Marteria

Ich höre lieber Leute, die das Maul aufreißen

Der Rapper Marteria im Gespräch mit Toni Lukic über Gemütlichkeit, erfolgreichen Deutsch-Rap, das „Lila Wolken“-Gefühl und warum er vom Album „Zum Glück in die Zukunft“ einen zweiten Teil veröffentlicht hat

Marteria

© Paul Ripke

Marteria, welcher Film von der „Zurück in die Zukunft“-Trilogie gefiel dir am besten?
Marteria: Der Zweite. Der erste Teil war schon stark, aber als der rausgekommen ist, war ich zwei oder drei Jahre alt. Den Zweiten habe ich als Kind gesehen, und natürlich war ich völlig fasziniert vom Hoverboard und dem DeLorean.

Gibt es auch Musikalben, bei denen der zweite Teil besser ist als der Erste?
Marteria: Das kommt immer drauf an. Wenn man sich in den ersten Teil verliebt, dann hat der nächste Teil es immer schwer. Aber natürlich gibt es auch Fortsetzungen, die besser sind. Meine neue Platte ist auch stärker.

Das musstest du jetzt sagen.
Marteria: (lacht) Ich kann aber erklären, warum das so ist. Bei der ersten Platte war ich noch eingeengt, ih hatte gerade meinen Plattendeal unterschrieben und wenn das Album nicht funktioniert hätte, wäre ich wieder auf der Straße gewesen. Deswegen habe ich auf jeden gehört und musste viel mehr beachten. Heute bin ich freier und auf der Platte steckt noch viel mehr von mir drin. Ich habe den zweiten Teil gemacht, weil ich gefühlt habe, dass dieses Zum Glück in die Zukunft-Thema noch nicht zu Ende besprochen war.

Was wolltest du denn erzählen, was im ersten Teil noch fehlte?
Marteria: Ein Song wie „Gleich kommt Louis“ ist ein gutes Beispiel. Auf der ersten Platte gab es den Song von meinem Sohn „Louis“, wie er sich als Eizelle durchkämpft und geboren wird. Auf diesem Album erzähle ich, wie ich als 24-Jähriger, der pleite ist, im Wartesaal sitze und meine Freundin gleich ein Kind bekommt. Ich finde es cool mit Anfang 30 zurückzuschauen und über die Ängste, die ich damals hatte, zu sprechen.

Das erste Album ist bereits ein Klassiker, war es nicht schwer, den Erwartungen an einen Nachfolger gerecht zu werden?
Marteria: Deswegen musste diese Platte besser und intensiver werden. Der richtige Business-Move wäre gewesen, noch fünf Mal „Lila Wolken“ zu machen, Platin zu gehen und von den Leuten abgefeiert zu werden. Aber genau das wollte ich nicht. Die Platte sollte ein Startschuss sein: Ich bin jetzt 31, aber noch verdammt hungrig.

Trotzdem wäre ein weiterer Song wie „Lila Wolken“ wahrscheinlich der nächste große Schritt zum Popstar geworden.
Marteria: Dieses Gefühl von „Lila Wolken“ war ein sehr wichtiges, im Endeffekt haben wir den Leuten den Himmel gekauft. Wenn man im Morgengrauen in den Himmel schaut, denkt man an das Lied, deswegen ist der Song so ein Hit geworden. Ich will aber nicht nochmal so einen Song machen, nur damit jeder da draußen sich darauf einigen kann. Es muss weiter gehen und damit es weitergeht, fühlt es sich nicht richtig an, einfach einen Erfolg zu nehmen, den im Fleischwolf zu drehen und nochmal anders zu verpacken.

Zitiert

Wir können uns glücklich schätzen, dass Deutschrap gerade so viele kreative Leute hat, die Musik machen.

Marteria

In der Rap-Szene wurde „Zum Glück in die Zukunft“ seht gut aufgenommen, es heißt, du hättest damit den Rap in Deutschland gerettet und die Charterfolge von Casper, Cro & Co vorbereitet.
Marteria: Ich habe das nie fokussiert. Mir war es wichtig, Meinungen zu brechen, die die Leute von Rap hatten. Es gab immer guten Rap, aber das wurde nicht von der Öffentlichkeit angenommen. Damals hatte man immer noch das Bild im Kopf von den schwulen- und frauenfeindlichen Gangster-Bernds mit dem Messer in der Hand – und dann auf einmal waren alle Singer/Songwriter. Mir war es aber wichtig, die HipHop-Fahne hochzuhalten und zu rappen, aber auch gleichzeitig mit Tabus zu brechen und mit verschiedenen Musikstilen zu spielen.

