St Germain

Von Blues-Musikern bekomme ich Gänsehaut.

Ganze 15 Jahre ist es her, dass der Franzose Ludovic Navarre mit dem Electrojazz-Projekt St Germain Clubs und Lounges eroberte. Nun ist er zurück mit dem Album „Real Blues“. Im Interview spricht er über die lange Pause, die Faszination Blues, die Weiterentwicklung des Jazz und warum er mit Dubstep nichts anfangen kann.

St Germain

© Benoit Peverelli

Monsieur Navarre, nach Ihren Erfolgsalben „Boulevard“ und „Tourist“ 1995 und 2000 wurde es still um St Germain. Was war geschehen?
Navarre: Zuerst war ich lange auf Tour, ich habe bis 2003 etwa 300 Konzerte gespielt, zwei US-Touren absolviert, zwei Mal Australien, viele Reisen durch Europa… – das war sehr intensiv. Meine Tage bestanden lediglich aus Hotel, Interviews, Soundcheck, Konzert, wenig Schlaf und dann ging es in die nächste Stadt. Und das fast drei Jahre lang. Danach habe ich erstmal beschlossen zu pausieren. Ich habe ein Jahr lang überhaupt keine Musik gehört, kaum Leute getroffen und die Einsamkeit genossen.

Aber wie ging es musikalisch weiter?
Navarre: 2004 habe ich ein Album meines Trompeters Pascal Ouzé produziert. Wenig später entstand auch der Wunsch, wieder etwas Neues mit St Germain zu machen und ich begann mich mehr für afrikanische Klänge zu interessieren.

Dass heißt, Ihr Interesse an afrikanischer Musik, wie sie jetzt auf „Real Blues“ zu hören ist, gab es schon länger?
Navarre: Ja, schon vor „Tourist“ um genau zu sein. Doch am Anfang wusste ich nicht, wie ich die afrikanischen Elemente mit meiner Musik verbinden kann. Ich wollte sie nicht einfach nur über die Beats drüber legen, das wäre zu billig gewesen. Also habe ich die Idee beiseite gelegt und angefangen, ein Album zu produzieren, dass wie „Tourist Teil 2“ klang und das ich mit den Musikern aufnahm, die auch schon bei „Tourist“ gespielt hatten. Letztendlich habe ich aber all das Material verworfen, weil ich genug hatte von diesem Sound. Das war 2007. Und danach habe ich mich wieder mit der afrikanischen Musik beschäftigt.

Doch das verbindende Element zu Ihren vorherigen Alben scheint der Blues zu sein. Wie entstand Ihre Faszination für den Blues?
Navarre: Das kann ich schwer erklären, denn ich kann gar nicht so gut Englisch, um die Texte richtig zu verstehen. Für mich ist der Blues aber mehr als nur die Texte, ich verehre diese Musiker, die so eine große Energie haben. In dem Moment wo sie anfangen zu singen bekomme ich sofort eine Gänsehaut.

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Traditionelle Musik ist für mich die größere Inspirationsquelle.

St Germain

Sehen Sie Parallelen zwischen der zyklischen Form des Blues und der loop-basierten elektronischen Musik?
Navarre: Bei der afrikanischen Musik sehe ich das ganz deutlich. Damit meine ich jetzt zum Beispiel die traditionelle Musik aus Mali oder die Musik der Tuareg. Mich hat besonders die Donso-Musik interessiert, die auf einem Saiteninstrument namens Kamale Ngoni gespielt wird. Die ist sehr perkussiv und minimalistisch und wird bei Ritualen gespielt, zum Geschichtenerzählen und auch um in einen Trance-Zustand zu kommen. Die Menschen, die diese Musik spielen, haben dieses Blues-Feeling, das wir kennen.

Sie haben diesen afrikanischen Blues auf Ihrem Album nun mit Elektronik vermischt. Ist es ein Tanz- oder ein Lounge-Album geworden?
Navarre: Ich denke, es steckt beides drin, ungefähr so wie es schon bei „Tourist“ der Fall war, das hat man damals ja auch viel in Bars und Lounges gehört. Man kann es aber auch lauter aufdrehen, der tiefe Bass-Sound eignet sich gut für große Clubanlagen.

Wie funktioniert die Live-Umsetzung Ihrer Musik? Sie haben auf Tour ja immer eine Reihe von Musikern dabei, wie arrangiert man das mit dem Computer?
Navarre: Ich habe dafür noch nicht die ideale Lösung gefunden. Mein Problem ist, dass man mit bestimmten Geräten nur eine bestimmte Sache machen kann. Da braucht man für bestimmte Effekte, die man erreichen will, sehr lange. Also, das ist im Moment noch eine große Herausforderung für mich.

Würden Sie sagen, dass die Fülle an neuer Musiktechnologie Ihre Soundproduktion beeinflusst hat?
Navarre: Ich benutze eigentlich noch viel von dem Equipment, das ich schon 1995 benutzt habe, als ich mit St Germain anfing, also mit sehr einfachen Multi-Track-Sequenzern. So etwas wie Pro Tools konnten sich damals nur wirklich große Studios leisten. Ich benutze auch noch in weiten Teilen Software von damals, wobei jetzt aber auch viele neue digitale Instrumente hinzukommen.

