Lavinia Wilson

In meinem Beruf werde ich immer als Objekt beurteilt

Lavinia Wilson über den Film „Quellen des Lebens“, ihre Rolle als Mutter von Oskar Roehler, Sexismus im Schauspieleralltag und ihr Image als 'Die Schlaue'

Lavinia Wilson

©

Frau Wilson, im autobiographisch gefärbten Film „Quellen des Lebens“ von Oskar Roehler spielen Sie die Schriftstellerin Gisela Elsner, die Mutter des Regisseurs. Wie hat er Sie auf die Rolle vorbereitet?
Lavinia Wilson: In erster Linie habe ich mich vorbereitet. Ich versuche nicht die reale Person darzustellen. Davon wollte ich mich freimachen, auch wenn ich mir Originalinterviews mit Gisela Elsner angesehen habe. Oskar Roehler sagte mir, dass es ein Teil seiner Familiengeschichte ist, er aber nicht angetreten sei, eine Dokumentation zu machen.

Roehler zeichnet von Gisela Elsner das Bild einer schlechten Mutter…
Wilson: Als Figur ist sie ein totales Geschenk. Figuren müssen ja nicht sympathisch, sondern interessant sein. Und uns Schauspielern machen die netten Figuren weniger Spaß.
Sie ist eine schlechte Mutter, daran ist nicht zu rütteln. Als Figur verändert sie sich mit der Schwangerschaft, mit der sie nicht klarzukommen scheint. Es gibt da sicherlich psychologische Erklärungen, aber darauf habe ich verzichtet und mir vorgestellt, dass da ein Alien in meinem Bauch wächst. Neben dem, dass sie eine schlechte Mutter ist, schreit sie nach Liebe und danach, gesehen zu werden. Je lauter sie schreit, desto weniger funktioniert es, das ist total spannend. Ihre Exzentrik rührt von dem naiven Gedanken her, sich für den Mittelpunkt der Welt zu halten.

Wie beurteilen Sie ihre Rebellion?
Wilson: Sie ist pubertär und begehrt gegen die Werte ihrer Eltern auf. In der Radikalität, in der sie das tut, war sie ihrer Zeit wahrscheinlich voraus, das gehört zu ihrem Drama, ihrer Tragik. Sie war für ihre Zeit vielleicht ein wenig zu emanzipiert.

Die Gisela Elsner im Film kämpft in einer sehr chauvinistischen Welt, ein Thema das auch heute wieder breit diskutiert wird. Was halten Sie von der aktuellen Sexismus-Debatte?
Wilson: Ich kann das nur schwer beurteilen. Ich denke, das Interesse geht jetzt hoch, aber in drei Wochen redet keiner mehr davon. Der alltägliche Sexismus ist Realität. Aber ich als Schauspielerin bin die Letzte, die sich darüber beklagen kann.

Wieso?
Wilson: Weil ich in meinem Beruf immer als Objekt beurteilt werde. Das ist eine Vereinbarung, die ich eingehe mit den Rollen, die ich spiele. Ich bekomme keine Jobs, weil ich intelligent bin, sondern weil ich archaische Instinkte anspreche. Da gibt es tief verwurzelte Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit, auch wenn ich mir das anders wünschen würde. Für Frauen bleibt das Mütterliche, Warme, Weiche reserviert, der große Busen, an dem man sich ablegen kann. Und aufgrund der Figuren, die ich spiele, wird mir diese mütterliche Wärme abgesprochen. Auch die Rolle der Gisela wird mir da sicher nicht helfen.

Und Sie sehen sich immer als Objekt beurteilt?
Wilson: Ich werde nach meinem Aussehen beurteilt und es geht oft um Oberflächlichkeiten und Äußerlichkeiten. Der Beruf hat ja auch mit Sexappeal zu tun, wobei Männer allerdings alt als sexy gelten, Frauen eher nicht so. Ich verstehe nur nicht, warum Frauen irgendwann anfangen, sich deshalb zu verunstalten. Ich persönlich würde das gerne vermeiden. Wenn ich mein Gesicht lahm lege kann ich nicht mehr spielen. Aber da habe ich mit Anfang 30 vielleicht auch noch gut reden.

