Christine Prayon

Gutes Kabarett ruht sich nicht auf Binsenweisheiten aus.

In der „heute-show“ ist sie die sarkastische Birte Schneider, auf Tour die „Diplom-Animatöse“. Die Kabarettistin Christine Prayon spricht im Interview über Frauen auf der Bühne, die Informationsfunktion des Kabarett, die Abgrenzung zu Comedians und die Willkür der VG Wort.

Christine Prayon

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[Hinweis: Das Interview entstand im März 2015. Und zum Thema VG-Wort gibt es diesen Blogbeitrag.]

Frau Prayon, braucht eine Frau mehr Mut als ein Mann, um auf eine Kabarettbühne zu gehen?
Frauen müssen sich in den meisten Bereichen heutzutage mehr profilieren, um als gut zu gelten. Das gilt auch für das Kabarett. Deshalb würde ich sagen: Ja, sie braucht mehr Mut als ein Mann, um auf die Bühne zu gehen. Weil es immer noch so ist, dass Frauen sich mehr beweisen müssen als Männer. Bei einer Frau wird genauer hingeguckt, bis jemand mal sagt: Ja, die kann was, das ist gut.

Woran merken Sie, dass genauer hingeguckt wird?
Das Urteil fällt harscher oder schärfer aus. Ich weiß das auch von Kolleginnen, die mir erzählt haben, dass ihnen Kollegen gesagt haben: ‚Das kannst du aber so oder so nicht sagen.‘ Und wenn dasselbe dann ein männlicher Kollege sagt, wird nicht so genau hingeschaut. Bei Frauen wird also schneller und härter kritisiert oder etwas für nicht so intelligent gehalten. Das sind meine Erfahrungswerte, die sich außerdem im Austausch mit Kolleginnen bestätigt haben.

Der WDR strahlte im Februar 2015 mit der „Ladies Night“ eine satirische Sendung aus, in der ausschließlich Frauen auftraten. Wie finden Sie dergleichen?
Solange es diese Sondersparte, das Phänomen „Frauenkabarett“ gibt, sind wir gesellschaftlich noch nicht sehr weit gekommen. Das Problem ist, dass ich noch nie etwas von „Männerkabarett“ gehört habe. Das ist so ein wenig wie im Sport: Da gibt es eben Fußball und es gibt Frauenfußball. Das kommt mir so vor als würde man sagen: Es gibt die olympischen Spiele und es gibt die Paralympics. Schön wäre, wenn man irgendwann da ankommt, zu sagen: Es gibt Kabarett und es ist egal, ob das ein Mann oder eine Frau macht und es wird nur danach beurteilt, ob das jetzt gut oder schlecht ist.

Zitiert

Ich habe kein Neidproblem.

Christine Prayon

Ihr aktuelles Programm trägt den Titel „Die Diplom-Animatöse“…
Der ist natürlich ein Etikettenschwindel. Unser Leben ist davon geprägt etwas darzustellen. Selten ist es mit Substanz gefüllt. Das wollte ich thematisieren. Meine Bühnenfigur sagt eben: Ich bin eine Frau, die ein Diplom im Animieren hat. Aber sie kann es nicht.Sie hat sich ihren Titel erarbeitet, vielleicht auch erkauft. Irgendwie kommt sie über die Runden, irgendwie funktioniert‘s – nur ist es eben substanzlos.

Bei manchen Nummern entsteht der Eindruck, dass Sie mit Geschlechterklischees spielen, während Ihre Figur auf der Bühne versucht, sich ihnen zu entziehen.
Da verstehen Sie schon eine ganze Menge. Aber wenn ich ihnen jetzt erklären soll, was ich damit wollte – es ist immer schwierig solche Nummern hinterher zu erklären. Das können andere meist besser.

Finden Männer, die Kabarett machen, mehr Publikum in Deutschland als Frauen?
Ich denke zumindest, dass das Vorurteil, dass Frauen nicht lustig seien, sich immer noch hartnäckig hält. Deshalb geht der ein oder andere vielleicht nicht hin, wenn eine Frau auf der Bühne steht.

