DJ Koze, im Vergleich zu deiner Anfangszeit als DJ und Produzent elektronischer Musik ist der Zugang zur Musiktechnologie heute wesentlich leichter. Wie siehst du diese Entwicklung?
DJ Koze: Es ist durch die Demokratisierung der Produktionsmittel für jeden möglich, Musik zu machen, und jeder, den das interessiert, hat theoretisch ein Homestudio zu Hause. Aber es gibt nicht die Quantität an klasse Produktionen oder innovativer, elektronischer Musik – das ist nicht angewachsen. Im Gegenteil, ich habe eher das Gefühl, die Kanäle verstopfen, weil so viel rausgebracht wird. Es ist natürlich ein Segen für viele Leute, die Musik machen wollen, aber für die Musik an sich ist es vielleicht gar kein Segen.
Gibt es bestimmte Platten, die man gehört haben sollte, bevor man anfängt, elektronische Musik zu machen?
DJ Koze: Das weiß ich nicht. Auf der einen Seite denke ich, das haut gut hin, wenn du die alten HipHop-Sachen oder die Anfänge von House gehört hast, wenn du weißt, wo so etwas herkommt. Oder wenn du Soul gehört hast. Gleichzeitig passieren die faszinierendsten Sachen meistens durch Fehler, random, durch Nichtwissen und Naivität von irgendwelchen 19-Jährigen, die an ihren Plug-Ins rumschrauben – und dann hast du auf einmal so einen Monsterbass und einen Rhythmus, den sie nicht richtig zum grooven kriegen. Das ist dann Dubstep.
Du meinst, Dubstep war eher ein Unfall?
DJ Koze: Was da jetzt aus der Szene rauskommt, basiert glaube ich darauf, dass viele Leute ohne viel Wissen und ohne die ganze Historie aufgesaugt zu haben drauf los machen und das weglassen, was sie anstrengend oder nervig finden, die klassischen House-Chords zum Beispiel. Und der Rhythmus, der muss vielleicht gar nicht gerade sein, wir kiffen ja dazu, wir tanzen nicht. Und irgendwie kommen dann immer gute Sachen raus. Also, es kann auch sein, dass es eben genau passt, dass du keine Ahnung hast von allem.
Welche Rolle spielte bei deinen ersten Produktionen dieses ‚drauf los machen‘?
DJ Koze: Wenn ich mir meine alten Sachen anhöre – manchmal mache ich das, wenn ich so einen Nostalgischen kriege – dann denke ich: Oh ist das herrlich, wie frei und ohne Grenzen ich mich da austobe. Und natürlich hat sich diese Energie damals übertragen, hier mit Telefonanruf, dort mit einem Sample von Helga Beimer usw. Weil ich auch nichts wusste über Musik – oder nicht so viel – und das alles spannend fand.
Wie wichtig ist so eine Vorgeschichte fürs Musikmachen?
DJ Koze: Irgendeine Vorgeschichte hat ja jeder. Und selbst wenn man mit Sido und einem Free-Plug-In von Windows aufwächst: ein geiler Typ, der dafür irgendwie ein Gespür hat, weil seine Eltern interessante arabische Musik gehört haben, kann damit auch seinen eigenen Flavour finden, ohne dass er jemals Grandmaster Flash gehört hat. Dem vertraue ich schon.
Die Musik auf deinem Album „Amygdala“ ist harmonisch, melodiös -– ist es notwendig, sich als Technoproduzent auch mit Harmonien und Tonleitern auszukennen?
DJ Koze: Ben Klocks Musik liebe ich auch und da gibt es wenig Harmonien in dem Sinne. Trotzdem kann er magisch über sieben Minuten eine Stimmung einfangen. Lustig ist: Wenn du mit ihm redest, erfährst du, dass er oben in den Trichter klassische Musik wie Steve Reich und Bach reingießt. Und dann kommt unten trotzdem eine Musik raus, die für meine Eltern wahrscheinlich nur entmenscht klingt.
