Jacky Dreksler

Comedy ist Schmerz und Wahrheit.

Jacky Dreksler hat als einer der eifrigsten Produzenten und Autoren viele Spuren im deutschen Fernsehen hinterlassen. In seiner Autobiografie „Ich wünsch dir ein glückliches Leben“ erzählt er auch vom Schicksal seiner Mutter, die zwei Ghettos und Konzentrationslager überlebte. Ein Gespräch über jüdischen Humor, Religion, spätpubertären Unsinn und warum das Fernsehen besser geworden ist.

Jacky Dreksler

© Noemi Dreksler

Herr Dreksler, zu Beginn von „Ich wünsch dir ein glückliches Leben“ schreiben Sie, dass der Verleger Alfred Neven DuMont den Ausschlag für dieses Buch gab…
Ja, meine Frau und ich waren bei seiner Tochter Isabella zum Abendessen eingeladen, wo auch er zu Gast war. Als die Frage aufkam, wo ich eigentlich herkomme, rief Isabella: „Der ist im Gefängnis geboren!“ Damit hatte sie den Journalisten in ihm wachgerüttelt und dann habe ich ihm die Kurzfassung der Story erzählt. Daraufhin sagte er: „Das musst du schreiben. In meinem Verlag!“ Ich fragte ihn, wen das interessieren soll, 70 Jahre nach dem Krieg? Er antwortete, dass das noch längst nicht vorbei sei und man auch immer wieder daran erinnern müsse. Ohne seinen Anstoß wäre ich nicht auf die Idee gekommen, dieses Buch zu schreiben.

Ihre Mutter überlebte zwei Ghettos und Konzentrationslager, kam unschuldig ins Gefängnis und starb, als Sie neun waren. Auf ihrem Sterbebett gab sie Ihnen den Auftrag, glücklich zu werden. Hat das geklappt?
Ja, nach vielen leidvollen Jahren. Ihre Wärterin holte meine Mutter aus dem Gefängnis, nahm sie und mich auf, aber, wie ich später herausfand nur aus finanziellen Motiven. Ich war ein Investment für sie. Sie hielt mich wie in einem Gefängnis. Sie belog und betrog mich, den Rabbiner, meine Verwandten. Später habe ich sie überführt. Liest sich wie ein kleiner Krimi.

Wie erklären Sie sich das Verhalten dieser Wärterin, die dann zu Ihrem Vormund wurde?
Sie litt unter einem extremen Helfersyndrom. Das ist typisch für Menschen mit unterentwickeltem Selbstbewusstsein. Sie steigern sich in eine Helferrolle hinein und beziehen ihren Selbstwert daraus, anderen beizustehen. Sie hatte mein Leben und das meiner Mutter vollständig übernommen. Ich war voller Wut und Hass und wollte schon früher beides in einem Buch entsorgen. Ich habe angefangen, mir Notizen zu machen, es aber dann doch nicht geschrieben. Aus Faulheit und aus Angst weiter in der braunen Scheiße herumzurühren.

Ihr Vormund führte mit zahlreichen Behörden ein Kampf um Renten, Haftentschädigung und Wiedergutmachung für Ihre Mutter, schreiben Sie.
Alle Akten darüber und Fotos behielt sie mir aber vor. Als ich bei ihr auszog, besaß ich nur die Erinnerungen in meinem Kopf. Ich habe dann 600 Seiten Akten von Ämtern und Rechtsanwälten zusammengetragen. Erst da sah ich die Geschichte meiner Mutter nicht nur aus der verzerrten Sicht meines Vormundes, die sämtliche Briefe für meine Mutter schrieb und dabei die Tatsachen verfälschte.

Zitiert

Meine Taufe war reine Wasserverschwendung.

Jacky Dreksler

Auf der einen Seite die Biografie Ihrer Mutter, auf der anderen Seite Ihre Autobiografie. Warum diese Verknüpfung?
Die Geschichte meiner Mutter ist die Ursache, meine Geschichte sozusagen die Wirkung.

