AnnenMayKantereit

Die Leute reden nicht mehr über ihre Träume.

AnnenMayKantereit begannen als Straßenmusiker in Köln, inzwischen kennt ganz Deutschland die Blues-Rock-Band. Im Interview sprechen Christopher Annen, Henning May, Severin Kantereit und Malte Huck über Smartphone-Videos, Adrenalin im Studio und umweltfreundliches Streaming.

AnnenMayKantereit

© Fabien J. R. Raclet

Hennig, Severin, Christopher und Malte, ich war gestern auf eurem Konzert und habe jetzt ein schlechtes Gewissen. Könnt ihr euch denken, warum?

Henning: Weil es frühmorgens ist? (lacht)

Nein. Ich habe bei eurem Auftritt den Song „Wohin du gehst“ mit meinem Smartphone gefilmt. Eine halbe Stunde später habt ihr dann einen Song gespielt, in dem ihr genau das sehr offen kritisiert…

Henning: (lacht) Das ist für uns jetzt nicht so schlimm, wenn jemand ein Lied mitgefilmt hat und den Rest des Konzertes am Start war. Aber was man halt viel merkt, ist, dass Leute das gesamte Konzert über an ihrem Handy rumfummeln. Die erleben das Konzert praktisch durch ihr Handy. Das macht uns irgendwie fertig. Das können wir nicht nachvollziehen. Da fanden wir es ganz lustig eine musikalische Aufforderung darzubieten, dass man das Konzert auch einfach mit einer Flasche Bier in der Hand genießen kann.

Wenn Menschen in den Urlaub fahren wird gerne auch zuerst die Sehenswürdigkeit fotografiert, bevor sie überhaupt richtig betrachtet wird. Woher kommt dieser Drang alles bildlich festzuhalten?

Christopher: Weil man die Bilder mit seinen Freunden teilen kann. Die Fotos werden dann halt gepostet und rumgeschickt.

Henning: Ich glaube auch, dass das der Wunsch nach Anerkennung ist. Gerade in den Zeiten von Facebook und Instagram und diesen ganzen Portalen. Wir bedienen diese Plattformen ja auch mit Bildern. Das ist schon auch ein schönes Medium, aber ich befürchte, dass sich viele ihre Videos später gar nicht mehr angucken. Es geht immer nur um den kurzen Moment.

Wie haltet ihr Erlebnisse während einer Tour fest?

Henning: Wir haben zwei Jungs dabei, die Fotos von uns machen. Die kennen wir schon ewig. Deswegen würde ich jetzt nie mit Severin ein Foto machen, wenn wir irgendwo sind. Das klingt jetzt blöd, aber wir werden oft genug fotografiert. Dann erübrigt sich das, weil man dann auch gar nicht mehr die Lust hat, das für sich selber zu machen. Ich glaube, wir halten Momente fest, in dem wir kleine Texte darüber schreiben und uns davon erzählen. Das machen wir oft.

Severin: Wenn man lange auf Tour ist, hat man zu jeder Stadt irgendeine Geschichte. Wenn Leute zu uns stoßen, verstehen die manchmal gar nicht, über was wir reden. Aber natürlich sind Fotos auch wichtig. Instagram ist für uns mittlerweile so eine Art Familienalbum, in das immer wieder neue Bilder eingeklebt werden.

Henning: Ich sitze jetzt aber nicht mit Severin in unserer WG und sage: „Ach Mensch, weißt du noch damals?“ (lacht) Aber es ist ganz schön, um Leuten, die nicht dabei waren, näher zu bringen, was wir so machen. Unseren Eltern zum Beispiel.

Severin: Meine Mutter zum Beispiel hat mit Computern nicht wirklich viel am Hut. Aber unsere Bilder schaut sie sich gerne an. Und auch viele unserer Freunde. Die können dann sehen, wo wir gerade so herumturnen.

Inwiefern haben sich Freundschaften durch den Erfolg verändert?

Christopher: Ich habe schon gemerkt, dass sich der Freundeskreis etwas ausgedünnt hat, weil wir viel weniger in Köln sind. Aber meinen engsten Freunden kann ich unsere Erlebnisse schon so erzählen, dass sie ein Gefühl dafür bekommen, was wir erleben.

