Herr Bartels, mussten Sie sich als Kommentator der Frauen-WM viel neues Wissen über Spielerinnen und Teams aneignen?
Bartels: Sehr viel sogar, ich habe mir reichlich Videomaterial besorgt. Weil mir viele Spielerinnen kaum geläufig waren. Einige der teilnehmenden Mannschaften habe ich zuvor nie gesehen. Spiele von beispielsweise Nigeria, Neuseeland oder Äquatorial-Guinea werden ja auch sehr selten übertragen.
In welcher Intensität verfolgen sie denn generell das Geschehen im Frauenfußball auch abseits großer Turniere?
Bartels: Ich verfolge Frauenfußball nicht intensiv, lese aber viel über die Spiele nach. Es gibt deutsche Bundesligamannschaften wie Potsdam und Frankfurt, die ich gut kenne. Außerdem spiele ich in Brauweiler Tennis, direkt neben der Anlage des SV Grün Weiß Brauweiler, wo ich mir immer mal wieder ein Damenspiel angesehen habe. Irgendwann ist der Verein dann aber vom 1. FC Köln geschluckt worden.
Welche Reize bietet Ihnen der Frauenfußball aus Kommentatorensicht?
Bartels: Im Prinzip die gleichen Reize wie der Männerfußball.
Und welche Tücken birgt ein Kommentatoreneinsatz bei den Frauen?
Bartels: Die Sprache zum Beispiel. Begriffe wie Spieler, Gegenspieler und Torhüter haben sich in meiner Kommentatorensprache eingeschliffen. Da muss ich mich bei den Frauen natürlich umstellen – auch wenn ich weiß, dass Bundestrainerin Silvia Neid auch von Manndeckung spricht.
Ist eine weitere Tücke für Sie als Kommentator, dass Frauenfußball langsamer ist als Männerfußball?
Bartels: Das macht es für mich als Kommentator eher leichter. Je höher das Spieltempo, je intensiver die Zweikämpfe und je härter die Schüsse, desto schwerer ist es aus meiner Sicht, Spielsituationen auch schnell zu analysieren. Wenn ein Spiel vergleichsweise langsamer abläuft, habe ich für alles ein bisschen mehr Zeit.
Haben Sie das Gefühl, wegen des langsameren Spiels auch mehr reden zu müssen?
Bartels: Nein, denn das Spiel bleibt ja das gleiche.
Nun ist die WM der Frauen als entspanntes Familienfest angekündigt. Passen Sie Ihren Kommentar daran in irgendeiner Weise an?
Bartels: Als Sportkommentator nehme ich das Ereignis sehr ernst und möchte es angemessen kommentieren. Diesen Anspruch habe ich bei einem Männerspiel genauso wie bei einem Frauenspiel. Da mache ich keine Unterschiede.
Grundsätzlich scheint Ihnen als Kommentator Zurückhaltung die wichtigste Tugend zu sein. Sie zwängen dem Zuschauer keine Meinung auf, verzichten auf Belehrungen und große Worte. Manchmal wirkt es, als wollten sie unparteiischer als der Unparteiische sein …
Bartels: (lacht) Das kann ich wahrscheinlich nicht als Kompliment werten. Wenn eine deutsche Mannschaft spielt, versuche ich schon auch zu zeigen, dass ich für sie bin. Allerdings nur so lange, wie die deutsche Mannschaft das auch rechtfertigt. Wenn sie klar schlechter spielt als der Gegner, muss ich das in meinem Kommentar auch feststellen und darf nicht aus der Rolle des Fans heraus sprechen. Ich bin in erster Linie Journalist, erst in zweiter Anhänger und Sympathisant der deutschen Mannschaft. Wenn bei der anstehenden WM der Frauen beispielsweise Deutschland gegen die USA spielt und deutlich unterlegen ist, werde ich nicht versuchen, die Tore für das deutsche Team herbei zu rufen.
Viele Fußballkommentatoren der privaten Fernsehsender setzen sich mit großen Reden gerne selbst in Szene. Bei den Öffentlich-Rechtlichen gibt es das nicht. Haben Sie sich umstellen müssen, als Sie die Privaten für die ARD verließen?