Diese Entwicklung haben andere Rapper wie Casper oder Cro weitergeführt und werden von der breiten Masse akzeptiert.
Marteria: Wir können uns glücklich schätzen, dass Deutschrap gerade so viele kreative Leute hat, die Musik machen. Ob man jemanden wie Alligatoah mag, ist da egal, der ist erfolgreich, weil er so kreativ ist. Was ich nicht mag, ist Belanglosigkeit. Vor allem in dieser Pop/Rock/Indie-Welt habe ich das Gefühl, dass sich vieles wiederholt, weil immer wieder nur von diesem Gefühl von Freiheit gesungen wird. Ich höre dann lieber Leute wie Haftbefehl, die das Maul aufreißen.

In deinem Song „Kids“ beschreibst du, wie die Leute in ihrer Gemütlichkeit versauern, „keiner hat mehr Bock auf kiffen, saufen, feiern“. Wie viel Kind sollte mit 30 noch in uns stecken?
Marteria: In erster Linie ist der Song witzig gemeint, aber es ist auch ein Lied für meine Generation. Früher warst du mit 20 Leuten im Club feiern und heute bist du froh, wenn einer ans Telefon geht. Das sind Abbauerscheinungen, die natürlich normal sind. Ich selbst gehe heute auch lieber angeln, was ich vor fünf Jahren auch nicht gedacht hätte, als das Wochenende mit vier Clubs gebucht war.

Du bemängelst auch, dass „alle die Bayern lieben“. Aber Bayern München spielt nun mal attraktiven Fußball.
Marteria: Das ist richtig, aber ich finde alles im Moment so gediegen, alle geben sich zufrieden. Das ist dieser Leverkusen-Effekt: Glücklich damit zu sein, Zweiter zu werden. Aber das ist Scheiße. Es muss mal wieder knacken, mir fehlt die Rebellion.

MarteriaAuf „Bengalische Tiger“ sprichst du genau das Thema Rebellion an. Wann warst du denn zum letzten Mal auf einer Demonstration?
Marteria: Dieser Song ist durch das Reisen entstanden. Ich war in Uganda und habe da zum Beispiel eine Deutschstunde an der Universität gegeben. Die mussten die Tür schließen, weil draußen mit Tränengas geschossen wurde, weil es überall das gleiche ist: Zu hohe Studiengebühren, die Studenten protestieren und die Polizei ballert in der Universität mit Tränengas rum. Gerade war ich in Brasilien und da siehst du jeden Tag Action auf der Straße. Was ich bei diesen Reisen gesehen habe, ist, dass es überall brennt. Wir denken immer, dass es weit weg ist, aber das stimmt nicht.

Doch selbst die große Abhör-Affaire um die NSA hat hierzulande kaum jemanden auf die Straße gebracht. Gibt es im Moment ein Thema, dass in Deutschland große Protestbewegungen nach sich ziehen würde?
Marteria: Es beginnt ja schon: Wie viele junge Leute – auch in Deutschland – haben keinen Job, Langeweile und keine Perspektive. Diese Blase füllt sich immer weiter und irgendwann explodiert sie.

Sind Revolluzertexte nicht immer eine haarige Angelegenheit?
Marteria: Wenn man immer aufpasst, was man sagt, dann stockt alles. Wahrscheinlich ist es nicht mehr populär sich für Dinge einzusetzen, aber wenn du selber davon überzeugt bist, dass es das Richtige ist, dann mach es einfach. Du musst schauen, was dir wichtig ist. Wenn es dir darum geht, ein dickes Auto zu haben, dann ist das auch in Ordnung. Aber wenn du Musik machst, dann kannst du die Leute zum Nachdenken anregen und ihr Spektrum erweitern. Diese Macht will ich als Musiker nutzen.

Marteria, 1982 geboren als Marten Laciny, hat eine für einen Rapper unübliche Vita vorzuweisen. Er war U17-Fußballnationalspieler, Model in New York und Absolvent einer Berliner Schauspielschule. Sein zweites Rap-Album „Zum Glück in die Zukunft“ mehr

Kommentar schreiben

* Erforderliche Angaben. Emailadresse wird nicht veröffentlicht.