Severin: Viele waren auch schon von Anfang an dabei. Also nicht auf Tour, aber die Entwicklung haben sie erlebt. Henning und ich wohnen zusammen. Unsere beiden Mitbewohner studieren. Für die ist das so eine Parallelwelt. Wir sind dann mal ein paar Wochen weg, kommen dann wieder und es ist direkt schön. Die wissen sofort, um was es geht, sind auch mal bei einem Konzert dabei, kennen auch unsere gesamte Crew.

Wie entspannt ihr nach einer Tour?

Henning: Ich spiele zuhause viel PlayStation. (lacht) Man muss sich dann auch so kleine geschlossene Welten suchen. Wir sind alle nicht die Typen, die groß feiern gehen und eskalieren. Wir genießen eher unsere heimische Idylle – Serien gucken, abends zusammen in der WG hocken. Ich glaube, wir sind zuhause alle relativ bürgerlich und spießig. (lacht)

Zitiert

Ich glaube, wir sind zuhause alle relativ bürgerlich und spießig.

AnnenMayKantereit

Ihr habt als Straßenmusiker in Köln angefangen. 2012 hat euch ein Passant gefilmt und das Video auf Youtube hochgeladen. Innerhalb weniger Wochen wurde das Video tausendfach geklickt. Wie habt ihr davon erfahren?

Severin: Wir haben auch vorher schon immer mal geguckt, ob Videos von uns im Netz sind. Als Straßenmusiker wirst du relativ oft gefilmt und willst die Aufnahmen dann natürlich auch finden. Dann haben wir dieses Video gesehen und dachten uns: Das können wir selber besser machen, denn diese Videos waren schon alle relativ schmandig, verwackelt, mit schlechtem Sound. Zum Glück haben wir Martin Lamberty, unseren alten Schulfreund, der eine Kamera hat und gut filmen kann.

Alle Videos sind in einem Take durchgedreht. Es gibt keine Schnitte. War das eine Gemeinschaftsidee?

Severin: Ich will nicht sagen aus der Not heraus, aber wir konnten es halt nicht anders. Das war so am einfachsten für uns. Wir haben es dann bewusst einfach gehalten. Was sollen wir groß mit Schnitten arbeiten? Das können wir nicht, vor allem nicht so, dass es so rüberkommen würde, wie wir es gerne hätten. Und so ist es irgendwie auch ein ganz cooles Stilmittel.

Malte: Dadurch dass das Mikro an der Kamera ist, verändert sich auch der Sound  je nachdem wie nah oder weit die Kamera von den Instrumenten entfernt ist.

Henning: Ich mag dieses Pfannkuchen-Beispiel. Also, dass man sagt: Wir haben Eier, Mehl und Milch im Kühlschrank und daraus müssen wir jetzt Pfannkuchen machen, weil nichts Anderes da ist.

Severin: Sacher-Torte wird da schwierig! (alle lachen)

Henning: Und genauso ist es mit der Musik. Wir wurden mal gefragt: „Wie seid ihr auf die Idee gekommen, handgemachte Musik zu machen?“ Wir haben ja nicht gesagt: Das ist eine Marktlücke, das gab es bisher noch nicht. Wir haben einfach etwas gemacht, aus dem was da war. Und das hat uns sehr gut gefallen. Das ist auch eine Stärke, zu sagen: Wir kochen jetzt etwas mit dem, was im Kühlschrank ist, und gehen nicht erst drei Kilometer bis zum nächsten Supermarkt.

© Fabien J. R. Raclet

© Fabien J. R. Raclet


Euer Demo-Album habt ihr unter freiem Himmel an einem Bahndamm aufgenommen, eure EP „Wird schon irgendwie gehen“ und euer Debüt-Album „Alles nix Konkretes“ hingegen in den Berliner Hansa-Studios. Inwiefern wollt ihr das improvisierte Aufnehmen aus den Anfangsjahren mitnehmen in das nächste Level?

Henning: Unsere Videos bleiben ja immer die gleichen. Wir machen da unsere One-Shots. Ansonsten hat sich die Art der Musik ja nicht großartig verändert. Wir haben nur die Aufnahmequalität erhöht. Wir alle sind mit der Demo-CD weder tontechnisch noch spielerisch so zufrieden. Wir finden das süß und gut, dass wir das gemacht haben, aber wir haben uns für unser erstes Album schon etwas Besseres gewünscht. Aber ich denke, dieses handgemachte Spiel nehmen wir auf ganz vielen Ebenen mit durch die Videos, die Art der Komposition, wie wir privat Musik machen.

