Christian Friedel, Anfang des Jahres waren Sie als Heinrich von Kleist in Jessica Hausners Film „Amour Fou“ zu sehen. Jetzt spielen Sie in Oliver Hirschbiegels „Elser“ den Hitler-Attentäter Georg Elser. Sehen Sie Parallelen zwischen diesen historischen Persönlichkeiten?
Christian Friedel: Ich habe nach solchen Parallelen bisher noch nicht gesucht. Sie waren sich möglicherweise in dem Wunsch, etwas zu tun, sich durchzusetzen etwas ähnlich. Vielleicht haben sich auch beide ein wenig so gefühlt, als würden sie in der falschen Zeit leben. Aber Georg Elser war vor allem ein Mensch, der erstmal ins Leben hineingelebt hat und sich dann in seinem freiheitlichen Blick vollkommen eingeschränkt fühlte. Da wurde für ihn klar: Ich muss etwas tun! Und er hatte vor allem auch den Mut, das dann umzusetzen.
Wie viel wussten Sie über Georg Elser, als Ihnen die Rolle angeboten wurde?
Friedel: Zu meiner Schande muss ich gestehen: Gar nichts. Mir war irgendwie bewusst, dass es mal diesen Anschlag im Münchener Bürgerbräukeller gegeben hatte. Wer da hinter steckte, dass das die Tat eines Einzelnen war, hatte ich aber noch nie zuvor gehört, nicht mal im Geschichtsunterricht in der Schule, für den ich mich eigentlich sehr interessierte. Und ich muss auch gestehen, dass ich mich jetzt nicht allzu tief in das eingegraben habe, was wir über ihn wissen. Ich bewundere Kollegen sehr, die sich dann so belesen und ihre Rolle intellektuell angehen können. Aber mir ist es wichtiger, aus dem Bauch heraus zu spielen, gerade wenn es um einen Menschen geht, der – wie ich finde – eher aus dem Bauch heraus agiert hat. Ich wollte mich dem eher spontan hingeben und nicht schlauer sein, als die Figur.
Haben Sie trotzdem für sich eine Erklärung gefunden, warum dieser Georg Elser die Notwendigkeit sah und die Entschlossenheit hatte, so ein Attentat durchzuführen?
Friedel: Ich wurde in letzter Zeit oft gefragt, wie ich mich wohl damals verhalten hätte. Auch darüber habe ich mir natürlich Gedanken gemacht, noch während der Dreharbeiten. Ob ich mich vielleicht auch von der Euphorie hätte anstecken lassen, oder ob ich mich, gerade als Schauspieler, eher angepasst hätte, wie so viele damals. Ich weiß es nicht. Ich kann Georg Elser einfach nur bewundern. Ich habe aber auch das Gefühl, dass seine Tat viel mit einer generellen Wut und Widersprüchlichkeit zu tun hatte, die er in sich trug.
Er liebte eine verheiratete Frau, die von ihrem Mann misshandelt wurde.
Friedel: Auch das. Zuerst war er aber ein hoch präziser Arbeiter, der aus einem Elternhaus kam, wo es sehr konfrontativ zuging. Das Verhältnis zum Vater war schwierig, die Mutter hatte ihren starken Glauben. Und auf der anderen Seite standen sein Freiheitsdrang und seine Musikalität. Seine Grundwut, die in ihm flackerte wurde mit der Wut über das kombiniert, was er mit der Zeit beobachtete. Wenn du gerade im Kosmos deines kleinen Heimatortes siehst, wie sich die Leute um dich herum verändern, von einem Tag auf den anderen da mitziehen und zu Statisten in einem unheimlichen Film werden – ich kann mir vorstellen, dass sich das gegenseitig potenziert hat.
Sie kam zu mir und sagte: Sie haben so ein volkseigenes Gesicht.
Ist Kompromisslosigkeit eine Tugend, die Sie erstrebenswert finden?
Friedel: Ach, so ein bisschen mehr Kompromisslosigkeit wünsche ich mir schon in meinem Leben. Das habe ich auch bei Michael Haneke bewundert. Entweder wird es so gemacht, wie er das will oder gar nicht. Haneke hat mir gesagt, dass er das in jungen Jahren auch schon so gemacht hat. Ich dachte eigentlich immer, dass man erst mit der Erfahrung selbstbewusster wird, aber anscheinend wird man auch im Alter seinen Willen nicht durchsetzen, wenn man nicht früh genug damit angefangen hat.
