Marius Müller-Westernhagen

Ich muss niemanden bedienen.

Marius Müller-Westernhagen hat für 2014 ein neues Album angekündigt, das er auf einer Clubtour vorstellt. In Berlin sprach er aus diesem Anlass über die Vorbereitungen, störende Handys auf Konzerten, sein Verhältnis zu Plattenfirmen, die Gier im Musikgeschäft und sein Fitnessprogramm.

Marius Müller-Westernhagen

© Martin Huch

Marius Müller-Westernhagen, Sie haben für April 2014 eine Club-Tour angekündigt, obwohl Sie eigentlich auch große Hallen füllen könnten. Was ist die Idee dahinter?
Marius Müller-Westernhagen: Die Idee kam uns beim Aufnehmen des neuen Albums „Alphatier“. Wir sind in New York ins Studio gegangen, und als wir die Stücke dort spielten habe ich gesagt, wir nehmen das direkt live auf, weil inzwischen so eine Chemie in dieser Band besteht, es gegenseitige Liebe und Respekt gibt, wie ich das vorher noch nie erlebt habe. Wenn man unsere E-Mails liest, denkt man, da schreiben sich Homosexuelle.
Dann kam irgendwann die Idee von einem der Musiker, dass wir das Album mal zusammen in kleinen Clubs spielen müssten. Da habe ich gesagt: „Jungs, ihr kostet alle Geld, da müssen wir dann alle Abstriche machen“. Insofern möchte ich betonen: Diese Clubtour ist weder für den Veranstalter ein Geschäft, noch verdiene ich da einen Pfennig dran. Das ist reiner Spaß, rein der Wille, diese Musik, bevor sie veröffentlicht wird, live zu präsentieren.

Wie lange ist Ihre letzte Club-Tournee her?
Müller-Westernhagen: Viele Jahrzehnte. Wir haben mehrmals Aufwärm-Gigs in Clubs gespielt, was uns immer viel Spaß gemacht hat.
Es wird bei dieser Tour keine Hitparade von mir geben, sondern es geht darum, das neue Album, die Musik und die 14 neuen Songs live zu spielen und vorzustellen. Dafür bieten sich Clubs auch an.

Die Songs bekommt man vorher nirgendwo zu hören?
Müller-Westernhagen: Ich weiß, dass das heute gang und gäbe ist, Journalisten bekommen die Songs sehr weit im Vorfeld, es wird darüber diskutiert, darüber geredet… Für mich ist es die größte Idiotie, wenn man die Musik im Radio schon hören, aber noch gar nicht kaufen kann. Wahrscheinlich bin ich altmodisch, aber das ist etwas, was ich nie begriffen habe. Wenn ich einen Song im Radio höre dann möchte ich ihn auch haben.
Ich finde, dass Künstler dazu da sind eine Illusion zu schaffen und nicht eine Illusion zu zerstören. Und alles was an Vermarktung da ist – im Film, in der Musik – zerstört eigentlich die Illusion. Mich ärgert das immer bei neuen Filmen: Du siehst vorher immer schon ‚Making-Of’s, bevor diese Filme ins Kino kommen, wo genau erklärt wird, „das sind die Tricks“ usw. – das finde ich desillusionierend. Ich möchte mich auf etwas Neues freuen, mich darauf einlassen und dann Teil des Ganzen werden.

Wann kann man die Songs dann hören?
Müller-Westernhagen: Ich hoffe, dass wir es schaffen, dass in dem Moment, wo die Leute aus dem letzten Konzert der Tour rausgehen, man die Platte auch kaufen kann. Sowohl auf CD als auch Vinyl, was ich selbst seit vielen Jahren mache, weil es einfach eine unglaublich schöne Form ist.