Severin: Wir haben uns auch bewusst für den Produzenten Moses Schneider entscheiden, der ganz viel live aufnimmt – unter anderem mit Tocotronic und den Beatsteaks. Wir wollten auf jeden Fall auch live aufnehmen.

Ihr habt die Songs nicht einzeln eingespielt, sondern immer komplett als Band. Warum habt ihr diesen Weg gewählt?

Severin: Für uns wäre es nicht in Frage gekommen, die Songs nacheinander einzuspielen. Wir haben als Band immer zusammen gespielt. Wenn du dann auf einmal auf Klick nur Schlagzeug spielst, dann kommt die Gitarre drüber, da geht was flöten. Ich kann jetzt nicht genau benennen, was dann fehlt, aber es hat weniger Gefühl. In den Hansa-Studios ist es besonders gut, dass jeder Musiker seinen eigenen Raum hat, getrennt durch eine Glasscheibe. Man sieht sich und kann gleichzeitig die Lieder einspielen.

Henning: Der wesentliche Unterschied ist auch das Adrenalin. Wenn du einen Song einspielst und merkst, hey, der Severin ist gerade richtig gut, dann wirst du aufgeregt, weil du dir denkst: Hey, das ist der Take! Jetzt muss ich abliefern. Wenn ich jetzt einen Fehler mache, dann versau ich seinen guten Take. Ohne dieses Zusammenspiel gäbe es kein Adrenalin.

Wie würde sich das auf die Musik auswirken?

Henning: Die ganze Magie wäre weg. Das ist ja ein wesentliches Kriterium der Musik, Das ist ein Momentum, etwas Flüchtiges, was ganz schnell wieder verschwindet. Aber durch so eine Aufnahme kannst du diese Magie konservieren. Außerdem kommen in einer Live-Aufnahme auch die Gefühle der Lieder näher an dich heran. Wenn ich alleine hinter der Scheibe singen würde, während alle anderen am Mischpult sitzen, hätte ich nicht das Gefühl, dass wir zusammen Musik machen, dass es ein schöner Tag ist.

Warum hat sich diese Aufnahmeform bis heute nicht flächenmäßig durchgesetzt?

Malte: Du kannst bei Einzelaufnahmen die Spuren natürlich viel besser bearbeiten und bist flexibler in der Nachbearbeitung, aber dafür klingt es auch steriler. Das mögen wir nicht. Auf unserem Album werden wir auch mal schneller und langsamer, das ist gut so. Das bringt viel Dynamik rein. Um live aufzunehmen musst du auch gut zusammenspielen können. Das kommt uns sehr gelegen.

Alles nix Konkretes - CoverDurch viele eurer Songs zieht sich ein starkes Gefühl der Melancholie. Ihr singt von unerwiderter Liebe, von Trennungsschmerz, vom Einziehen in neue Wohnungen. Mögt ihr das Gefühl der Melancholie?

Henning: Manchmal mögen wir Melancholie. Ich kann ruhig mal mit den anderen über alte Freunde aus der Schulzeit reden, zu denen wir keinen Kontakt mehr haben, dann sind wir auch mal melancholisch. Dann fühlt sich das auch ganz gut an. Aber aus meiner Sicht sind unsere Lieder nicht so melancholisch. Die traurigen Lieder sind vielleicht wütend, angegriffen, verzweifelt oder ironisch oder spöttisch, aber nicht so melancholisch. Da muss man den Hörern aber auch zugestehen, eigene Interpretationen zu finden. Und wenn einer die Musik als melancholisch empfindet, ist das auch schön. Ich finde es schwierig das auf einen Begriff zu münzen.

Aus vielen Songs schreit auch ein Gefühl der Unzufriedenheit…

Henning: Das wesentliche Ding in unserer Musik ist Unzufriedenheit. Dass man mit einer Situation nicht so gut klarkommt, man muss dazu etwas loswerden, etwas äußern. Die Ist-Situation ist nicht so, wie sie eigentlich sein soll. Diese Situation hatten wir oft, daraus entstanden viele Lieder, zum Beispiel das Lied „Wohin du gehst“, wo du merkst, dass sich zwei Menschen voneinander entfernt haben, nicht mehr miteinander reden. Dieser Punkt lässt sich eigentlich auf jedes Lied anwenden – das irgendetwas fehlt, dass man gerne etwas verändern würde.