© ZDF/Willi Weber

© ZDF/Willi Weber

Braucht es eine Quote für Kabarettistinnen?
Generell bin ich eine große Verfechterin der Frauenquote. Aber wie sollte es etwas Vergleichbares für Kabarettistinnen geben? Es stellt uns keiner ein, wir sind selbständig. Vielleicht müssten sich eher bestimmte Bedingungen verändern, die dafür sorgen, dass es für Frauen leichter ist, diesen Beruf zu ergreifen. Auch Bedingungen, die es für Frauen mit Kind leichter machen, den Beruf auszuüben. Das ist für mich fast ein Ding der Unmöglichkeit.

Sie sind vor einiger Zeit Mutter geworden.
Und ich bin jetzt immer mit Mann und Kind unterwegs, was total an die Substanz geht. Die männlichen Kollegen haben meistens die Frau mit dem Kind zu Hause und das macht ihnenden Beruf leichter. Als Mutter muss man dann eben leider bestimmte Aufgaben übernehmen – was heißt leider… Wie das genau gehen könnte, die Bedingungen zu verbessern, da bin ich allerdings überfragt. Immerhin gibt es immer mehr Frauen in meinem Beruf. Vielleicht ändert sich auf diese Art schon etwas.

Im ZDF treten Sie in der „heute-show“ als Birte Schneider auf. Werden Sie dort als Kabarettistin oder Comedienne bezahlt?
Das ist eine gute Frage. Genau weiß ich es nicht, aber ich denke, dass ich als Kabarettistin geführt werde.

Dieter Nuhr wies uns darauf hin, dass die VG-Wort bei ihren Ausschüttungen Kabarett doppelt so hoch vergütet wie Comedy. Was halten Sie davon?
Ach so. Dann verdient der Mario Barth wahrscheinlich gar nicht so viel, der Arme. Kabarett besser bezahlt als Comedy? Auf welchem Planeten?

Erde?
Also wenn man Kabarett und Comedy zusammen schmeißt, werden Bülent Ceylan, Mario Barth und Dieter Nuhr am besten bezahlt. Und nun können Sie sich überlegen, ob die eher Kabarettisten sind oder eher Comedy machen.

Die erwähnten Großverdiener sind in der Tat eher Comedians. Doch der Verteilungsschlüssel der VG Wort (PDF-Link) ist entgegengesetzt, Kabarett erhält dort 100 Punkte, Comedy 50. Was halten Sie davon?
Das sieht für mich nach
absurder Willkür aus. Ich weiß auch nicht, was die Gründe sein könnten. Warum sollte die künstlerische Leistung im Kabarett doppelt so viel wert sein wie in der Comedy? Ich persönlich würde die Gelder für Comedy und Kabarett absolut gleich verteilen.
Allerdings ist diese Frage
nur theoretisch interessant. Denn die Realität sieht doch so aus, dass Otto Normalkabarettist in den seltensten Fällen was von den Verwertungsgesellschaften bekommt.

Ach so?
Versuchen Sie mal, all das, worauf Sie Anspruch haben, bei der VG Wort, der GVL oder GEMA anzumelden. Das wird ähnlich unmöglich gemacht wie das Ausfüllen eines Hartz IV- oder Elterngeldantrags. Die meisten Künstler sind entweder gar nicht über ihre Rechte informiert oder sie kapitulieren beim Versuch, diese wahrzunehmen.
Das war auch bei mir bisherder Fall.
Das ganze Geld, was durch ihre Leistung nun aber bei den Verwertungsgesellschaften schlummert und jährlich ausgeschüttet werden muss, landet damit automatisch bei den Großverdienern der Branche, die alle sehr genau wissen, was ihnen zusteht und wie sie ihre Ansprüche geltend machen können.
Grundsätzlich muss, glaube ich, bei der Diskussion um Leistungsschutz- und Urheberrechte unser damit verbundener uralter Eigentumsbegriff und dessen Unvereinbarkeit mit massenhafter Digitalisierung und Vernetzung überprüft werden. So etwas würde übrigens auch an den Stützen des Kapitalismus rütteln. Diese Themen sind mir wichtiger als irgendwelche Gagen-Neid-Vergleiche.

