Herr Herbst, welchen Teil einer Zeitung lesen Sie zuerst?
Christoph Maria Herbst: Das Feuilleton. Und danach bin ich schon sehr schnell auf der Wetterseite. Auch Welt-Wetter, um einfach mal zu gucken: Wo wäre es jetzt im Moment schöner als hier?
Fernweh?
Herbst: Ja, immer wieder. Ferndurst. Kann auch passieren, dass ich dann spontan verreise.
Was ist mit dem Wirtschaftsteil?
Herbst: Den überblättere ich oft, zusammen mit der Technikseite. Artikel im Wirtschaftsteil lese ich nur sehr selektiv.
Ihre Zeit als Bankkaufmann hat Ihr Interesse am Wirtschaftsteil also nicht sonderlich gefördert?
Herbst: Aus der Zeit ist bei mir nicht viel hängengeblieben, außer Abscheu.
Und das Verständnis von wirtschaftlichen Zusammenhängen?
Herbst: Lernt man das in einer Bank? – Da wird man eigentlich nur zu einem Erfüllungsgehilfen dieser Machtstrukturen und Institutionen gestempelt, damit man ganz uniform – buchstäblich, mit Anzug und Schlips – dem goldenen Kalb dient. Zum eigenen Reflektieren, kritisch beäugen und Dinge hinterfragen wirst du da nicht aufgefordert.
Das findet allerdings auch wenig in einer normalen Tageszeitung statt, dass sich mal jemand kritisch mit den Dingen beschäftigt. Sondern da lese ich Meldungen, die über den Ticker gegangen sind, die dann jeder auf seine Weise zu einer Nachricht hoch- oder runterschreibt – je nachdem wie viel Platz und welcher Redakteur gerade im Dienst ist.
Sich die Dinge aber mal aus einem Blickwinkel anzugucken, vielleicht auch mal an Quellen zu gehen, die nicht ganz so konform sind, das finde ich dann spannender.
Wo finden Sie diese Quellen?
Herbst: Als ich vor kurzem in Manhattan im Urlaub war, habe ich mich nochmal ein bisschen mit dem 11. September beschäftigt. Da habe ich im Netz recherchiert, auch bei Dingen, die gerne als Verschwörungstheorie abgestempelt werden, habe mir meine eigenen Gedanken gemacht und mir auch mal angeschaut, was Experten sagen. Sprich, nicht einfach das zu glauben, was einem Presse regierungsgesteuert mitteilt, sondern selbst ein bisschen hinter den Vorhang zu schauen.
Mit welchem Ergebnis?
Herbst: Ich bin dabei unter anderem auf die „Architects and Engineers for 9/11 Truth“ gestoßen und habe den Vortrag eines Architekten entdeckt, der in keiner Weise im Ruch steht, ein verschrobener Verschwörer zu sein. Und der erklärt genau, warum die Türme des World Trade Center nicht durch die Flugzeuge eingestürzt sein können. Das finde ich spannend.
Ich habe keine Stauballergie und auch keine Schrankwand im Arsch.
Haben Sie so auch schon zur Griechenland-Krise recherchiert?
Herbst: Nein, bisher nicht. Für unseren Film „Highway to Hellas“ war das auch gar nicht notwendig.
Sie spielen einen deutschen Banken-Vertreter, der auf einer griechischen Insel Sicherheiten für einen gewährten Kredit überprüfen soll.
Herbst: „Highway to Hellas“ ist kein politisches Statement und auch keine Antwort auf ungeklärte Fragen, sondern wir verschieben das Brennglas ein wenig, mit unseren Mitteln. Meine persönliche Meinung zur Griechenland-Krise spielte dafür keine Rolle.
Interessiert hätte mich Ihre Meinung dann aber doch.
Herbst: Ich denke, dass man schon zu einem viel früheren Zeitpunkt einen Schuldenschnitt hätte machen sollen, man hätte Griechenland Schulden erlassen müssen. Experten haben das schon vor Jahren gesagt. Es haben auch Bundespolitiker ihr Mandat niedergelegt, weil sie diese Art der Griechenland-Politik nicht mit tragen wollten, die sich auch dem Parteidruck widersetzt haben.

Szene aus „Highway to Hellas“ © Warner Bros. Ent.
Verstehen Sie die Griechenlad-Krise durch Ihr Banker-Wissen besser?
Herbst: Nein, das glaube ich nicht. Das ist ein Klischee, genauso wie die Vorstellung, ich wüsste wegen meiner Banklehre besonders gut, wie man Geld anlegt. Aber das weiß im Moment keiner, auch die Leute nicht, die das hauptberuflich tun. Mein Wissen aufgrund der Bankkaufmannslehre beschränkt sich auf Dinge wie, dass man bei einem Kreditkartenkonto mehr Zinsen bekommt als beim Sparbuch.