Wenn man in irgendeiner Form Verbindlichkeit erzeugen will, kommt man wahrscheinlich um Melodien gar nicht herum. Und es ist nicht leicht, Melodien zu erfinden, die nicht so klebrig an einem hängen bleiben, die nicht nachvollziehbar sind. Das ist eben das, woran ich mich gerade abarbeite. Ich möchte schon verbindlich sein und habe Lust auf Melodien, die sich nicht nur dem Nerd erschließen, sondern auch Leuten, die vielleicht gar nicht so viel von Musik verstehen. Melodien, die einfach wie Pop oder Soul ans Herz gehen, gleichzeitig aber auch eine technisch interessante Perspektive bieten.
Geht es dir auch um Perfektion? Spielt Virtuosität für dich eine Rolle?
DJ Koze: So etwas wie Virtuosität auf dem Piano ist total uninteressant für mich. Da kannst du auch einfach jemanden anrufen: Rent-a-good-musician, der spielt dir dann Soul-Akkorde, Blues-Akkorde… – aber das ist keine Magie. Magie ist, wenn du irgendetwas dazwischen findest. Und das ist gar nicht so einfach. Denn je mehr du spielen kannst, desto mehr bist du auch in einem Korsett drin, weil du dann weißt, welche Auflösung auf welchen Akkord folgen müsste. Ich finde nichts so öde, wie gut gemachte Mukke, Muckertum Mukke. Das ist völlig unmagisch.
Mukkertum Mukke?
DJ Koze: Damit meine ich eine Band, die ein Lied gut spielt. Finde ich völlig uninteressant, auch für elektronische Musik. Das ist doch das Geile an Hip Hop gewesen, dass man mit Minisprenkseln und magischen Loops die Behauptungen aufstellen konnte: Das ist jetzt Musik. Da geht es nicht darum, dass du ein Instrument gut spielen kannst.
Ein Lied ist für mich immer dann interessant, wenn ich das nicht sofort selber spielen oder selber bauen könnte. Man würde ja auch kein Buch lesen, was man selber schreiben kann.
Du hast von „klebrigen Melodien“ gesprochen – braucht man für einen Hit eine Melodie?
DJ Koze: Ja, wahrscheinlich. Obwohl viele große Hits ja ganz wenig Melodie haben.
Einer der letzten globalen Hits hatte gar keine Melodie.
DJ Koze: Welcher war das?
„Gangnam Style“ von Psy.
DJ Koze: Den kenne ich nicht so richtig, ich habe leider kein Radio. Da tanzt einer so, oder? War das nicht ein Inder?
Koreaner.
DJ Koze: Ich bin irgendwie ganz froh, dass ich von den ganzen Strömungen nicht so viel mitbekomme…keine Ahnung. Ich habe vor vier Monaten Cro kennengelernt, da war ich ganz beeindruckt.
Woher kommen die verschiedenen Klänge auf deinem Album, verwendest du mehr Hardware oder Software?
DJ Koze: Beides. Ich finde es sehr schwierig, nur mit der Software-Synthie-Welt Wärme und organischen Klang zu generieren. Bis da irgendwas brennt und mich inspiriert, dauert das richtig lange. Das ist immer wie hinter einer Glasscheibe.
Du benutzt zum Beispiel ein Balafon…
DJ Koze: Das ist mein Lieblingsinstrument, das habe ich auch wirklich im Studio. Ein unglaubliches Instrument, da habe ich mich irgendwann total reingesteigert. Ich habe quasi eine richtige Balafon-Sucht bekommen, nur über Youtube-Videos.
Aber so etwas kannst du doch in Hamburg an jeder Ecke kaufen, oder nicht?
DJ Koze: Nein, ich habe nach langen investigativen Maßnahmen einen Hersteller in Bremen gefunden. Den habe ich kontaktiert und er hat mich dann erstmal durchleuchtet, was ich damit machen will, ob ich es ernst meine. Irgendwann hat er gesagt, er würde sich vorstellen können, mir so ein Balafon zu bauen. Das dauert etwa ein halbes Jahr. Das Ding ist ein Wunder, da ist kein einziger Nagel drin.
