[Veröffentlicht am: 03.12.2010]
Mr. Cocker, es heißt, Sie hätten sich bei Ihrem aktuellen Album besonders darauf konzentriert, es modern zu gestalten. Was bedeutet für Sie ein moderner Song?
Joe Cocker: Ich habe jetzt mit dem Produzenten Matt Serletic zusammengearbeitet – das hat meine Songs modern gemacht. Klar, Matt ist sicherlich nicht der modernste Produzent der Welt, aber seine Art, mit Musik umzugehen, gerade auf diesem Album mit den Gitarrenparts, das hat schon etwas sehr Gegenwartstaugliches.
Orientieren Sie sich auch an Newcomern und Trends aus der heutigen Blues-Rock-Szene?
Cocker: Mittlerweile bin ich 66 Jahre alt, und wenn ich Kontakt zu anderen Künstlern habe, sind sie in der Regel jünger als ich. Aber ich interessiere mich nicht wirklich für Newcomer, habe auch überhaupt keine Verbindung zu einer bestimmten Szene. Ich bin doch ein alter Soul-Man!
… mit einer eigenen MySpace-Seite.
Cocker: Ja, aber das beeinflusst meine Einstellung als Künstler nicht, auch nicht meine Art, Musik zu machen. Ich singe immer noch mit denselben Ansätzen und Techniken. Egal, was wir gerade aufnehmen.
Der Titelsong Ihres neuen Albums heißt „Hard Knocks“. Darin singen Sie vom Unterricht der Straße, welchen Sie dem in der Schule und der Uni vorgezogen haben. Würden Sie diesen Lifestyle jungen Musikern weiterempfehlen?
Cocker: (lacht) Nein, auf keinen Fall! Wir leben heute ja in einer ganz anderen Welt. Im Song singe ich einmal: „I had a real good teacher named Mr. Life, he didn’t teach no chemistry, but he taught me how to fight.” Ich bin in die Schule des Lebens gegangen, hatte einen guten Lehrer. Aber ich würde nicht jedem raten, zu ihm zu gehen. Mit „Hard Knocks“ schaue ich zurück auf meine Karriere – wenn man es denn eine Karriere nennen möchte -, und erzähle davon, wie ich über die Jahre so einige Niederschläge hinnehmen musste. Dazu gehört auch, dass ich keine gute Schulausbildung hatte. Ich habe zum Beispiel nie die Mittelschule besucht. Ich wusste damals, dass ich es als Musiker schaffen würde, so oder so. Dieses Bar-Leben, dass ich dann gelebt habe, ist ja nun kein wirklich hartes. Aber das Leben auf der Straße, das ständige Unterwegssein, bringt schon einige Tücken mit sich.
Auf dem Album gibt es einen spirituellen Gospelsong: „I Hope“. Darin sagen Sie, unsere Kinder würden uns beobachten und irgendwann sicher so sein wollen wie wir …
Cocker: Wenn ich von Kindern singe, dann meine ich damit eher Seelenkinder, nicht die eigenen. Diesen Song habe ich mit Tony Brown und von ihm sorgfältig ausgesuchten Session-Players in Nashville aufgenommen. Tony hatte „I Hope“ schon mit den Dixie Chicks probiert, fand aber, dass sie ihn nicht richtig interpretierten. Er war der Ansicht, es gäbe da noch mehr zu herauszuholen.
Viele Künstler fahren nach Nashville, um dort mit alten Country-Legenden wie Bucky Baxter oder eben Tony Brown zu arbeiten. Später erzählen sie dann oft davon, dass Nashville zwar eine tolle Erfahrung war, sie aber keinen wirklichen Einblick in den Mythos ‚Nashville’ bekommen konnten …
Cocker: Ja, weil man sie nicht in den inneren Kreis dieser großartigen Musiker eindringen lässt. Man muss schon sagen, dass die Leute in Nashville unglaublich gute sind. Sie besitzen ein wahnsinniges Fingerspitzengefühl für ihre Sache, einen Touch, der nicht von dieser Welt ist. Allerdings sind sie offensichtlich auch gerne unter sich. Ich habe schon in Nashville aufgenommen, auch in Memphis. Und auch ich hatte immer meine Schwierigkeiten, einen direkten Zugang zu den Musikern dort zu finden. In Nashville nennen sie das „Southern Hospitality“ – sie laden dich ein, stecken dich in irgendein Hotelzimmer, und vergessen dich dann einfach.
