Herr Felber, Sie kritisieren das aktuelle Wirtschaftssystem. Sie sagen, dass es schadet, weil es Egoismus belohnt. Wenn man nun auf die Liste der reichsten Menschen der Welt schaut, dann stehen dort Namen wie Mark Zuckerberg oder Bill Gates Würden Sie diesen Menschen auch Egoismus vorwerfen?
Christian Felber: Nein, ich würde keiner Einzelperson Egoismus vorwerfen. Mir ist es wichtiger, das Augenmerk auf das System und auf seine Spielregeln zu richten. Wir haben das Problem, dass es bestimmte Rückkopplungen gibt: Je reicher oder mächtiger eine Person oder ein Unternehmen ist, desto leichter ist es, noch reicher und noch mächtiger zu werden. Das ist genau verkehrt herum. Es müsste umgekehrt sein, damit das System stabil bleibt: Es müsste schwieriger werden, noch reicher zu werden, wenn man bereits reich ist.
Ist das das einzige Problem?
Felber: Nein. Hinzu kommt, dass wir eine Konkurrenz um den höchsten Finanzgewinn haben. Die typische und oft auch erfolgreichste Strategie, um einen höheren Gewinn zu erwirtschaften, sind egoistische und rücksichtslose Verhaltensweisen. Das halte ich für einen entscheidenden Systemfehler.
Sie schlagen stattdessen als Lösung eine Gemeinwohl-Ökonomie vor, die Kooperation und soziales Verhalten belohnt. Können Sie in wenigen Worten erklären, was es damit auf sich hat?
Felber: Es handelt sich dabei um ein Wirtschaftsmodell oder um eine Wirtschaftsordnung, in der alle wirtschaftlichen Tätigkeiten grundlegend auf das Gemeinwohl ausgerichtet sind. Dieses Gemeinwohl wird gemessen. Und das geschieht bei Investitionen, Unternehmen und auch der gesamten Volkswirtschaft anstelle des Bruttoinlandsprodukts, des Finanzgewinns und der Finanzrendite.
Wer bestimmt denn eigentlich, was Gemeinwohl ist?
Felber: Die gleichen, die auch alle anderen Regeln und Gesetze beschließen. Das geht von der Straßenverkehrsordnung über die Steuerhöhe bis hin zu Verfassungsänderungen. Wir leben in einem demokratischen System und die Gremien, die heute alle diese Entscheidungen treffen, treffen auch in der Gemeinwohl-Ökonomie die Entscheidungen. Allerdings haben wir auch einen Reformvorschlag zur Weiterentwicklung der Demokratie.
Und der wäre?
Felber: Wir schlagen vor, dass nicht alle Entscheidungen für die Bunderepublik Deutschland ausschließlich von Bundestag und Bundesrat getroffen werden, sondern wir schlagen vor, die Gewaltentrennung weiterzuentwickeln. Dabei können wesentliche Grundsatzentscheidungen direkt von der höchsten Instanz, dem Souverän, getroffen werden. Alle Institutionen sollen bestehen bleiben, aber für einige Grundsatzentscheidungen sollen Prozesse entwickelt werden, über die der Souverän sie direkt treffen kann.
Geht das dann in Richtung einer direkten Demokratie?
Felber: Wir sprechen dabei von einer souveränen Demokratie. Das ist ein buntes Mosaik aus verschiedenen Reformmaßnahmen. Direkte Demokratie wäre nur ein kleiner Baustein davon.
Was bedeutet das konkret?
Felber: Ich kann es vielleicht an einem Beispiel erklären. Im Grundgesetz steht, dass Eigentum verpflichtet und dem Gemeinwohl dienen soll. Außerdem steht in der Bayerischen Verfassung und in vielen anderen Landesverfassungen, dass die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dem Gemeinwohl dient. Nun messen wir aber wirtschaftlichen Erfolg nicht am Beitrag zum Gemeinwohl, sondern am Bruttoinlandsprodukt und am Finanzgewinn, das ist etwas komplett anderes.
Und das ist ein Problem?
Felber: Zumindest sind damit unter anderem in Deutschland und in England die Menschen mehrheitlich nicht einverstanden. Das ist das Ergebnis verschiedener Umfragen. Viele Menschen wünschen sich, dass wirtschaftlicher Erfolg ganz anders gemessen wird.