Nach dem Tod Ihrer Mutter waren Sie ein paar Jahre in einem christlichen Kinderheim. Im Buch nennen Sie sich einen „doppelt katholisch getauften Juden“.
Der Rabbiner hatte meiner Mutter auf dem Sterbebett versprochen, sich um mich zu kümmern. Das hintertrieb mein Vormund, indem sie mich zwang, mit 14 Katholik zu werden. Sie hatte zwei Leuten versprochen, dabei sein zu dürfen, wenn der kleine Judenjunge Christ wird, und so wurde ich zwei Mal getauft. War aber reine Wasserverschwendung. Weil ich schon ein halbes Jahr später Atheist wurde. Der Atheismus hat mir auch geholfen ein glücklicher Mensch zu werden – ohne Angst vor Hölle und ewiger Verdammnis.

Ist Ihr Bekenntnis zum Atheismus ein Problem für Ihre jüdischen und christlichen Freunde?
Nein. Viele Juden und Christen sind eigentlich Atheisten. Es sind „Kulturjuden“ beziehungsweise „Kultur-Christen“. Sie feiern noch die Feste, ansonsten ist ihnen die Religion egal. Andere sind stark säkularisiert.

Nicht jeder Jude bekennt sich hier öffentlich zum Jüdischsein, würde ich vermuten.
Richtig. In Deutschland gibt es 100.000 registrierte Juden, in Wirklichkeit sind es wohl doppelt so viele.

Die Comedy liegt mir näher als die Tragödie“ schreiben Sie zu Anfang des Buches. Dennoch basiert Ihr Buch auf erlebtem Leid.
Comedy und Leid sind ja keine Gegensätze. Comedy ist Schmerz und Wahrheit. Nehmen Sie einen jüdischen Witz: Ein Hypochonder liegt mit einer Frau im Bett. Sie will Sex. Er entrüstet: „Bist du wahnsinnig? Mit der Schwellung?“ Hier geht’s gar nicht um Sex, sondern um Wahrheit und Schmerz und eine tiefe menschliche Einsicht. Die Wahrheit ist, dass wir alle Schwierigkeiten mit Körper oder Seele haben. Der Schmerz ist, dass wir wenig dagegen tun können. Und die grausame Pointe ist, dass wir alle unsichere Angsthasen sind, die gern Probleme schaffen, wo keine sind.

buchcover drekslerWie würden Sie den jüdischen Humor charakterisieren?
Er ist selten niveaulos und immer selbstironisch. Humor ist stets eine Form der Aggression. Nicht umsonst bedeutet das französische Wort Pointe „Spitze“. Der typisch deutsche Humor leitet die Aggression nach außen ab. Er unterscheidet zwischen „Wir“ und „Die“. „Wir“ sind die Überlegenen, „Die“ sind die Idioten. Wie etwa im Blondinenwitz. Der jüdische Humor ist die Waffe der Wehrlosen, von Menschen, die seit 2000 Jahren überall unterdrückt wurden. Er besteht aus Galgenhumor, Chuzpe und Selbstkritik. Man prügelt nicht auf andere ein, sondern auf sich selbst. Die Aggression verwandelt sich in eine leicht erträgliche Selbstironie.

Wo hat der jüdische Humor seinen Ursprung?
Im Osten Europas lebten die meisten Juden. Es wäre Selbstmord gewesen, sich gegen die Unterdrücker zu wehren, die Juden wollten aber auch nicht ständig Opfer sein. Also kämpften sie mit versteckter Frechheit, mit Chuzpe und Selbstironie. Es entwickelte sich eine Humorform, die den Zusammenhalt der eigenen Gruppe nicht durch übermäßige Aggression gefährdet. Intragruppenkonflikte blieben lösbar. Diese Form gemildeter Aggression wurde vor allem in die USA exportiert, wohin viele Juden vor den Pogromen flohen. Denken Sie an die großen Produzenten der Filmgeschichte: Samuel Goldwyn und Louis B. Meyer von MGM, oder an Irving Thalberg. Und es waren vor allem Juden, die dort die Standup-Comedy entwickelt haben. Ab den 50ern wurde diese Humorform zum Beispiel über Sitcoms international. Weil Selbstironie in allen Kulturen ankommt.