Das wird alles nur mit Fäden zusammengehalten?
DJ Koze: Nur mit Fäden und Schlaufen. Und in die Kalebassen werden so kleine Löcher reingebohrt, die in Afrika mit Spinnen-Kokons beklebt werden. Wobei man dafür auch Zigarettenblättchen oder die ganz dünnen Tüten vom Gemüsemarkt nehmen kann. Das wird da raufgespannt, dann haut die Luft dagegen und so entsteht dieses schnarrende Geräusch. Unglaublich, dass eine Kultur sich das als ein Instrument aussucht, denn es hört sich ja extrem Aphex Twin-hardcore an. Wenn du da drauf haust, im Studio, das ist so groß….(macht ein lautes Geräusch).
Könnte man sich so einen Sound nicht auch irgendwo runterladen?
DJ Koze: Doch, klar. Aber das ist jetzt mein heiliges Stück, das ist das Schönste, was man sich für Geld kaufen kann. Und das passt dann auch.
Ich finde nichts so öde, wie gut gemachte Mukke, Muckertum Mukke. Das ist völlig unmagisch.
Mit welchem Adjektiv würdest du deinen Geräuschekosmos beschreiben?
DJ Koze: Cosy.
Also die englische Aussprache deines DJ-Namens.
DJ Koze: Ja, mein Name ist immer geil. Mein Name ist irgendwie immer nur einfach geil. Die Leute sagen immer Kosi. Oder Kos. Oder Kosé. In Japan sagen sie Kosse. Ich lasse immer allen freien Lauf. „Heißt du Koze oder Kosi?“ – „Ja, ja, ja.“ Ist mir völlig egal.
Die deutsche Übersetzung von „cosy“ wäre „gemütlich“…
DJ Koze: Es ist immer so eine Mischung aus Wärme und etwas Forderndem. Der Wärme und dem organischen Klang wird bei mir meistens irgendetwas entgegengestellt. Erst eine Rhodes-Harmonie und dann kommt diese Maultrommel, oder irgendetwas Metallisches, ein exotisches Instrument. Und im besten Fall dann in der Mitte noch eine Stimme. Und einen trockenen Beat. Fertig. Nächstes Lied.
Du verwendest immer wieder Sprach-Samples. Geschieht das mit einer bestimmten Intention oder eher zufällig?
DJ Koze: Da bin ich sehr streng. Text generell finde ich sehr schwierig und selten wahrhaftig. Und all das, was ich dann irgendwie nicht scheiße finde, das ist dann vielleicht mein Style.
Welchen Sinn oder Zweck hatte denn zum Beispiel die Textzeile „efdemin ist homosexuell“ in deinem Remix des Tracks „There will be singing“?
DJ Koze: Das ist ein kleiner Gag in einem ansonsten komplett ernsthaften Techno-Remix. Das hatte ich einfach noch ins Mikro gesprochen und Phillip geschickt (Phillip Sollman alias efdemin), ohne die Intention, dass das veröffentlicht wird. Aber dann hat er gesagt: „Wieso? Das lassen wir drauf, das bleibt jetzt so.“
Was ist mit „Im Namen der Heilung sind wir verflixt.“? (vom Album „Amygdala“)
DJ Koze: Das ist Dirk von Lowtzow. Für die Texte bin ich nicht verantwortlich.
Aber du verwendest sie.
DJ Koze: Ja genau. Ich hatte jetzt gerade Lust auf diesen Produzenten-Style, ich mache ein paar Beats und da können ein paar Freunde etwas drauf machen. Bei Dirk zum Beispiel habe ich um das, was er mir geschickt hat, das ganze Stück drum herum gebaut. Und ich finde es fantastisch, total schön. Ich mag jeden Text natürlich.
