Herr Hoenig, in dem ZDF- Film „Fluss des Lebens“ spielen Sie einen deutschen Auswanderer, der in Indien lebt…
Heinz Hoenig: Im Drehbuch war diese Figur ein Hippie, ich habe aus ihm einen Gewürzhändler gemacht. Das erschien mir realistischer.
Sie haben selbst viele Jahre im Ausland verbracht, Ihren Wohnsitz zeitweise auf Mallorca gehabt. War Ihnen die Filmfigur dadurch näher?
Hoenig: Nein, das kann man so nicht sagen, bei mir hatte das ja andere Gründe, andere Hintergründe. Ich bin tatsächlich viel im Ausland gewesen, allein in Marokko war ich anderthalb Jahre. Indien war aber nochmal eine ganz andere Erfahrung. Wir haben in Varanasi gedreht und wenn man dort ankommt ist es zunächst ein Schock, weil man so viel Dreck sieht. Und in dem Dreck leben und arbeiten die Menschen. Das ist für uns, die wir etwas verwöhnt und verblendet sind, schwer vorstellbar. Aber es funktioniert. Das ist Indien, das ist Hinduismus… – die Leute leben ganz anders. Und zwischen arm und reich gibt es dort manchmal gar nichts.
Der Film zeigt, dass diese Umstände nicht automatisch bedeuten, dass die Menschen dort unglücklicher sind.
Hoenig: Ja, sie sind zufrieden, auch glücklich, sie respektieren das, was sie sind und wo sie sind. Das war zumindest mein Eindruck.
Und in Deutschland sind wir dagegen etwas „verblendet“?
Hoenig: Wir sind einfach verwöhnt. Wobei, wenn man genau hinguckt, findet man auch in Deutschland viel Armut, da wird sich auch viel zu wenig drum gekümmert.
Wenn jetzt aber zum Beispiel ein Deutscher vom Dorf nach Indien kommt, der wird die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, der würde nur den Dreck sehen und nicht die Menschen, die dort leben und die trotzdem lachen können.
Ich sehe oft Leute, die ihr Gehirn in der Aktentasche tragen.
Weil Sie eingangs den Hippie im Drehbuch erwähnten – gab es eine Zeit, wo Sie sich selbst als Hippie sahen?
Hoenig: Nein. Ich habe in jungen Jahren zwar mal eine Hundekette um den Hals getragen, aber ohne zu wissen, dass die Punker das auch gemacht haben. Ich kam vom Dorf und wollte die Welt neu erobern. Ursprünglich wollte ich nach Australien, aber dann bin ich nach Berlin. Damals waren oft Bands in den Harz gekommen, mit schwarzem VW-Bus, schwarzem Schlagzeug… Ich wollte dorthin, wo diese Bands und ihre Frauen mit den hennaroten Haaren herkamen. Also bin ich nach meiner Schlosserlehre nach Berlin gegangen.
In Ihrer Autobiographie bezeichnen Sie sich zumindest als „Outlaw“…
Hoenig: Ja, da kommt es aber drauf an, was man darunter versteht. In Berlin habe ich ja erstmal den Weg in das Projekt „Release e.V.“ gefunden, wo wir Drogenabhängigen geholfen haben. Von dort bin ich nach Amerika, zu der besten Schauspiel- und Lebensschule, die ich überhaupt erleben konnte, in Santa Fe (auf der „Synergia“-Ranch des Theatergründers John Allen, „Theater of All Possibilities“, Anm. d. Red).
Was haben Sie dort gelernt?
Hoenig: Zum Beispiel, dass man als Schauspieler auch teilen muss. Abgeben, nicht immer alles alleine machen wollen. Wir haben beim Spielen oft die Rollen getauscht, das wird in guten Schauspieler-Ensembles ja immer noch so gemacht.
Dann war Respekt untereinander sehr wichtig. Wenn du größenwahnsinnig bist und ständig nur der Beste sein willst, solltest du nicht Schauspieler werden. Man muss Respekt vor der Arbeit haben, vor den Kollegen und der Regisseur muss einem was sagen können. Vorsichtig sein mit der eigenen Überheblichkeit.
