Herr Fischer, Ihr Buch „Das Leben ein Skandal“ ist auf den ersten Blick mehr eine Anekdotensammlung als eine Autobiografie. Warum diese Form?
Ottfried Fischer: Ich wollte es vermeiden, eine Autobiografie zu schreiben. Weil ich mir gedacht habe: „Ich bin doch nicht der Pocher, dafür bin ich zu alt.“ Heute schreibt man ja bereits eine Autobiografie, wenn man als Fußballer eine Saison Bundesliga gespielt hat dann und wegen Verletzung ausfällt.
Das heißt, Sie hätten Ihre Autobiografie schon längst schreiben müssen.
Fischer: Richtig. Ich habe jetzt ein paar Geschichten zusammengetragen, welche die biografischen Daten meiner jeweiligen Gegenwart begleitet haben. Mein Vorbild dafür ist der österreichische Autor Friedrich Torberg gewesen, der in seinem Buch „Die Tante Jolesch“ die k. und k.-Monarchie auch mit solchen Geschichten beschrieben hat. Die waren teilweise unspektakulär, aber sehr komisch.
Sie haben dabei einen sehr eigenen Sprachstil. Wodurch wurde der geprägt?
Fischer: Das war glaube ich der Latein-Unterricht. Mir gefällt dieses „sine ira et studio“, also ohne Zorn und falschen Eifer zu schreiben.
Und dann war es mein Vater, Westfale. Er verlangte immer, dass bei uns zuhause Hochdeutsch gesprochen wird. Bis zu meinem Schulweg habe ich das auch gemacht, genauso wie meine Mutter, die kam aus dem Bayerischen Wald, sie sprach eigentlich so ein dialektliches Süddeutsch.
Auf dem Schulhof wechselte das dann, mit meinem Bruder sprach ich dort Hochdeutsch, wenn andere Kameraden dazukamen, haben wir Bayerisch geredet. Das ging immer hin und her und so habe ich auch dieses Abschweifen gelernt. Sich erlauben abzuschweifen, weil es einfach selbstverständlich ist.
Wer hat Ihren Humor geprägt?
Fischer: Auch der Vater. Mein Vater hätte genauso Kabarettist werden können, er hat immer sehr gute Ideen gehabt und die Leute unterhalten können. Bei ihm haben sich die Besucher immer gewundert: Da kommt man auf einen Bauernhof im hintersten, Bayerischen Wald und trifft dort einen halben Philosophen, der gleichzeitig ein begeisterter Landwirt ist. Das war ja sein Lebenswerk.
Sie beweisen auch stets eine große Portion Selbstironie. Schätzen Sie das auch bei anderen?
Fischer: Ich habe neulich zum ersten Mal eine Veranstaltung mit Gregor Gysi gehabt. Sein Vorredner war ein zwei Meter langer Hüne und dann kam Gregor auf die Bühne. Weil er das Mikrofon kaum erreichte, sagte er „Jetzt wieder diese demütigende Geste“ und zog das Mikrofon auf seine Höhe runter. Die Leute haben ihn geliebt in dem Moment! Da war er kein Politiker mehr, sondern einer von ihnen. Weil der große Gregor Gysi zum Mikro hochgreifen musste und dabei einen Witz auf seine eigenen Kosten machte.
Wie schwierig ist es heute, Kabarettist zu werden?
Fischer: Ich würde es so formulieren: Es ist schwieriger geworden, Kabarettist zu bleiben. Durch Sendungen wie „Schlachthof“, „Mitternachtsspitzen“ oder „Scheibenwischer“, sind ja einige Leute im Nullkommanix hochgeschossen – aber diejenigen, die dann auf dem hohen Niveau bleiben, das sind nur wenige. Viele verschwinden in der Versenkung.
Welchen Nachwuchs-Künstler mögen Sie denn besonders gerne?
Fischer: Mir gefällt Bülent Ceylan, die gute Version von Mario Barth. Dem gönne ich seine 50.000 Zuschauer, das ist so ein lieber und toller Mensch! Er war bei mir im „Schlachthof“ zu Gast, und ich habe ihm gesagt: „Du kennst doch von klein auf dieses Verhältnis, katholische Mutter und türkischer Vater – da musst du mehr sozialkritisch sein.“ Und jedes Mal wenn er dann wieder in den Schlachthof kam, hat er für mich so eine sozialkritische Pointe dabei gehabt.