Sie selbst scheinen also nicht neidisch auf Kollegen zu sein…
Ich verdiene mit diesem Beruf genug, um damit über die Runden zu kommen. Ich brauche nicht die Säle zu füllen und mache nicht das, was Mario Barth macht. Ich möchte auch nicht in die Arena oder ins Stadion mit meinem Programm. Insofern habe ich auch dann kein Neidproblem, wenn andere das Olympiastadion füllen. Ein Kabarettist, der seinen Beruf so versteht, wie man ihn vielleicht idealistischerweise versteht, der möchte sein Publikum erreichen und das wächst nicht grenzenlos. So ein Programm findet
an einem Abend vielleicht 300 Leute, aber dann ist wahrscheinlich auch Schicht. Das hat was mit dem Anliegen zu tun, was man an so einem Abend hat. Außerdem braucht Kabarett einen vergleichsweise intimen Rahmen.

Sie sagten einmal der Stuttgarter Zeitung: „Comedy bedient Klischees, Kabarett bekämpft sie.“ Wir haben über dieses Zitat einmal mit Dieter Nuhr gesprochen, der dazu meinte, das sei nur ein „dümmliches Klischee“ und „ein untauglicher Versuch der Heroisierung des eigenen Geschäftsmodells.“ Was entgegnen Sie?
Dass ich diese Definition vorgenommen hatte entsprach dem Wunsch, der Maßstablosigkeit in dieser Debatte etwas entgegenzusetzen.Sind Kabarett und Comedy dasselbe? Gibt es gutes und schlechtes Kabarett, gute und schlechte Comedy? Das sind Fragen, die tauchen in meiner Branche immer wieder auf undich finde: Comedy dient in Deutschland eher der reinen Unterhaltung und setzt eher auf Werte, die in den Köpfen der Leute schon verankert sind. Kabarett rüttelt eher an dem Bestehenden und stellt es in Frage. Das ist ein großer Unterschied und den finde ich wichtig. Wer den nicht macht, der versucht dem Kabarett die Schärfe zu nehmen.

Dieter Nuhr sagt dazu, das Kabarett setze oft „primitive Frontlinien zwischen Gut und Böse voraus, die Wirtschaft ist böse, die Bevölkerung gut, die Industrie schlecht, der Kleinbetrieb gut“ und so weiter, obwohl real diese Frontlinien nicht mehr existierten. Befindet sich das Kabarett noch in einer Zeit vor der Jahrtausendwende?
Man kann das Kabarett durchaus kritisieren. Mitunter geht es nicht weit genug, bleibt in reiner Anklage derer „da oben“ stecken und fühlt sich gemeinsam mit seinen Zuschauern wohl anstatt diese und sich selber auch mit in die Verantwortung zu nehmen. In diesem Fall haben wir es aber vielleicht mit nicht so besonders gutem Kabarett zu tun. Dass das Kabarett eindeutig Position bezieht, kann man ihm allerdings nicht vorwerfen, denn sonst würde man dem Kabarett ja seine Kabarettartigkeit anlasten. Gutes Kabarett – ich nenne mit Volker Pispers und Hagen Rether nur mal zwei Beispiele – benennt Roß und Reiter ganz klar, nicht um sich auf simplen Schwarz-Weiß-Binsenwahrheiten auszuruhen, sondern um mit fassungslosem Staunen auf die tatsächlich bestehenden Schweinereien zu verweisen. Und manche Dinge sind nun mal einfach: Der Kapitalismus zeigt sich zwar immer wieder in neuem Gewand, aber am Prinzip der Ausbeutung hat sich doch durch die Jahrtausendwende nichts geändert. Im Gegenteil: Wir scheinen sogar in eine Art Mittelalter 2.0 zurückzufallen. Damit wäre das heutige Kabarett seiner Zeit dann wohl eher um 300 Jahre voraus als von vorgestern zu sein, oder?