© Benoit Peverelli

© Benoit Peverelli

Einer Ihrer bekanntesten Tracks ist „Rose Rouge“. Neben dem prägenden Vocal-Sample von Marlena Shaw enthält der Song angeblich auch ein Stück von Dave Brubecks/Paul Desmonds „Take Five“. Marlena Shaw haben Sie damals bei den Credits genannt, warum nicht auch Brubeck bzw. Desmond?
Navarre: Weil es kein Sample ist. Wir haben damals mit Musikern eine Session gehabt, als wir das Album produzierten. Als wir an „Rose Rouge“ arbeiteten habe ich meinen Pianisten gefragt, ob er etwas von Dave Brubeck spielen könnte, also machte er etwas in der Richtung, was gut passte. Er zeigte mir aber auch, wo der Unterschied zu Brubeck lag. Und die Drums sind eine Kombination von Rhythmus-Samples und Computer-Drums. Insofern kann ich sagen: „Take 5“ steckt da nicht drin.

Sie gelten als Pionier des Electrojazz. Sehen Sie das Genre eigentlich als eine natürliche Weiterentwicklung des Jazz?
Navarre: Ich bin, glaube ich, zu wenig Jazz-Purist, um das beurteilen zu können. Aber wenn man sich zum Beispiel anschaut, wie sich Miles Davis entwickelt hat, sieht man ja, dass er sich in seinen späten Jahren klar in Richtung Fusion-Jazz bewegt hat.

Würde er noch leben, würde Miles Davis heute also elektronischen Jazz spielen?
Navarre: Da bin ich mir nicht sicher. Ehrlich gesagt, kann ich mir das aber nicht vorstellen. Vielleicht wäre Miles Davis in eine Afro-Richtung gegangen. Aber elektronische Musik wie Deep-House oder House, das wäre für einen Musiker von so einem Format wahrscheinlich viel zu begrenzt.

Electrojazz wiederum hat sich weiterentwickelt in Electroswing, mit erfolgreichen Künstlern wie Parov Stelar oder Caravan Palace. Interessieren Sie sich dafür?
Navarre: Ich würde nicht sagen, dass es mich besonders begeistert. Ich habe selbst in dieser Nische sehr lange Zeit gearbeitet und irgendwann auch die Grenzen dessen erreicht, was ich auf diesem Gebiet tun konnte. Insofern habe ich da auch etwas den Kontakt verloren. Für mich sind heute andere Stile aufregender, Afro-House aus Südafrika zum Beispiel.

st germain AlbumWas ist mit einem jungen Genre wie Dubstep?
Navarre: Das berührt mich nicht wirklich. Die dort verwendeten Sounds gefallen mir nicht, diese Musik bewegt mich einfach nicht. So geht es mir übrigens mit fast aller kommerziellen Musik. Wenn ich nach Musik suche, dann gehe ich meist zurück zu den Wurzeln, zu traditioneller Musik. Das ist für mich die größere Inspirationsquelle.

Einer der erfolgreichsten Franzosen im Musikbereich ist heute David Guetta. Was sagt uns das über den aktuellen Zustand der elektronischen Musik?
Navarre: Genau genommen gar nichts. Außer vielleicht, dass elektronische Musik ein so großes Feld geworden ist, mit so vielen Sub- und Subsubgenres, wo es dann auch viele Bereiche gibt, die man nicht braucht, um glücklich zu sein. Ich bewege mich musikalisch ganz woanders und kann zu Guetta nichts sagen, ich kenne nicht einen Song von ihm.

Im 18. Jahrhundert gab es den Grafen von Saint Germain, der Abenteurer, Komponist, wohl aber auch ein Hochstapler war. Gibt es dazu eine Verbindung?
Navarre: Nein, überhaupt nicht. Auf den Namen St Germain kam ich einfach während eines Treffens mit Éric Morand und seinem Partner Laurent Garnier vom Label F Communications, als ich ihnen zum ersten Mal Musik dieses Projekts präsentierte. Also, hinter dem Namen gibt es keine besondere Geschichte.

Könnten Sie aber zumindest sagen, was Ihnen persönlich ‚heilig‘ ist?
Navarre: Respekt. Respekt für andere und für die Musik, die dich inspiriert, wenn du mit ihr arbeitest.

Tourdaten:
20.11.15 Wien – Museumsquartier
22.11.15 München – Muffathalle
13.11.15 Zürich – Kaufleuten

Ludovic Navarre wurde 1973 in Frankreich geboren. Zu Beginn der 90er Jahre gehörte er zu den wichtigsten Produzenten des French House, bevor er 1995 das Projekt St Germain ins Leben rief. Navarre verknüpfte hierbei elektronische Musik mit Aufnahmen, mehr

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