Ist es auch eine Unzufriedenheit darüber, dass viele Menschen nicht mehr ansprechen, was sie wirklich stört – der Ärger über das Nicht-Gesagte?

Henning: Ja, das findet sich in vielen unseren Songs, zum Beispiel bei „21, 22, 22“. Die Leute reden nicht mehr über ihre Träume, halten ihre Träume klein und sind immer weniger nah zueinander. Unzufriedenheit trifft es aber auch nicht so perfekt. Es ist vor allem Wut. Aber: Wenn ich unser Album ansehe, sehe ich da eigentlich alle meine Gefühle vertreten. Wir haben auch fröhliche Lieder. Der letzte Song „Das Krokodil“ ist sehr ironisch, aber auch sehr fröhlich. Da nehmen wir den Tour-Alltag aufs Korn. Das spiele ich sehr gerne.

Eure EP findet sich seit 2015 auch auf dem Streaming-Dienst Spotify. Habt ihr euch bewusst dafür entschieden oder war Spotify einfach sehr hartnäckig?

Christopher: Das war schon unsere bewusste Entscheidung. Viele Menschen hören heute über Spotify Musik. Da darf man sich auch nicht so gegen stemmen oder das boykottieren.

Henning: Wir wollten es halt nicht ohne Label machen. Bei allen Online-Plattformen bist du mit einem Label im Rücken besser dran. Wenn du keins hast, bist du den Betreibern egal. Natürlich muss man vorsichtig sein und sollte den Hörern nahelegen, trotzdem auch die CD zu kaufen, aber einem 50-jährigen Daddy, der eine fette Bibliothek bei Itunes hat, jetzt zu sagen: Nee, bitte nur noch CDs  das wollen wir auch nicht. Wir haben uns drei Jahre mit den Beschwerden herumgeschlagen, dass man uns nicht downloaden kann, also jetzt reicht es auch! (lacht)

Pro Zugriff fließen bei Spotify 0,6 bis 0,84 Cent an die Rechteinhaber. Ist das in euren Augen eine faire Vergütung?

Christopher: Nein, das kann man nicht sagen.

Henning: Du musst das wie ein Promo-Tool sehen. Wir sind ja auch bei Youtube. Da verdienen wir jetzt auch nicht mehr als bei Spotify, haben aber die gleichen Lieder online. Es geht darum, dass wir über diese Portale ja auch Hörer akquirieren, dass Menschen auf unsere Musik stoßen. Wir haben die Hoffnung, dass man irgendwann mal an einen Punkt kommt, wo gesagt wird: Wir reformieren dieses Streaming-Wesen und lassen den Künstlern mehr Geld zukommen. Im Streamen liegt ja eine unglaublich große Chance. So blöd es klingt, aber CDs sind ja dann doch irgendwie Plastik. Mit Streaming schonst du die Umwelt und kannst weltweit Menschen erreichen. Das finden wir toll, deshalb wollen wir uns dem auch nicht verweigern. Aber man muss natürlich darüber reden, was man besser machen kann. Und die Vergütung ist auf keinen Fall genug.

Inwiefern haben sich denn eure EP-Verkäufe durch die Online-Verfügbarkeit verändert?

Christopher: Das hat sich schon verändert, aber wir können nicht genau beziffern, welche Nicht-Verkäufe jetzt auf das Konto von Spotify gehen, weil wir am gleichen Tag die EP bei unserem Label Universal noch einmal neu herausgebracht haben.

Henning: Ich sehe das so: Man hört ein Lied von uns bei Spotify und denkt sich, vielleicht kaufe ich mir ja mal das Album. Zu sagen, dass Spotify oder Itunes uns jetzt Käufer kosten würden, da scheiß ich drauf.

Malte: Es ist eine große Werbeplattform für uns. Wenn nur 30 Prozent der Leute, die uns da hören, auch das Album kaufen, haben wir am Ende vielleicht mehr verkauft, als wenn wir online nicht präsent gewesen wären.

Christopher Annen (Gitarre), Henning May (Gesang/Klavier) und Severin Kantereit (Schlagzeug) gründeten „AnnenMayKantereit“ im Jahr 2011. Die drei Musiker lernten sich während ihrer Schulzeit am Schiller-Gymnasium in Köln-Sülz kennen, 2014 stieß der mehr

Kommentar schreiben

* Erforderliche Angaben. Emailadresse wird nicht veröffentlicht.