Isabell Šuba

Warum muss man immer alles so kategorisieren?

Die Regisseurin von „Hanni & Nanni: Mehr als beste Freunde“ Isabell Šuba spricht im Interview über Kompromisse zwischen Kunst und Kommerz, Mädchenklischees und Albträume von Freddy Krueger. UPDATE: 2 Antworten der Produktionsfirma UFA FICTION zum erfolgten Product Placement

Isabell Šuba

© Universal / Andre Mischke

Isabell Šuba, seit „Männer zeigen Filme & Frauen ihre Brüste“ sind Sie als politische, kritische Regisseurin bekannt. Nun haben sie den vierten Teil der kommerziell erfolgreichen „Hanni und Nanni“-Serie gedreht. Wie passt das zusammen?
Isabell Šuba: Es wundert mich, dass diese Schubladen in Deutschland so eng sind. Warum muss man immer alles so kategorisieren? Ich erzähle immer genau das, was ich gerade zu erzählen habe. Jetzt war es „Hanni und Nanni“, der nächste Film wird wieder etwas anderes sein. Für mich als Filmemacherin war diese Produktion wahnsinnig spannend. Das Team war riesig. Ich konnte die Komplexität der Kommunikation, die Abläufe einer so großen Produktion wertungsfrei kennenlernen.

Welche Filme haben Sie selbst als Kind oder Teenager geprägt?
Šuba: Was mich negativ geprägt hat, waren die Sachen, die ich nicht gucken durfte. Ich bin irgendwann leider an Freddy Krueger geraten, mit sieben oder acht. Mein Bruder hatte den auf einer Videokassette, die habe ich mir heimlich angesehen.

Freddy Krueger ist die Hauptfigur der Horrorfilmreihe „Nightmare on Elm Street“, ein Kindsmörder mit vernarbtem Gesicht und Klingen an den Fingern…
Šuba: Er erscheint einem nachts im Traum, macht einen Albtraum draus und man stirbt im Schlaf. Das hat mich so traumatisiert, dass ich oft Albträume hatte oder gar nicht mehr schlafen konnte. Damit hatte ich zwei Jahre lang richtig zu kämpfen. Als Kind dachte ich: Das bleibt jetzt so mein ganzes Leben lang.

Konnten Sie nicht mit jemandem darüber reden?
Šuba: Meine Familie hat mir immer versucht einzureden, dass da nichts ist. Aber natürlich dachte ich immer: Die haben keine Ahnung, Freddy Krueger kommt bestimmt irgendwann… Ein Film, den ich total geliebt habe, war „Elliot, das Schmunzelmonster“, der hat meine sozialen Strukturen sehr geprägt.

In ihm geht es um einen Waisenjungen, der in einem Drachen, einem Leuchtturmwärter und dessen Tochter seine Wahlfamilie findet…
Šuba: Ich mochte vor allem diese besondere Verbindung, die der Junge und sein Monster haben. „Momo“ fand ich natürlich genial, „Die unendliche Geschichte“, „Ronja Räubertochter“ und „Pippi Langstrumpf“ waren so meine absoluten Favourites.

Zitiert

Ich finde es schade, wenn Mädchen sich in Filmen so vor den Spiegel setzten und entrückt anfangen, ihre Haare zu kämmen.

Isabell Šuba

Es heißt, „Hanni und Nanni“ von der englischen Romanautorin Enid Blyton hätten Sie erst durch Ihren Bruder kennengelernt. Was mochte er an diesen Zwillingsgeschichten?
Šuba: Ich glaube, er hatte einen Internatsfimmel. Der fand die Vorstellung cool, an so einem Ort zu sein, wo man weg von seinen Eltern war und – zumindest gefühlt – machen konnte, was man wollte. Dadurch, dass er „Hanni und Nanni“ gelesen und mir dann erzählt hat, musste ich das gar nicht mehr selbst lesen. Das war ein schönes Ritual.

Lässt sich aus diesen eigenen Erfahrungen heute für Sie ableiten, was Kinder besonders an einer Geschichte fasziniert?
Šuba: Ich habe schon versucht mich daran zu orientieren was mich als Kind interessiert hat. Und mir war erstmal wichtig, dass ich die Kinder und ihre Sicht auf die Dinge ernst nehme. Nun ist in diesem Fall ein Drehbuch an mich herangetragen worden. Das heißt, ich konnte auch nicht alles so komplett gestalten, wie ich es selbst machen würde. Aber ich habe versucht, die Kinder so authentisch wie möglich zu inszenieren, mit ihnen so zu arbeiten, dass ihre Sätze nicht aufgesagt wirken. Als ich den Film jetzt wieder gesehen habe, mochte ich an ihm vor allem, dass die Kinder so echt wirken, als ob man im wirklichen Leben mit ihnen befreundet sein könnte.