Wie verhält sich die Schärfe eines Kabarettisten zu seinem Alter?
Fischer: Die Schärfe ist etwas Jugendliches. Mit dem Alter kommt man dann mehr zu einer überlegten Schärfe. Oder man macht bestimmte Dinge einfach nicht mehr, weil man sie schon hinter sich hat. Du tust den Leuten nicht mehr alles an, was du ihnen als junger Mensch aus Unwissenheit angetan hast. Ich bin der Meinung, auch wenn man noch so einen verspielten Job hat, sollte man zeigen, dass man auch erwachsen ist. Zumindest manchmal.
Wie gehen Sie damit um, wenn über Sie Witze gemacht werden? Guido Cantz sagte auf einer Preisverleihung in Bezug auf Ihre Parkinson-Erkrankung, Sie seien ein „Superpreisträger“ denn „viel träger geht’s ja eigentlich nicht“.
Fischer: Das ist ein schönes Wortspiel, das hätte mir auch einfallen können. Insofern wäre es eher sträflich, diesen Witz auszulassen.
Es verletzt Sie nicht?
Fischer: Nein. Im „Focus“ stand wohl auch gerade, dass es besser wäre, wenn ich aufhöre. Das ist deren Meinung, aber haben die schon mal 20 Prozent der Deutschen vor dem Fernsehschirm gehabt? Oder 60 Prozent der Österreicher? – Ich kann mit Kritik inzwischen leben. Ich lese auch immer alles, was ich über mich zu lesen bekomme.
Ihr Kollege Helmut Schleich sprach gegenüber uns im Interview von gelegentlichen Zensurversuchen beim Bayerischen Rundfunk. Wie war das bei Ihnen, durften Sie immer alles sagen, was Sie wollten?
Fischer: Im Prinzip ja, aber ich musste es vorher herzeigen. Und dann konnte es passieren, dass man gesagt bekam: „Das musst du umschreiben.“ Wir durften aber schon sehr viel. Der Ingo Appelt hat zum Beispiel mal den Helmut Kohl bei mir in der Sendung gemacht, wo der als lebende Bombe in einem Container drin ist und dann in die Luft fliegt – das war für den Sender alles ok. Hanss Helmut Böck, der damalige Unterhaltungschef beim BR hat einmal zu mir gesagt: „Wenn Sie eine gute Satire machen, werden sie keine Schwierigkeiten haben.“ Bis auf einen einzigen Fall hat das auch gestimmt.
Worum ging es bei diesem einen Fall?
Fischer: Um einen Satz von Matthias Beltz. Der hatte gesagt, das Datum 11. September erinnere ihn an den Tag, an dem Salvador Allende von Terroristen ermordet wurde. Und wenn es heiße, der Terrorismus solle im Zentrum getroffen werden, dann wäre das Pentagon genau richtig. Die Aussage war blitzsauber, brillant formuliert, 1a in der Logik – aber sie wurde rausgeschnitten. Hätten wir das gesendet, wäre die Sendung weg gewesen. Das wollte ich nicht aufs Spiel setzen.
Böcks Nachfolger war dann Thomas Jansing, den ich in der gesamten Zeit nur zwei Mal getroffen habe. Aber er schrieb mir dann zum Abschied, wir beide hätten an einem gemeinsamen, virtuellen Arbeitsplatz den BR dahin gebracht, wo er heute ist: ein kritischer, kabarettliebender Sender. Und das würde ich tatsächlich so unterschreiben. Ein anderer Kabarettist hätte das wahrscheinlich nicht so gekonnt, weil niemand so viel Narrenfreiheit hatte wie ich. Ich habe auch nie gehört, dass ich auf der Kippe stand.
Ich bin und bleibe ein Bauernbub, auch vom Denken her.
Sie schreiben in „Das Leben ein Skandal“ auch über ihr „katholisches Herz“ – haben Sie das immer noch?
Fischer: Der Bischof Kurt Krenn von St.Pölten hat mal zu mir gesagt: „Sie greifen uns oft hart an, aber sie sind einer von uns.“ Und das stimmt leider. Nicht aus Glaubensgründen, sondern aus einem weltanschaulichen Trachtenvereinsgedanken heraus. Das heißt: Von klein auf ist der Katholizismus mit mir zusammen, und ich mit ihn. Da müsste ich mit Stumpf und Stiel etwas rausreißen – und das möchte ich nicht. Ich muss auch sagen: Wenn ich eine katholische Kirche betrete, dann kriege ich eine gewisse Ehrfurcht.