Wie prägend ist der jüdische Humor heute noch?
Sehr! Ein Nazi würde sagen, das ganze Fernsehgeschäft in Hollywood ist „völlig verjudet“! Und darüber wird dort auch viel gelästert. Juden sind bei Produzenten, Autoren und Schauspielern stark überrepräsentiert. Denken Sie an Macher wie Steven Spielberg, Judd Apatow und Woody Allen. Oder an Schauspieler wie Adam Sandler, Billy Crystal und Scarlett Johansson. Denken Sie an Sitcoms wie „The Big Bang Theory“. Da gibt es fünf jüdische Rollen, die meist auch von Juden gespielt werden: Howard, Bernadette, Mrs. Wolowitz, Amy und Stewart aus dem Comicbuchladen – der sieht sogar aus wie einer (lacht). Und der Produzent der Serie, Chuck Lorre, und viele seiner Autoren sind ebenfalls Juden. Ähnlich sieht es aus bei „Friends“, bei „Seinfeld“ oder „How I Met Your Mother“.

Hat dieser Humor es auch in die Sketche von „RTL Samstag Nacht“ geschafft, die Kult-Comedy der Neunziger, die Sie gemeinsam mit Hugo Egon Balder für RTL produziert haben?
Klar, da war ganz viel jüdischer Humor drin, den bemerken Sie nur nicht! Mit jüdischem Humor habe ich einen großen Teil meines Autorendaseins bestritten. Aber ich habe ihn nie explizit als jüdischen Humor verkauft.

Sie waren erst Chemielaborant, dann Gymnasiallehrer. Später Gagschreiber, Journalist, Comicautor und Songtexter, u. a. für Roland Kaiser, Die Flippers, Heino und sogar für Charles Aznavour. Und Sie waren schließlich erfolgreicher Fernsehautor und -produzent. Eine seltsame Karriere!
Stimmt. Ich bin nach einer „Ehrenrunde“ aus der neunten Klasse geflogen, wurde Hilfsarbeiter bei Bayer, und ergatterte dann eine Lehrstelle als Chemielaborant, obwohl ich nicht die erforderliche Mittlere Reife hatte. Die habe ich dann während der Lehre in der Abendschule nachgemacht. Um das zu finanzieren, habe ich am Wochenende als Spüler, Verkäufer oder Lagerarbeiter gejobbt. Während meines Pädagogikstudiums habe ich Gitarrenunterricht gegeben, eine Musikschule gegründet, Musik- und Gagbücher geschrieben. Alle Berufe begannen als Gelegenheitsjobs, weil ich Geld verdienen musste, um mein langes studentisches Bohèmeleben zu finanzieren. Auch die Jobs bei Radio und Fernsehen.

Schauen Sie heute noch klassisches, lineares Fernsehen, oder gucken Sie ausgewählte Inhalte über Streamingdienste wie Netflix?
Wir haben alle Formate zuhause. Fernsehen, Streamingdienste, Internet und benutzen sie auch. Für Fernsehkonsumenten herrschen goldene Zeiten und das Geschäft ist nach wie vor ein faszinierender Berufsbereich.

Ist das Fernsehen seit Ihren Anfängen in den 80er Jahren schlechter geworden?
Im Gegenteil! Es ist besser geworden, vielfältiger und professioneller. Im fiktionalen Bereich, bei Nachrichten und Shows. Das viel gescholtene „Dschungelcamp“ zum Beispiel ist eine professionelle Sendung mit guten Gags und einer stringenten Plot-Struktur. Im Vergleich dazu waren die Unterhaltungsshows der 60er und 70er Jahre doch ziemlich piefig.
Ich finde die heutige Vielfalt großartig. Wenn bei RTL oder im ZDF nichts für mich läuft, gehe ich zu Netflix oder surfe bei Youtube herum.

Reizt es Sie noch, im Fernsehgeschäft mitzumischen?
Schwere Frage. Ich biete nichts mehr an, und mir wird kaum noch etwas angeboten. Die alten Seilschaften klettern nicht mehr. Sie sind entweder abgestürzt, tot, verrentet, im Knast, oder liegen besoffen in irgendeinem Heim rum (lacht). Böte mir heute jemand etwas an, würde ich sehr genau überlegen, ob das meine Zeit wert ist. Aber ich warte nicht drauf. Fernsehproduzent ist ein Alles-oder-nichts-Job.