Bedeutet ein Clubkonzert für Sie ein anderes Verhältnis zum Publikum?
Müller-Westernhagen: Es ist anders. Konzerte sind ja immer, wenn es gut funktioniert, ein Austausch der Energie zwischen Publikum und denen, die auf der Bühne stehen. Das ist auch das, was es sehr anstrengend macht, weil sehr viele Menschen ihre Gefühle und Wünsche auf dich projizieren, das musst du aushalten können. Das ist unglaublich körperlich spürbar bei Stadien, das ist etwas, woran man sich gewöhnen muss, denn bei 60.000 bis 80.000 Menschen hat dich das fast um.
Das Schöne am Club ist, dass die Menschen dort sehr viel näher dran sind. Ich will es auch einfach so haben, wie es mal war, keine Barrieren vor der Bühne, sondern dass die Leute ganz nah ran können. Und in den kleinen Clubs geht es ja nicht um eine große Showpräsentation. Die großen Konzerte sind inzwischen ja multimediale Ereignisse, dafür brauchst du eine richtige Inszenierung, Video- und Licht-Inszenierung, das gehört alles dazu und braucht eine Vorbereitung von einem Jahr.
Bei Club-Gigs ist das Substanzielle wichtig, die Musik. Es konzentriert sich wieder viel mehr auf die Musik. Wobei ich nicht aufhöre mit den Hallenkonzerten, das wird es auch geben. Nur mein Entschluss, dass ich keine Stadien mehr spiele, der besteht nach wie vor.

Die Eintrittskarten kosten nicht mehr als 49,90 Euro und es gibt 50 % Prozent Ermäßigung für Schüler und Studenten. Hat diese Preispolitik auch etwas mit Ihrer früheren Zeit zu tun, mit der Verfügbarkeit und dem sozialen Aspekt des Rock’n’Roll?
Müller-Westernhagen: Das Problem bei Hallen oder großen Produktionen ist ja, dass es dadurch auch nicht billiger wird für dich (als Künstler). Ich habe mich da immer in Konkurrenz gesehen mit den internationalen Stars, die auf Tour kommen, ob das U2 sind oder die Rolling Stones. Um mit denen zu konkurrieren, musst du einen gewissen Aufwand fahren. Und wenn du die Latte einmal so hoch gelegt hast, musst du das immer wieder bestätigen und immer wieder drüberspringen.
Die Produktionen werden ständig teurer und manchmal sind die Preise in den Hallen so weit weg von den internationalen – weil die internationalen mehr Möglichkeit haben, das Geld zurückzubekommen, weil sie sehr viel mehr Konzerte machen, über einen viel größeren Zeitraum. Und je länger du eine Crew engagierst, desto billiger wird es.
In den Clubs fände ich es unverschämt, mehr Eintritt zu nehmen. Wir haben uns darüber unterhalten und uns darauf geeinigt, dass an der Sache nichts zu verdienen ist. Das ist halt so. Ich weiß, dass es das wert ist, und ich will das machen.
Mit den Preisen für Studenten und Schüler habe ich mir gedacht: Ich habe so angefangen, das war mein Publikum. Als „Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz“ rauskam, oder „Sekt oder Selters“, waren meine Spielorte u.a. das Audimax in Hamburg. Es waren zum großen Teil Studenten und Schüler, die zu mir in die Konzerte kamen.
Ich vergleiche große Karrieren immer mit der Jesus-Geschichte: Du kommst auf deinem Eselchen geritten, ein paar Leute finden dich gut und schreien „Da ist er, der neue…“ dann werden es immer mehr Leute, immer mehr, irgendwann bist du Mainstream, ohne, dass du es mitkriegst – und dann kommt die andere Seite. Dann verlierst du zum Großteil immer die Leute, die ganz am Anfang da waren, weil sie sagen: „Der ist jetzt nicht mehr unser…“ – obwohl das nicht der Fall ist, aber so ist es halt. Das ist allen so passiert.