Spielt der Glaube eine Rolle, wenn Sie über Ihre Krankheit nachdenken?
Fischer: Nein, komischerweise nicht.
Interessant ist, dass es in einer Folge Ihrer Serie „Pfarrer Braun“ auch eine gleichgeschlechtliche Ehe geschlossen wurde.
Fischer: Ja, das war damals auch sehr umstritten – aber ich fand das eine super Idee.
Es wirkt aber wie ein Seitenhieb auf die katholische Kirche.
Fischer: Zum Zölibat habe ich eine ganz eigene Meinung: Wer das Zölibat nicht mag, soll nicht Pfarrer werden. Aber die meisten sind ja froh, dass sie ein Zölibat haben, wenn sie sehen, welche Gemeinheiten die Frauen von Männern und umgekehrt zu erleiden haben. Da denkt man als Pfarrer wahrscheinlich: Gott sei Dank passiert mir das nicht.
Durch den den neuen Papst Franziskus scheint sich die katholische Kirche im Moment etwas zu öffnen.
Fischer: Ja, doch ich frage mich, ob die Ökonomen in der katholischen Kirche das auf Dauer mitmachen. Es wundert mich auch, dass jemand mit so einem Programm vom Opus Dei gewählt worden ist.
Für Ratzinger habe ich übrigens auch eine klammheimliche Sympathie – seit er zurückgetreten ist. Ich war mal zu Weihnachten in der Christmette in Rom und habe gesehen, wie er dort mit seinem Wägelchen durchgefahren ist. Da dachte ich: „Gott, schon wieder ein Kranker.“ Papst ist natürlich auch kein Traumberuf. Kabarett macht ja Spaß, aber Papst zu sein… – ich weiß nicht.
Haben Sie auch ein bayerisches Herz?
Fischer: Wenn, dann ein niederbayerisches. Ansonsten habe ich ein Herz für ein Europa der Regionen. Das ist für mich einer der schönsten Gedanken, den die Politik geprägt hat.
Was macht für Sie Bayern aus?
Fischer: Dass wir das bewahren, was wir der ganzen Welt voraushaben: Die beste Wurst und das beste Brot. Eigentlich ist es fast so simpel.
Die Ministerpräsidenten Stoiber und Seehofer haben stets ein Bild vom sauberen, erfolgreichen Bayern gezeichnet.
Fischer: Das haben die erfunden, ja.
Aber in letzter Zeit hat dieses Bild einige Risse bekommen, denken wir an die Verwandtschafts-Affäre im Landtag oder den Fall Mollath.
Fischer: Bayern war nie sauber. Wo 40 Jahre ein Einparteien-System herrscht, kann es nicht sauber sein. Wenn Strauß bestimmte Dinge zur „Chefsache“ erklärte, verschwanden die einfach vom Tisch. Das war im Prinzip ein Ein-Parteien-Absolutismus.
Und der Fall Mollath – also, dass jemand sieben Jahre ohne Grund in die Psychiatrie kommt, das ist schon beängstigend, da braucht man nichts beschönigen.
Allerdings: Wer hätte gedacht, dass es einmal eine Methode der CSU sein wird, die FDP zu vernichten – da finde ich die CSU dann wieder gut.
Wenn Sie zurückschauen, wie würden Sie Ihre Wirkung als Kabarettist einschätzen? Haben Sie die Leute mehr unterhalten, oder Sie auch zum Nachdenken angeregt?
Fischer: Unterhaltung finde ich schon ungemein wichtig. Ich erlebe es aber auch immer noch häufig, dass Leute zu mir kommen und sagen: „Schau, der Fischer, der sagt’s was ist, der regt sich auf.“ Es ist ja ein altes Spiel in Bayern: 66 Prozent wählen die CSU – im Idealfall – und die Bevölkerung jubelt ihnen zu wie auf dem Heldenplatz in Wien, während hinten der Kabarettist dem Stoiber oder dem Seehofer in den Schuh pinkelt. Da freuen sich die Leute.
Sie sind eine Art Ventil für Ihr Publikum?
