Laura, dein neuer Film heißt „Hedi Schneider steckt fest“. Wo steckt sie fest?
Laura Tonke: In ihrem Lebenskonzept, was sich für sie plötzlich nicht mehr als lebensmachbar herausstellt. Und dann bekommt sie Panikattacken.
Was ist die Ursache für die Angststörung?
Tonke: Es gibt keinen Auslöser, sondern viele böse Vorzeichen wie, dass sie im Fahrstuhl stecken bleibt oder dass ihr Kollege Selbstmordgedanken hat. Es ist eher so ein gesamtes Ding. Panikattacken kommen aus heiterem Himmel, so dass viele Leute tatsächlich denken, dass sie eine Herzstörung haben oder wirklich krank sind und kurz davor sind, zu sterben. Viele sagen: „Ich habe nicht das Gefühl, dass ich ein falsches Leben lebe oder dass meine Kindheit so schrecklich war, sondern ich habe das einfach und ich muss jetzt irgendwie damit leben. Das ist meine Herausforderung, dass ich das eben ab und zu habe.“
Wie schwierig war es, diese Panikattacken zu spielen?
Tonke: Erst mal weiß ich ja, was Angst ist. Das Gefühl konnte ich an sich benutzen. Es ist nicht vergleichbar mit dem Gefühl bei einer Panikattacke, aber trotzdem konnte ich das ein bisschen hochrechnen und mir so zusammenbasteln. Als Kind hatte ich Angst, wenn meine Eltern ins Kino gegangen sind. Diese Urangst, verlassen zu werden, konnte ich total gut benutzen.
In „Hedi Schneider steckt fest“ entdeckt man deine durchaus komische Seite. Doch so richtig komisch ist das, was Hedi Schneider durchmacht, nicht.
Tonke: Das war die Grundidee, dass man die Leute über den Humor möglichst lange mitnimmt, dass sie Hedi Schneider schnell ins Herz schließen, was ich selbst auch gemacht habe. Und dass man auch die Diskrepanz mitbekommt zwischen dem, was sie mal war, ein tollpatschiger kleiner Schreihals und später ein absoluter Schluck Wasser. Es war schön, diese Diskrepanz sehr groß zu machen.
Die Schlinge zieht sich weiter zu.
Hedi leidet auch unter Depressionen…
Tonke: Hedis Problem sind weniger Depressionen, sondern die Angststörung. Das Schlimme ist die Angst vor der Angst und die dadurch ausgelöste Depression. Das ist so komplex. Das Problem ist, dass viele Leute den Unterschied nicht kennen. Ich musste mich da auch erst mal zurechtfinden.
Kommen Panikattacken und Depressionen bei Frauen häufiger als bei Männern vor?
Es gibt eine wahnsinnig lange Tradition von Panikattacken bei Frauen. In den 50er Jahren gab es „Frauengold“, wenn die Nerven blank lagen. Das ist eigentlich ein ganz normaler Schnaps. In den Werbespots wird deutlich, dass „Frauengold“ der Frau hilft, ihre Wut mit „Frauengold“ herunterzuschlucken. Letztlich führt diese nach Innen gerichtete Wut zu Depressionen. Männer leben ihre Wut schon als Kinder früh aus.
In einer Szene kauft Hedi, zugepumpt mit der Beruhigungsdroge Tavor, einen Hasen. Wie spielt man so etwas? Angeblich hast du ja große Angst davor, Drogen zu nehmen.
Tonke: Ja, ich habe nie Drogen genommen, ich kenne mich damit wirklich nicht aus. Die Regisseurin Sonja Heiss und ich haben uns mit Psychologinnen unterhalten. Tavor dockt an den gleichen Rezeptoren im Gehirn an, das heißt, im Grunde genommen wirkt Tavor wie Alkohol. Es bildet sich eine lose Kette loser Assoziationen und es heißt, dass die Dinge auf einen zufliegen.
Witzigerweise lieferte mein Sohn die Inspiration zu diesem Hasen. Wenn Hedi auf Tavor war, war sie wie ein zweijähriges Kind zu dem Zeitpunkt. Ich konnte mich total daran bedienen wie Kinder Vokale langziehen oder komische Sachen fragen.
Glaubst du in solchen Momenten dir selbst?
Tonke: Ja. Komplett. Die Szene ist nicht total improvisiert, aber ich war schon frei in dem, was ich sage und wie ich es sage. Da muss ich dann auch rein. Ich muss in eine Art tranceartigen Zustand und einen glücklichen etwas verlangsamten Zustand.
Und fällt es manchmal schwer, aus dem Rollen-Zustand wieder herauszufinden?