Ich bin in die Schule des Lebens gegangen, hatte einen guten Lehrer. Aber ich würde nicht jedem raten, zu ihm zu gehen.
In „So“ singen Sie von Ängsten. Wovor genau Sie Angst haben, wird im Song jedoch nicht deutlich. Gibt es gerade etwas, das Sie ängstlich macht?
Cocker: Ja, einiges. Immer wieder hat man ja im Leben vor etwas Angst, aber diese Angst verschwindet nach einiger Zeit auch wieder. Je älter ich werde, desto mehr muss ich erfahren, dass manche Ängste zurück kommen. Dadurch habe ich so eine gewisse Altersunsicherheit. Bei diesem Song hatte ich aber auch ein bisschen Angst davor, solche Sachen zu singen wie „tell me your secrets“. Da klinge ich ja fast wie ein Teenager! (lacht)
„There is so much I still want to be”, halten Sie in der Ballade „Unforgiven” fest. Können Sie von konkreten Zielen und Träumen erzählen, die Sie als Künstler im Moment haben?
Cocker: Was die Lyrics in den Songs angeht, bewege ich mich da nicht zu tief hinein. Mir geht es darum, Emotionen zu erzeugen und sie zu transportieren, und das vor allem mit meiner Stimme. „Unforgiven“ ist ein düsterer Lovesong. Ich sage zu dieser Frau, dass ich viel Mist in meinem Leben gemacht habe. Aber ich sage ihr auch, dass ich noch unheimlich viel zu geben habe. Von jemandem in meinem Alter klingt das zugegeben etwas komisch. Ich weiß auch gar nicht, ob ich noch etwas tun möchte, was ich bis jetzt noch nicht getan habe. Aber wer weiß, was noch kommt? Manchmal habe ich das Gefühl, das Leben ist immer gleich, jeder Tag ähnelt dem anderen. Und plötzlich gibt es große Veränderungen.
Alle paar Jahre verlassen Sie Ihre Ranch im ländlichen Colorado, um neue Songs aufzunehmen und auf Tour zu gehen. Fällt Ihnen die Umstellung aufs schnelle Leben schwer?
Cocker: Ich bin dieses Mal einfach runter nach L.A. gefahren, habe ein paar Songs aufgenommen, und dann ging es wieder zurück nach Hause. Aber es stimmt: Colorado und das Musikmachen, das Touren – das sind zwei ganz verschiedene Welten. Colorado ist für Cowboys, dort findet noch das alte Leben auf den Farmen statt. Es ist immer wieder ein Erlebnis, wenn ich aus Colorado zur Küste reise. Auch weil mein Zuhause 2000 Meter über dem Meeresspiegel liegt. Man hat dort oben mehr rote Blutkörperchen als weiße, und wenn man dann runter kommt, hat man viel mehr Sauerstoff zur Verfügung als gewöhnlich. Deshalb habe ich auch zuallererst den Gesang aufnehmen wollen. „Hard Knocks“ ist jetzt mein 21. Album in 40 Jahren. Immer wieder unternehme ich dieses Abenteuer und muss dafür die ganze Maschine wieder von Anfang an zum Laufen bringen.
Können Sie das noch genießen?
Cocker: Na ja (lacht), ich komme zumindest immer aufs nächste Level. Ich habe auch nicht vor, bald die gängige Farewell-Tour zu unternehmen. Das scheint immer wieder ein Fehler zu sein, man hat das ja bei vielen Künstlern gesehen.
Vielleicht können Sie auch einfach nicht aufhören …
Cocker: Ich weiß nicht, ob ich das nicht kann. Einerseits habe ich das Gefühl, meine Pflicht erfüllt zu haben. Andererseits kann ich immer noch 90 Minuten auf der Bühne stehen, inklusive Zugabe. Die Eagles halten zwar noch zwei Stunden länger durch als ich – aber die haben auch drei verschiedene Sänger.