Bartels: Nein, auf keinen Fall. Auch bei den Privaten wurde von mir nichts anderes erwartet. Dort bin ich auf Marcel Reif getroffen und von ihm geschult worden. Er selbst kam ja vom ZDF. Auch bei Ernst Huberty, der zu Beginn meiner Laufbahn sehr wichtig für mich war, hatte ich viele gute Schulungen. Wenn ich Kommentatoren nennen sollte, die mir persönlich gefallen, dann sind diese aber fast alle bei den öffentlich-rechtlichen Sendern. Zum Beispiel im Tennis Volker Kottkamp und Hans-Jürgen Pohmann. Die machen sehr wenig Aufhebens und vermitteln einem nie das Gefühl, der Kommentator sei wichtiger als das Sportereignis. Ich mag es auch nicht, wenn sich Kommentatoren Sprüche ausdenken, die sie dann für ihr Ego absondern. Marcel Reif hat immer versucht, mir zu vermitteln, dass ich nicht der wichtigste Mann des Abends bin – schließlich gucken die Leute das Spiel sowieso. Ich bin nur dazu da, ihnen nützliche Informationen zu liefern und das Spiel angemessen zu begleiten..
Wenn eine deutsche Mannschaft spielt, versuche ich schon auch zu zeigen, dass ich für sie bin. Allerdings nur so lange, wie die Mannschaft das auch rechtfertigt.
„Fußball in Deutschland ist selbsterklärend“, haben Sie einmal gesagt. Wann wurde Ihnen das bewusst?
Bartels: Wenn man ein bisschen reflektiert, weiß man, wer in Deutschland Fußball spielt – und dass es ein Geschenk ist, dass ich am Mikrofon sitzen darf. Ich habe Demut davor, wie die Leute Fußball gucken. Ich bin zu Gast in ihrem Wohnzimmer – obwohl mich eigentlich keiner eingeladen hat. Die Leute wollen das Spiel anschauen, und ich werde mitgeliefert. Sehr viele kennen sich exzellent aus und können ein Spiel selbst bewerten. Mir ist bewusst, dass ich es nicht allen recht machen kann.
Wie muss man sich Ihren Arbeitsplatz während eines Kommentatoreneinsatzes vorstellen?
Bartels: Ich sitze draußen auf der Tribüne, meistens auf einem wunderbaren Platz. Wobei es nicht überall die gleichen Arbeitsbedingungen gibt und gab. Im alten Stadion von Arsenal London in Highbury zum Beispiel saß ich fünf Meter über der Außenlinie und hatte selbst bei Eckbällen eine perfekte Sicht. Im alten Olympiastadion in München dagegen musste ich mit dem Fernglas kommentieren und konnte schon mal Carsten Jancker mit Hasan Salihamidžić verwechseln. In den heutigen modernen Stadien sieht man in der Regel aber ganz gut.
Neben mir sitzt immer mein Assistent Gerrit Meinke, mit dem ich im niedersächsischen Melle bei Osnabrück zusammen groß geworden bin. Er hat es zum Profi bei Bielefeld und Osnabrück geschafft und arbeitet jetzt für den Zweitligisten Paderborn als Scout. Gerrit kann mir aufs Ohr sprechen, liefert eine zweite Meinung und unterstützt mich gerade in schwierigen Spielsituationen. Er ist eine große Hilfe.
Haben Sie beim Kommentieren viele Info-Zettel und Statistiken parat liegen – oder finden Sie die eher störend?
Bartels: Ich habe schon immer einiges dabei, das gibt mir ein Gefühl von Sicherheit. Ich schreibe mir zum Beispiel für jeden 21er Kader kleine Adressaufkleber, einen für jeden Spieler. Darauf stehen dann die harten Fakten: Wann hatte ein Spieler einen Kreuzbandriss? Bis wann hat er nicht gespielt? Wie oft hat er schon die Champions League gewonnen? Wann war er Torschützenkönig der Bundesliga? Wir Kommentatoren bekommen zu jedem Spiel auch eine hundert Seiten lange Pressemappe mit Spielerporträts und Statistiken, die für mich aber fast keine Rolle spielen. Statistiken sind quälend langweilig. Wenn man Zahlen nennt, sollten diese auch Gesichter haben.