Sie haben über 500 Fernsehsendungen geschrieben und ab 1991 ebenso viele produziert. Welche waren die Höhepunkte, die den Menschen auf der Straße auch heute noch etwas sagen?
Das hängt sehr vom Alter der Zuschauer ab. Carolin Reibers „Volkstümliche Hitparade“, das „ARD Wunschkonzert“ mit Dagmar Berghoff und Max Schautzer, Mike Krügers „Vier gegen Willi“, „Schreinemakers Live“, „RTL Samstag Nacht“ oder die Improvisationsshow „Frei Schnauze“ mit Mike Krüger. Ich habe letztes Jahr mit meinem Freund Hugo Egon Balder und Constanze Weihrauch eine wundervolle Chaos-Sendung bei Tele 5 produziert, „Der Klügere kippt nach“. Jahrelang ist Hugo mit dem schwachsinnigen Konzept durch die Talkshows getingelt und erzählte, dass sich ja keiner trauen würde, eine Sendung auszustrahlen, in der sich Prominente betrinken, um dann über tagesaktuelle Themen zu reden. Und dann kam der mutige Senderchef Kai Blasberg und sagte: Genau das will ich. Wir waren damit sogar für den diesjährigen Grimme-Preis nominiert.

Wie stark ist der Drang zum spätpubertären Unsinn beim Privatier Dreksler noch vorhanden? Sie haben ja mit Hugo Egon Balder beispielsweise mal die Tonleiter bei der GEMA angemeldet …
Stimmt. Aber als wir dann auch noch einen Song anmeldeten, der nur aus Pausen bestand, rochen sie den Braten und machten die Werksanmeldung rückgängig. Ist es nicht wundervoll, wenn wir im hohen Alter noch wie kleine Kinder im Sandkasten spielen dürfen? Deswegen haben Hugo und ich ja auch „Alles Nichts Oder?“ erfunden, ein Kindergeburtstag für Erwachsene.

Gibt es von Ihnen neben der pubertären auch eine intellektuelle Seite?
Naja, ich lese gerne und viel. Meistens wissenschaftliche Bücher. Von Physik über Soziologie und Philosophie bis zu den Neurowissenschaften.

Wie sehen Sie den derzeitigen, geistigen Zustand Europas? Sehen Sie Bedrohungen, die mit der NS-Zeit vergleichbar wären?
Nein, obwohl ich den latenten und offenen Antisemitismus hier und dort sehe. Aber es gibt zahlreiche Staaten, wo er viel stärker ausgeprägt ist. Gewiss, momentan sieht es so aus, als ob der rechte Bodensatz wieder nach oben blubbert. Das macht mir Angst. Ich habe ja „Migrationshintergrund“. Meine Mutter war eine polnische Jüdin, mein Vater ein französischer Jude. Darum genieße ich trotz der Gräuel der Nazizeit sehr bewusst das Glück, seit meinem zwölften Lebensjahr Deutscher zu sein und in diesem Land zu leben. In wenigen anderen Staaten werden die Menschenrechte so ernst genommen, gibt es so viel Freiheit, Toleranz und Rechtssicherheit, wird Flagge nur gezeigt bei Jubelkorsos nach Fußballspielen. Hier wachsen meine Kinder ohne Hunger und Verfolgung auf, hier werden meine Bücher veröffentlicht und nicht verbrannt, und hier stehen nicht nur Eisbein und Kotelett auf der Speisekarte, sondern auch Pizza und Sushi, Kebab, Hamburger und Ente süßsauer.

Sehen Sie in der aktuellen Zuwendung der Menschen zu rechten Positionen eine natürliche Reaktion?
Wann immer sich Menschen von fremden Einflüssen bedrängt fühlen, die ihrer Kultur und ihrer Lebensweise vermeintlich nicht entsprechen, fühlen sie sich bedrängt, werden unsicher und neigen dazu, in Schwarz-Weiß-Denken zu verfallen. Das gehört zu unserer evolutionär gewachsenen Ausstattung. Aber durch rationales Denken, institutionelle Kontrolle und die richtigen Erziehungsziele können wir diese natürliche Neigung in Schach halten und sogar allmählich reduzieren. Dabei sind wir in den letzten 70 Jahren einen guten Schritt weiter gekommen. Ich bin da sehr optimistisch, weil die Gesamtentwicklung auf der Welt sich verbessert hat, hin zu weniger Gewalt und Armut und zu mehr Toleranz und Demokratie. Auch wenn das leider vom täglichen Gedröhne schlechter Nachrichten übertönt wird.

[Das Interview entstand im März 2016.]

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