Nämlich anhand der Frage, was er zum Gemeinwohl beiträgt?
Felber: Wir wollen, dass Unternehmen eine Gemeinwohlbilanz erstellen. Je besser das Gemeinwohlergebnis ausfällt, desto besser sollen sie behandelt werden. Eigentlich wollen wir nur das ausführen und konkretisieren, was bereits in der Verfassung steht. Die heute real existierende Wirtschaftsordnung ist diesem Verfassungsgeist entgegengesetzt und verletzt ihn.
Wir brauchen eine Weiterentwicklung der Gewaltenteilung.
Es gab in der Schweiz 2013 eine Volksinitiative, die das Managergehalt auf das Zwölffache eines Arbeitergehalts begrenzen wollte. Allerdings stimmten 65 Prozent der Leute dagegen. Da kann man doch auch sagen: Vielleicht wollen die Leute das ja gar nicht.
Felber: Die Ablehnung war meiner Meinung nach nicht der Tatsache geschuldet, dass die Menschen in der Schweiz für grenzenlose Ungleichheit sind. Sondern sie hing vielmehr damit zusammen, dass nur eine einzige Alternative zur Abstimmung stand und dass diese von den Jungsozialisten vorgeschlagen war.
Inwiefern war das ein Problem?
Felber: Das Problem war, dass es nur eine einzige Alternative gab. Ich kenne viele Menschen, die gegen den Faktor 12 gestimmt haben, weil der ihnen zu hoch war. Sie wollten lieber Faktor 5 oder Faktor 7 oder Faktor 10. Der war aber in dem Verfahren nicht vorgesehen. Also haben sie abgelehnt. Wir schlagen deshalb vor, dass es bei solchen Verfahren eine sechs- bis zwölfmonatige Nachfrist für Alternativvorschläge geben sollte.
Das heißt, Sie sagen: Eigentlich wollen die meisten Menschen, dass die Höchsteinkommen begrenzt werden?
Felber: Ich habe ein Verfahren entwickelt, bei dem ich ein Publikum, das alle Sektoren der Gesellschaft repräsentiert, Vorschläge machen lasse, wie es das Problem der Ungleichheit bei den Einkommen lösen würde. Da kommen die unterschiedlichsten Vorschläge und sehr oft kommen auch die beiden Extreme, nämlich gar keine Ungleichheit oder keine Begrenzung der Ungleichheit. Dann wird abgestimmt. In neun von zehn Fällen wird dann dafür gestimmt, das Einkommen auf das Zehnfache zu begrenzen. Wenn es Abweichungen davon gibt, dann nur in seltenen Fällen nach oben (das 12-, 15- oder 20-fache) und häufiger nach unten (das 7-, 5- oder sogar 3-fache).
Was heißt das in der Konsequenz?
Felber: Ich bin ich zuversichtlich, dass die Souveräne in allen Ländern in einem intelligenten Entscheidungsverfahren eine maßvolle Begleichung der Ungleichheit vornehmen würden, aber weder grenzenlose Ungleichheit zulassen noch völlige Gleichheit herstellen würden.
Das heißt, ein gewisses Lohngefälle zwischen einem Arbeiter und seinem Chef oder seiner Chefin würde auch in einer Gemeinwohl-Ökonomie bestehen bleiben?
Felber: Ja, je nachdem, wie der Souverän entscheidet. Die Ungleichheit würde dann zum Beispiel bis zum 10-, 12- oder 20-fachen betragen. Das heißt, wenn das Mindesteinkommen 1500 Euro netto wäre pro Monat für die volle Arbeitszeit, dann wäre das Höchsteinkommen zwischen 15000 und 30000 Euro netto im Monat. Heute haben wir nicht den Faktor 10 oder 20 in Deutschland, sondern das höchste bekannte Einkommen von Wendelin Wiedeking war ungefähr 8500-mal so hoch wie ein angenommener Mindestlohn von wenigstens 1000 oder 1200 Euro netto.
Das ist natürlich schon ein großer Unterschied.
