Gustav Peter Wöhler

Wer will schon einen Abend über Selbstmord?

Gustav Peter Wöhler über das Album "Wegen mir", deutsche Texte, den Reiz von Nebenrollen und die Kneipe seiner Eltern

Gustav Peter Wöhler

© Christine Fenzl

Herr Wöhler, Ihr aktuelles Album „Wegen mir“ besteht ausschließlich aus Cover-Songs. Fehlt Ihnen der Mut für eigene Texte?
In der Tat, da habe ich mich noch nicht herangetraut. Ich schreibe Tagebuch, aber keine eigenen Texte.

Wovor hat denn Gustav Peter Wöhler Angst?
Ich bin sehr selbstkritisch. Ich lese sehr viel Literatur und habe deshalb natürlich auch einen hohen Anspruch an mich selbst. Vielleicht habe ich zu wenig Freiheit in mir, um diese Texte loszulassen und sie an die Leute zu bringen. Ich habe mal ein paar Texte an einen Freund geschickt, der auch Musiker ist…

Und was meinte der dazu?
(lacht) Er sagte: Möchtest du einen Abend über Selbstmord machen?! Da bin ich erschrocken. Er fand meine Texte traurig und melancholisch. Ich selbst habe das gar nicht so empfunden, mich dem aber gebeugt. Wer will schon einen Abend über Selbstmord?

Aber nach sechs Alben, will man da nicht auch mal selber texten? Ihr Tagebuch wird ja noch andere Stellen als Selbstmord haben.
Vielleicht ist das der nächste Schritt. Aber die deutsche CD ist bereits ein ganz großer Schritt, der jetzt in Erfüllung geht. Das lag mir immer sehr am Herzen, mit deutschen Liedern auf Tournee zu gehen. Jetzt ist auch die Zeit dafür reif: Ich bin 57 und habe einen anderen Zugang zu solchen Texten. Sie zeigen mir die Zeitspanne, die ich gelebt habe. Vielleicht schreibe ich dann mit Sechzig meine ersten Texte (lacht).

Bei Ihren Auftritten spielt immer auch Humor eine sehr große Rolle. Wollen Sie sich als Musiker nicht zu ernst nehmen oder ist das ein Schutz?
Es ist oft ein Schutz. Manchmal greife ich zu dieser Humorkeule, weil ich Angst habe, dass das andere nicht wirkt. Auch wenn man es nicht glaubt: Ich bin ein sehr unsicherer Mensch. Wenn ich selber nicht so hundertprozentig überzeugt bin, ob das wirkt, was ich mache – dann gebe ich den Clown oder es wird ein wenig schlüpfrig. Und dann funktioniert es. Ich habe mir vorgenommen, mir in Zukunft noch mehr Zuversicht und Ernsthaftigkeit zu trauen.

Viele Künstler scheitern ja am Metierwechsel: Models, die nicht schauspielern können, Schauspieler, die nicht singen können. Wie ist da Ihr Rezept?
Ich glaube, ich habe etwas geschenkt bekommen – eine große Musikalität.
Ich habe immer gesungen. Schon als Kind habe ich Musiken gehört, aufgenommen und dann weiterentwickelt. Durch meine Musikalität bin ich entdeckt worden und zum Schauspieler-Beruf gekommen. Die Musik hat aufgrund meiner vielen Arbeit als Schauspieler dann lange brach gelegen. Ich habe in der Freizeit aber immer weiter gemacht. Bei Live-Konzerten werde ich dann auch als Schauspieler, als Entertainer aktiv. Ich kommuniziere mit dem Publikum. In dem Moment, wo ich auf der Bühne stehe, passiert etwas, das ich nicht erklären kann. Da entsteht dieser kleine Wirbelwind, der aus sich herausgeht.

Sie haben sich mal in einem Interview als „Durchschnittstypen“ bezeichnet. Wie passt das mit dem Wirbelwind auf der Bühne zusammen?
In jedem Durchschnittstypen sitzt auch etwas Außergewöhnliches. Das Durchschnittliche ist ja oft nur Fassade, die wir uns zum Schutz aufbauen. Aber darunter gibt es einen Menschen, der zum Blühen erweckt werden will. Ich lebe zu Hause fast schon spießig, aber auf der Bühne kann ich was rauslassen, was ich mir nicht im normalen Alltag traue. Da kann ich wild sein.

Doch wenn man wie Sie gleichzeitig Film- und Fernsehschauspieler ist, gibt es da keine Angst vor der großen Fallhöhe?
(sofort) Nein! Daran habe ich nie gedacht. Für mich waren Schauspielerei und Musik immer zwei völlig verschiedene Dinge. Bei der Musik bin ich Gustav und nicht jemand anderes.