Könnte Sie denn etwas dermaßen in Wut versetzen, dass Sie sich radikal dagegen wehren würden?
Friedel: Wenn ich mich in den Gedanken hineinversetze, dass meinen Liebsten, meiner Familie oder engen Freunden etwas angetan wird, dann löst das dermaßen aggressive Gewaltphantasien in mir aus, dass ich mich nur wundern kann. Wenn ich in einem arabischen Land leben würde und mir vom Staat oder der Religion vorgeschrieben werden würde, wie ich zu leben habe, ich glaube schon, dass mich das sehr sehr einschränken würde und ich darauf reagieren müsste. Wie das dann aussehen würde, weiß ich nicht, aber es ist interessant darüber nachzudenken.
Seit Ihrer ersten großen Filmrolle in „Das weiße Band“ scheinen Sie auf historische Rollen abonniert zu sein. Stört sie das eigentlich?
Friedel: Anfang des Monats war ich in einem „Polizeiruf“ zu sehen – das war in der Tat mein erster Film, der in der Gegenwart spielt. Ich finde das interessant. Neulich hat eine Frau mich in einem Café erkannt. Sie kam zu mir und wollte sich entschuldigen, dass sie mich so angestarrt hat und sagte: „Sie haben so ein volkseigenes Gesicht“. Das war übrigens im Osten, wo es volkseigene Betriebe gab. Das fand ich lustig. Ich habe mich als Kind gerne verwandelt und auch immer wieder Kostüme angezogen.

Christian Friedel in „Elser“ © Lucky Bird Pictures / Bernd Schuller
So ein „volkseigenes Gesicht“ scheint zum Kinostar zu prädestinieren. Matthias Schweighöfer kommt ja auch aus dem Osten und seinem Gesicht kann man eine ähnliche Qualität attestieren.
Friedel: Ja, absolut. Er hat auch schon einige historischen Figuren gespielt und in „Russendisko“ standen wir ja auch zusammen vor der Kamera. Allerdings kommt Matthias aus Anklam und ich bin ursprünglich aus Magdeburg.
Wie der leider verstorbene Schauspieler Frank Giering und die Band Tokio Hotel.
Friedel: Genau. Frank Giering kannte ich sogar. Mit ihm stand ich auf der Bühne, als junger Statist. Er hat uns auch oft besucht in Jugendclub-Stücken. Ich habe dann auch seine Karriere verfolgt und mich total für ihn gefreut. Es ist schlimm und tragisch, ein großer Verlust, dass er so früh gestorben ist. Tokio Hotel kenne ich nicht persönlich. Das ist aber auch nicht meine Generation, die sind zehn Jahre jünger als ich.
Ende der 90er Jahre trat Giering in Filmen wie Michael Hanekes „Funny Games“ und „Absolute Giganten“ von Sebastian Schipper auf. War das damals für Sie schon ein Zeichen, dass Filmschauspielerei auch im deutschsprachigen Bereich spannend sein kann?
Friedel: Ich habe zwar zuletzt sehr viel Theater gespielt, aber ich muss schon sagen, dass ich immer ein leidenschaftlicher Filmfan war. Deswegen war es für mich auch ein besonderes Glück, mit Jessica Hausner und Michael Haneke mit zwei Österreichern gearbeitet zu haben, die in ihrer Arbeit extrem kompromisslos und wahre Künstler sind. Diesen Mut und das Durchsetzungsvermögen vermisse ich manchmal in Deutschland.
Woran liegt das?
Friedel: Das kann man nicht immer den Künstlern anlasten. Hier reden einfach viel zu viele Leute mit, aus Angst, dass aus einem Film nicht das wird, was man sich von ihm erwartet. Aber wenn man so was wie eine vielfältige Filmkultur haben möchte, dann muss es möglich sein, dass Künstler auch scheitern dürfen. Experimente müssen möglich sein und Besetzungen, wo man jetzt nicht sofort sagt: Das sind Kassenknüller. In Deutschland muss man immer erst zu einer Marke werden, bevor man spannende Projekte bekommt. Und dann wird man vor allem als Marke besetzt, was wiederum von dem Inhalt ablenkt. Das finde ich sehr sehr schade.
