Herr Abraham, was hat sich im Boxsport verändert, seit den Tagen von Max Schmeling?
Abraham: Das Boxen ist viel technischer geworden. Das kann man gut mit Fußball vergleichen, damals wurde auch ganz anders Fußball gespielt.
Heute achten wir mehr auf Verteidigung, früher haben die mit dünnen, kleinen Handschuhen geboxt, es gab 15 Runden, heute sind es 12. Also, da gibt es viele Unterschiede. Ich denke, es ist vieles besser und moderner geworden, die Boxtechnik hat sich auch sehr verbessert.
Früher gab es einen Boxverband, heute sind es vier, was bedeutet, dass man als Weltmeister nicht mehr alleiniger Weltmeister ist.
Abraham: Ja, aber damals mussten die anderen auch sehr lange warten, bis sie gegen den Weltmeister boxen durften. Das ist nicht gut, wenn die ganze Welt von einem abhängig ist. Ich meine, wie viele starke Männer gibt es auf dieser Welt?
Heute gibt es drei, vier verschiedene Weltmeister und wenn die möchten, dann boxen die auch miteinander – und der Sieger ist dann der Superchampion.
Die Auswahl für die Boxer ist heute größer als früher. Wenn es nur einen Weltmeister gäbe, wie lange müsste ein Herausforderer dann warten bis er gegen ihn boxen kann? Der Weltmeister kann ja nicht jede Woche boxen, sondern er kann nur ein mal in vier Monaten boxen.
Vielleicht eine dumme Frage, aber warum eigentlich nur ein Kampf in vier Monaten?
Abraham: Weil man sich dafür drei Monate vorbereiten muss. Man kann nicht in einem Monat in Top-Form sein. Man braucht eine Konditionsphase, eine technische Phase, eine Sparringsphase und dann kommt der Boxkampf. Man kann das nicht alles in zehn Tagen machen, der Körper macht das nicht mit, nach zehn Tagen sind Sie noch nicht in Form.
Angefangen zu boxen haben Sie in Ihrer Heimat Armenien. Haben Sie damals häufiger geboxt?
Abraham: Ja, als Amateur boxt man natürlich viel öfter, ich habe dort in 5-6 Jahren 90 Kämpfe gehabt. Aber als Profi kann man das nicht, das ist etwas ganz Anderes.
Aber in Ihrer ersten Zeit als Profi…
Abraham: …habe ich 13 Kämpfe gemacht, ja, das war 2003, das war Rekord. 2004 habe ich dann sieben Kämpfe gemacht
Wie haben Sie das geschafft?
Abraham: Die Gegner waren noch nicht so weit wie jetzt, die waren noch nicht Weltklasse sondern mittelmäßige Boxer. Gegen solche Boxer kann ich jeden Tag boxen.
Verglichen mit der Zeit von Max Schmeling ist heute viel mehr Geld im Spiel.
Abraham: Natürlich, viel mehr.
Verändert das Geld den Boxsport?
Abraham: Manche Boxer verändert es, manche nicht. Das ist von der Person abhängig. Manche leben fürs Geld, manche für den Sport.
Anders gefragt: Geht es im Boxen ums Geld oder Sportgeist?
Abraham: Für mich persönlich geht es in erster Linie ums Boxen.
Wenn man es noch nicht hat, strebt man nach Geld. Aber wenn man es hat, dann achtet man nicht mehr darauf. Man will Erfolg haben, wenn 15.000 Menschen in die Halle kommen. Die wollen mit dir mitfiebern und sehen, dass du gewinnst, da spielt Geld keine Rolle. Du hast im Ring nur deine Boxhandschuhe, eine kurze Hose und deine Boxstiefel an, mehr nicht. Da musst du zeigen, dass du ein Sportler bist. Dein Geld nützt dir da nichts. Geld beruhigt, es ist eine schöne Sache, wenn man es hat. Aber für mich persönlich ist Geld nicht alles.
Sie denken im Ring nicht an Geld?
Abraham: Nein, überhaupt nicht. Wenn ein Sportler so eine Einstellung hat, dann hat er schon von vornherein verloren.
Und ist Geld beruhigend bei einer Niederlage, wie Sie sie im März dieses Jahres gegen Andre Dirrell erlitten haben?
Abraham: Nein. Die Disqualifikation war hart für mich, Geld ist nichts dagegen. Es ist ein Schmerz.
Wie lange haben Sie gebraucht, um diesen Schmerz zu überwinden?
Abraham: Der Schmerz ist immer noch da. Das läuft mit.
Aber hat man so eine Niederlage nicht irgendwann verarbeitet?
Abraham: Ich nicht.
Lieber Sterben als auf die Knie gehen.
