Sophie Kluge

Selbst ein extremes Leben hinterlässt oft eine Leere.

Mit „Golden Twenties“ gibt die Regisseurin Sophie Kluge ihr Kino-Debüt. Im Film wirft sie einen Blick zurück, auf die Orientierungsphase mit Mitte 20, zwischen Ausbildung und Beruf. Ralf Krämer sprach mit Kluge über Frauenklischees im Film, Arbeitsbedingungen, ehrliche Banalitäten und warum sie „Golden Twenties“ ihrer Tante gewidmet hat.

Sophie Kluge

© 20th Century Fox

Sophie, nach der Vorführung deines Films „Golden Twenties“ kam ich vor dem Kino an einer Frau vorbei. Sie war vielleicht Mitte 50 und empörte sich am Handy lautstark über deine Hauptfigur Ava: „Die betrinkt sich nicht richtig, die hat kaum Sex, die macht nichts! Aber sie bekommt einen Job im Theater nachgeschmissen! Was haben diese junge Menschen überhaupt für ein Problem?“ Hast du so eine Reaktion schonmal erlebt?
Sophie Kluge: (Lacht) So noch nicht. Aber sie überrascht mich überhaupt nicht. Da geht es ja um eine total subjektive Wahrnehmung, die man von einem gewissen Zustand und Leuten hat. Es spiegelt anscheinend, wie eine junge Frau zu sein hat, nach der Meinung dieser Frau. Das ist ja völlig legitim.
Was du da beschreibst ist ja eine totale Idealisierung von dem, was zu passieren hat. Es gibt bestimmt Leute, die in ihren Twenties die ganze Zeit supergeilen Sex haben. Ihr Leben ist ein einziges Abenteuer mit guten Drogen.

Zumindest in der Rückschau.
Kluge: (Lacht) Ja, genau. Aber es gibt eben auch andere Situationen und ich wollte das anders beleuchten. Und ich finde Ava auch gar nicht so passiv, wie man meinte könnte.

Warum zieht sie zu Beginn des Films zurück nach Berlin, zu ihrer Mutter?
Kluge: Sie ist jetzt an einem Punkt, wo die Dinge nicht mehr so funktionieren, wie sie das gerne hätte. Sie hat ein Bewerbungsgespräch, das nicht klappt also macht sie einfach das Nächstbeste.

In dem Bewerbungsgespräch wird Ava, die gerade ihr Studium abgeschlossen hat, mitgeteilt, hier könnte sie nur einen Job bekommen, wenn sie noch Studentin wäre. