Herr Gropp, die Bundesregierung hat einen Atomausstieg bis 2022 beschlossen. Hätten Sie sich einen früheren Ausstieg gewünscht?
Gropp: Wir wünschen uns vor allem ein entschlosseneres Handeln in Sachen Energiewende. Dies beinhaltet eben nicht nur den Ausstieg aus ungeeigneteren Technologien, sondern den schnellen Einstieg in Zukunftslösungen. Unabhängig davon halten wir den Zeitrahmen für vertretbar.
Wäre ein früherer Ausstieg Ihrer Ansicht nach machbar?
Gropp: Vermutlich ja, aber man muss zurecht die Frage stellen zu welchem Preis. Wenn wir die guten Alternativen, wie das Desertec-Konzept, nicht massiv voranbringen, wird ein schneller Ausstieg nur durch Substitution mit ähnlich unbrauchbaren Ersatzlösungen möglich sein, wie z.B. einem Ausbau der Kohlekraft-Stromproduktion.
Wie sieht aktuell die Arbeit von Desertec aus?
Gropp: Das Ziel von Desertec ist, die globale Energiewende zu beschleunigen, die Wende von fossiler und nuklearer zur erneuerbaren Energieversorgung, wobei die regenerative Energie aus der Wüste ein zentraler Bestandteil ist. Zu dieser Vision gehören auch die Implikationen, die eine solche Energiewende hat. Das heißt, es geht nicht nur um Energiesicherheit, sondern auch um friedenspolitische und sozioökonomische Effekte, um Auswirkungen in den Bereichen Klimaschutz, Trinkwasser und Nahrung. Das ganze ist ein holistisches Konzept, es geht um mehr, als nur einige Kraftwerke oder nur Energieerzeugungsanlagen irgendwo hinzustellen – insofern ist die Stiftung auf sehr vielen Feldern tätig.
Auf welchen Feldern konkret?
Gropp: Im weitesten Sinne im Bereich Kommunikation. Es ist ja letztendlich ein gesellschaftlicher Prozess, der hier stattfindet und kein rein ökonomischer. Es geht darum, alle gesellschaftlichen Gruppen – Privatpersonen, Unternehmen, Politiker usw. – zu überzeugen, dass die Energiewende schneller vorangehen muss, als sie es derzeit tut. Das tun wir durch Öffentlichkeitsarbeit, Vorträge, aber eben auch durch ganz konkrete Partnerschaften mit Industrieunternehmen, Regierungen und unterschiedlichen Organisationen.
Wir haben beispielsweise ein Universitäts-Netzwerk (Desertec-University-Network) ins Leben gerufen haben, mit dem Ziel, die wissenschaftliche Welt vor allem im Bereich Nordafrika und Naher Osten hinter dieses Projekt zu stellen. Wir glauben, dass eine nachhaltige Entwicklung in diese Richtung nur möglich ist, wenn Bildung, Ausbildung, Forschung und Entwicklung wesentlich stärker mit einbezogen werden. Dadurch werden in den Länden Ressourcen und Kapazitäten aufgebaut, die nicht nur den Betrieb von Kraftwerken ermöglichen, sondern eben auch die Ideen-Entwicklung.
Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit zwischen Desertec und der Industrie?
Gropp: Vor anderthalb Jahren wurde die eine Industrie-Initiative (Dii GmbH) gegründet. Darin haben sich mehrere Industrie-Unternehmen zusammen getan, um im EUMENA–Bereich (Europa, Naher Osten, Nordafrika) die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass die Desertec-Vision umgesetzt werden kann. Das ist bereits ein konkreterer Realisierungsschritt, der erreicht wurde.
Wie weit geht der Austausch zwischen Desertec und der Politik?
Gropp: Es gibt Gespräche mit Politikern, die vor allem von der Industrie-Initiative geführt werden. Das geschieht auf nahezu allen Ebenen, auf EU-Ebene mit der Generaldirektion Energie aber auch auf nationaler Ebene in Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien. Wir als Stiftung reden natürlich auch mit Ministerien und Regierungen, da laufen viele Gespräche parallel.
Und wie ist das Feedback?
Gropp: Es gibt positive Signale aus der Abteilung von Günther Oettinger (EU-Kommissar für Energie) und auch unterstützende Signale aus der deutschen Regierung. Es ist aber noch nicht soweit, dass man eine konkrete Lösung präsentieren kann, wie so ein Modell der Stromabnahme genau aussehen könnte. Die Verbindung Nordafrika-Europa ist da eine große Herausforderung, größer als wenn so ein Projekt landintern geregelt werden kann.
Auf was für Reaktionen stoßen Sie in Nordafrika? Wie skeptisch ist man dort gegenüber dem Projekt?
Gropp: In Nordafrika gibt es eine sehr große Offenheit für Desertec. Das Konzept ist ja auch in dieser Region mit entwickelt worden, Desertec kommt nicht nur aus Europa, sondern ist gemeinsam von Europäern, Nordafrikanern und Menschen aus dem Nahen Osten in den letzten 10-15 Jahren entwickelt worden. Insofern gibt es in diesen Ländern eine große Akzeptanz und auch die Überzeugung, dass es eine große Entwicklungschance für sonnenreiche Länder bietet.
Die Skepsis kommt ein Stückweit daher, dass es bestimmte Finanzierungshürden gibt, die ohne die reicheren Länder des Nordens nicht so einfach genommen werden können.
Da kommen die Europäer ins Spiel…
Gropp: Ja, es geht darum, die Abnahme und den Transport des Stroms von Nordafrika nach Europa zu organisieren. Wie kann man ihn nach den Gesetzen der europäischen Union in das europäische Netz einspeisen und auch entsprechend vergüten? Das ist ein langwieriger und aufwendiger Prozess und hier vermissen wir auch eine stärkere und entschlossenere politische Unterstützung.
Die Energieversorgung der Zukunft wird stärker dezentral bestimmt sein als zentral.
Sie erwähnten die hohen finanziellen Hürden. Kritiker des Desertec-Konzepts sagen, die hohen Investitionen wären besser hierzulande angelegt, für den Ausbau der erneuerbaren Energien.
Gropp: Wir sind der Überzeugung, dass die langfristige Lösung im Bereich Energie selbstverständlich ein Mix aus verschiedenen Lösungen sein wird. Das heißt, wir werden Photovoltaik auf Hausdächern haben, Geothermie und Windenergie – und diese Energien sollte man auch fördern, die Photovoltaik ist in den letzten Jahren ja auch massiv gefördert worden. Das kann man auch begründen, aber man muss gleichzeitig die Frage stellen: Wo ist es am wirtschaftlichsten, Sonnenenergie zu erzeugen? Und da bieten die Wüstenregionen eben wesentlich wirtschaftlichere Bedingungen.
Das heißt aber nicht, dass wir die Photovoltaik in heimischen Regionen nicht befürworten, es geht uns viel mehr um eine ausgewogene Förderung beider Ressourcen. Die Photovoltaik auf Hausdächern und der Wind an den Küsten haben derzeit noch keine gute Speicheroption, was bedeutet, dass wir Regelkapazitäten nachts, wenn kein Wind bläst, derzeit kaum zur Verfügung stellen können. Dafür sind solarthermische Kraftwerke, wie sie in Nordafrika entstehen könnten, die einen großen Wärmespeicher haben, der Elektrizitätsherstellung auch nachts ermöglicht, eine gute Ergänzung.
Wie hoch könnte der Anteil von Solarstrom aus Nordafrika am hiesigen Energie-Mix sein?
Gropp: In einer DLR-Studie von 2006 wurde der Anteil mit 15 Prozent beziffert. Am Ende können es aber auch 13 oder 18 Prozent sein.
Welche Auswirkungen hat die Atomkatastrophe von Fukushima auf Ihre Arbeit?
Gropp: Die Aktivität und Aufmerksamkeit ist nach Fukushima erheblich nach oben gegangen, auch die Offenheit in der Bevölkerung und in der Politik. Ich kann allerdings noch nicht abschließend beurteilen, wie viel davon in konkrete Maßnahmen übergehen wird und wie hoch die Bereitschaft ist, sich für einen wirklichen Wandel einzusetzen, im Sinne von Programmen, Investitionen, Einspeisetarifen etc. Insgesamt denke ich, dass Deutschland, was die kritische Bewertung der Atomkraft und die positive Bewertung der erneuerbaren Energien betrifft, sehr weit vorne ist. Die Energielandschaft wird sich in jedem Fall ein Stückweit verändern…
Inwiefern?
Gropp: Es wird weniger monopolistische Strukturen geben, zumindest ist das zu hoffen.
Warum weniger Monopole?