Stimmt der Eindruck, dass Sie nie ehrgeizig eine Karriere verfolgt haben?
Hoenig: Ja, so einen Ehrgeiz im Sinne von Karriere-machen hatte ich nie. Wissen Sie, manchmal im Hotel, wenn ich morgens auf dem Weg zum Frühstück im Fahrstuhl stehe und dann plötzlich angesprochen werde „Herr Hoenig…“ – da sage ich sofort: „Stopp, bitte erstmal einen Kaffee.“ Erst dann will ich wissen, wie ich heiße. Eventuell. (lacht)
Sie schreiben in Ihrer Autobiographie, Ihre Rolle in „Das Boot“ sei die einzige gewesen, für die Sie jemals gekämpft hätten.
Hoenig: Stimmt, da sollte ich ursprünglich die Hauptrolle bekommen, was ich aber nicht wollte, ich wollte unbedingt den Funker Hinrich spielen. Auch weil ich damals von diesem Klischee des ‚Haudrauf-Heinz‘ wegwollte. Ich konnte Wolfgang Petersen dann zu Probeaufnahmen überreden und danach bekam ich die Rolle. Am Ende fand ich die Besetzung grandios. „Das Boot“ ist für mich nach wie vor der beste U-Boot-Film aus der damaligen Zeit. Wir haben einen ehrlichen, sauguten Film gemacht.
Und ansonsten gab es nie große Karriere-Gedanken?
Hoenig: Nein. Wichtigtun ist mir nicht so wichtig. Ich habe zwar manchmal eine große Klappe, ich kann aber auch sehr leise sein. Ich weiß nicht, ob das von meinen Eltern kommt… Wir waren alle bescheiden, hatten aber in manchen Situation auch Ehrgeiz, natürlich. Nur dieses „ich muss der Größte sein“ – nee, das hat nichts mit Heinz Hoenig zu tun. Ich finde es toll, dass ich gute Arbeit machen kann, ich fühle mich in diesem Beruf wohl, nach wie vor. Und ich sehne mich jederzeit nach einer neuen Aufgabe. Es geht mir aber nicht um die eine konkrete Traumrolle.
Ich habe auch nie als kleiner Junge vorgehabt, Schauspieler zu werden. Das ist einfach so entstanden, das war sozusagen eine Kettenreaktion, weil ich immer neugierig war. Ich wollte immer wissen: Was steckt dahinter? Diese Neugier hat mich getrieben – tut sie bis heute noch.
Kommen wir nochmal zurück zum aktuellen Film. In einer Szene sagen Sie den Satz „Deutschland ist ein großer grauer Aktenordner, in den sie dich reinquetschen“. Stammt der Satz von Ihnen?
Hoenig: Nein, der stand so im Drehbuch. Von mir kam der Satz „Die Lüge eingenäht in Anzug und Krawatte“.
Warum?
Hoenig: Weil ich das so erlebe. Weil ich oft Leute hirnlos rumwetzen sehe, das Gehirn tragen sie in ihrer Aktentasche, dann haben sie wahrscheinlich auch noch Stöpsel im Ohr – also völlig weg vom Fenster, damit kann ich nichts anfangen. Die rennen irgendeinem Ding hinterher, einer Vision oder was auch immer und sie achten besonders drauf, dass niemandem auffällt, welchen Mist sie bauen. Ich habe nichts gegen diese Leute, wenn ich mit denen in der Sauna säße, könnten wir bestimmt alle miteinander reden. Aber dieses Auftreten in der Öffentlichkeit missfällt mir.
Und der „Aktenordner, in den sie dich reinquetschen“ – werden wir zu sehr vom System verwaltet?
Hoenig: Ja, klar. Wenn sie mal verwalten könnten. Aber den Satz kann man im Prinzip auf jedes Land anwenden, das ist überall so.
Spielt dabei aber nicht auch die deutsche Mentalität eine Rolle? Also, dass sich Menschen hier leichter unterordnen…
Hoenig: Ja, natürlich. Wir haben auch den Krieg verloren, wir mussten uns anpassen, erst dann kam die Butter auf den Tisch. Das war halt die Erziehung, da kam das Korrekte, da kam Recht und Ordnung her. Aber die Leute, die heute das Gesetz nehmen, um damit die eigene Persönlichkeit über andere zu stellen, Leute die nach Macht streben… Mir war das egal, ich habe mir nie von irgendeinem Profilneurotiker etwas sagen lassen, das hat mich nicht interessiert.
Sie waren ja Schauspieler beim GRIPS-Theater, das auch für seine anti-autoritären Stoffe bekannt ist. Damals waren die GRIPS-Hörspiele sehr populär, während sich die Jugend heute vornehmlich im Internet tummelt…
Hoenig: Das war noch eine ganz andere Zeit. Die Kinder hatten nun mal keine Handys, die Finger waren nicht wund vom Tippen, die Kinder waren in den Jahren noch mit ganz anderen Sachen verwöhnt. Heute müsste man den Kindern erstmal weiß machen, dass eine Stunde am Computer ausreicht, wenn man ihn richtig benutzt. Aber wenn man das einem Sechsjährigen sagt, antwortet der wahrscheinlich: „Du bist doof“.
Das ist übrigens auch ein Punkt, wo ich mit „meinen“ Kindern weitermache an der Ostsee, Kinder schmieden Frieden, schmieden Zukunft.
Sie engagieren sich schon seit vielen Jahren für traumatisierte Kinder. Führt sozusagen eine direkte Linie von Ihrer Zeit bei „Release“ zu Ihrem heutigen Engagement?
Hoenig: Das war und ist immer eine Linie. Ja, bei „Release“ sind die Wurzeln gewesen. Die Erfahrungen, die ich bei Michael Och sammeln konnte waren sehr schön, die Zeit hat mich sehr geprägt. Wenn man bei den Therapiegruppen mit 12 oder 16 Leuten in einer Runde saß, konnte man nicht mehr lügen. Das war wunderbar. Man konnte sich in der Gruppe aber auch was erlauben, Auseinandersetzung auf niedrigem Niveau, das war möglich – du wurdest nicht bestraft. Das ist der Knackpunkt.
Sie waren Schlosser und Streetworker, hatten verschiedene Werkstätten, haben die Initiative „Heinz der Stier“ gegründet – und Sie haben diese Nebenaktivitäten offenbar nie für die Schauspielerei aufgegeben.
Hoenig: Nein.
War das gut für die Schauspielerei, diese Inspiration aus einem eher ’normalen‘ Alltag?
Hoenig: Ja, das ist heute noch wichtig. Wie viele Leute habe ich getroffen, damals in der Berliner Schaubühne, junge Schauspieler, die ich gefragt habe: Warst du eigentlich schon mal in Kreuzberg – oder liest du nur Bücher? Mit Büchern kannst du zwar auf schlau tun, aber Schauspielern, dass muss aus den Eiern kommen. Komm, ich zeige dir jetzt mal Kreuzberg….
Das Leben gehört dazu. Wenn du nicht mehr Dinge erleben willst, was erobern willst, neugierig bist und auch etwas vertragen kannst – wie sollst du dann diese oder jene Rolle richtig aus dem Herzen spielen? Das kannst du nicht allein mit Büchern lernen.
Auch nicht auf der Schauspielschule?
Hoenig: Ach, es gab so viel Schauspielschüler, die damals zum GRIPS-Theater kamen, aus Hannover oder von der Max-Reinhardt-Schule. Als ich mit denen probte, habe ich denen gesagt: Lernt doch mal wieder auf der Bühne zu furzen, habt doch mal die Freiheit! Die waren völlig verblendet mit ihren vielen Schauspiel-Lehrern, die mussten sich erstmal befreien.
Ich brauche da nicht viel zu lernen. Ich bringe diese Fähigkeit einfach von irgendwo mit. Ich weiß nicht genau woher, aber ich hab’s und ich bin froh darüber.
