Juliette Binoche, in Ihrem neuen Film „Die Liebesfälscher“ wird Liebe als sehr komplizierte Angelegenheit dargestellt wird. Empfinden Sie das privat auch so?
Nein, die Liebe ist nicht kompliziert. Aber wir Menschen sind es. Leider. Hinzu kommt, dass es so viele unterschiedliche Formen der Liebe gibt. Selbst körperliche Bedürfnisse werden manchmal schon fälschlicherweise als Liebe interpretiert. Liebe ist eben nur schwer zu definieren, niemand weiß, wo man die wahre Liebe finden kann und was genau wahre Liebe überhaupt bedeutet.
Hat sich Ihr Verständnis von Liebe im Laufe Ihres Lebens stark gewandelt oder ist die Grundidee davon stets dieselbe geblieben?
Heute sind mir sicherlich viele Dinge klarer als noch vor zwanzig Jahren. Ich habe Erfahrungen gemacht, die mich emotional haben wachsen lassen. Dennoch habe ich schon recht früh gemerkt, wie sich Liebe anfühlt und was sie mit einem anstellen kann. Man kann Liebe eben nicht einsperren oder ihr Grenzen auferlegen; sie ist einfach, was sie ist und macht mit einem etwas, was man selbst nur schwer steuern kann. Liebe ist kosmische Erfahrung. Eine Art Magie, von der wir uns alle gerne verzaubern lassen.
Und dennoch ist das Miteinander von Mann und Frau seit jeher von Missverständnissen und Konfusion geprägt. Dieser Umstand ist auch Thema in die „Die Liebesfälscher“.
Ja, das stimmt. Die Beziehung zwischen den Geschlechtern war immer schon kompliziert, seit Anbeginn der Menschheit. Und der Film stellt seinerseits das komplizierte Miteinander von Mann und Frau in den Mittelpunkt, die versuchen, sich gegenseitig zu verstehen und irgendwann merken, dass sie vollkommen unterschiedliche Sprachen sprechen: die Sprache der Frau ist sehr emotional, während die des Mannes eher distanziert ist. Dieser Umstand bestimmt den Grundtenor des Films.
Für viele Leute markiert eine Hochzeit den amourösen Höhepunkt zwischen zwei Menschen, die sich lieben. Sehen Sie das auch so?
Ich glaube ans Heiraten. Vielleicht aber auch deshalb, weil ich nie verheiratet war (lacht). Das macht es mir sehr einfach, an das Konzept der Ehe zu glauben. Letztlich geht es doch einzig und allein darum, ob man dem Anderen genug vertraut, um ihm ewige Liebe versprechen zu können. Das ist eine große Verpflichtung, zumal jeder von uns einen Drang nach Freiheit und Unabhängigkeit in sich trägt.
Dann gehört neben der Liebe also vor allem eine große Portion Mut dazu, um den heiligen Hafen der Ehe anzusteuern?
Auf jeden Fall! Sicherlich gibt es auch genug Leute, die sich durch eine solche Entscheidung vor anderen Dingen verstecken, aber wenn man aus den richtigen Beweggründen sein Ja-Wort gibt, dann ist das durchaus ein mutiger Entschluss. Ein Entschluss, der jedoch auch gewisse Verpflichtungen mit sich bringt, derer man sich bewusst sein muss. Vielleicht ist das auch der Grund, warum ich es nie so weit gebracht habe.
Man muss jedoch nicht verheiratet sein, um sich voll und ganz zu einem anderen Menschen zu bekennen.
Aber allein das Ritual einer Hochzeit bringt mehr Gewicht in die Verbindung und symbolisiert deren Ernsthaftigkeit. Dennoch pflichte ich Ihnen selbstverständlich bei. Deshalb habe ich auch nie eine Notwendigkeit darin gesehen, unbedingt heiraten zu müssen. Unkomplizierter waren meine Beziehungen deshalb jedenfalls nicht (lacht).
Sie haben eben über Unabhängigkeit und Freiheit gesprochen, was ein Grund dafür sein mag, warum Sie nie geheiratet haben. Sie haben allerdings Kinder, und auch als Mutter büßt man einen gewissen Teil seiner Unabhängigkeit und Freiheit ein.
Das stimmt natürlich. Aber wenn man mit dieser Situation selbstverantwortlich umgeht, kann man sich noch genug Unabhängigkeit bewahren. Hinzu kommt, dass es ein Irrglaube ist, dass Freiheit aus dem Fehlen von Verantwortung entstünde. Natürlich ist es eine sehr große Herausforderung, Kinder großzuziehen, und ich selbst habe einige Phasen des Zweifelns durchlebt, in denen ich nicht wusste, wie ich dieser Verantwortung gerecht werden soll. Das einzige, was mich am Ende jedoch in der Spur gehalten hat, waren meine Kinder. Die haben mir Kraft gegeben. Insofern muss ich der Vorstellung widersprechen, private Verpflichtungen wären das Gegenstück zur Unabhängigkeit. Das ist Quatsch.
Sie haben in einem Interview mal erwähnt, dass es für Sie ungemein wichtig sei, sich durch Ihren Beruf stets selbst hinterfragen zu können. Gibt es etwas, dass Sie durch „Die Liebesfälscher“ neu über sich herausgefunden haben?
Bestimmt. Aber es ist sehr schwer, das zu greifen. Ich bin ein sehr sensibler Mensch und freue mich einfach, Zeuge des Lebens sein zu dürfen – in all seinen Facetten. Und als Schauspielerin kann man sich sowohl mit der Leichtigkeit des menschlichen Daseins beschäftigen als auch mit der ungemeinen Schwere, die das Leben manchmal mit sich bringt. Als Schauspieler reflektiert man schließlich das Leben, und das macht es ungeheuer spannend. Auf eine gewisse Art und Weise sind wir als Schauspieler deshalb Heiler und Therapeuten, weil wir den Menschen Geschichten näherbringen, durch die sie sich in Bezug dazu setzen und sich hinterfragen können.