Wie schaffen Sie es, einen intimen Rahmen zu wahren, wo man heute bei Konzerten immer diese Wand aus Smartphones hat? Wird es bei Ihnen auf dem Konzert keine Handys geben?
Müller-Westernhagen: Das ist für uns, die wir auf der Bühne stehen eine sehr schwierige Nummer, weil es echt störend ist. Ich war neulich bei einem Björk-Konzert, wo es vorher eine Ansage gab, das bitte nicht zu tun. Weil es dich effektiv auf der Bühne stört. Die Leute kommen ja hin, um dich zu sehen, du bist bereit, da alles zu tun, um ihnen eine gute Show zu bieten, und sie sollen eigentlich, wenn sie dahinkommen, zum Teil der Show werden. Und nicht ständig abgelenkt sein, durch die Handys.
Verhindern kann man es nicht, aber wir werden auf jeden Fall versuchen, eine Form zu finden, dass die Leute trotzdem ihr Handymaterial bekommen – aber ihr Handy nicht die ganze Zeit hochhalten. Ich weiß noch nicht, wie das funktionieren soll, wir versuchen schon mit Telekommunikationsfirmen darüber zu sprechen.
Es ist störend, ganz ehrlich und es wäre sehr schön, wenn Menschen das einsehen würden, dass das die Musiker in ihrer Konzentration und auch in ihrer Freude, da oben auf der Bühne zu stehen, stört.

Stichwort neue Technologie: Sind Sie eigentlich auf Twitter oder Facebook?
Müller-Westernhagen: Ich persönlich nicht, wobei mein Management denkt, dass sei notwendig. Aber es gibt sicher absolut nichts Privates von mir im Internet. Weil ich einfach der Meinung bin, dass es die Leute nichts angeht. Und die Privatsphäre ist ein sehr hohes Gut, die will ich mir auch um Gottes Willen bewahren. Da könnte man jetzt lange drüber diskutieren: Wofür sind soziale Medien gut und wofür sind sie auch unglaublich schlecht? Leider ist das Internet nicht nur in den Händen intelligenter Menschen.

Welcher musikalische Geist weht durch das neue Album „Alphatier“?
Müller-Westernhagen: Es ist auf keinen Fall wie früher, das möchte ich abstreiten. Ich habe diese amerikanischen Musiker gefunden, bei der Arbeit am Album „Williamsburg“ – und das hat mich einfach in eine andere Welt gebracht, von der ich nie dachte, dass ich dort akzeptiert und respektiert werden würde. Wenn du mit solchen Leuten zusammenspielst, die du selbst bewunderst, dann musst du natürlich die Arschbacken zusammenkneifen, wenn du auf diesen Niveau mithalten möchtest. Die bringen dich dann einfach auf ein anderes Level. Und dadurch, dass ich in den letzten Jahren sehr viel mehr getourt bin und mehr gespielt habe, habe ich glaube ich auch eine Menge dazugelernt.
Bevor wir diese Platte machten, habe ich mich gefragt: Was macht uns aus, auf der Bühne? – Das ist diese ständige hohe Energie die herrscht, die Leidenschaft und die Freude beim Spielen. Und jetzt war es die Aufgabe, das ins Studio zu kriegen, auf eine Platte zu übertragen. Ich hoffe, das ist uns gelungen.

Ist der Album-Titel „Alphatier“ auch eine Selbstzuschreibung?
Müller-Westernhagen: Ich habe mich selbst nie als Alphatier bezeichnet, die Presse aber oft genug. Nein, das hat nichts damit zu tun. Das wird man dann hören, was der Inhalt des Songs ist.

Woher nehmen Sie bei Ihren neuen Texten die Spannung, die Inspiration?
Müller-Westernhagen: Du wirst im Laufe der Jahre ja immer anspruchsvoller, was die deutsche Sprache angeht. Ich hatte diesmal sehr viel Grund zu schreiben und das Komische war: Ich saß in Südafrika in einer unglaublich schönen Landschaft, bei wahnsinnig gutem Wetter und fing auf einmal an, einen wütenden politischen Text zu schreiben. Was ich viele Jahre nicht gemach habe.
Die letzten zwei Jahre waren für mich unglaublich glücklich und inspirierend. Von der Musik, durch mein Leben, sicher auch inspiriert von Afrika, auch da gab es musikalische Einflüsse. Und dann bekommst du auch wieder diese Lust.
Wobei Motivation bei mir nie ein Problem war. Für mich ist es immer so: Ich fange ein neues Album an, das geht bei Null los, das ist für mich immer wie das erste Album. Ich muss ja auch nichts abliefern. Das ist wirklich auch ein Privileg, ich lasse mir dafür so viel Zeit, wie ich brauche.

