Michael Henke

Die Fan-Kultur ist echt.

Fußballtrainer Michael Henke über seinen Trainerjob im Iran, staatlich finanzierten Fußball und die Sache mit der Disziplin

Michael Henke

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Herr Henke, im Fußball gelten Sie als Rationalist und kühler Analytiker. Lernen Sie Ihre abenteuerliche Seite womöglich selbst gerade erst kennen?
Henke: Ich bin neuen Entwicklungen gegenüber eigentlich immer aufgeschlossen und habe auch schon lange einen guten Draht zu Universitäten und anderen wissenschaftlichen Einrichtungen. Aber es stimmt natürlich: in gewisser Weise bin ich ein Traditionalist. Und nachdem ich bislang nur in deutschen Clubs gearbeitet habe, ist der Iran jetzt tatsächlich ein Abenteuer für mich.

Können Sie sich noch daran erinnern, was Ihnen auf Ihrem ersten Flug nach Teheran durch den Kopf ging?
Henke: Ich habe versucht mir vorzustellen, wie es im Iran wohl ist. Und ich muss ehrlich sagen, dass ich mir dabei weniger Gedanken über den iranischen Fußball gemacht habe, als über die Lebensumstände im Land. Zum Beispiel darüber, wie ich wohnen und essen werde.

Was waren denn Ihre größten Bedenken?
Henke: Auf persönlicher Ebene, ob ich mich in Teheran frei bewegen kann oder unter permanenter Beobachtung stehe. Und aus sportlicher Sicht, ob Fußball im Iran irgendwie von oben beeinflusst wird. Ob er gekünstelt ist. Die deutsche Bundesliga ist eines der besten Fußballprodukte der Welt. Ich war bei Borussia Dortmund, Bayern München, Kaiserslautern und in Köln, dort wird Fußball so richtig gelebt. Als ich nach Teheran kam, war ich natürlich gespannt, inwieweit das dort auch der Fall sein würde.

Und wie lautet Ihr Urteil nach den ersten Monaten im neuen Job?
Henke: Ich habe den Eindruck, dass Fußball eine sehr große Rolle im Leben der Menschen spielt. Die Fan-Kultur in den Stadien ist echt, da schwenkt keiner Fähnchen, weil er Geld dafür bekommt. Bei einem Derby sind 100.000 Zuschauer im Stadion, die schon seit zig Jahren Anhänger des einen oder des anderen Vereins sind. Gut, die Zahlen gehen teilweise deutlich runter, wenn nicht gerade zwei große Clubs gegeneinander spielen. Aber die Leute in kleineren Städten haben sicher auch andere Sorgen als Fußball.

Viele bezeichnen den Fußball im Iran auch als Ablenkung für die Massen …
Henke: Da habe ich eine ganz andere Auffassung. Ich habe zwar keinen direkten Kontakt zu den Massen im Stadion, dafür aber schon viele private Gespräche geführt, zum Beispiel mit unserem Vereinspräsidenten. Der sagt: wenn Frauen ins Stadion dürften, hätten wir wahrscheinlich 200.000 Zuschauer. Angeblich gibt es sogar Frauen, die sich als Männer verkleiden, um irgendwie ins Stadion zu gelangen. Beim Fest der iranischen Botschaft habe ich Männer wie Frauen aus allen Schichten kennen gelernt, die sämtliche iranischen Spieler und Trainer mit Namen kennen. Das liegt natürlich auch an der großen Medienlandschaft im Iran. Jeden Tag erscheinen acht Zeitungen, die vor allem über Fußball berichten. Man merkt also sehr schnell, dass Fußball im Iran eine Kultur hat – obwohl die beiden großen Clubs Persepolis Teheran und Esteghlal staatlich finanziert werden und ihr Geld quasi von der Regierung bekommen.
 
Sie eigentlich auch?
Henke: Das weiß ich nicht ganz genau. Ich kriege mein Gehalt vom Verein, und im Moment ist man dabei, das Ganze immer mehr zu privatisieren.

Wird Ihre Arbeit beim FC Esteghlal Teheran denn von außen überwacht?
Henke: Grundsätzlich bin ich total frei in meiner Arbeit als Trainer und stehe nicht unter Beobachtung. Ich habe auch ein relativ hohes Pensum zu absolvieren, da ich hier ja dem Präsidenten unterstellt bin und meine Arbeit eine Kombination aus Co-Trainer und sportlicher Berater ist.