Warum?
Abraham: Ich mag einfach keine Niederlagen, das ist meine Einstellung, das ist mein Stolz. Ich lebe für den Sport, für den Erfolg.
Ist das vielleicht auch etwas typisch Armenisches?
Abraham: Nein, jeder gute Sportler hat Stolz. Das hat mit Nationalität nichts zu tun. Aber ich habe durch meine Mentalität vielleicht ein bisschen mehr davon, das ist auch ok für mich. Ich sage: Lieber Sterben als auf die Knie gehen. So bin ich, ich kämpfe bis zum geht nicht mehr.
Am Ende der Karriere Max Schmelings stand eine Niederlage. Was denken Sie über Ihr Karriere-Ende?
Abraham: Ich möchte meine Karriere nicht mit einer Niederlage beenden. Ich möchte als Gewinner zurücktreten, wie es Sven Ottke gemacht hat. Das ist mein Traum.
Wer legt fest, wer gegen wen einen Titel verteidigt?
Abraham: Dafür gibt es Verbände, Manager, Matchmaker, Promoter. Das ist ein Riesengeschäft und alle verhandeln miteinander.
Und Sie?
Abraham: Ich muss natürlich auch mein Ja-Wort geben. Wenn ich boxen möchte, dann kämpfen die Promoter darum, dass dieser Kampf zustande kommt.
Henry Maske wurde hin und wieder dafür kritisiert, dass er gegen manche Boxer nicht angetreten ist. Können Sie diese Kritik nachvollziehen?
Abraham: Natürlich. Er war erfahren, er wusste, welchen Kampf er macht und welchen nicht. Wenn es eine Gefahr gab, hat er es nicht gemacht. Damals war Roy Jones ein Top-Favorit, den konnte damals keiner schlagen. Maske musste nicht antreten. Er war Weltmeister in seinem Verband, das hat gereicht.
Da ist dann die Devise: Lieber kein Risiko?
Abraham: Natürlich. Ich persönliche mag mehr Risiko, deshalb bin ich nach Amerika gegangen. Ein bisschen mehr Risiko muss schon sein.
Werden Sie es nach der Niederlage gegen Dirrell noch einmal in den USA versuchen?
Abraham: Natürlich. In diesem Jahr kämpfe ich noch in Europa und nächstes Jahr in Amerika.
Das meiste Geld wird beim Boxen heute mit dem Fernsehen verdient. Aber warum werden Boxkämpfe immer erst sehr spät gezeigt?
Abraham: Das kann ich nicht sagen, vielleicht, weil die Leute es so gewohnt sind? Ich weiß es nicht.
Wetten Sie auf Kämpfe von Kollegen?
Abraham: Nein. Ich wette nicht, ich gehe auch nicht ins Casino, das ist nicht meine Welt. Was ich habe ist sicher. Wenn man wettet verliert man auch manchmal.
Sie haben nach Ihrer Niederlage gegen Dirrel gesagt: „Ich muss einfach cleverer boxen.“ Was heißt das?
Abraham: Die ersten Runden habe ich zu hoch abgegeben, er war aktiver als ich. Deswegen darf ich das nächste Mal am Anfang nicht so viele Runden abgeben, sonst muss ich das alles nachholen. Clever Boxen heißt für mich, dass man keine taktischen Fehler macht, dass man von Anfang an Gas gibt.
Welchen Wunsch verbinden Sie mit Ihrer Boxkarriere?
Abraham: Ich möchte noch im Supermittelgewicht Superchamp werden. Danach möchte ich eine Familie gründen, drei Söhne haben und zum Schluss vielleicht ein Mädchen. Dann bin ich glücklich, dann genieße ich mein Leben, dann habe ich genug gekämpft.
Max Schmeling und sein Kontrahent Joe Louis haben in den Jahren nach ihren Kämpfen Freundschaft geschlossen. Wie schwer ist es, mit einem Gegner nach einem Kampf noch einmal persönlich Kontakt aufzubauen und „Hallo“ zu sagen?
Abraham: Ich würde das nicht machen. Aber Max Schmeling hatte ein großes Herz, er hat das gemacht, sie waren im Nachhinein befreundet. Das ist eine andere Geschichte.
Warum würden Sie es nicht machen?
Abraham: Ich möchte mit meinen Gegnern nicht befreundet sein, ein Gegner ist für mich ein Gegner.
Aber doch nur im Ring…
Abraham: Auch vor dem Kampf ist er es schon, er ist dann schon innerlich für dich ein Gegner.
Aber Sie kennen Ihn doch gar nicht persönlich?
Abraham: Das möchte ich auch nicht. Ich kann das nicht. Das ist einfach meine Einstellung.