Felber: In den USA haben wir das 360.000-fache zwischen dem höchsten bekannten Einkommen und dem dort gültigem gesetzlichen Mindestlohn. Und die Parlamente ändern nichts daran, obwohl es in ihrer Pflicht läge. Die Verfassungen schreiben Gerechtigkeit, sozialen Zusammenhalt und Solidarität vor. Das ist die ethische Verfassungsgrundlage. Aus meiner Sicht sind hier die Parlamente säumig, weil sie das bei der Einkommens- und Vermögensungleichheit nicht umsetzen. Das ist übrigens kein Einzelfall, sondern betrifft immer mehr Themen, bei denen die Parlamente nicht nur anders entscheiden, als der Souverän entscheiden würde, sondern sogar das Gegenteil entscheiden.
Zum Beispiel?
Felber: Zum Beispiel die Nichtzerteilung systemrelevanter Banken, die Freimachung des Kapitalverkehrs in Steueroasen oder die Patentierbarkeit von Lebewesen. Viele Menschen sagen, dass Lebewesen nicht zum geistigen Eigentum von Menschen werden dürfen. Die Parlamente haben aber entschieden, dass sie geistiges Eigentum werden dürfen. Das sind nur wenige Beispiel von vielen dafür, dass wir eine Art Weiterentwicklung der Gewaltenteilung brauchen. Ich stelle Parlamente in keinster Weise in Frage. Sie würden auch in einer souveränen Demokratie 99,9 Prozent aller Gesetze beschließen. Aber der Souverän muss die Möglichkeit der Korrektur haben und auch die Möglichkeit, Gesetze zu initiieren und verfassungsmäßige Vorgaben zu machen.
Und heute sehen Sie die Möglichkeit, Entscheidungen zu korrigieren, die dem Bürger nicht gefallen, nicht ausreichend umgesetzt?
Felber: Nein, ich kann nur bei der nächsten Wahl versuchen, eine andere Partei zu wählen als die, die ich gewählt habe. Das ist in Deutschland im Worst Case in vier Jahren. Ineffizienter geht es einfach nicht. Wir sagen nicht, dass keine Parteiwahlen mehr stattfinden soll, geschweige denn, dass Parlamente nicht die Legislative sein sollen. Aber wir brauchen zusätzliche Instrumente, um die Demokratie effizienter und vollständiger zu gestalten und um das verloren gegangene Machtgleichgewicht zwischen dem Souverän und seiner Vertretung herzustellen.
Christian Felber in der TV-Sendung „Nachtcafé: Was wir kaufen, wie wir leben – zwischen Verführung und Verantwortung“
Wie sieht es überhaupt mit dem Wirtschaftssystem aus, wenn man die Gemeinwohl-Ökonomie bis zum Ende durchdenkt? Müsste man dann alles umkrempeln oder würde es auch schon reichen, wenn man beispielsweise das System der Gemeinwohlbilanz umsetzt?
Felber: Wir wollen nichts umkrempeln um der Veränderung willen. Veränderung ist kein Selbstzweck. Wenn die Dinge gut sind, dann sind wir konservativ und sie dürfen bleiben.
Allerdings sagen Sie, dass das Wirtschaftssystem nicht gut ist. Also sollte es nicht bleiben?
Felber: Wir verändern nur diejenigen Elemente, bei denen wir Veränderungsbedarf sehen. Wir wollen, dass Tugenden belohnt werden und nicht Laster. Auf den Märkten wäre es schon eine wichtige Umstellung, wenn die Finanzbilanz zur Sekundärbilanz würde und die Ethik- oder Gemeinwohlbilanz zur Hauptbilanz. Natürlich wäre es möglich, nur an diesem Punkt anzusetzen. Aber damit eine Systemänderung eintritt, bräuchte man zumindest noch die Anreize. Diese bestünden in einer Belohnung der besseren Ergebnisse der Gemeinwohlbilanz.
Einige Unternehmen erstellen solche Gemeinwohlbilanzen bereits. Was passiert damit? Haben diese Bilanzen überhaupt irgendwelche Auswirkungen oder landen sie nur in der Schublade?
Felber: Wir beobachten ein weites Spektrum von Auswirkungen. Die Unternehmen werden sich zum Beispiel überhaupt einmal dessen bewusst, was sie tun. Das ist ein ganz pragmatisches Organisationsentwicklungsinstrument, noch bevor es dann ein ethischer Kompass wird.
