Michel Gondry, als französischer Filmemacher leben Sie seit Jahren in Brooklyn, New York. Stellt die englische Sprache für Sie noch eine Hürde dar?
Michel Gondry: Ja, jeden Tag. Je nachdem wann man eine Sprache lernt, ob mit zwei Jahren, mit sechs, oder zwölf, verbindet sich die Sprache mit unterschiedlichen Regionen des Gehirns. Die Worte sind dann auch mit verschiedenen Gefühlen verknüpft. Ich habe Englisch erst gelernt, als ich in meinen Zwanzigern war.
Was hat das für Folgen?
Gondry: Ich kann meine Gefühle viel leichter auf Englisch ausdrücken, als auf Französisch. Ich habe zum Beispiel noch niemandem „Je t’aime“ gesagt. „I love you“ geht mir vergleichsweise leicht über die Lippen.
Warum das? Ist Ihnen „Je t’aime“ etwa zu abgenutzt?
Gondry: Diese Worte sind für mich mit ganz besonders starken Emotionen verbunden. Sie stehen für eine Art von Hingabe, die mir einfach zu viel ist. Man kann das nicht zurücknehmen, wenn man es einmal gesagt hat.
Das klingt, als wäre „Je t’aime“ für Sie keine Liebeserklärung, sondern ein Fluch?
Gondry: Ja, so fühlt sich das auch an.
Sind Sie abergläubisch?
Gondry: Nein. Es ist eher so, dass ich keine Erwartungen wecken möchte, die ich dann nicht erfüllen kann. Ich verliebe mich natürlich, aber trotzdem sage ich diese Worte nicht. Vielleicht, weil mein Gefühlsleben ein bisschen hektisch ist. „Je t’aime“ ist kompliziert. Deswegen sage ich lieber „I love you“.
Gibt es auch französische Ausdrücke, die Sie in New York gerne verwenden würden, für die es im Englischen aber keine Entsprechung gibt?
Gondry: Ja, aber das gefällt mir. Ich erkläre dann immer wörtlich, was ich mit einer französischen Redewendung sagen möchte. Wenn man zum Beispiel jemandem nicht mehr zuhören möchte, sagt man auf Englisch eigentlich: Sprich mit meiner Hand! Auf Französisch sagen wir wörtlich: Sprich mit meinem Arsch, mein Kopf ist krank. So sage ich das dann auch gerne auf Englisch. Das ist eine Humor-Ebene, die ich in Frankreich gar nicht zur Verfügung hätte.
Von Ihrem neuen Film „Der Schaum der Tage“ existieren zwei Fassungen, eine französische und eine kürzere internationale, die nun auch in Deutschland ins Kino kommt…
Gondry: Sie ist sogar 35 Minuten kürzer. Ich kann gar nicht sagen, welche der Versionen mir besser gefällt.
Laut Ihres Filmverleihs wurden Szenen herausgeschnitten, die man nur in Frankreich verstanden hätte. Wäre es möglich gewesen, diese Szenen zu verlängern, zu erklären, anstatt sie wegzulassen, so, wie Sie es mit französischen Redewendungen machen?
Gondry: Vielleicht, aber dann wäre der Film drei oder vier Stunden lang geworden. Das hätte im Kino nicht funktioniert. Es ging darum, den Film konzentrierter und zugänglicher zu machen. Er stellt nun die Liebesgeschichte mehr in den Mittelpunkt und hat nicht so viele Seitenstränge. Es fiel mir nicht schwer, ihn zu kürzen, weil die französische Fassung ja existiert. Also gingen keine Szenen wirklich verloren.
Würden Sie eine der herausgeschnittenen Szenen denn wenigstens beschreiben?
Gondry: In der Originalversion sieht man am Schluss, wie Colin versucht, den Sarg für Chloé zu bauen.
Man muss wohl anmerken, dass es ausnahmsweise zulässig ist, über das Ende von „Schaum der Tage“ zu reden. Die Romanvorlage von Boris Vian ist in Frankreich so bekannt wie „Romeo und Julia“. Zudem würde die Hoffnung auf ein Happy End den Film fast unerträglich machen.