Für Sie scheint Ihre Marke aber doch sehr gut zu funktionieren?
Friedel: Über meine Rollen kann ich mich auch wirklich nicht beschweren. Es interessiert mich aber sehr, gerade in Deutschland mit Filmemachern zu arbeiten, die mehr wagen und mehr herausfordern. Ich finde jetzt zum Beispiel „Viktoria“, den neuen Film von Sebastian Schipper extrem spannend. Nicht so sehr, weil es technisch gesehen eine krasse Sache ist, einen Film in einer einzigen Einstellung zu drehen. Ich würde auch mal gerne in einem Film spielen, wo ich eine Figur, wie im Theater zweieinhalb Stunden lang behaupten und mich in sie reinfinden kann. Beim Film wirst du eben oft gestoppt in diesem Prozess, weil auch meistens nicht chronologisch gedreht wird. Solche mutigen Experimente finde ich super. Kein Wunder, Sebastian Schipper ist ja auch ein Schauspieler.

Friedel mit Regisseur Hirschbiegel © Lucky Bird Pictures/Bernd Schuller
Sie haben in München Schauspiel studiert, waren dann an Theatern in Hannover und Dresden engagiert. Haben Sie auch eine Beziehung zu Berlin?
Friedel: Ich werde im Sommer nächsten Jahres nach Berlin ziehen, unter anderem weil es ein Kindheitstraum von mir ist, in der Hauptstadt zu leben. Als Kind war ich oft in Berlin, weil wir dort Verwandte haben. Ich erinnere mich, wie meine Eltern mit meiner Schwester und mir noch zu DDR-Zeiten zum Brandenburger Tor spaziert sind. Man durfte sich dort nicht lange aufhalten. Aber man sah deutlich die Menschen auf der anderen Seite, die einem zuwinkten. Das hat mich beeindruckt und ich fragte mich, ob sich diese Menschen genauso wie wir wünschen, mal die andere Seite zu sehen.
Sie waren zehn Jahre alt, als die Mauer fiel.
Friedel: Als sich Berlin dann in den 90ern so stark veränderte, war ich ebenfalls oft hier und habe mich als Jugendlicher natürlich auch selber stark verändert. Für mich ist es eine Stadt der vielen Möglichkeiten. Der November ’89 hat ja zum Beispiel gezeigt, dass friedlicher Widerstand möglich ist. Allerdings glaube ich auch, dass es einen ziemlich zerreiben und fertig machen kann, wenn man sich wirklich mal mit Politik, mit den Systemen, deren Möglichkeiten und Unmöglichkeiten beschäftigt. Da bekommt man schnell auch ein Gefühl der Ohnmacht und es ist kein Wunder, dass gewisse Strömungen, die dann plötzlich auftauchen, auch attraktiv für manche Menschen werden.
Warum ist aus Ihnen in den 90ern, soweit man weiß, kein Neonazi geworden?
Friedel: (Lacht) Ich bin in Olvenstedt groß geworden, dass war ein sozial ziemlich schwieriges Neubaugebiet in Magdeburg. Und ich habe als Teenager auch mit Rechten Tischtennis gespielt. Mir war das damals in der Pubertätszeit überhaupt nicht bewusst, weil ich mich überhaupt nicht für Politik interessierte. Ich wusste nur, dass ich nicht rechts bin, aber ich habe mich auch nicht getraut, den Leuten zu sagen, dass ich eher links bin. Das war schon seltsam. Es hat da wirklich gebrodelt in Olvenstedt. Dort wurden neben den Rechten auch die ersten Ausländer untergebracht, auch in unserem Haus wohnte eine multinationale Familie, deren dunkelhäutige Tochter interessanter Weise auch mit uns Tischtennis gespielt hat. Mein Vater wurde dann auch irgendwann Opfer eines Übergriffs von Rechtsradikalen.
Was ist passiert?
Friedel: Mein Cousin war großer Heavy-Metal-Fan und als Linker deutlich zu erkennen. Er wurde von Rechten vor unserem Haus verprügelt. Mein Vater ist dazwischen gegangen und wurde ebenfalls Opfer der Gewalt.