Das heißt, die Bilanz führt zur Selbstreflektion?
Felber: Genau. Den Unternehmen wird bewusst, wie sie bestimmte Entscheidungsprozesse und Abläufe gestalten und dass sie diese eigentlich ganz anders auch gestalten könnten.
Das kann zum Beispiel bedeuten, dass man den Stromanbieter oder die Bank, bei der man ein Konto eröffnet, ganz bewusst nach ethischen Gesichtspunkten wählt. Es kann auch heißen, dass man Obstkörbe im Unternehmen aufstellt.
Also auch ganz kleine Schritte?
Felber: Genau. Es gibt Unternehmen, die mit kleinsten Schritten beginnen und zum Beispiel Obst aufstellen oder einen fleischfreien Tag in einem Hotel einführen. Das hat in einem Fall dazu geführt, dass der Koch gekündigt hat.
Er passte dann also nicht mehr in das Unternehmen.
Felber: Genau. Und manche Unternehmen gehen dann eben auch die mutigsten Schritte. Darüber entscheiden die Unternehmen frei. Sie müssen nichts tun – aber alles, was sie im Sinne der Gemeinwohl-Werte machen, wird belohnt. Dazu kann es zum Beispiel auch gehören, die strategischen Entscheidungen in der Vollversammlung zu treffen. Wenn diese gemeinsam getroffen werden, fühlen sich die Beschäftigten sehr viel wohler. In diesem Spektrum von Obstkorb bis hin zu strategischer Mitentscheidung und Miteigentum spielen sich die Änderungen ab.
Welche Anreize wollen Sie setzen, um solche Änderungen zu belohnen?
Felber: Es zeichnen sich jetzt schon die ersten gesetzlichen Anreize ab. In Spanien haben wir ein erstes Gesetz in der Schublade, das abhängig von der Gemeinwohlbilanz die Steuersätze differenzieren möchte.
Um welche Steuern geht es dabei? Spielen zum Beispiel auch die Mehrwertsteuersätze beim Einkauf eine Rolle?
Felber: Als ersten Schritt denken wir an die Körperschaftssteuer. Ob die Mehrwertsteuer der richtige Hebel ist, wollen wir zuerst in einem Forschungsprojekt herausfinden.
Ich stelle mir so eine Gemeinwohlbilanz sehr komplex vor. Wenn man sich zum Beispiel Google ansieht, dann nutzen sehr viele Menschen kostenlos Anwendungen, die Google bereitstellt. Ist das gut für das Ergebnis und könnte man sagen, wie eine Gemeinwohlbilanz von Google heute aussehen würde?
Felber: Peanuts werden als Peanuts gewichtet. Die großen ethischen Fragen sind immer gleich: Wie demokratisch ist das Unternehmen aufgestellt? Gibt es eine Mitbestimmung der Nutzer und Nutzerinnen, wie die Algorithmen gemacht werden? Das betrifft vielleicht Facebook noch klarer. Entscheiden die Nutzerinnen von Facebook mit, nach welchen Regeln auf Facebook gespielt wird? Mein bescheidenes Wissen über diese großen Unternehmen ist, dass es sehr wenig Mitspracherechte und Demokratie gibt.
Und das würde sich negativ auswirken?
Felber: Ja. Zudem ist es häufig so, dass große Internetkonzerne ihre Konkurrenz sehr stark ausboten, wodurch sie tendenziell zu natürlichen Monopolen werden. Ein weiterer Aspekt sind die Steuern. Einige Konzerne sind geradezu berüchtigt dafür, dass sie sich aus der sozialen Verantwortung ziehen. Aber es geht ja viel weiter, wenn sie sich nicht öffentlich einsetzen, dass Steuergerechtigkeit hergestellt wird. Auch das verschlechtert ihre Gemeinwohlbilanz. Je mächtiger jemand ist, desto größer ist auch die Pflicht, sich für eine gemeinwohlorientierte Änderung des Rechtsrahmens einzusetzen. Da ist mir von Google und Facebook nichts bekannt. Bekannt ist das Gegenteil, dass sie es schamlos ausnützen.