Zitiert

Für mich waren Schauspielerei und Musik immer zwei völlig verschiedene Dinge. Bei der Musik bin ich Gustav und nicht jemand anderes.

Gustav Peter Wöhler

Ihre Eltern haben früher eine Kneipe in Herford bei Bielefeld besessen. Wenn Sie an Ihre Kindheit zurückdenken, welche Bilder kommen Ihnen in den Kopf?
Rauchende, Bier trinkende Männer an der Bar, sehr viel Arbeit in der Familie, wenig Zeit. Wenn ich von der Schule kam, habe ich schon fünfzig Meter vor der Haustür die Stimmung gespürt. Wie kann ich mich bewegen? Wie darf ich mich verhalten? Es gab oft so viel zu tun, dass wir Kinder Ballast waren. Ich habe später jahrzehntelang mit Bier überhaupt nichts anfangen können.

Das war sicherlich prägend.
Stimmt. Damals habe ich auch das Entertaining gelernt. Du musst als Wirt den Leuten immer ein positives Feedback geben. Da kannst du nicht sagen: Heute habe ich keine Lust. Die Menschen wollen unterhalten werden! Sie wollen nicht nur das Bier hingestellt bekommen, sondern auch hören: ‚Wie geht es dir? Was machst du?’ In der Kneipe habe ich meine ersten Auftritte gehabt. Wenn der Männergesangsverein bei uns seine Weihnachtsfeier hatte, musste Klein-Gustav singen.

Wer Biografien oder Interviews von Ihnen liest, erfährt auch, dass Sie mit Ihrem Lebenspartner verheiratet sind. War es Ihnen schon immer wichtig, offen schwul zu leben und damit vielleicht auch Vorbild für andere Schwule und Lesben zu sein?
Ich wusste bereits mit Zwölf, dass ich schwul bin. In der Kneipe wurde über Schwule oft hergezogen. Da wusste ich, dass ich vorsichtig sein muss. Aber nachdem ich von zu Hause ausgezogen bin, habe ich es in Wohngemeinschaften transparent gemacht. In Bielefeld habe ich auch durch die Schwulen-Gruppen gelernt, dass man es auch politisch betrachten kann; als Aufforderung: ‚Geht raus!’ Es heißt immer, am Theater kann man sich als Schwuler wohl fühlen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass da auch die gleichen Ressentiments existieren.

Zum Beispiel?
Mir wurde gesagt, ich könne keinen Ehemann mit zwei Kindern spielen. Ich würde ja gar nicht wissen, wie das ist. Und dann habe ich entgegnet: Wie kann dann ein Heterosexueller einen Schwulen spielen? Der weiß doch auch nicht, wie das ist. Teilweise wurde ich belächelt, nicht Ernst genommen. Und auch die Rollen waren entsprechend. Den Macho habe ich Anfang der Achtziger nie spielen dürfen. Das hat sich heute Gott sei Dank etwas geändert.

Dennoch spielen Sie immer wieder einen bestimmten Rollentyp.
Aufgrund meiner Physiognomie. In letzter Zeit sind es immer mehr ältere Väter, aber auch Bösewichte. Das gefällt mir sehr. Ich bin immer ein Charakterschauspieler gewesen. Mich hat nie der Hamlet interessiert, sondern immer der Polonius…

Einer der Bösen im Stück. Reizt Sie das Böse?
Mir gefällt, das Böse darstellen zu können, weil ich es sonst im Alltag nicht sein darf. Mit meinem Beruf habe ich die Möglichkeit, Dinge auszuleben, die ich sonst verstecken müsste.

Viele kennen Ihr Gesicht vom Fernsehbildschirm, verbinden damit aber eher Rollen in der zweiten Reihe…
(nickt) Dem ist so. Alle fünf Jahre kommt eine Hauptrolle, aber bekannt bin ich durch Figuren im Hintergrund. Ich wurde mal als der „König der Nebenrollen“ benannt. Das ist zwar gaga, aber ich mag die Nebenrollen.

König der Nebenrollen“ ist doch ein Kompliment.
Ja, aber es hört sich komisch an. Mittlerweile gibt es viele Könige der Nebenrollen.

Ist das auch der Grund fürs Singen: Von der Nebenrolle im Fernsehen zur Hauptrolle auf der Bühne?
Das kann gut sein, dass mein Ehrgeiz das beeinträchtigt.

Ein Kommentar zu “Wer will schon einen Abend über Selbstmord?”

  1. Folkert Bockentien |

    Mensch Gustav

    Ich hatte das Glück, mit Gustav auf der Bühne stehen zu dürfen.
    Seit dem bin ich vom Musiker und vom Schauspieler, aber vor allem vom Mensch Gustav Peter Wöhler angetan – diese Interview, glaube ich, kommt Gustav so nah, Kompliment!

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