Kann es passieren, dass Sie während des Kommentierens so sehr in ein Spiel eintauchen, dass Sie plötzlich zum Zuschauer sprechen wie zu einem Fußballkumpel auf der Couch?
Bartels: Meistens habe ich die Kontrolle über das, was ich da gerade mache. Weil ich diesen Beruf auch ein Stück weit im Blut habe. Von klein auf, vom Spielen mit meinen Kuscheltieren bis zum Bolzplatzgekicke, habe ich immer alles mitkommentiert. Ich bin immer mehr in diesen Beruf reingewachsen und hatte irgendwann ein Raster für mich. Zum Beispiel, dass ich die Klappe halte, wenn die Mannschaften rauskommen. Dass ich die Leute nicht zutexte, sondern sie auch mal durchatmen und selbst gucken lasse, was da gerade passiert. Ich habe auch feste Zeiten während eines Spiels, in denen ich die Spielentwicklung beschreibe. Und wenn ich es dann noch schaffe, mir eine gewisse Lockerheit zu bewahren, ist es richtig gut.
Die Lockerheit zu bewahren ist sicher nicht leicht. Gibt es überhaupt Momente während eines Spiels, in denen Sie sich zurücklehnen können?
Bartels: Nein, weil es unheimlich wichtig ist, sich zu konzentrieren und aufzupassen. Jeder Kommentator macht die Erfahrung, dass wenn man sich gerade sicher fühlt, alles ganz schnell dahin gehen kann. Man kann 70 Minuten alles richtig machen, bewertet dann aber eine entscheidende Szene falsch, und am Tag danach wird über nichts anderes gesprochen als den Idioten, der nicht gesehen hat, dass der Ball hinter der Linie war.
Arbeiten Sie gezielt an Ihrer Konzentrationsfähigkeit?
Bartels: Ich versuche immer, in der Nacht zuvor gut zu schlafen. Am Spieltag selbst mache ich inzwischen auch keinen intensiven Sport mehr, um abends nicht zu platt zu sein. Am Morgen vor einem wichtigen WM-Spiel würde ich niemals 10 Kilometer Laufen gehen.
Woran messen Sie denn den Erfolg Ihres Kommentars?
Bartels: Das Wichtigste für mich ist, dass ich zu meinen Bewertungen der entscheidenden Spielszenen auch später noch stehen kann. Ich muss im Spiel oft sehr schnell sehr viele Einschätzungen geben. Und wenn ich hinterher merke, dass ich damit falsch lag, ärgere ich mich wahnsinnig – weil ich dann ja den Beteiligten Unrecht getan habe.
Das Feedback der Masse wie der auf einer Fanmeile bekommen sie hingegen nicht mit.
Bartels: Das Feedback der Masse ist diffus.
Zumindest werden Sie von der Kritik der Masse kaum getroffen.
Bartels: Über mich regen sich die Leute auch schon mal auf. Ich lese ja im Internet immer ein paar Dinge nach, und es gab einige, die dort nach dem zweiten Spiel zwischen Deutschland und Spanien, dass ich kommentiert habe, geschrieben haben: Nie wieder Tom Bartels bei Deutschland gegen Spanien! Als hätte es an mir gelegen. Der Ärger der Leute wurde dann darauf projiziert, dass ich auch noch ausgesprochen habe, dass Spanien besser war. Aber damit muss ich klarkommen.
Und über welches positive Feedback haben Sie sich zuletzt gefreut?
Bartels: Über den Herbert-Award in diesem Jahr. Denn hier haben Sportler gewählt. Wenn die der Meinung sind, dass es okay ist, was ich da mache, freue ich mich sehr. Wir bekommen auch oft Auswertungen von Publikumsbefragungen der ARD. Über diese Ergebnisse kann ich mich auch nicht beklagen. Was ich hingegen sehr schade finde ist, dass Journalisten- und Kommentatoren-Preise meist parallel zu gewonnenen Titeln vergeben werden. Das macht für mich keinen Sinn. Es kann doch nicht sein, dass ich einen Fernsehpreis nur dann kriege, wenn ich eine Mannschaft zum Weltmeistertitel kommentiere. Klar gehe ich dann mit und brülle – aber das ist doch keine besondere Leistung. Das ist mir zu einfach.