Ich glaube ans Heiraten. Vielleicht aber auch deshalb, weil ich nie verheiratet war.
Das funktioniert aber nicht nur durch Schauspielerei, sondern genauso gut auch durch Musik, Literatur oder andere Künste.
Vollkommen richtig. Filme sind jedoch sehr nah am Leben dran, weil sie mit Bildern und Geräuschen Geschichten von Menschen erzählen. Dadurch entsteht eine Interaktion mit deinem eigenen Leben; eine Intimität, die dich unmittelbar an der Geschichte teilhaben lässt.
Im Film geht es um Originale und Fälschungen, sowohl in der Kunst als auch in der Liebe. Schauspielern wird ja oft nachgesagt, das sie auf der Leinwand Fälschungen des Lebens abbilden würden, obwohl viele Schauspieler behaupten, die dargestellten Gefühle wären echt. Wie ist Ihre Meinung dazu?
Ich hatte dieselbe Diskussion mit Abbas Kiarostami, als ich ihn vor den Dreharbeiten in Teheran besucht habe. Er war ebenfalls der Meinung, Schauspieler würden das Leben imitieren. Aber das stimmt so nicht: Wir bilden das Leben nach – das beinhaltet jedoch einen kreativen Prozess. Man begibt sich und seinen Körper in echte Gefühlslagen. In einer Szene des Films wurde das besonders deutlich, weil sich durch die Aufregung sogar meine Haut verfärbt hat. Abbas konnte das gar nicht glauben und hat mich gefragt, woher das kommt. Meine Antwort: das ist Schauspielerei.
Nehmen Sie Erfahrungen aus der Kunst auch mit in Ihr Privatleben?
Das ist manchmal nur schwer auseinanderzuhalten. Kunst heißt für mich, das Leben nachzustellen. Da gibt es einen Kreativprozess, der dich zum Erschaffer macht und etwas Neues entstehen lässt. Insofern kopiert man das Leben in der Kunst nicht bloß; es gehört mehr dazu. Man muss etwas Neues darin finden, das zwischen dir und dem Leben liegt.
Wenn jemand Ihnen sagt, dass er Sie liebt, merken Sie dann, ob er es ernst meint oder nur so tut?
Ich glaube es immer. Selbst, wenn mir so etwas im Zuge eines Drehs gesagt wird, glaube ich es – um es nach dem Take allerdings wieder zu vergessen. Man muss sich immer in die jeweilige Gefühlswelt hineinbegeben und darf nicht alles zu stark durchdenken, denn ansonsten baut man eine unnötige Distanz zur Situation auf, die niemandem weiterhilft.
Wie erklären Sie Ihren Kindern, was Liebe ist?
Ich glaube, das kann man einem Kind nicht erklären. Solche Dinge muss man seinen Kindern vorleben, damit sie es nachempfinden können. Wenn einem ein Glas runter fällt, merken Kinder sich, wie man auf so eine Situation reagiert, und nicht, was man gesagt hat.
Würden Sie sich selbst als spirituell bezeichnen?
Auf jeden Fall, und ich empfinde diesen Hang zur Spiritualität als Geschenk. Ich bedauere die Menschen, die nichts damit anfangen können; begreife gar nicht, wie die ihr Leben führen. Jeder befindet sich ja mal in einem Loch und weiß nicht mehr weiter – das gehört zum Leben dazu. Dadurch entwickelt man sich weiter. Aber wenn einem die spirituelle Sensibilität fehlt, stelle ich es mir sehr schwierig vor, solcherlei Phasen heil zu überstehen.
Haben Sie einen bestimmten Glauben, der Ihnen in solchen Situationen weiterhilft?
Nein, ich habe keinen religiösen Glauben, bin aber sehr empfänglich und aufgeschlossen gegenüber den verschiedenen Glaubensrichtungen. Viele Menschen sind leider zu rational und analytisch und dadurch schaufeln sie sich einen Graben zwischen sich selbst und ihrem Herzen. Als Schauspielerin versuche ich jedoch, diesen Graben verschwinden zu lassen und verloren gegangene Stücke wieder zusammenzufügen. Die Leute sollen wieder eine Verbindung zu sich selbst aufbauen, sich Fragen über sich selbst stellen und den Körper mit dem Geist in Einklang bringen – darin sehe ich meine Aufgabe als Schauspielerin.
Sie sind nicht nur Schauspielerin, sondern auch Malerin und Tänzerin. In all diesen Bereichen drücken Sie ihre Gefühle aus. Worin liegen in den verschiedenen Ausdrucksformen die größten Unterschiede?
Eigentlich ist es in allen Bereichen dasselbe. Es geht darum, inwieweit man sich fallen lassen kann und seine Gefühle in die entsprechende Ausdrucksweise übersetzt bekommt. Man muss einen Ausdruck finden für sein Innerstes.
Fällt Ihnen das als Schauspielerin leichter, weil Sie das am längsten tun und darin die meiste Erfahrung besitzen?
Am schwersten ist es für mich eindeutig beim Tanzen. Da weiß ich zwischendurch gar nicht, ob ich das Ganze überhaupt überlebe (lacht). Aber das Tanzen macht mir ungeheuer Spaß, weil so eine Unbeschwertheit darin liegt. Das habe ich bei der Schauspielerei aber auch immer noch. Und ich hoffe, dass sich das niemals ändern wird.