Zitiert

Es gibt sicher absolut nichts Privates von mir im Internet.

Marius Müller-Westernhagen

Wie ist Ihr aktuelles Verhältnis zu Plattenfirmen?
Müller-Westernhagen: Ich war über 30 Jahre bei einer Major-Plattenfirma, wo zum Schluss beiden klar war, dass wir nicht mehr zusammen arbeiten. Als das auslief rief mich gleich am nächsten Morgen Tim Renner an und sagte: „Unterschreib‘ bei keinem anderen Major!“. Deren Leute waren tatsächlich schon am nächsten Tag bei mir im Büro.
Aber ich habe Tim gesagt „Nein, mach‘ dir keine Sorgen“. Diesem Druck setze ich mich nicht mehr aus. Gerade in der Zeit, wenn man erfolgreich wird, ist der Druck immens hoch. Ich hatte immer einen Plattenvertrag, der mir künstlerische Freiheit garantiert, aber in dem Augenblick, wo du ein wirtschaftlicher Faktor wirst für so eine Plattenfirma, ist der Druck da, immer etwas Erfolgreiches zu machen. Und es ist auch klar, dass du eine soziale Verantwortung übernimmst, für die Leute, die in dieser Firma arbeiten. Es war für Warner Deutschland wichtig, ob eine Platte von mir rauskam oder ob eine von Phil Collins rauskam, darauf war deren Jahresbudget mit aufgebaut. Diesem Druck wollte ich mich nicht unterwerfen. Ich gehe heute das Risiko selbst ein, andere haben das auch geschafft. Ich bin inzwischen in einer Position, wo ich sage: Mir geht es darum, mich zu verbessern, gute Platten zu machen, und wenn ich dabei das, was ich reinstecke, wieder rauskriege, bin ich im Grunde genommen schon zufrieden.
Das ist für einen etablierten Künstler auch nicht so schwer, ich suche mir einfach einen Vertrieb, kriege dafür einen Vertriebsvorschuss, der mich finanziell dann auch halbwegs absichert.
Motor Music hatte außerdem die gute Idee, dass man den Büroapparat einer Plattenfirma nicht immer braucht, sondern nur in den Zeiten, wo man eine Platte veröffentlicht. Das war Petra Husemanns oder Tim Renners Idee, eine Firma zu machen, die „Rent a Record Company“ heißt. Und da Tim seit einigen Jahren mein Management macht, bot sich das einfach an.
Aber die Verantwortung, die finanzielle und inhaltliche, das liegt alles auf meinen schmalen Schultern. Ich trage auch gerne die Konsequenzen, wenn es schlecht läuft. Bei einer Major-Company trägt man ebenfalls die Konsequenzen, wenn es schlecht läuft – nur wenn es gut läuft gibt es auch ganz viele Leute, die daran beteiligt waren (lacht).

Sie werden bald 65, wollen Sie mit der Club-Tour und dem neuen Album auch nochmal die eigene Jugend anzapfen?
Müller-Westernhagen: Nein, damit hat es absolut nichts zu tun.
Du hast ja, wenn du dieses Geschäft ernst nimmst, was ein bisschen schwierig geworden ist, weil es auch so zynisch geworden ist… Es geht heute nicht mehr darum, dass Leute sich entwickeln oder kreativ sind. Sondern es geht eigentlich nur darum, ein „Brand“ (Markenzeichen) zu finden und das dann ständig zu wiederholen. Es geht darum, Leute zu bedienen. Das war nie meine Intention, ich bin der Meinung: Ich muss niemanden bedienen. Ich bin auch niemandem Rechenschaft darüber schuldig, was ich mache. Da gehe ich total mit Herrn Meese, der sagt: „Kunst ist Diktatur.“ Das ist so. Weil es nur aus dir kommen kann und nicht aus der Meinung von 20 verschiedenen Leuten, die sagen: „Mach mal so, und so, das läuft jetzt und dieses läuft jetzt…“. Darum habe ich mich nicht geschert. Aber ich komme ursprünglich von einer Soul- und einer Blues-Band, in der ich in Düsseldorf gesungen habe. Blues war die erste Musik, die mich gepackt hat, die mich interessiert hat, und die ich gefühlt habe.
Dann gehst du durch eine Karriere und versuchst, experimentierst, machst dieses und jenes, gehst mal in die falsche Richtung, kommst wieder zurück – im Grunde genommen kommst du immer wieder zu dem zurück, was dich ursprünglich motiviert hat. Was du am meisten fühlst. Nur brauchst du dafür auch die richtigen Leute.
Ich habe Jahrzehnte mit Musikern gespielt und gesucht und gesucht, und als ich mit den ‚Amis‘ angefangen habe zu spielen, da klang es das erste Mal so, wie ich mir es immer gewünscht habe, dass es klingt. Das ist ein Glücksgefühl, was man sich gar nicht vorstellen kann.