Sie sprachen an, dass solche Konzerne oft zu Monopolen werden. Wie würden Sie damit in einer Gemeinwohl-Ökonomie umgehen?
Felber: Wir schlagen vor, dass Unternehmen eine gewisse Größe gar nicht überschreiten dürfen. Das ist auch ein wettbewerbspolitischer Ansatz. Wenn der Wettbewerb funktionieren würde, dann gäbe es ja 250 verschiedene Suchmaschinen oder 250 verschiedene Facebooks und eines wäre attraktiver als das andere.
Vielleicht ist Google ja auch so erfolgreich als Suchmaschine, weil die einfach effektiv ist.
Felber: Dann wäre es ein natürliches Monopol. Natürliche Monopole müssen aber öffentlich sein. Das sagt gar nicht die Gemeinwohl-Ökonomie, sondern das steht sogar in den klassischen volkswirtschaftlichen Lehrbüchern.
Bleiben wir einmal bei Google. Die Gründer sind Milliardäre. In der Gemeinwohl-Ökonomie wäre das gar nicht möglich, weil Sie das Privatvermögen entsprechend begrenzen wollen. Gönnen Sie den Menschen ihren Reichtum nicht?
Felber: Gönnen tue ich ihnen den Reichtum schon. Aber die Kehrseite dieses Reichtums ist die große Macht, die diese Menschen haben. Sie üben direkten Einfluss auf Regierungen, Medien, auf Lehrstühle und auf Wissenschaft und Forschung aus. Der Preis dieser Machtkonzentration ist einfach zu hoch, als dass man ein solches Ausmaß an privater Macht und privatem Eigentum in einer freien Gesellschaft erlauben darf.
Weil Geld gleichbedeutend ist mit Macht?
Felber: Ja, weil man damit TV-Sender, Rechtsanwälte, Gesetze und Regierungsämter kaufen kann. Wir haben es zunehmend mit dem Phänomen zu tun, dass jedes Land der Welt einen Milliardär entweder in der Regierung oder aber im Parlament hat. Das ist zu viel Macht. Viele weise Menschen mit den klügsten Vorschlägen kommen oft überhaupt nicht zu Wort. Und die stehen dann auch nicht zur Wahl.
Und das würden Sie begrenzen können durch die Gemeinwohl-Ökonomie?
Felber: Nicht durch die Gemeinwohl-Ökonomie, sondern durch den Souverän. Unternehmen sind aus unserer Sicht zu groß und die damit verbundenen Personen zu reich und zu mächtig. Wir schlagen vor, dass der Souverän entscheiden soll, ob und wenn ja, wo die Macht von Unternehmen und Privatpersonen begrenzt werden soll.
Würde die Gemeinwohl-Ökonomie funktionieren, wenn nur ein einziges Land sie umsetzt? Oder müsste es ein weltweites oder zumindest weltweit unterstütztes System geben?
Felber: Wir streben die Gemeinwohl-Ökonomie zunächst in der EU an. Derzeit erleben wir aber auch ein Wachstum der Bewegung in ungefähr 30 Staaten gleichzeitig. Es ist eher unwahrscheinlich, dass ein einzelnes Land sie alleine einführt. Wir sehen Gemeinwohl eher als ein Gemeingut wie die Geschlechtergleichstellung, den Klimaschutz oder die allgemeine Erklärung der Menschenrechte.
Wie sähe eine Umsetzung in der EU aus?
Felber: Der europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss hat die Gemeinwohl-Ökonomie in einer sogenannten Initiativstellungnahme mit 86 Prozent Zustimmung unterstützt. Auf einem ethischen Binnenmarkt könnte sich die EU mit ethischen Schutzzölle gegen Importe schützen, die die Grundwerte verletzen.
Wo Sie das Thema Schutzzölle ansprechen: Donald Trump versucht, Arbeitsplätze zu schaffen beziehungsweise im Land zu halten, indem er den Freihandel durch Zölle eingrenzt. Ist das etwas, dem Sie etwas Positives abgewinnen können?
Felber: Ich sehe dabei einen Aspekt, der absolut verständlich ist. Trump versucht, das extreme Handelsbilanzdefizit der USA abzubauen. Nicht verständlich und nicht gutzuheißen ist aber, dass er das in einem individuellen Alleingang macht, also mit einer nationalistischen Strategie. Das lehne ich zu 100 Prozent ab.