Gropp: Die Energieversorgung der Zukunft wird stärker dezentral bestimmt sein als zentral. Es wird immer noch zentrale Strukturen geben, da bestimmte Großkraftwerke nur durch größere Konzerne betrieben werden können. Aber dazu werden unabhängige lokale Energieerzeuger kommen, Windkraftparks, Geothermiekraftwerke, Photovoltaik auf Haus- und Industriedächern – das heißt, es wird viel kleinzellige Energieproduktion geben. Und anders als beim Öl sind es bei Sonnenenergie nicht wenige produzierende Länder, sondern eine Vielzahl von sonnenreichen Staaten.
Wie sieht die Zukunft Afrikas in der Desertec-Vision aus?
Gropp: Für Afrika geht es um noch viel mehr als nur Energiegewinnung. Afrika hat ein großes Wasserproblem, das heißt die Energie wird auch benötigt, um Trinkwasser herzustellen. Wir wissen, dass sauberes Trinkwasser eine der entscheidenden Ressourcen auf dieser Welt ist. Das hat Implikationen im Bereich der politischen Stabilität, Nahrungssicherheit aber auch im Bereich der Migration.
Sie rechnen also mit positiven Auswirkungen für die afrikanischen Länder?
Gropp: Davon gehe ich aus. Das ist auch erklärtes Ziel des Desertec-Konzeptes, den Wandel der Energieproduktion mit sozioökonomischen Aspekten zu verbinden. Die Stiftung steht nicht nur für den Bau von Kraftwerken und die Energieversorgung Europas, sondern vor allem auch für eine faire Entwicklung für alle Staaten und Menschen dieser Erde.
Aber eine faire Entwicklung auf dem Energiesektor zu erwarten, ist das nicht etwas naiv?
Gropp: Wir haben dieses Ziel und versuchen dafür so gut wie möglich unseren Einfluss geltend zu machen. Zu erwarten, dass am Ende des Tages alles ideal im Sinne unserer Stiftung abläuft wäre sicher naiv. Wir sind aber nicht naiv, wir haben gewisse Ziele und Anforderungen und wir sind allesamt bodenständige Unternehmer und keine blauäugigen Idealisten.
Nun ist Afrika seit jeher ein rohstoffreicher Kontinent, doch die Bevölkerung hat davon in der Vergangenheit kaum profitiert. Warum glauben Sie, wird das bei der Gewinnung von Solarenergie anders sein?
Gropp: Also, wir sehen, dass es in diesem Bereich in Ländern wie Marokko oder Tunesien durchaus ein selbstbewusstes Vorgehen gibt. Bei Solarplänen und Ausschreibungen für Solarkraftwerke lässt sich beobachten, dass diese Staaten das Heft in der Hand behalten wollen und sehr selbstbewusst mit der Ressource Sonne umgehen. Sicher gibt es die Befürchtung, dass es erneut zu einer Ausbeutung kommt. Aber ich glaube, die Voraussetzungen sind diesmal besser denn je, dass dieser Fall nicht eintritt. Wir als reichere Staaten müssen uns auch einfach fragen: Was ist die ideale Konstellation, damit beide Parteien davon profitieren? – Den maximalen Erfolg erreichen wir nur, wenn es ein Gewinn für beide Seiten ist. Das Vorgehen der letzten Jahrzehnte im Bereich der Rohstoffe war da sicherlich nicht optimal.
Welchen Bedeutung hat der aktuelle politische Umbruch in der arabischen Welt für Desertec?
Gropp: Es gibt jetzt einen Bewusstseinswandel in den arabischen Ländern. Die Bevölkerung will ihr Schicksal hier in Zukunft stärker selbst in die Hand nehmen. Das Geld wird nicht mehr bei den Regierungen alleine hängen bleiben, sondern – so ist zu hoffen – auch bei der Bevölkerung, wenn es demokratische Strukturen gibt. Insofern wird die Bevölkerung auch von einem Projekt wie Desertec profitieren, in Bezug auf Landesentwicklung, Arbeitsplätze, Ausbildung und vieles mehr.
Wann kann der Verbraucher hierzulande damit rechnen, dass ein Teil seines Stroms von Solarzellen in Afrika produziert wird?
Gropp: Es gibt noch keine Baustellen, aber am wahrscheinlichsten ist, dass zunächst in Marokko oder Tunesien Kraftwerke entstehen. Seitens der Industrieinitiative ist ein Referenzprojekt in Marokko geplant, wofür aber noch sicher gestellt werden muss, dass die Abnahme eines bestimmten Teils des Stroms in Europa gesichert ist. Es hängt natürlich auch von der politischen Entwicklung in den Ländern Nordafrikas ab, von den entsprechenden regulatorischen Prozessen. Im Moment rechnen wir mit einem echten Export von Strom nach Europa ab dem Jahr 2016.