Sie erwähnen die guten amerikanischen Musiker Ihrer Band – ist es in Deutschland schwierig, gute Bandmusiker zu finden?
Müller-Westernhagen: Wir haben hier sehr gute Musiker, vor allem die Qualität der jungen Musiker ist viel höher, als es zu meiner Zeit war. Als ich anfing in meiner ersten Band mit 14, da konnten wir noch überhaupt nicht spielen. Das erste Schlagzeug bestand aus Eimern und die ganze Band spielte über einen 30Watt-Verstärker, einschließlich des Sängers. Das war reiner Enthusiasmus.
Heute sind die bei den Fähigkeiten ein Instrument zu spielen sehr viel weiter, es ist eine hohe Qualität da. Ich bin damals mit angloamerikanischer Musik groß geworden, wir hatten keine andere. Nach dem Krieg gab es noch Schlagermusik, die wir alle gehasst haben, und das Einzige was ich ernst nahm – das kam durch meinen Vater, der in Düsseldorf beim Gründgens-Ensemble war – , waren die Melodien von Kurt Weill, das fand ich toll. Ansonsten war es für mich halt die amerikanische Geschichte, da ging es uns nicht anders als den Engländern, mit nachts unter der Decke Radio Luxemburg hören usw. Das verinnerlicht man und da habe ich mich immer versucht reinzuleben und reinzudenken. Für Amerikaner ist das ja bis zu einem gewissen Punkt Folk-Musik, das ist in ihren Genen, d.h. ihre Empfindung ist eine andere. Und wenn die mich da reinlassen ist das natürlich eine Gabe.
Nein, es gibt inzwischen unglaublich gute Musiker in Deutschland, wir müssen nur aufpassen, dass wir sie nicht alle auf die falsche Schiene schicken. Ich habe vor einiger Zeit in Mannheim in der Pop-Akademie mit Schülern gesprochen und ihnen gesagt: „Was ihr hier beigebracht bekommt ist eigentlich, sich in diesem Business clever zu verhalten, nach dem Motto: wie abgewichst kann ich mich in diesem Business beweisen.“ Aber das ist gar nicht der Punkt. Musik hat auch eine ethische, moralische Verantwortung. Lasst euch nicht verscheißern und kümmert euch um die Musik. Kümmert euch nicht darum, wem das gefallen könnte, oder wie man es am besten verkaufen könnte. Ich weiß allerdings nicht, ob man da überhaupt gegen angehen kann, weil heute die Generation auch anders erzogen ist. Heute definiert sich alles grundsätzlich über Erfolg und nicht über Qualität.
Dass die Plattenindustrie in so eine Lage gekommen ist, hat ja auch einen Grund, das ist die ständige Verminderung von Qualität. Da geht es, wie bei allen anderen Wirtschaftszweigen, die runtergegangen sind, um Gier. Immer mehr verdienen, immer mehr. Dann wird die Qualität weniger, es geht mehr um Schnelligkeit, um kurzfristigen Erfolg. Aber vielleicht führt der Niedergang der Plattenindustrie wieder dazu, dass heute die jungen Leute aus den richtigen Motiven Musik machen, nämlich um der Musik willen. Und nicht um reich und berühmt zu werden. Weil das führt zu gar nichts. Es führt vor allem nicht zu einer persönlichen Befriedigung. Ich glaube, da kann ich mitreden: Ich hatte genug Erfolg, doch das ist absolut nicht das, was dich glücklich macht. In der Potenz, in der ich das erfahren habe, macht es dich eher unglücklich.