Zitiert

Der alltägliche Sexismus ist Realität. Aber ich als Schauspielerin bin die Letzte, die sich darüber beklagen kann.

Lavinia Wilson

Sie haben keine Schauspielausbildung genossen, studieren aber Philosophie, was für die Medien immer ein großes Thema zu sein scheint. Ist das denn tatsächlich so eine große Ausnahme unter Schauspielern?
Wilson: Mir wird das gerne als Stempel aufgedrückt: „Die Schlaue“. Und es scheint immer noch große Verwunderung hervorzurufen, wenn Schauspieler nicht blöd sind. Wobei ich nicht zu beurteilen wage, wie viel Wahrheit in diesem Klischee steckt. Viele Schauspieler machen Sachen nebenher, weil der Beruf so unregelmäßig ist. Ralph Herforth verkauft neuerdings Immobilien in Brandenburg, viele singen und manche meinen ein Parfum mit ihrem Namen kreieren zu müssen. Das interessiert mich nicht. Ich denke gerne.

Und es kommt vor, dass Ihnen Menschen wegen Ihres Berufs Intelligenz absprechen?
Wilson: Natürlich. Da geht es um Schubladen. Das erzählen übrigens auch der Film und Roehlers Buch „Herkunft“. Menschen werden aufgrund ihrer Herkunft eingeordnet.

Zurück zum Film: In Ihrer Rolle begehren Sie als Gisela gegen Ihr Elternhaus und dessen Werte auf. Erkennen Sie sich da wieder?
Wilson: Ich habe mich schlecht benommen und hatte sehr starke Konflikte mit meiner Mutter. Allerdings über klassische Themen, wann ich nach Hause komme, Rauchen oder Hausaufgaben — und das mit einer aus heutiger Sicht ungeheuerlichen Selbstsicherheit darin, zu wissen, was richtig oder falsch, cool oder uncool ist. Das hatte auch eine pseudo-politische Umweltkomponente mit diversen Umweltprojekten. Das war rührend, aber letztlich nur Ausdruck einer Egozentrik, die eben ein Teenagerdasein ausmacht.

Was haben Sie sich dem erwähnten grünen Bewusstsein erhalten?
Wilson: Ich fliege nicht viel, esse kein Fleisch, bin bei einer Ökobank. Ich finde es sinnlos die Umwelt zu verschmutzen. Ich überlege, was ich konsumiere.

Zum Schluss ein Zitat: „Ich freue mich sehr auf den Film. Als ich gehört habe, dass Lavinia Wilson die Rolle von Elizabeth Kiehl spielen will, war ich total begeistert.“
Wilson: Das hat Charlotte Roche gesagt. Ich freue mich auch, kann darüber aber noch nicht viel erzählen, weil wir noch in der Vorbereitung zu „Schoßgebete“ sind. Der Film zieht eine unheimliche Aufmerksamkeit auf sich und Sprüche wie „das Feuilleton wird die Nase rümpfen“ begleiten mich. Aber das ist mir Wurst! Ich kannte beide Bücher vorher nicht, ich habe vor dem Casting statt dem Roman das Drehbuch gelesen und darin fand sich eine großartige Figur! Da kann ich nicht nein sagen. Eine unheimlich intelligente und humorvolle Frau, die auf witzige, schamlose Art mit sich selbst und einem Schicksalsschlag umgeht, der so furchtbar ist, dass man sich das nicht vorzustellen vermag.

Die deutsche Schauspielerin Lavinia Wilson wurde 1980 in München geboren. Sie debütierte mit elf Jahren in "Leise Schatten" von Sherry Hormann. Aufmerksamkeit erregte ihr Film "Allein" (2004), wo sie die psychisch kranke Maria spielte und dafür mit mehr

Kommentar schreiben

* Erforderliche Angaben. Emailadresse wird nicht veröffentlicht.