Eine Ihrer wichtigsten Rollen spielten Sie in „Der König von St.Pauli“. Stimmt es, dass Sie zur Vorbereitung zeitweise bei Prostituierten wohnten?
Hoenig: Nein, die Reihenfolge war anders. Ich komme ja aus dem Harz. Und als ich 15, 16 war, hörte ich immer, die Rocker sind gefährlich und eine Nutte ist das Übelste was es gibt. Das sagten diejenigen, die jeden Samstag nach Braunschweig fuhren, um in den Puff zu gehen. Ich habe den allen nicht geglaubt und wollte es selbst wissen. Also bin ich mit dem Fahrrad nach Hamburg hochgefahren. Ich habe mir ein Zimmer in der Jugendherberge am Stintfang genommen und bin dann runter zum Hafen gegangen. Dort saßen die ja, die Typen mit den langen Haaren. Sollte ich Angst vor denen haben? Nein, brauchte ich nicht. Da habe ich auch die Nora kennengelernt, das war eine Prostituierte – wobei ihr die Bezeichnung „Hure“ lieber war – bei der ich eine Zeit lang gewohnt habe. Sie hatte ein kleines Kind, das ich dann jeden Morgen zur Schule brachte, ich habe die anderen Frauen kennengelernt, die auch Kinder hatten…
Diese Lebenserfahrung konnten Sie dann später beim Film nutzen.
Hoenig: Ja, natürlich. Ich kannte das Milieu. Deshalb hat Dieter Wedel auch zugelassen, dass wir Texte machen und Ideen einbringen. Weil ich in dem Leben aufgewachsen bin.
„Leben ist das, was einem zustößt, während man auf die Erfüllungen seiner Hoffnungen und Träume wartet…“ heißt es in „Der König von St.Pauli“…
Hoenig: Ja, richtig – das ist nun mal das Leben.
Nun findet sich in Ihrer Filmografie auch der ein oder andere Film, der schlechte Kritiken bekam, zuletzt der Thriller „Kopf oder Zahl“…
Hoenig: Ja, das ist einfach so. Du kannst bei zehn Filmen ja nicht davon ausgehen, dass die alle ein Hammer sind. Fragen Sie mal die Amerikaner! Wir kennen ja nur die geglückten Filme von denen. (lacht)
Man muss auch mal Fehler machen können, man muss das auch mal spüren – weil dann guckt man sich beim nächsten Mal die Texte ganz anders an. Früher hat man auch noch viel mehr über die Texte geredet als heute. Jetzt kommen manchmal Schauspieler zum Drehort, rattern ihre Texte runter und meinen, sie hätten damit ihre Arbeit getan, das ist lausig.
Wenn der Text schlecht ist muss man sich hinsetzen und ihn verbessern. Viele Autoren und Regisseure, mit denen ich gearbeitet habe, waren froh darüber. Manchmal steht wirklich so viel Mist im Drehbuch, dass man das erstmal mundgerecht und verständlich machen muss. Ich will mich jetzt nicht über die Autoren aufregen, ich weiß nur eins: Ich habe bei keinem Schulden.
Wie meinen Sie das?
Hoenig: Wenn ich etwas am Text geändert habe, dann immer mit dem Ziel, dass das, was in der Geschichte sein wollte, noch besser rüberkommt. Und dann habe ich es auch gut gespielt, glaube ich.
Zum Schluss noch die Gretchenfrage, denn in „Fluss des Lebens“ geht es ja nicht zuletzt auch um Spiritualität: Fühlen Sie sich einem Glauben zugehörig?
Hoenig: Nein, kann ich so nicht behaupten. Ich habe Visionen. Träume. Die kommen, die geben mir gute Ideen – und dann sind sie irgendwann wieder weg. Aber spirituell oder religiös war ich nie. Das mag jeder gebrauchen wie er will, jeder in seinem Glauben. Wenn es ihm nützt und wenn es ihm nicht die Aufgabe gibt, anderen Menschen weh zu tun oder gar zu töten, dann ist alles OK.