Würde denn die Einführung des Modells der Gemeinwohl-Ökonomie auch dazu führen, dass man beispielsweise Arbeitsplätze, die in Billiglohnländern sind, wieder in das eigene Land zurückholen kann und so beispielsweise ein Lohndumping beseitigt?
Felber: Das muss nicht sein. Aber wir schlagen auf jeden Fall vor, dass in den Billiglohnländern alle menschenrechtlichen, ökologischen und arbeitsrechtlichen Standards eingehalten werden. Dann sind sie immer noch Billiglohnländer und die Löhne müssten zumindest ein menschenwürdiges Auskommen sichern. Wenn das erfüllt ist, müssen nicht zwingend alle Arbeitsplätze zurückwandern. Dann hätten aber auch beide Seiten mehr davon. Wenn in den Billiglohnländern die Eltern so viel verdienen, dass die Kinder nicht mehr arbeiten müssten, sondern in die Schule gehen können, dann haben die ja etwas davon. Aber dann werden vermutlich nicht mehr so viele Arbeitsplätze dorthin auswandern. Hinzu kommt die nicht mehr mögliche Externalisierung der ökologischen Transportkosten.
In der Theorie der Gemeinwohl-Ökonomie handeln Menschen gerne ethisch und verhalten sich moralisch. Man könnte sagen, dass auch das letztlich nur eine Theorie ist. Eine andere Theorie besagt, dass der Mensch an gierig und auf seine Vorteil bedacht ist und egoistisch handelt, um sein Überleben zu sichern. Wer hat denn nun recht?
Felber: Entscheidend sind immer die systemischen Spielregeln. Auch eine Geschwindigkeitsbeschränkung oder ein Überholverbot setzen nicht voraus, dass Menschen sich freiwillig für die Sicherheit der anderen interessieren. Entscheidend sind deshalb die systemischen Spielregeln, weil sie das Verhalten steuern.
Und heute steuern sie es in die falsche Richtung?
Felber: Ja. Und in der Gemeinwohl-Ökonomie würden sie es in Richtung derjenigen Werte steuern, die heute schon in den Verfassungen stehen von Menschenwürde bis hin zu Solidarität, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit
Wie ist denn eigentlich Ihr Menschenbild?
Felber: Wir haben grundsätzlich ein neutrales Menschenbild. Menschen sind gut und böse. Wir können uns gegenseitig umbringen oder grenzenlos zärtlich sein, auch wenn wir uns gar nicht kennen. Wir sind sehr frei und zu allem fähig. Und deshalb ist es so entscheidend, dass die Spielregeln uns nicht für unsere Schwächen belohnen, also für Geiz, Gier und Rücksichtlosigkeit, sondern für unsere Tugenden und Menschlichkeit.
Einige Evolutionsforscher sagen, dass es gar nicht so sehr um den Sieg des Stärkeren geht, der sich durchsetzt, sondern dass auch Kooperation einen Wert für das Überleben hat.
Felber: In der Evolutionsbiologie ist das heute Common sense. Über die Disziplinen gibt es 400 Studien, die die Motivationswirkung von Kooperation und Konkurrenz verglichen haben. Kapp 90 Prozent kamen dabei zu dem Ergebnis, dass Kooperation stärker motiviert als Konkurrenz. Erzählen Sie das einmal einem Ökonomen. Der versteht das gar nicht, weil der an das Wettbewerbsgen im Menschen glaubt. Wenn der „Kooperation“ hört, dann versteht der nur „Kartelle“.
Das heißt, der würde sagen: „Nee, das funktioniert so nicht?“
Felber: Er kann sich vermutlich gar keine Systemanordnung vorstellen, die zwar eine freie Marktwirtschaft ist und in der es Unternehmensfreiheit und private Unternehmen gibt, die aber nicht von Natur aus gegeneinander, sondern in freier Entscheidung miteinander agieren.
Sie sind politisch sehr aktiv, haben Ihre Idee lange durchdacht und vertreten Sie auch schon eine ganze Weile öffentlich. Das wäre doch eigentlich die ideale Grundlage, um in die Politik zu gehen. Können Sie sich vorstellen, diese Laufbahn einzuschlagen?