Was hätten Sie im Drehbuch anders gemacht?
Šuba: Rein aus dramaturgischer Sicht hatte ich das Gefühl, dass die emotionale Geschichte der Zwillinge mehr Raum braucht. Deshalb habe ich da auch meinen Fokus drauf gelegt. Ursprünglich sollte es am Ende noch ein Pferderennen geben, aber ich habe den Anstoß gegeben, das rauszunehmen. Und ich wusste ja, worauf ich mich einlasse und es war für mich auch okay, offen zu sein und Sachen auszuprobieren. Das Drehen mit Pferden ist total spannend. Es ist schon verrückt, wie sehr Pferde doch auch eine Sehnsucht erfüllen, vor allem von jungen Mädchen. Sie bekommen über das Reiten das Gefühl, selbstbestimmt zu sein.

Hinweis: Für die beiden folgenden Fragen haben wir zusätzlich eine schriftliche Antwort der Produktionsfirma UFA FICTION eingeholt und hier ergänzt:

Im Film werden Immobilienspekulanten, die aus Hannis und Nannis Internat eine Luxus-Golf-Anlage machen wollen, sehr kritisch überzeichnet. Andererseits macht er über Product Placement Werbung für einen großen Elektronik-Markt, der u.a. für seine Preispolitik und aggressive Werbung in der Kritik steht. Wie passt das zusammen?
Šuba: Das habe ich mich auch gefragt. Diese Frage steht weiter im Raum.

UFA Fiction (Pressestelle): Die Darstellung der Immobilienspekulanten ist offensichtlich komödiantisch und bewusst überzeichnet und greift eine lange Kinotradition solcher slapstickhaften Figurenpaare auf. Der drohende Abriss des Schlosses ist ein dramaturgisches Spannungselement – und nicht etwa eine Art Kapitalismuskritik mit erhobenen Zeigefinger. Was die Logo-Einbindung des Elektronik-Markts angeht, finden wir nicht, dass es die positive Grundstimmung des Films und den Eindruck unseres Publikums stört. Tatsächlich sind doch solche Logos überall anzutreffen, sowohl im alltäglichen Stadtbild und in den Medien, und gehören damit zur allgemeinen Erfahrungswelt unserer Kinozuschauer.

Im Gegensatz zum öffentlich-rechtlichen Fernsehen ist im deutschen Kino Product Placement gestattet. Die Frage ist, ob ein mit öffentlichen Mitteln geförderter Film, der sich vor allem an 6 bis 12-jährige Kinder richtet, nicht auf diese Art Werbung verzichten kann?
Šuba: Ich bin kein Produzent und weiß daher nicht, wie zwingend das ist und ob ich das auch machen würde, wenn ich eine Produzentin wäre. Aber man muss bedenken, alleine im letzten Jahr starteten über 600 Filme in den deutschen Kinos. Ich glaube, dass man sich für eine solche Art von Werbung entscheidet, um den Film, der viel Arbeit, Liebe, Geduld, Streit und eben auch Geld kostet, so gut wie möglich zu vermarkten.

UFA Fiction (Pressestelle): Im Alltag gehören Marken zur Erlebniswelt – auch bei Kindern. Das ist übrigens auch im Fernsehen nicht anders.

Der deutsche Kinderfilm wird derart von Adaptionen populärer Titel, wie „Hanni & Nanni“ oder „Bibi & Tina“ dominiert, dass eine Initiative zur Förderung des „Besonderen Kinderfilms“ gegründet wurde. Er soll sich durch „Qualität, Tiefgang und Geschichten aus dem Hier und Jetzt“ auszeichnen. Könnte das nicht auch auf „Hanni & Nanni“ zutreffen?
Šuba: Ja, da kommt es darauf an, was mit dem „Hier und Jetzt“ gemeint ist, welchen sozialen Brennpunkt man sich darunter vorstellt. Die Grundlage von Enid Blytons „Hanni und Nanni“ sind zwei Kinder, die aufs Internat geschickt werden. Das hat ein bisschen was von „heile Welt“, es zieht den Zuschauer raus aus dem Alltag in eine Art Fantasieland, in dem alles möglich ist. Das ist auch ein bisschen wie in „Die unendliche Geschichte.“

Die Abwesenheit der Eltern ist das Paradies?
Šuba: Genau, das kennt man ja. Das hält sich bis man 18 ist. Bei „Hanni und Nanni“ geht es zudem noch um Zwillinge. Warum? Man hätte ja auch nur eine Protagonistin haben können. Aber dass die beiden an diesem neuen Ort eigentlich erst zu sich selbst kommen, dass sie merken, was ihre jeweiligen Stärken und Schwächen sind, das hat schon Tiefgang. Die beiden müssen sich voneinander erstmal lösen, um sich selbst zu finden und um dann auch einander wiederfinden zu können. Das ist für Kinder in dem Alter schon ein Thema; damit habe ich mich auseinandergesetzt und wollte es erlebbar machen.