In der „heute-show“ haben Sie im Februar einen Sketch die Ausflüchte von Wirtschaftsvertretern bei der Einführung des Mindestlohns auf’s Korn genommen. Was verdienen Sie pro Stunde beim ZDF?
Das soll ich jetzt sagen? Kein Mensch redet darüber, und ich soll das jetzt sagen? Ich weiß gar nicht, ob ich das darf. Aber glauben Sie mir: Einen Porsche kann ich mir davon nicht leisten. Ich wurde schon mal gefragt, ob ich im vier- oder fünfstelligen Bereich verdiene. Da musste ich herzlich lachen. Es gibt Stars wie Veronica Ferres, die irre viel verdienen. Aber auch hier geht die Schere immer weiter auseinander.

ZDF-Intendant Thomas Bellut verdient zum Beispiel 319.646 Euro im Jahr. Finden Sie das angemessen?
Weiß ich nicht, ich weiß nicht was der den ganzen Tag macht. Die Leute sollen ruhig viel verdienen. Wenn das aber bedeutet, dass andere Leute unter dem Existenzminimum herumkrebsen, dann sollte man darüber nachdenken, dass es eine gerechtere Umverteilung gibt. Wenn wir eine menschenwürdigere Umverteilung hinbekommen, dann kann Herr Bellut gerne noch mehr verdienen. Allerdings denke ich, dass es noch viel größere Ungerechtigkeiten gibt.

Kennen Sie die Einschaltquoten der „heute-show“?
Interessiert mich überhaupt nicht. Nicht, weil es mir egal wäre, ob das irgendwen im Land interessiert, was wir machen, sondern weil ich an dem Nutzen der Information über die Höhe der Quote für meine Arbeit zweifle. Die Quote hat in vielerlei Hinsicht ihre Berechtigung, mir wird in der Branche nur zu viel darüber gesprochen. Das darf doch in den Öffentlich-Rechtlichen nicht zum bestimmenden Maßstab dafür werden, was gesendet wird und was nicht. Gibt es nicht so etwas wie einen kulturellen Auftrag, den die Öffentlich-Rechtlichen im Gegensatz zu den Privaten erfüllen sollten?

Prayon mit Oliver Welke in der "heute-show" © ZDF/Willi Weber

Prayon mit Oliver Welke in der „heute-show“  © ZDF/Willi Weber


Hat die Einschaltquote Einfluss auf Ihre Arbeit?

Nein. Der Einfluss ist gleich null. Wenn ich danach gehen würde, ob Leute um- oder einschalten, dann würde ich keinen Satz auf’s Papier bringen. Das lenkt mich als Kabarettistin und als Schauspielerin von meiner eigentlichen Arbeit ab.Das Thema Einschaltquote ist etwas für Fernsehredakteure.

Ihre Auftritte in der „heute-show“ enthalten oft eine bitterböse Kritik an Politik und Wirtschaft. Wie lange macht das ZDF das noch mit?
Natürlich ist die „heute-show“ oft böse. Sie spart ja in ihrer Kritik nicht mal die Politik des eigenen Senders aus. Nichtsdestotrotz ist diese Kritik, die darüber hinaus auch in der „Anstalt“, einer weiteren ZDF-Sendung stattfindet, doch im ZDF wie man so sagt „mit eingepreist“. Wer sich selbstironisch zeigt, darf sonst alles. Dem wird verziehen. Darin liegt auch eine Gefahr, denn man nimmt der in aller Öffentlichkeit geübten Kritik so durch die Hintertür doch wieder die Schärfe. Vielleicht weil man glaubt, dadurch irgendwie großzügig und entspannt zu erscheinen. In Wirklichkeit aber verwischt man so tatsächlich bestehende Interessensunterschiede und Grenzen.