Gondry: Da haben Sie wohl Recht. Auch diese letzte Szene ist eigentlich ziemlich grausam. Der Sarg passt nicht durch die Tür, deshalb wird die Wand teilweise eingerissen und so weiter. In der kürzeren Fassung sieht man von Chloés Tod nicht viel und auch danach ist der Film schneller zu Ende.
Ich wuchs eher in einer typischen 70er-Jahre-Atmosphäre auf. Wir waren fast Hippies.
Gehört „Schaum der Tage“ eigentlich in Frankreich zur Schullektüre?
Gondry: Ja, mittlerweile schon. Aber es ist ein Buch, das gelesen wird, weil die Menschen es lieben, nicht weil sie es lesen müssen. Ich war 14 oder 15 als ich es entdeckte.
Sie sind, wie Boris Vian, in Versailles zur Schule gegangen.
Gondry: Ja, es war sogar die selbe Schule. Nur lagen etwa 40 Jahre zwischen uns.
Und Sie beide wurden erfolgreiche surrealistische Künstler. Ist das die zwangsläufige Folge, wenn man in Versailles aufwächst, im Schatten des legendären Schlosses von Ludwig XIV.?
Gondry: Nun, man ist dort sehr behütet, wird sehr konservativ erzogen. Aber meine Eltern waren anders. Wir lebten auch erst seit ein paar Generationen dort, das ist nichts im Vergleich zu den alt eingesessenen Familien in Versailles, die oft auf eine lange Tradition großer Militärkarrieren zurückblicken. Ich wuchs eher in einer typischen 70er-Jahre-Atmosphäre auf. Wir waren fast Hippies.
Ihr Großvater war ein bekannter Erfinder, Ihr Vater liebte den Jazz. Über Ihre Tante Suzette, eine vielgereiste Lehrerin, haben Sie sogar einen Dokumentarfilm, „The Thorn in The Heart“, gedreht. Über den Einfluss, den Ihre Mutter auf Sie hatte, liest man hingegen nichts.
Gondry: Meine Mama hat mich sehr in meinem kreativen Denken und in meiner Malerei unterstützt. Das war ja die Kunst, der ich zunächst nachging, an der Kunsthochschule, aber auch schon früher. Als Kind durfte ich zuhause die Wände bemalen, ich hatte auch Zugang zu Fotoapparaten und zu Musikinstrumenten. Das war ganz normal und hat mich für vieles offen gemacht.
Ihre Tante Suzette erwähnt in Ihrem Film auch, dass die Gondrys eine ausgeprägte Angst vor Krankheiten hätten.
Gondry: Das ist wahr. Deshalb hat mir „Der Schaum der Tage“ auch zu schaffen gemacht. Da stirbt Chloé ja an einer Seerose, die in ihrer Lunge wächst. Ich hatte Angst davor, dass mir etwas Ähnliches passieren könnte. Nicht lange, ich bin ja nicht abergläubisch, aber vielleicht fünf Minuten. Suzettes Seite der Familie ist ganz anders, sehr stark. Die können über Krankheiten und den Tod nachdenken und reden und lachen noch dabei. Die Gondrys verdrängen diese Dinge lieber.
Boris Vian war von Kindheit an schwer herzkrank…
Gondry: Und er starb mit 39, im Kino, bei einer Testvorführung der Verfilmung seines Romans „Ich werde auf eure Gräber spucken“. Das war tatsächlich auch ein Grund, mir zweimal zu überlegen, ob ich wirklich seinen „Schaum der Tage“ verfilmen soll.
Vian war damals schon vorher mit der Verfilmung unglücklich gewesen. Auch die Besetzung mochte er nicht. Ich vermute mal, das ging Ihnen bei „Schaum der Tage“ anders?
Gondry: Ja, ich konnte mir meine Schauspieler aussuchen. Audrey Tatou besitzt eine Empfindsamkeit, die an die Heldinnen der Stummfilmzeiten erinnert. Mit Omar Sy möchte seit seinem Erfolg mit „Ziemlich beste Freunde“ jeder arbeiten. Er spielt mit einer Menschlichkeit, die mich sehr berührt. Und Roman Duris gefiel mir als Colin, weil er eine sehr männliche, aber auch eine zerbrechliche Seite hat. Diese Ambivalenz war mir wichtig. Ich hatte selbst mal eine Freundin, die schwer erkrankte. Sie wurde wieder geheilt, aber ich kenne die Scham, die man in so einer Zeit empfindet, weil man das Glück hat, gesund zu sein.