Gelernt habe ich in der Bank allerdings, dass wir gerne mal nach Strich und Faden verarscht werden – und dass es auch immer genügend Leute gibt, die sich verarschen lassen. Deshalb habe ich privat bis heute noch nie mein Girokonto überzogen, weil ich da zwischen 12 und 16 Prozent abdrücken muss. Ich will denen nicht eine Marge von 10 Prozent in den Rachen schieben.
Wie schon erwähnt geht es im Film um eine griechische Insel. Was denken Sie, wenn eine deutsche Zeitung schreibt: „Verkauft doch eure Inseln, ihr Pleite-Griechen“?
Herbst: Das klingt sehr nach Revolverblatt und nach dieser Schwarz-Weiß-Hetzkampagne, auf die ich nicht so kann. Schon die Formulierung im Vokativ stört mich. Und ich stelle es mir grauenhaft vor, wenn die Griechen das wirklich täten. Ich möchte nicht, wenn ich das nächste Mal die Kykladen besuche, nach Mykonos oder Syros fahre, dass das in chinesischer Hand ist. Oder in russischer. Es kann nicht sein, dass vor dem Hintergrund dieser Krise so ein Ausverkauf stattfindet und dann die Oligarchen alles übernehmen.
In einer der ersten Szenen von „Highway to Hellas“ knüllt ein griechischer Bürgermeister in seinem Büro einen Zettel zusammen und wirft ihn in die Ecke mit der Bemerkung: „Das war die Steuererklärung meines Bruders“. Haben Sie ein gutes Gefühl bei der Szene?
Herbst: Ja, total. Der griechische Schauspieler, einer der Stars des griechischen Films, fand die Szene genauso lustig. Weil er genau weiß, dass es so was gibt.
Außerdem haben wir keine Doku gedreht. Wir erzählen etwas über diesen Bürgermeister und seinen Bruder, nicht über den Griechen. So rezipiere ich auch nie Filme, wenn ich Filme gucke, dann ist das für mich in dem Moment auch nicht der Deutsche .
Aber besteht nicht die Gefahr, dass so eine Szene ein Vorurteil verfestigt?
Herbst: Ehrlicherweise sehe ich die Gefahr nicht, weil ich hoffe, dass schon etwas intelligentere Leute unseren Film gucken, die nicht so schnell einer Bauernfängerei erliegen. Die Klischees werden in unserem Film außerdem auch paritätisch gebrochen und umgedreht, aus Schwarz-Weiß wird dann Weiß-Schwarz und es gibt viele Grautöne.
Der Ton gegenüber Griechenland ist in Deutschland, insbesondere in deutschen Medien, rauer geworden, Griechen werden als gierig und faul bezeichnet – können wir uns so einen Ton erlauben?
Herbst: Der Jörg Geißner, den ich spiele, wendet sich von diesem Umgang ja irgendwann angeekelt ab. Aber die Bank, die ihn sozusagen als Soldaten an die Front geschickt hat, die strebt diesen Ausverkauf an. Die wollen die Insel einem Großinvestor vermachen, damit der dort seine Bettenburgen hochziehen und Rendite machen kann.
Ich denke, es ist wichtig, diesen Ausverkauf zu verhindern und dass eine Solidargemeinschaft alle Anstrengungen unternimmt, damit nicht Teile eines Landes in falsche Hände gelangen, Stichwort „verkauft doch eure Inseln ihr Pleite-Griechen“. Dafür sind wir auch eine EU. Bei der Ehe heißt es ja „in guten wie in schlechten Zeiten“… Aber es gab natürlich auch mal die Maastricht-Kriterien – über die redet heute keiner mehr.
Ihre Figur des Jörg Geißners verkörpert einige Klischees über die Deutschen: Stock im Arsch, Stauballergiker, spießig, verklemmt…
Herbst: …pflichtbewusst…
Gibt es etwas, was Sie an sich selbst als zu deutsch empfinden?
Herbst: Ich habe keine Stauballergie und auch keine Schrankwand im Arsch. Aber was Sie aufgezählt haben, sind das alles typisch deutsche Eigenschaften?
Ich bin, glaube ich, diszipliniert – das sehe ich aber durchaus positiv. Es war lustig, beim Dreh hat sich dieses Klischee etwas bewahrheitet, mein Kollege Adam Bousdoukos, der halb deutsch halb griechisch ist, war beim Drehen oft mehr Grieche. Wenn ich morgens um 5 Uhr abgeholt werde, um zum Set zu fahren, stehe ich zwei Minuten vor 5 vor der Tür. Weil ich auch nicht will, dass dann jemand Anderes auf mich wartet. Bis 5 Uhr ist es meine Zeit, danach ist es eben auch die Zeit des anderen.
Hat sich das entwickelt oder waren Sie immer schon diszipliniert?