Ist die „heute-show“ die bessere „Tagesschau“?
Eigentlich sollte die „heute-show“ Satire bleiben und die Tagesschau Journalismus. Aber da die Tagesschaunicht gut ist,sollte man sich lieber die „heute-show“ anschauen. Wir haben Zeiten, in denen die Satire den Job des Journalisten übernehmen muss. Wer sich zum Beispiel „Die Anstalt“ anschaut, der bekommt dort schon Dinge erklärt, die er in den Mainstream-Medien nicht erklärt bekommt. Eigentlich ist das bedenklich. Da sollte man sich die Frage stellen: Welche Arbeit leistet der Journalismus nicht mehr, dass es so etwas dringend braucht?

Das Satiremagazin Charlie Hebdo hat ein Interview mit dem griechischen Finanzminister gedruckt. Wie groß ist die Informationsfunktion des Kabaretts?
Immer dann wenn’s richtig scheiße wird, vergrößert sich die Informationsfunktion, weil eine Lücke entsteht, die gefüllt werden muss. Wenn die Medien relativ gleichförmig berichten oder in eine Richtung Propaganda betreiben übernimmt das Kabarett zwangsläufig die Aufgabe des Qualitätsjournalismus und bohrt dort nach, wo Fragen entstehen, gibt Informationen, die anderswo nicht gegeben werden und übernimmt auch die Aufgabe der Opposition. Auch dort muss das Kabarett einspringen. Vielleicht war das schon immer die Rolle des Kabaretts – aber eigentlich wünsche ich mir, dass sie das nicht nur ist.

Haben die Anschläge auf Charlie Hebdo das deutsche Kabarett verändert?
Nö.

Schrecken Sie manchmal vor einer Pointe zurück?
Ob ich jetzt beispielsweise keine Witze über den Propheten mehr mache? Die habe ich früher so gerne gemacht, die mache ich jetzt nicht mehr. Nee, wirklich, es gibt viele Themen, die viel dringender sind. Das ganze Thema „Kampf gegen den Terror“, Islamismus, was auch wieder von unserem ausgewiesenen Islamexperten Dieter Nuhr beackert wurde – das ist ein solcher Platzhalter für das, was eigentlich zu besprechen wäre.

Nämlich?
Über Geheimdienste wird zum Beispiel nicht mehr gesprochen, über Snowden wird nicht mehr gesprochen. Dafür über den Islam, obwohl wir überhaupt kein Problem mit dem Islam haben. Unser Problem ist nicht die Islamisierung des Abendlandes, sondern die Prekarisierung des Abendlandes. Der Terrorismus ist ein Problem, das wir auch selbst mir unserem sogenannten „Kampf gegen den Terror“ erzeugt haben. Daraus ein Problem mit dem Islam abzuleiten ist völlig falsch und gefährlich, weil es noch mehr Terrorismus, Hass und Rassismus erzeugt. Damit wir aus dieser Spirale herauskommen, müssen wir uns Gedanken darüber machen, was hier eigentlich der tatsächliche Terror ist.

Den vermuten Sie woanders?
Man muss sich fragen, ob das nicht auch der Terror ist, den wir machen. Ich rede mich jetzt um Kopf und Kragen, man bietet ja auch Angriffsfläche wie ein Scheunentor, wenn man in dem Zusammenhang diese Position bezieht. Ich finde es nur halt mehr als fahrlässig, das Thema Islamismus so hochzukochen. Wenn Dieter Nuhr sich damit brüstet, als einer der ganz Wenigen über den Islamismus zu sprechen, sollte man sich fragen, warum er nicht über andere Themen spricht, zum Beispiel die tieferen Ursachen des Terrors. Vielleicht ist eine Antwort: Weil er dabei eben beinahe die gesamte veröffentlichte Meinung und Meinungsmache im Rücken hat?