plakat-kleinIn einem Interview haben Sie Wert darauf gelegt, dass in Ihrem „Hanni & Nanni“ keine „Mädchenklischees“ vorkommen. Welche Klischees meinen Sie?
Šuba: Ich persönlich finde es schade, wenn Mädchen sich in Filmen so vor den Spiegel setzten und entrückt anfangen, ihre Haare zu kämmen. Dann kommen die anderen, machen einen Knutschmund und schminken sich. Auch diese Fragen: Was zieh ich an, wie seh‘ ich aus, was denkt der Junge über mich – die kommen bei mir nicht vor. Und dramaturgisch ist es ganz klar, dass hier die Mädchen auch wirklich die Wendepunkte hervorrufen. Es gibt nicht die Nebenfiguren, meistens Jungs, die den Film voranbringen, sondern die Zwillinge sind selbst aktiv. Und sie sind kerniger als üblich, frecher und haben einfach Selbstbewusstsein. Das finde ich schon gut.

Die Väter in dem Film sind entweder lässige, kreative, aber im Alltag überforderte Kumpeltypen oder melancholische Trennungsopfer. Die Mütter hingegen sind entweder zu karrierefixiert oder rachsüchtig. Warum?
Šuba: Das ist ja in allen Hanni-und-Nanni-Filmen so, das war sozusagen gesetzt. Zum Glück ändern sich diese Dinge aber in der Realität gerade. Klar, die Frauen haben Jobs, aber die Männer, gerade in Berlin, wollen oft auch zuhause bleiben, sich Elternzeit nehmen und sich kümmern. In meinem persönlichen Umfeld werden Paare eher zu einer Einheit.

Die Filmemacherin Caroline Link hat sich einmal sehr missmutig über Kollegen geäußert, die ihre düstere Weltsicht in einen Kinderfilm hineinprojizieren.
Šuba: Mit „Jenseits der Stille“ und „Pünktchen und Anton“ hat sie das ja auch anders und sehr toll gemacht. Aber das waren eben auch von ihr sehr geprägte, selbst geschriebene Bücher. Da hat man natürlich von Anfang an einen ganz anderen Zugang zu Figuren.

In Ihrem „Hanni & Nanni“ hat man am Ende das Gefühl, dass nicht mehr die Kinder, sondern die Probleme der Erwachsenen und deren Lösungen im Zentrum stehen.
Šuba: Je nachdem was für eine Stimmungslage zuhause gerade herrscht, würde ich persönlich mit meinen Kindern auch in Filme wie „Hanni & Nanni“ gehen, bei denen ich mich darauf verlassen kann, dass es am Ende gut ausgeht. Das macht ja Kino auch, es kann einen versöhnen, etwas heilen. Man geht verstritten rein und weiß, am Ende kommt man mit einem guten Gefühl wieder raus. Das kann ja auch ein Vorbild sein, an eine Familie appellieren, dass es sich lohnt, für bestimmte Dinge zu kämpfen.

Der Kampf der Eltern von Hanni und Nanni wird allerdings nicht wirklich erzählt. Für ihre Versöhnung reicht eine Sekunden kurze sentimentale Erinnerung…
Šuba: Ich wollte es eben so erzählen, dass die Zuschauer auch in dieser Kürze etwas damit anfangen können. Die Szene erinnert ja eher an ein Musikvideo. Aber die meisten Menschen leben eben in Familienverhältnissen, sie wissen, was Liebe und Zusammenhalt ist und können da schnell andocken. Ich finde es schon toll, wenn Kinofilme sich trauen, auch mal an die Honigtöpfchen der Emotionen heranzugehen. Trotzdem hätte ich natürlich auch den Anspruch, dass meine Kinder in Filmen noch ein, zwei andere Lebensrealitäten kennenlernen.

Wie werden sich Ihre Erfahrungen mit „Hanni & Nanni“ auf Ihre nächsten Projekte auswirken?
Šuba: Was ich mitnehme ist: Filme zu machen ist so viel Arbeit, es lohnt sich einfach nicht, wenn dann nur drei Leute ins Kino gehen. Das ist wirklich frustrierend. Ich möchte gern, dass meine Filme gesehen werden und fand es deswegen auch spannend, jetzt einen Film dieser Größenordnung zu machen. Es gibt kein Geheimrezept aber eine intensive Suche danach, wie man seinen Film für viele Menschen nachvollziehbar und attraktiv machen kann. Das fand ich spannend, das war mir vorher nicht so klar, denn an der Filmhochschule wird man total darauf geeicht „nur seine eigene Vision zu verwirklichen“, ganz künstlerisch zu denken – als lebten wir noch in den 70ern und unsere Filme wären ein superrelevantes, politisches Unterfangen.

Die 1981 in Berlin geborene Isabell Šuba studierte Filmregie an der Filmhochschule Babelsberg. Sie beschäftigte sich bereit in ihren frühen Arbeiten kritisch und mit ironischen Witz mit Geschlechterfragen, so zum Beispiel in ihrem Kurzfilm „Jetzt mehr

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