Herbst: Als Teamplayer mache ich das schon immer so. Es anders zu machen, fände ich asozial. In dem Punkt bin ich dann, wenn man es auf das Klischee reduzieren will, schon sehr deutsch, weil sehr diszipliniert, weil eben pünktlich.
Ich bin auch jemand, der seine Hausaufgaben macht. Früher als Schüler war es noch nicht so, aber seit ich drehe, weiß ich: Jeder Drehtag ist wahnsinnig teuer und wir haben sehr wenig Zeit. Also muss ich top vorbereitet sein, weil ich auch nur dann das Beste abliefern kann. Wenn ich am Set noch minutenlang über den Text nachdenken muss, eigentlich nur Text absondere, selbigen aber gar nicht gestalte, dann mache ich keinen guten Job. Das mag sehr deutsch sein – in diesem Punkt bin ich das aber sehr gerne.
Deutsche Eigenschaften, die ich an mir als unangenehm empfinde, fallen mir keine ein. Ich laufe nicht mit Frotteesocken in Sandalen rum, ich bin in Kneipen auch nach zwei Weizenbier nicht zu laut oder zu national, bin nicht geizig, lade auch gerne ein…
…aber Sie merken vermutlich noch einen Unterschied, wenn Sie in südlichen Ländern unterwegs sind, in Bezug auf das Temperament.
Herbst: Ich bin jemand, der sich unheimlich schnell assimiliert. Ich bin sehr schnell Teil von dem, wo ich mich gerade aufhalte, vom dortigen Tempo oder der dortigen Entschleunigung. Wenn ich im asiatischen Raum bin, fange ich auch an, meine Sandalen so schlurfend hinter mir her zu ziehen, wie es der Asiate an sich auch tut. Da wird man Teil dieser amorphen Masse, das ist schon Klasse. Deshalb fährt man da ja auch so gerne hin: Man will irgendwie ein anderer sein und auch ein Stück als ein anderer zurück kommen. So geht es mir zumindest.

Szene aus „Highway to Hellas“ © Warner Bros. Ent.
Zwei Ihrer letzten Filme, „300 Worte Deutsch“ und „Highway to Hellas“, widmen sich dem Thema Völkerverständigung…
Herbst: Das ist Zufall. Ich besetze mich ja nicht selber. Wobei ich heilfroh bin über eine Figur wie die des Jörg Geissner, weil ich in der Rolle etwas Anderes zeigen durfte. Wenn Leute meinen Namen hören denken sie ja zuerst „ach, dieses zynische, sarkastische Schwein“ . Doch das sind Humorfarben, an denen ich mich inzwischen genug abgearbeitet habe.
Sie haben mal gesagt, dass Sie gerne Arschlochfiguren, Fieslinge spielen.
Herbst: Ja, mit dem Zusatz: Solange ich die anderen Figuren stromlinienförmig und langweilig finde. Wenn die good guys und Nicht-Arschlöcher langweilig sind, spiele ich natürlich lieber die Arschlöcher. Bei dem Jörg Geißner, wenn er da am Anfang im grauen Anzug auftaucht, denkt man auch erst: Da ist es wieder, das Alter Ego. Aber dann wird er vom Saulus zu Paulus, die Hülle blättert auf, bis wir am Ende den weichen Zwiebelkern erleben. Das zu spielen tut meiner schauspielerischen inneren Hygiene sehr gut. Denn Stromberg-Typen und Stromberg-Brüder könnte ich ohne Ende drehen.
Bekommen Sie nicht inzwischen auch genügend andere Rollenangebote?
Herbst: Es bedarf noch einiger Anstrengung, da immer wieder gegen die Windmühlen zu kämpfen und den Leuten klar zu machen: Ich bin von Beruf Schauspieler und nicht Stromberg-Darsteller. Das ist halt Fluch und Segen des seriellen Geschäfts. Wobei ich mich jetzt gar nicht aufregen will über eine Figur, die ich in ihrer Prägnanz selbst mit geprägt habe, was ja ein großes Geschenk ist. Ich würde das auch immer wieder so machen, da gibt es nichts, was ich bereue.
Insbesondere beim fanfinanzierten „Stromberg“-Kinofilm wirkte es so, als wären Sie mehr als nur der Darsteller vor der Kamera. Haben Sie manchmal bei einem Filmprojekt den Gedanken: Den hätte ich lieber selber produziert?
Herbst: Nein, das habe ich irgendwie gar nicht in mir. Genauso wie ich auch keine Immobilien besitze. Ich bin nicht so ein Geldmensch, ich bin kein Unternehmer oder Macher. Ich bin eher so ein Mitmacher. Ich weiß, ich strahle etwas Anderes aus, aber das ist Teil meines fehlerhaften Charismas.
[Das Interview entstand im Juni 2015]