Hat Satire Grenzen?
Wenn man Satire macht, kann und darf man alles sagen. Aber man muss es nicht. Denn man sollte auch Verantwortung übernehmen für das, was man sagt. Es geht nicht nur um Freiheit, um Meinungsfreiheit, sondern darum, wie man mit ihr umgeht.

Das klingt nach einer selbst auferlegten Grenze.
Das ist so. Es gibt Grenzen, die man sich selbst auferlegt.

Wo liegen Ihre?
Das fängt bei Geschmacklosigkeiten an. Auch brauche ich keine Witze zu machen über Leute, die eh schon arm dran sind. Natürlich kann ich darüber Witze machen, dass Leute wie Freaks auf Demos herumrennen. Aber mein Thema sollte doch sein, wenn ich Kabarett mache, mich an der herrschenden Meinung, an der Meinungsmache, an den Herrschenden zu reiben. Die muss ich bloßstellen, denen muss ich die Hosen herunterziehen – und nicht denjenigen, die ohnehin schon zu den Verlierern des Systems gehören. Und dazu gehören u.a. eben auch muslimische Migranten in Deutschland, die, wenn man den Statistiken glauben darf, gesellschaftlich, politisch und sozial benachteiligt sind. Oder, andere Gegend, anderes Beispiel, selbes Prinzip: Ein junger Ziegenhirte am Hindukusch etwa, der erleben musste, wie seine Familie „aus Versehen“ von einer Predator-Drohne ausradiert wurde, und der dann in seiner Verzweiflung zum hasserfüllten Taliban mutiert, ist – auch – ein Verlierer des Systems. Warum sollte ich mich nun auf die Bühne stellen und Witze über den Glauben dieser Menschen machen? Was ist daran komisch? Und was ändert es an den bereits bestehenden Ressentiments? Verschärft es diese nicht vielmehr? Das geht alles für mich eher in Richtung Deutungshoheit und vielleicht auch Zynismus.

Oder es ist schlicht und einfach Kritik an bestimmten religiösen Traditionen.
Natürlich kann ich mich über Burkas und Kopftücher aufregen. Aber man sollte dabei nicht vergessen, dass beispielsweise eine Herdprämie, wie sie zunächst als Gesetz durch eine deutsche Regierung auf den Weg gebracht wurde, auch so eine Art, na ja, zugespitzt gesagt, strukturelle Burka darstellt. Und ich finde insofern, dass wir uns als Westen nicht in solch moralisch eindeutig überlegener Position befinden, die uns dazu berechtigte, derart deutlich mit dem Finger auf andere zu zeigen. Damit wir uns nicht falsch verstehen und gleich der Vorwurf des „Islamverstehers“ im Raum steht: Terrorattacken wie 9/11 oder das Charlie-Hebdo-Attentat sind durch nichts zu rechtfertigen. Es geht auch nicht um Verständnis
für Terror, sondern um Verständnis von Terror, also wie dieser entsteht. Mit oberflächlichen Witzchen über eine andere, zutiefst als fremd empfundene Religion und Kultur zeige ich allerdings eher, dass ich mir gar nicht wirklich die Mühe gemacht habe, irgendetwas zu verstehen und zu durchdringen.

Als Konsequenz auf die Anschläge auf „Charlie Hebdo“ flammte auch die Debatte um den Blasphemieparagraphen in Deutschland wieder auf. Abschaffen oder verschärfen?
Ich brauche keinen Blasphemieparagraphen. Ich kann selber dafür Verantwortung übernehmen, was ich sage. Wenn ich etwas über Religion zu sagen habe, werde ich das in aller Schärfe sagen und möchte das auch in aller Schärfe sagen dürfen.