Felber: Nein. Ich habe nie in Betracht gezogen, in eine Partei einzutreten, obwohl es viele Angebote gab.
Sie könnten ja auch eine eigene Partei gründen.
Felber: Es ist schon sehr häufig vorgeschlagen worden, dass wir eine Gemeinwohlpartei gründen. Aber ich möchte auch keine Partei gründen. Ich glaube, dass soziale Bewegungen wirkungsvoller sein können.
Ist Ihnen der politische Prozess zu zäh? Oder was spricht dagegen?
Felber: Ich glaube, dass, wenn die Gemeinwohl-Ökonomie das Anliegen einer einzelnen Partei wäre, die anderen Parteien reflexartig dagegen votieren würden. In diesem politischen Hickhack würden wir aufgerieben werden.
Im Grunde sagen Sie damit, dass die Bürger Sie nicht wählen würden, weil Sie gar nicht die Chance haben, sich neben den anderen Parteien dazustellen und zu Wort zu kommen.
Felber: Für die Wahl in einen Verfassungskonvent stehe ich jederzeit bereit. Gegen eine eigenen Partei spricht auch, dass wir eine eigene Position zur Sicherheitspolitik, zur Innenpolitik, zu außenpolitischen Fragen und so fort entwickeln müssten.
Klar, Sie bräuchten dann ein Programm.
Felber: Wir sind eine sachpolitische Initiative und tragen diese Sache in alle Parteien. Davon abgesehen ist die souveräne Demokratie ein wachsendes Modell. Ich träume davon, dass wir eines Tages in der souveränen Demokratie ankommen, und diese könnte ganz ohne Parteien auskommen. Ich halte Parteien grundsätzlich für ineffektiv und kontraproduktiv. Aber es müsste natürlich ein besserer Vertretungsmechanismus vom Souverän in die Parlamente gefunden werden. Daran arbeite ich.
In der Gemeinwohl-Ökonomie geht es letztlich nur darum, dass Menschen noch stärker über das Leben anderer Menschen bestimmen wollen. In Christian Felbers Aussagen über sog. „Billiglohnländer“ kann man auch einen neokolonialistischen Ton heraushören. Insgesamt würde unsere Demokratie in eine autoritärere Richtung abdriften – und das ist die falsche.
Sie sollten sich nochmal den Teil mit dem Geld und der Macht gewissenhaft durchlesen.
Die autoritäre Richtung in die wir gerade abdriften würde aufgehalten und ins Gegenteil verkehrt werden.
Die Gemeinwohl-Okonomie-Bewegung hat einen „Gemeinwohl-Selbsttest“ entwickelt, der ein hervorragender Leitfaden fur einen ethischen Lebensstil darstellt. Er hilft, alle grundlegenden Schritte im Leben auf ihre Auswirkungen auf die Umwelt nach den Grundwerten Menschenwurde, Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit, Solidaritat und Demokratie zu reflektieren. Selbstverstandlich kann er auch nur als Inspiration fur eigene Ziele und Ma?nahmen dienen. Der Quell der Gemeinwohl-Orientierung ist aber aus meiner Sicht das In-Verbindung- Gehen mit dem gro?en Ganzen, das Hineinspuren in die Welt, wie sich mein Dasein auswirkt. Aus einer tiefen Verbindung erwachsen meiner Erfahrung nach von selbst alle Hinweise, wie wir uns verhalten sollten. Den verlasslichsten ethischen Kompass tragen wir im eigenen Herzen.
http://wie-geht-es-weiter-mit-dem-homosapiens.de/index.html
Eine Seite mit einer Idee: Jeder Mensch ist gleich viel Wert (Gemeinwohl?)
Abhängig von seinem Lebensmittelpunkt wird in einem Warenkorb die Kosten erfaßt, die er für ein würdevolles, gerechtes Leben benötigt. Das bekommt er. Geht er produktiv arbeiten gibt’s Aufschläge. Deckel bei 40% Aufschlag. Bekommt er mehr bezahlt, 95% Steuersatz.
Aufschläge auch für Kranke und Behinderte.
Plus: Bildungssystem, das Talent und Fähigkeit erkennt und fördert.