Bei den Spielen steht dann ein iranischer Chef-Trainer an der  Seitenlinie. Wie muss man sich Ihre Kommunikation mit ihm vorstellen?
Henke: Dafür habe ich einen deutsch-iranischen Dolmetscher, der über 20 Jahre in Köln gelebt und dort auch Trainerscheine gemacht hat. Hinzu kommt, dass wir mit Ferydoon Zandi einen deutschen Spieler für diese Saison verpflichtet haben, den ich noch aus meiner Zeit in Kaiserslautern kenne. Über ihn kann ich auch mal Anweisungen auf dem kurzen Dienstweg geben.

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In Teheran herrscht ein absolutes Verkehrschaos. Ich kann meine Spieler schon verstehen, wenn sie mir als Entschuldigung für ihr Zuspätkommen einfach sagen: „Traffic.“

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Haben Sie die typischen deutschen Fußballtugenden wie Ordnung und Disziplin auch schon vermitteln können?
Henke: Daran beiße ich mir gerade die Zähne aus. Das Problem des iranischen Fußballs und auch der iranischen Gesellschaft liegt in der Organisation. Dazu gehört zum Beispiel Pünktlichkeit, wobei man fairer Weise dazu sagen muss, dass in Teheran ein absolutes Verkehrschaos herrscht. Ich kann meine Spieler schon verstehen, wenn sie mir als Entschuldigung für ihr Zuspätkommen einfach sagen: „Traffic.“ Auf der anderen Seite kann man diese Entschuldigung natürlich immer leicht heranziehen. Ich arbeite im Moment daran, ein bisschen mehr Disziplin reinzubringen. Die Verantwortlichen haben sich schließlich was dabei gedacht, als sie einen deutschen Trainer geholt haben.

Hat man Ihnen im Gegenzug auch bestimmte Verhaltensregeln erklärt?
Henke: Nein, überhaupt nicht. Ich habe keinerlei Vorgaben vom Verein bekommen. Nur die, dass ich das Training leiten soll. Mir hat man gesagt, dass man von mir lernen wolle und sich auf die Zusammenarbeit freue. Infos über Besonderheiten und darüber, was man sonst noch beachten sollte, habe ich mir dann im Trainerstab geholt.

Eine Besonderheit ist sicher die im Iran nicht gegebene Rede- und Informationsfreiheit. Werden Sie davon beeinträchtigt?
Henke: Mir hat man schon gesagt, ich müsse damit rechnen, dass mein Telefon abgehört wird. Aber das stört mich nicht, weil ich keine geheimnisvollen Dinge vermittele. Ich kann also nach Deutschland telefonieren, faxen und habe natürlich auch Internet. Es gibt ein paar Seiten wie die der Bild-Zeitung, auf die ich nicht komme, weil dort zum Beispiel eine nackte Frau abgebildet sein könnte. Aber mit solchen Filtern kann ich gut leben.

Läuft dieses Interview vielleicht auch noch durch einen Filter?
Henke: Auch da habe ich keine Vorgaben. Klar, mein Manager hat mir gesagt, dass ich vorsichtig mit politischen Äußerungen sein sollte. Aber diese Ebene interessiert mich gar nicht. Ich habe von vornherein betont, dass ich wegen des Fußballs hier bin.

Und das mindestens bis zum nächsten Sommer.
Henke: Richtig, ich habe einen Vertrag über zwei Jahre, weil der Club es unbedingt so wollte. Allerdings ist es ein Vertrag mit einer absolut einseitigen Option: ich entscheide im nächsten Sommer, ob ich noch bleibe oder nicht. Wenn ich bleiben will, läuft der Vertrag weiter, wenn nicht, kann ich ohne Probleme gehen.

Es besteht also die Möglichkeit, dass Sie ein weiteres Jahr dranhängen?
Henke: Das schließe ich nicht aus. Im Moment ist es noch ein Abenteuer. Aber eines, das besser läuft, als ich es mir vorgestellt habe.

Michael Henke wurde 1957 in Büren geboren. Sein Weg als aktiver Fußballspieler führte ihn vom Heimatverein SV 21 Büren 1975 zum 1. FC Paderborn, spätere Stationen waren der SG Wattenscheid 09 und der FC Gütersloh, wo er 1988 seine Trainer-Laufbahn mehr

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