Tonke: Nein, das kann ich mittlerweile. Es ist nur so, dass ich danach Telefonate mit der Realität vermeide. Das Handy bleibt aus.
Hat man Rituale, um aus solchen Momenten rauszukommen?
Tonke: Nein, müsste ich aber haben. Auch allein schon am Ende, um Hedi ganz am Ende des Drehs loszuwerden. Es wäre gut, eine kleine Hedi-Puppe zu haben und sie dann zu verbrennen oder in ein Schiff zu setzen.
Inklusive Proben warst du über ein halbes Jahr lang Hedi. Also quasi ein halbes Jahr lang berufsdepressiv…
Tonke: Nein, ich empfand Hedi weniger depressiv oder angstgestört. Für mich überwog ihre lustige Seite. Dann hat sie dieses Tief und da hatte ich das Gefühl, dass ich genauso wie Hedi durch einen Abwasserkanal waten musste, um da am Ende wieder herauszukommen.
Hattest du Angst, dass du nach der Rolle womöglich selbst Angststörungen entwickelst?
Tonke: Ja. Ich hatte manchmal Angst, dass das abfärbt. Zum Glück haben wir null chronologisch gedreht. Es gab immer wieder sehr lustige Szenen und direkt danach eine, in der ich depressiv war. Insofern hielt sich das die Waage. Es gab auch Momente, in denen ich dachte, jetzt habe ich ein bisschen Angst, ob ich das nochmal abschütteln kann. Aber man ist ja dann viel stärker als man glaubt.
In der Verfilmung von Sarah Kuttners Roman „Mängelexemplar“, die 2015 in die Kinos kommen soll, spielst du die beste Freundin der depressiven Hauptdarstellerin. Wie sehr wirkte Hedi nach?
Tonke: Für mich gar nicht, weil ich dort auf der anderen Seite stehe. Es gab so Momente, in denen sie mich fragte: Warst du auch so nervös? Ich war ein halbes Jahr sehr grundnervös. Man nimmt sozusagen diese Rolle an und ist dann die ganze Zeit so hibbelig, weil man es hinter sich bringen will.
Auch der Comedian Oliver Polak hat sich dem Thema gewidmet und ein ganzes Buch über seine eigene Depression geschrieben. Werden all diese „Disfunktionalitäten“ wie Depression und Angststörungen erst jetzt anerkannt?
Tonke: Das Wort sagt eigentlich alles. Wir müssen funktionieren und wenn wir nicht funktionieren wird das verachtet und gemieden wie eine ansteckende Krankheit. Nach dem Tod Robert Enkes hieß es zwar: „Schrecklich, dass er sich umgebracht hat und toll, dass wir jetzt anders damit umgehen“. Es stimmt aber immer noch nicht ganz. Einerseits sind wir im Umbruch, andererseits zieht sich die Schlinge weiter zu, weil wir immer besser funktionieren müssen.
Seit 2007 bist du auch in der Performancegruppe „Gob Squad“ aktiv. Wie kam`s dazu?
Tonke: Ich war seit Jahren in ihrem erweiterten Umfeld und bin dann als Schwangerschaftsvertretung bei „Super Night Shot“ eingesprungen. Ich habe dieses Performanceschauspiel, was mir bis dahin völlig fremd war, unheimlich bewundert. Man ist man selbst auf der Bühne und spielt trotzdem eine Rolle. Das ist ein total mutiges, total interessantes und lustiges Theater. Vor zehn Jahren bin ich, als ich das gesehen habe, vor Glück hintenüber gefallen. Ich mag ich auch die Art und Weise wie da gearbeitet wird. So wie Gob Squad die Welt haben wollen, so machen sie es auch in ihrer Arbeit. Es gibt im Grunde gar keine Hierarchie. Jeder ist gleichwichtig und jeder wird auch gleich bezahlt. Das ist mir ein Vorbild geworden. Ich will auch so sein. Ich will gar keine Unterschiede machen.
Hilft dir dein Theaterwissenschaftsstudium bei deiner Arbeit?
Tonke: Nein, ich habe nur zwei Semester Theaterwissenschaft studiert. Ich habe sogar ein paar Scheine gemacht und liebäugelte kurz damit, fertig zu studieren. Dann merkte ich aber: „Nee ehrlich gesagt will ich das nicht und brauche das nicht. Ich bin Schauspielerin.“ Es gefiel mir unheimlich gut, Studentin zu spielen, aber als jemand anrief, ob ich nicht drehen will, interessierte mich das Studium keine Sekunde mehr. Vielleicht hätte ich etwas Artfremdes wie Ethnologie studieren müssen.
Du wohnst in Berlin, verbringst aber durch deinen chilenischen Lebensgefährten ein paar Monate im Jahr in Santiago de Chile. Beeinflusst dich das?
Tonke: Chile beeinflusst mich sehr. In Chile lernte ich eine ganz andere Herzlichkeit und Offenheit kennen. Das half mir auch für Hedi total. Einfach mal mit Leuten auf der Straße reden und so. Das habe ich eigentlich durch meinen Freund nochmal neu entdeckt. Außerdem steht in Chile Familie an erster Stelle. Und danach kommt erst das Geld.
Deine Mutter ist Malerin, dein Vater Filmausstatter und auch dein Lebensgefährte ist Künstler. Welche Rolle spielt so ein Umfeld?
Tonke: Ich komme mir selbst immer unglaublich spießig vor. Ich bin Schauspielerin, Künstler ist ja noch was anderes. Als Künstler ist man sehr selbstbestimmt und die Kreativität muss aus einem selbst herauskommen. Gerade beim Film bin ich einfach Angestellte. Ich habe sehr viele, sehr spießige Wünsche. Vielleicht ist das tatsächlich eine Reaktion auf meine Eltern, die gar nicht so spießig sind. Als Kind habe ich schon einen Knick in das Sofakissen gemacht, wollte Polohemdkragen haben und alles sollte immer schön ordentlich sein. Meine Mutter hat immer ganz riesige Plätzchen gebacken – aber ich wollte immer ganz kleine.
Was ist das Spießigste an dir?
Tonke: Dass ich am liebsten zu Hause abends vorm Fernseher sitze.
Und was schaust du?
Tonke: Quatsch. Wenn`s gut läuft. Dann kuck ich `ne Serie
Du spielst auch in Kai Wiesingers Webserie „Der Lack ist ab“ über Menschen um die 40 mit. Was dachtest du, als Kai Wiesinger dich fragte? „Der Lack ist ab“ ist schließlich kein Kompliment.
Tonke: Ich habe das nicht auf mich, sondern auf ihn bezogen, aber er hat recht. Das ist auch mein Thema. Ich fand`s auch schwer 40 und auch 41 zu werden. Viel schwieriger, als ich es mir je vorgestellt habe.
Ist es nicht so, dass das Alter den Zugang zu anderen Rollen eröffnet?
Tonke: Ich habe einen super Querschnitt an Rollen. Angefangen mit Hedi über eine Sekretärin in den 50ern in Lars Kraumes „Die Heimatlosen“ (Anm. d. Red.: Arbeitstitel) und die Rolle als punkige beste Freundin von Karo in „Mängelexemplar“ bis hin zu der Rolle als erfolglose Schauspielerin in „Worst Case Scenario“. Wenn es schwierig ist, dann ist es für mich im Moment privat: „Ach so, jetzt bin ich so alt. Aha. Und was wollte ich eigentlich?“ Das meine ich gar nicht so sehr beruflich.
Du standest schon für Regiegrößen wie Dominik Graf, Lars Kraume, Michael Klier oder Tom Tykwer vor der Kamera. Mit welchem Regisseur möchtest du noch arbeiten?
Tonke: Ich mag Jessica Hausners Art und Weise wie sie Filme macht. Der letzte war „Amour Fou“ über Heinrich von Kleist und ich glaube, sie arbeitet ziemlich genau. Ansonsten gibt`s natürlich Tausende, mit denen ich gerne arbeiten würde. Ich habe in den letzten Jahren mit den unterschiedlichsten Leuten, auf die ich nie gekommen wäre, gearbeitet und habe mir dann gedacht: „Besser hätte es eigentlich gar nicht werden können.“ Ich habe immer das Gefühl, so wie`s kommt, ist es das Beste. Das ist auf jeden Fall meistens so.
Deine Karriere begann mit 16 Jahren, inzwischen hast du in über 50 Filmen mitgespielt. Hättest du auch Interesse, selbst Regie zu führen?
Tonke: Ich könnte mir das vorstellen, aber ich weiß auch, was es bedeutet, Regie zu führen. Das ist ein sehr anspruchsvoller Beruf. Ich müsste auch erst mal ein Buch schreiben, weil ich nicht irgendeinen fremden Stoff verfilmen will.
Was wäre dein Thema?
Tonke: Wahrscheinlich würde ich einen Rachefilm machen. Eine Frau rächt sich an der Gesellschaft. Ich kann mir das schon vorstellen, aber es ist gerade nicht mein Ziel. Im Moment bin ich total zufrieden, ich bin an einem Punkt, wo ich gerade gar nicht wüsste, wie es noch besser werden kann.