Fischer: Die Leute freuen sich eben, wenn die Großkopferten mal einen draufkriegen. Durch uns. Das ist ja eine uralte, bayerische Geschichte.Allein in München gab es um die Jahrhundertwende 200 Brettl-Bühnen, wo Gstanzl gesungen wurden. Das war noch kein hochgradig politisches Kabarett, aber eine Form des sich Ausdrückens. Ich glaube, dass der Bayer schon auch die Lust hat, sich auszudrücken. Deshalb ist ein Heer von Trachtenträgern in Bayern keine geeinte Masse sondern eine gleichaussehende Versammlung von unterschiedlichen Typen.
Der Buchtitel lautet „Das Leben ein Skandal“ – dabei waren ja nur wenige Dinge während Ihrer Karriere skandalös.
Fischer: Ich selbst habe diese Dinge ja auch nicht als Skandal gesehen. Sondern der Skandal ist das, was von den Zeitungen draus gemacht worden ist.
Bereuen Sie denn diese Skandale, die in der Boulevard-Presse ausgebreitet wurden, oder gehörten die irgendwann tatsächlich dazu?
Fischer: Von meiner Seite aus waren die sicher nicht beabsichtigt. Ich bin und bleibe aber ein Bauernbub, auch vom Denken her. Und da kann es passieren, dass dir beim Essen ein Knödel vom Teller rutscht und über den ganzen Tisch fliegt … Es gibt eben bestimmte Dinge, die man macht im Leben – das sind wohl auch die, die dem lieben Gott vielleicht nicht so gefallen – aber man redet nicht öffentlich darüber. Ich habe Skandale nicht beabsichtigt, weil es einfach nicht schön ist, wenn deine Kinder so etwas durchstehen müssen. Ich alleine hätte das durchstehen können, aber in deiner Umgebung gibt es dann immer auch schwere Verletzungen für Unschuldige.
Für die Medien sind Skandale ein Faktor des Geldverdienens, der Mammon. Nach außen wird es stets mit einer Idee von Pressefreiheit verbrämt, doch eigentlich geht es nur darum, die Auflage zu steigern.
Ihrem Erfolg konnten die Negativ-Schlagzeilen wenig anhaben. Was glauben Sie, lieben die Menschen an Ihnen?
Fischer: Ich gucke mir manchmal den Dieter Landuris an, der hat eine unglaubliche Ausstrahlung, ein toller, sympathischer Mensch. Und ich glaube, so etwas Ähnliches habe ich auch. Die Menschen mögen mich halt.
Der Christian Springer hat mal in einer Laudatio über mich gesagt: „Ob du den Bullen spielst oder den Pfarrer, man merkt dahinter immer deine Haltung.“ Vielleicht ist es das. Die Figur des Bullen von Tölz habe ich ja mitgestaltet. Und dem Bullen ging es immer mehr um Gerechtigkeit als ums Recht.
Welche Bedeutung hat der 60. Geburtstag für Sie?
Fischer: Den 50. Geburtstag habe ich noch als besonders eindringlich wahrgenommen. Jetzt der 60. – da muss ich fast drüber lachen. Irgendwas stimmt da nicht, neulich wollte ich mit einem Freund in Nürnberg in die Disko, und hat man hat uns nicht reingelassen. Es hat zwar später zu unserer Ehrenrettung geheißen, dass es eine geschlossene Veranstaltung sei, aber alle anderen konnten ja rein.
Das heißt, mit 60 wird das Leben ruhiger, weil sie uns die Diskotheken zusperren.
Gibt es noch einen bestimmten Traum, den Sie sich zum 60. Geburtstag verwirklichen?
Fischer: Ich möchte nochmal auf die Osterinseln – aber das ist immer eine große Reiserei. Andererseits war ich schon mal dort, wenn es nicht mehr klappt, wäre das nicht ganz so schlimm.
Und ich möchte, dass die Leute noch einen anderen Ottfried Fischer kennen lernen. Ich habe so oft auf der Bühne gestanden, und ein Bild geschaffen, das nicht falsch ist… aber es gibt noch eine andere, lyrische Seite. Die zeige ich als nächstes bei unserem neuen Programm „Die Wandogo-Filosofie“. Das ist extrem bayerisch mit vier Musikern, dadaistisch angehaucht, sehr lyrisch – und mit klassischen Kabarett hat es wenig zu tun. Im Moment habe ich noch ein bisschen Bammel, ob die Leute das annehmen werden.