Aber was ich sagen wollte, war, dass ich generell Schwierigkeiten habe und sehr skeptisch bin, wenn ich Musik mit Vocals höre. Da wird ganz oft nur eine Form erfüllt. „So, und jetzt brauchen wir noch Vocals.“ Das finde ich meistens irgendwie total öde.
Das, was übrig bleibt, bei meiner ganzen Aversion, ist dann vielleicht in irgendeiner Form meine Vocal-Liebschaft. Es gibt ja auch ein einheitliches Bild, diese Zappa-mäßige Matthew Dear-Stimme, die wie so ein Alien daherkommt, Hildegard Knef, die nicht richtig singen kann, aber fantastisch röhrt, Dirk, der ebenso röhrt, dazwischen Milosh für das Engels-mäßige, Androgyne, und Ada. Da gibt es keine glatte Soulstimme, die einfach nur rumröhrt und virtuos Schlenker singt, so etwas finde ich schrecklich.
Du findest auch Ironie und Sarkasmus schrecklich, hast du mal gesagt.
DJ Koze: Ja, in der Musik. Dieses „efdemin ist homosexuell“ zum Beispiel ist ja nicht lustig, sondern es ist grotesk, das an den Anfang einer ernst gemeinten Komposition zu stellen, mit der ich mich lange beschäftigt habe. Das ist so als ob ich neun Jahre lang ein Gemälde malen würde und am Ende zeichne ich noch einen Woody Woodpecker drauf. Das passt nicht zusammen, finde ich aber gut. Das löst den Pathos des Gemäldes auf und gleichzeitig irritiert es. An Lachern hab ich gar kein Interesse. Ich nehme alles immer richtig ernst – viel zu ernst.
Aber du machst doch keine ernste Musik…
DJ Koze: Für mich ist es schon ernste Musik, ich hab wenig Intention, humoristische Elemente zu benutzen. Eine Maultrommel benutze ich ja nur, um sie dem Rhodes entgegenzusetzen, nicht weil ich eine Maultrommel präsentieren will. Wenn die keine Funktion hätte, würde die sofort rausfliegen. Jeder Sound muss für mich eine Funktion haben, es geht mir nicht um ein lustiges Instrument.
Es ist aber auch schlimm: Nur weil man einmal irgendetwas Witziges oder Humoristisches gemacht hat, wird sofort alles abgeklopft und gesagt: „Das kann nicht ernst gemeint sein, der hat mich doch schon einmal zum Lachen gebracht. “ Das können die Leute nicht verstehen, dass man auf mehreren Kanälen senden kann.
Bei welcher Musik geht dir persönlich das Herz auf? Ist das vor allem Musik, wo du merkst: der Künstler hat sich viel Mühe gemacht?
DJ Koze: Nein, alles durcheinander, von der Vier-Spur-Aufnahme oder irgendeiner Soul-Nummer bis zum geilen Track, der kann rough sein oder auch total ausproduziert. Es muss mich in irgendeiner Form treffen. Manchmal gibt es auch interessante Musik, die den Zufall nur einfängt, wo du das Beste aus einer Session rausschneidest. Das kann ganz toll und erhebend sein, weil man merkt: das ist frei und ohne großen Druck. Ich bin aber eher Fan von Leuten, die einen Song geschrieben haben und den dann auf den Punkt bringen, wo es irgendwie tight ist und nicht nur random.
Hörst du noch viel HipHop, nimmst du wahr, wie sich das Genre in Deutschland entwickelt?
DJ Koze: Ja, aber da gibt es wenig, was spannend ist. Ich fand Samy Deluxes Album „SchwarzWeiss“ fantastisch. Das habe ich immer zum Joggen gehört und ich war echt baff von seiner Detailverliebtheit und diesem freshen Style, von den Beats und seinen Raps. Das fand ich klasse. Ich mag das auch das Album von Kendrick Lamar total, das höre ich von morgens bis abends. Der hat einen ganz eigenen Style, ein bisschen düster, irgendwie total Hip Hop, aber auch so, dass man da als Nicht-HipHop-Fan ganz schnell andocken kann.