Wie haben Sie darauf reagiert?
Friedel: Ich war geschockt, dass das die Rechten waren, mit denen ich Tischtennis gespielt hatte. Seit dem Tag habe ich mich von ihnen ausnahmslos distanziert. Ich wurde weder politisch erzogen, noch war mir damals bewusst, dass wir alle politische Menschen sind, aber diese Absurditäten haben mich geprägt. Und es wurde mir klar, dass Politik schon in deinem Umfeld und in deiner Familie anfängt. Nur leider wird eine wirklich Gesprächskultur, in der sich dieses Bewusstsein ausdrücken könnte, gar nicht mehr gelebt. Ich bin sehr froh, dass ich mich als Schauspieler nun auch viel mehr mit diesen Dingen beschäftigen muss, dass ich aufgefordert bin, eine eigene Haltung zu entwickeln. Ich habe da, glaube ich, noch sehr viel Nachholbedarf.
Hilft Ihr Beruf auch dabei, mit den Widersprüchen des Lebens zurecht zu kommen?
Friedel: Total. Der Beruf des Schauspielers ist ja in zweierlei Hinsicht dankbar. Einerseits bist du immer noch Kind. Es gibt nichts kindlicheres, als jemandem was vorzuspielen, zu behaupten, dass man jemand anderes ist. Das fand ich ja auch auf der Berlinale so toll zu beobachten, wie ernst das da alles genommen wird. Manchmal ist das auch ein bisschen absurd. Aber die kindliche Neugier bewahren, das können wir als Schauspieler schon mal. Und auf der anderen Seite werden wir immer mit uns mit unserer Geschichte und unserem Wesen konfrontiert. Du wirst in Frage gestellt. Das kann manchmal auch schrecklich sein, ist aber eigentlich sehr gesund. Die meisten Menschen werden leider in der Regel davon abgehalten.
Sie haben in diesem Jahr auch eine CD herausgebracht, das Debüt Ihrer Band Woods Of Birnam. Ein Song von Ihnen hat es sogar in den Soundtrack von Til Schweigers „Honig im Kopf“ geschafft….
Friedel: Nicht nur das. Wir sind auch in „Elser“ zu sehen, in der Bade-Szene am Bodensee. Da imitieren wir allerdings eher ein improvisiertes Jazz-Stück, im Stil von Louis Armstrong. Ansonsten geht unsere Musik in eine andere Richtung.

Christian Friedel mit seiner Band Woods Of Birnam © NFP / Kurt Krieger
Werden Ihre Songs mitunter von Ihrer Rollenarbeit inspiriert?
Friedel: Auf jeden Fall. Die Musik hat manchmal auch einen theatralischen und sehr filmischen Touch. Das heißt aber nicht, dass ich als Schauspieler den Rockstar spiele, das interessiert mich nicht. Ich versuche mich da von allem frei zu machen und ganz persönlich zu sein. Das bin ich in der Schauspielerei zwar auch, aber da hast du immer noch den Schutz der Rolle, du kannst alles im Notfall noch aufs Drehbuch schieben. Bei der Musik kann ich das nicht. Mich zwischen diesen beiden Welten zu bewegen, finde ich unglaublich spannend. Dazu gehört auch, dass ich auf Tournee Abschied von tollen Hotels nehmen muss. Wir leben dort vor allem auf Autobahnen, 4-Bett-Zimmern und Gemeinschaftsdusche. (lacht)
Woods of Birnam sind im Januar bei dem Konzert „Offen und bunt – Dresden für alle“ aufgetreten, eine Reaktion auf die PEGIDA-Bewegung. Wie war das?
Friedel: Für uns als Dresdner Band war es wichtig, ein Zeichen für Toleranz und gegen Fremdenhass zu setzen und deutlich zu machen, dass es nie wieder rechtspopulistische Menschen an der Macht geben darf. Ein Konzert als Rahmen für diese Aussage zu wählen, war eine großartige Entscheidung. Jeder kleine Schritt, der auf die meist verbitterten und politikmüden Menschen zugeht, die sich montags einer – wie ich finde – stumpfen Masse anschließen, ist wichtig und bewirkt etwas. Aber man merkt auch da schon recht deutlich, das es noch Einiges zu tun gibt.