sie mal die Klappe, was Sie da erzählen, ist totaler Schwachsinn.“ Ich glaube im Gegenteil: Wenn jemand so etwas mache würde, hätte er einen hohen Glamour-Faktor.
Es heißt, Physik sei „sehr schwierig“, „trocken“ und „nichts für Frauen“. Welchen Einfluss hat dieses Vorurteil auf ihr Publikum?
Ebert: Ich mache natürlich keine Physik fürs Vordiplom. Ich versuche den Menschen den Grundgedanken von Wissenschaft einfach immer wieder zu erklären. Wenn man sich überlegt, dass zum Beispiel Themen wie Quantenmechanik, die Relativitätstheorie oder Kosmologie – eigentlich sehr, sehr komplexe wissenschaftliche Theorien, die ein immenses mathematisches und physikalische Kenntnisse voraussetzen – im Grunde philosophische Grundfragen behandeln. In der Kosmologie geht’s darum: Gibt es einen Anfang, gibt es ein Ende? In der Quantenmechanik geht es um die Frage, ob unsere Welt von Zufällen geprägt oder ob sie vorausbestimmt ist. In der Relativitätstheorie geht es darum, was ist Zeit, was ist Raum. Es sind Themen, mit denen sich eigentlich Philosophen beschäftigen, mit denen sich aber auch der kleine Mann beschäftigt. Was passiert nach dem Tod? Was war vor dem Urknall? Das sind klassische Kinderfragen. Ich versuche den Leuten zu vermitteln, dass die Grundfragen in der Wissenschaft eigentlich sehr naive, sehr einfache, sehr klare Fragen sind. Und das man dann natürlich mit der Methode der Wissenschaft, mit sehr viel Mathematik, mit sehr viel Physik, versucht da ranzukommen. Es macht den Leuten Spaß, zu sehen, dass sich ein Einstein genau dieselbe Frage gestellt hat, die sich der vierjährige Sohn auch gerade stellt.
Es gibt im Moment ja auch einen Boom an Wissenschaftssendungen im Fernsehen.
Ebert: Das Schöne ist ja, dass die Leute durchaus begierig sind, etwas zu lernen, etwas zu wissen. Die Leute interessiert es schon, herauszufinden, wie etwas funktioniert, aber sie haben halt keinen Bock, das mit Formeln oder irgendwelchen Differenzialgleichungen zu tun, weil es sehr abstrakt ist.
Also sind Sie als Kabarettist im Grunde der bessere Lehrer?
Ebert: Meine Aufgabe ist es, den Leuten so ein bisschen zu zeigen, dass die Naturwissenschaft spannende Fragen behandelt. Ich glaube, was in der Schule immer noch grundsätzlich falsch läuft, ist, dass man den Kindern erstmal eine abstrakte Formel vorlegt und dann erwartet, dass sie sich für Physik interessieren. Es muss eigentlich genau umgekehrt sein. Die Kinder müssen einen Regenbogen sehen und dann fragen: „Wow, wie funktioniert der?“ Und dann kann irgendwann mal eine Formel kommen. Erst muss die Begeisterung da sein, dann ist auch die Bereitschaft da, sich reinzuhängen und das verstehen zu wollen.
Ist es Ihr Ziel, dass Ihr Publikum aus einer Vorstellung geht und etwas gelernt hat? Haben Sie sich selbst einen Bildungsauftrag gegeben?
Ebert: Ja, ich glaube schon. Die Leute sagen mir oft, ich hätte einen vollkommen anderen Aspekt aufgezeigt, ich hätte sie wirklich stutzig gemacht. Wo ich merke, dass viele anfangen, die normale Umwelt ein wenig zu hinterfragen. Wenn ich das erreiche, ist das super.
Wieso haben Sie sich gegen eine wissenschaftliche Laufbahn entschieden?
Ebert: Ich glaube, ich wäre ein schlechter Wissenschaftler geworden. Während meiner Diplomarbeit habe ich bei Laserlicht im Labor gesessen und nächtelang durchgemessen, in einem Bereich, der sehr spezifisch war. Ich habe das Studium gemacht, weil ich die großen Zusammenhänge kapieren wollte. Wenn man Forschung betreibt, muss man extrem detailversessen sein und sehr viel Geduld haben. Wissenschaftliche Forschung ist sehr mühevoll und Kleinkleinarbeit. Da war ich nicht der Typ dazu. Deshalb wusste ich sehr schnell, dass ich in der Wissenschaft nicht glücklich werden würde.
Hätten Sie auch ohne Physik-Diplom auf der Bühne landen können oder war das die Voraussetzung dafür?
Ebert: Ich bin durch viele Zufälle auf die Bühne gekommen, es war nie mein Plan. Vielleicht wäre ich auch auf die Bühne gekommen, wenn ich Kunstgeschichte studiert oder eine Schreinerlehre gemacht hätte. Ich bin jetzt einfach froh, dass es so ist. Ich hab ja die ersten fünf Jahre auf der Bühne überhaupt nichts mit Physik gemacht, ich habe sehr viel mit Figuren ausprobiert. Nach fünf, sechs Jahren kam dann mal die Idee, Kabarett oder Comedy über das zu machen, was ich eigentlich kann. Das Schöne ist, dass sich an dieser Stelle der Kreis wieder schließt. Dass ich mit dem, was ich gelernt habe, – was in dieser Szene letztendlich auch ein Alleinstellungsmerkmal ist – Erfolg habe, und das mache, was mir am meisten Spaß macht. Das eine ist Quatsch machen und das andere ist, sich für naturwissenschaftliche Phänomene zu interessieren. Ich bin sehr glücklich darüber, dass ich diese zwei großen Leidenschaften zusammenbringen kann.
Fühlen Sie sich in Ihrer Sparte als Wissenschaftskabarettist wohl?
Ebert: Ich stehe ja wirklich zwischen allen Stühlen. Für die Comedians mache ich zu intelligente Sachen und den Polit-Kabarettisten bin ich irgendwie zu liberal. Der typische Polit-Kabarettist ist ja eher links. Ich finde es auch immer sehr lustig, dass berühmte Kollegen sehr, sehr viel Geld damit verdienen, indem sie den Leuten auf der Bühne sagen, dass die Schere zwischen arm und reich immer weiter auseinander geht. Ich sag immer: Ich mache Erwachsenenbildung. Und wenn sich davon jemand eine Scheibe abschneiden will, kann er das gerne tun.
Was genau belustigt Sie an den linken Polit-Kabarettisten?
Ebert: Naja, bei manch einem Hardcore-Kabarettisten, die eine urlinke Einstellung mitbringen, kommt mir das alles manchmal ein wenig unglaubwürdig vor.
Warum das denn?
Ebert: Wer geht denn ins Kabarett? Das sind meistens Leute aus dem Bildungsbürgertum, die eh genug Kohle haben. Gleichzeitig lassen sich die Leute aber oft beschimpfen, dass sie gierig sind und die Wirtschaft kaputt machen. Nach dem Motto: Ihr da oben, wir da unten.
Deshalb sind doch aber nicht die Kabarettisten unglaubwürdig, sondern eher das Publikum, oder?
Ebert: Ja, ich verstehe nicht, dass sich manche Leute das anhören und dann auch noch klatschen. Aber das ist in dieser ganzen Öko-Szene ja noch viel extremer. Als Chemieunternehmer ist es ja mittlerweile schick, Leute von Greenpeace einzuladen, die dann Vorträge zu halten, in denen sich die Unternehmer als Drecksäue beschimpfen lassen. Wo ich mir auch denke: Was soll das?