Wie bei „Romeo und Julia“ geht es auch in „Schaum der Tage“ auch um einen gesellschaftlichen Konflikt. Bei Shakespeare streiten sich zwei mächtige Familien und versöhnen sich am Ende. Bei Vian bleiben Hedonismus auf der einen und Kapitalismus auf der anderen Seite unvereinbar.
Gondry: Also zunächst einmal geht es bei Vian um ein Ideal, die glückliche Liebe zwischen Colin und Chloé. Das stürzt dann aufgrund einer Krankheit in sich zusammen. Colin, ein wohlhabender junger Mann, hatte geglaubt, niemals arbeiten zu müssen. Auch das funktioniert durch die Krankheit nicht mehr, weil die Behandlung so teuer ist. Colin wird mit der Realität der Arbeitswelt konfrontiert. Und mit der Vorstellung, dass man Arbeit braucht, um glücklich zu sein. Das hat Boris Vian sicher nicht so gesehen und es funktioniert ja auch nicht. Colin baut durch seine Tätigkeiten, die allesamt komplett sinnlos oder absurd sind, immer mehr ab. Und Chloé stirbt trotzdem. Es ist eben eine ziemlich fatalistische Geschichte.
Was sagt uns das über die Franzosen, dass dieser Roman bei Ihnen so beliebt ist?
Gondry: Das hat wohl weniger mit den Franzosen zu tun, sondern mit einer gewissen Erfahrung, die die meisten von uns in der Pubertät machen. Da merkt man doch, dass die optimistische Weltsicht, um die sich die meisten Eltern bemühen, eine Lüge ist. Die Welt ist nunmal oft grausam und kennt kein Happy End. Und mit dieser Erkenntnis ist man nicht mehr allein, wenn man „Schaum der Tage“ liest. Da wird nichts gut und es kann auch keine Fortsetzung geben. In dem Alter hat man ja auch keine Angst vor der kompletten Finsternis, die das Ende des Romans auszeichnet. Man fühlt sich von dem Buch verstanden. Das ist der Grund warum „Schaum der Tage“ seit seiner Wiederentdeckung in den Sechzigerjahren immer populärer wird.
Haben Sie als Vater versucht, Ihren Sohn Paul vor dieser fatalistischen Weltsicht zu schützen?
Gondry: Nein. Er hat immer gemacht, was er wollte. Ich hätte es auch als albern empfunden, ihm Filme zu verbieten, weil ich wusste, dass er sie sich dann woanders sowieso anschauen würde. Als er zehn Jahre alt war, hat er sich „A Clockwork Orange“ von Stanley Kubrick angesehen und sich damit ganz schön identifiziert. Trotzdem hat er nie jemanden verprügelt. Das hoffe ich jedenfalls. Er ist ein ziemlich entspannter Junge und mittlerweile auch schon 22.
Eine letzte Frage: Ihre Filme feiern den Surrealismus als Wirklichkeit, wie sie nur noch von Liebenden erlebt wird. Der deutsche Philosoph Peter Sloterdijk hat hingegen die These aufgestellt, dass der Surrealismus heute am konsequentesten in der Politik und im Gebaren der Finanzmärkte weiterlebt. Wer hat Recht?
Gondry: Nun, zunächst einmal bezweifele ich, dass der Surrealismus eine Philosophie ist. Er ist einfach eine Art, die Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten, nicht zu rational zu sein. Es geht darum, sich eine offene Haltung dem gegenüber zu bewahren, was wir nicht sehen können, was wir normalerweise für unmöglich halten. Insofern gibt es wohl auch eine gewisse Verbindung von Surrealismus und den Finanzmärkten. Aber die Finanzkrise wurde ja vor allem von der individuellen Gier selbstsüchtiger Menschen verursacht. Das hat für mich mit Surrealismus eigentlich nichts zu tun.