Ein anderes Thema: Sie haben sich früher sehr stark gegen den Tiefbahnhof Stuttgart 21 eingesetzt. Was halten Sie von dem Ausgang des Gerichtsprozesses gegen Polizisten, die bei den Demonstrationen eingesetzt waren?
Ich weiß nicht, wie viele Prozesse es gegen die Gegner von Stuttgart 21 gab. Die wurden verknackt zu Gefängnisstrafen oder haben Geldstrafen bekommen. Da wurde nichts eingestellt, das wurde alles sehr genau verfolgt und die S21Gegner systematisch kriminalisiert. Die Polizisten, aber vor allem auch diejenigen in den oberen Etagen, sind hingegen wieder alle so davon gekommen. Das geht auch an die Adresse der jetzigen grün-roten Regierung in Stuttgart, die die skandalös mangelhafte politische und juristische Aufarbeitung der Geschehnisse rund um den brutalen Wasserwerfer- und Polizeieinsatz in großen Teilen mit zu verantworten hat.Das ist entsetzlich.
Viele Menschen halten immer den Rechtsstaat hoch und berufen sich darauf. Das zeugt von einer rührenden Naivität. Aber den Rechtsstaat gibt es so offensichtlichnicht.

Das klingt hart.
Recht wird so gesprochen, wie es das System braucht und nicht wie es gerecht ist. Das ist eine oft gehörte Plattitüde, aber ich habe die eins zu eins in der Realität erleben können. Ich habe mir auch die Sitzungen des Untersuchungsausschusses zum Wasserwerfereinsatz in Stuttgartangeschaut und erlebt, welche Unterschiede zwischen den Verantwortlichen für das Projekt und den Gegnern gemacht wird. Die Verantwortlichen wurden dort mit Samthandschuhen angefasst – und das hat mir Angst gemacht.

Engagieren Sie sich aktuell gegen oder für etwas?
Ich engagiere mich für meinen Sohn. Der ist eineinhalb Jahre alt, der braucht mich gerade. Da bleibt nicht viel Platz für andere Sachen. Mein politisches Engagement muss momentan leider zurückstehen – obwohl es viele Themen gäbe, die mich interessieren – zum Beispiel das Freihandelsabkommen.

Werden Sie im laufenden Jahr mit einem neuen Programm auf Tour gehen?
Ich werde mit meinem Programm „Die Diplom-Animatöse“ auf Tour sein. Das ist und bleibt aktuell, weil ich weniger tagespolitisch Bezug auf Dinge nehme, sondern ganz grundsätzlich politisch bin. Damit kann ich heute auf Tour gehen und in zwei oder drei oder vier Jahren immer noch. Wobei ich schon merke, dass es irgendwie kribbelt und ich gerne ein neues Programm geben würde. Aber momentan nimmt mich mein Sohn sehr in Beschlag.

Wie geht es aktuell Ihrem Humor?
Ich habe den lange nicht mehr gefragt wie es ihm geht. Ich glaube dem geht es ganz gut. Wir sehen uns ein wenig seltener, mein Humor und ich, seitdem ich wenig schlafe und abwechselnd die Krankheiten meines Sohnes bekomme oder auf der Bühne stehe.

[Hinweis: Das Interview entstand im März 2015.]

2 Kommentare zu “Gutes Kabarett ruht sich nicht auf Binsenweisheiten aus.”

  1. Frank Monshausen |

    ich finde das so gut, was sie macht und sagt – bin voll dabei – super !

    Antworten
  2. walter eberhard |

    Liebe Christine,
    ich habe dich gestern bei den Mitternachtsspitzen gesehen und „gegoogelt“ und bin so auf dein Interview gestoßen. (Die Heute-Show ist mir zu spät und an manchen Ecken zu flach, als dass es sich lohnt aufzubleiben).
    Deine Geradlinigkeit macht richtig stark. Tatsächlich gibt es nicht mehr viele, die sich aus dem Fenster hängen und dem Kapitalismus den Spiegel vorhalten und sich auch praktische einsetzen wie beim Widerstand gegen Stuttgart 21. Ein Hildebrandt oder ein Jonas haben Lücken hinterlassen. Und diese „süffisanten“ Nuhrs sind das Geld nicht wert mit ihren billigen Witzen auf Kosten anderer Kulturen.
    Ich hoffe wir sehen uns in Freiburg im Januar.

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