Sie haben zwischen den Club-Konzerten einige Ruhetage. Brauchen Sie die auch kräftemäßig?
Müller-Westernhagen: Ich brauche den Reisetag und es ist auch ganz schön anstrengend für einen älteren Herren wie mich (lacht), so wie ich das betreibe. Ich trainiere nach wie vor fünf mal die Woche. Wenn du auf der Bühne zwei Stunden alles geben willst, dann musst du schon topfit sein. Zwei Mal die Woche mache ich Krafttraining und Koordinationstraining und drei Mal die Woche ist Laufen angesagt. Und das hilft.

Wie unglücklich/glücklich waren Sie mit Heinos Coverversion von Ihrem Song „Willenlos“?
Müller-Westernhagen: Ich habe ja damals gesagt: „Singe, wem Gesang gegeben.“ Ich habe da nichts dagegen. Gehört habe ich die Version aber überhaupt nicht, um ehrlich zu sein. Heino ist Kult, ein kulturelles Phänomen natürlich auch, aber irgendwo hat er ja eine Originalität und Heino ist Heino. Das ist er seit so vielen Jahren, irgendwas muss da ja auch los sein. Ich fand das Album eine clevere Idee, und ich finde, da muss man auch drüber stehen und cool reagieren, ich verstehe nicht, wenn Leute sich dann aufregen. Es gibt den Song und wer den spielen will, soll den spielen. Solange er den nicht verändert habe ich da nichts dagegen.

Kürzlich verstarb Lou Reed – welche Gedanken verbinden Sie mit ihm?
Müller-Westernhagen: Ich habe ihn sogar mal getroffen, ich hatte diese große Ehre, als er am Thalia Theater, als das noch Jürgen Flimm leitete, ein Musical machte, zusammen mit Bob Wilson. Er war ohne Zweifel einer meiner Heroes und wenn junge Leute zu mir kommen und fragen: Was ist Rock’n’Roll? – Dann sage ich unter anderem: „Hör dir die Platte mit der Banane an.“ Denn das ist wirklich Rock’n’Roll. Und ich finde, dass er wirklich ein großer Poet war. Ich glaube auch, dass er durch seine Ehe und Partnerin seine Ruhe gefunden hat. Er war eine zeitlang ja ein sehr bösartiger Mensch, das kam halt auch durch das Heroin. Es ist ein großer Verlust, keine Frage.

Die Fragen stellten Peter Schwenkow (Veranstalter) sowie Journalisten von Frankfurter Rundschau, tz, Radio Berlin 88.8, dpa, Nürnberger Zeitung, Planet Interview.

Tourtermine 2014:

01.04.2014, Hamburg, Große Freiheit
03.04.2014, Hannover, Capitol
06.04.2014, Köln, E‐Werk
08.04.2014, Offenbach, Capitol
09.04.2014, Stuttgart, Theaterhaus
12.04.2014, CH-Zürich, Volkshaus
14.04.2014, München, Tonhalle
16.04.2014, A-Wien, Gasometer
17.04.2014, Nürnberg, Löwensaal
19.04.2014, Dresden, Alter Schlachthof
22.04.2014, Leipzig, Haus Auensee
24.04.2014, Berlin, Columbiahalle

2 Kommentare zu “Ich muss niemanden bedienen.”

  1. Erhan |

    Es ist nicht in Ordnung, Fragen von anderen aufzuschreiben. Macht doch mal ein eigenes Interview.

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    1. Rudi |

      Da drüber steht doch „Pressekonferenz“. Hier schmückt man sich also nicht mit fremden Federn… Nur schade, dass die meisten „Fragen“ auch ganz generell nicht „schmücken“ :(

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