Mit der Entwicklung des Sync-Button hat sich in der DJ-Kultur Einiges verändert. Traust du dem Sync-Button?
DJ Koze: Nein. Das sollte man ja wohl noch hinkriegen, zwei Sachen zusammenmixen, wenn man sich DJ schimpft. Ich lege auch nicht mit dem Computer auf. Und den Sync-Button gibt’s noch nicht für CD-Player und Plattenspieler.
Aber da haben andere einen anderen Ansatz und sagen: „Es geht nicht darum, zu beweisen, dass ich mixen kann, sondern ich versuche hier mehr live-mäßig Rhythmen aneinanderzureihen.“ Ist ja auch völlig ok.
Aber wer mit auflegen anfängt, sollte erstmal Mixen lernen?
DJ Koze: Eigentlich macht das Sinn, ja. Dann bringt es auch doppelt Spaß, den Sync-Button zu drücken, weil man dann weiß, was man alles gespart hat. (lacht)
Du kannst ja auch scratchen…
DJ Koze: Genau, ich hab das früher mit Eifer verfolgt. Marcus Fink und ich haben uns zum Beispiel in England die Videos von den DMC Championships besorgt und uns dazu besoffen. Das war ein Fest, die DJs da zu sehen. Der ganze Zauber hat dann damit aufgehört, dass Computer und Sampler erlaubt waren. Wenn ich heute diese Wizards sehe, wie sie auf ihren Mini-Samplingtasten rumdrücken, dann habe ich immer das Gefühl: Das ist total pointless, das funktioniert nicht. Die Magie ist nicht mehr da. Früher war es die Idee: Zwei Plattenspieler, zwei Nadeln, zwei Kanäle und zwei Hände. Was kann man da rausholen?
Wenn heute bei einer Party zwei Laptops auf der Bühne stehen und der Beat wird definitiv auf 127bpm die nächsten zwei Stunden durchlaufen, und es wird definitiv keinen Aussetzer und keinen Fehler geben, und auf allen Kanälen halten dich Sounds in Schach – das ist dann ja auch nicht wirklich spannend.
Das Bandprojekt „Mostly Robot“ hat mal in Berlin bei einer Veranstaltung gezeigt, wie sich mit einem Sampler das Scratching eines DJs perfekt imitieren lässt.
DJ Koze: Musik wird durch ein mehr an Möglichkeiten nicht per se besser. „Mostly Robot“ sind ja alles von mir geschätzte Künstler. Mit so einem Projekt läuft man aber auch immer Gefahr, dass die Show zu einer jungsmäßigen Technikwerkschau verkommt, obwohl das vielleicht hier auch grad die Intention war. Ich finde, im besten Fall sollte die Technik völlig hinter der Musik verschwinden.
Hier gegenüber beim Kaiser’s kann man gerade Karten für den „A&P Summer-Rave“ kaufen**, mit Westbam, Aka Aka, Lützenkirchen…
DJ Koze: An der Supermarkt-Kasse? – Ja, dann nehm‘ ich eine Marlboro Light und ein mal den Summer-Rave.
Beeindruckend, die letzten Dämme sind offenbar gebrochen, man wehrt sich nicht mehr gegen Markenartikler oder Sponsoring. Selbst die größten Indie-Festivals sind mit irgendwelchen Brandings zugeklatscht. Ich komme noch aus einer anderen Zeit, wo wir hardcore gegen Major waren, gegen Markenartikler und so. Aber irgendwann ist das obsolet, besonders wenn dann der halbe Bekanntenkreis irgendwie als Grafiker oder Ausstatter für die Werbung arbeitet. Vielleicht ist das einfach der Lauf der Dinge. Ich fände es ein bisschen trist wenn mein Name mit A&P oder Kaiser’s verbunden wird. Aber keine Ahnung, vielleicht lohnt es sich ja.
Wie lebt es sich eigentlich als DJ und Produzent in Hamburg?
DJ Koze: Man ist nahezu unberührt von irgendwelchen Einflüssen. Es ist eine richtig langweilige Stadt, wo kaum etwas passiert, mit sehr netten, fleißigen Leuten. Und weil es so langweilig ist, kann man gar nichts Anderes machen, als selber etwas zu produzieren. Deswegen kommen auch gute, originäre Sachen aus Hamburg. Man hat nicht zu viel Zeit für Zerstreuung, man hat nicht so viel Ablenkung und auch nicht ständig das Gefühl, etwas zu verpassen. Das macht einen natürlich auch gelassener.
Wäre dir Berlin zu anstrengend?
DJ Koze: Also, wenn ich die ganzen Hipster sehe, die alle so aussehen wie ich, mit Laptop und Iphone, wie sie in ihre Handys tippen, DJs sind, mit DJ-Trolley im Café Latte Bistro sitzen, da würde ich wahnsinnig werden. Und dann heißt es immer: „Das ist der neue Club, das neue It-Ding, da musst du hingehen“, oder „das ist die neue Mode“. Es gibt ja eine statistische Erhebung, dass Frauen sich nach dem Durchblättern einer Frauenzeitschrift schlechter fühlen als vorher, weil sie einfach denken: „Man, das hab ich alles nicht“. Ein bisschen ist das so mit Berlin.
Und dann trifft man hier viele Leute, die sagen: „Entertaint mich, ich komm aus Spanien“ oder „Entertaint mich, ich bin hierhergezogen aus meiner Kleinstadt.“ Von solchen Sachen sind wir in Hamburg völlig unberührt. Dort passiert nie etwas. Es ist auch noch nie jemand von Berlin nach Hamburg gezogen, während aber alle von Hamburg nach Berlin ziehen.
Hamburg hat kein Touri-Problem?
DJ Koze: Nein, hätten wir gerne. Wir haben überhaupt kein Touri-Problem. Da will auch keiner länger wohnen. Es ist zu teuer, zu langweilig, zu reserviert. Ich liebe diese drei Komponenten, außer vielleicht „teuer“. Dass es ein bisschen distanzierter und langsamer ist, mag ich. Aber ich kann auch immer abhauen, zum Auflegen. Sonst würde ich echt ’ne Krise kriegen in der Stadt.
Du hast einmal erwähnt, dass du lieber im Ausland auflegst als in Berlin. Warum?
DJ Koze: Meine beiden letzten Auftritte in Berlin waren klasse, aber es gibt so eine Sättigung. Das ist hier wie auf einer Messe, wie wenn du auf dem Sonar-Festival auflegst. Da ist egal, ob du da bist oder in China ein Reissack umfällt. Weil nach dir kommt der nächste DJ und der nächste steht schon mit seiner Tasche da und hat die neuesten Beats. Alles ist überall in massiger Omnipräsenz verfügbar. Es kann furchtbar sein, wenn eine Stadt irgendwann keinen Hunger mehr hat, dann liegt auch keine Energie mehr in der Luft. Aber Sorgen mach ich mir um Berlin da grad noch nicht.
Spürst du in Hamburg noch diesen Hunger?
DJ Koze: In Hamburg ist es einfach nett und gemütlich. Das ist immer noch besser als gesättigt.
Man schielt von Hamburg also nicht neidisch nach Berlin rüber…
DJ Koze: Natürlich ist Berlin eine faszinierende Stadt, da schwingt auch immer ein bisschen Neid mit. Mich würde es aber auf Dauer echt ein bisschen nervös machen. Ich hab schon genug anderen Terror im Kopf.
Warst du schon im neuen Mojo-Club in Hamburg?
DJ Koze: Nein. Da hab ich so die leichte Angst, dass das geschmäcklerisches Ausgehen für Enddreißiger ist, mit so Connaisseur-Musik.
Aber du bist doch jetzt….
DJ Koze: Ich bin 40. Aber ich will nicht stilvolles Ausgehen mit Gleichaltrigen haben. Ich will kaputtes Ausgehen und Exzess haben, mit Gleichaltrigen
Das Interview fand im Februar 2013 in Berlin statt.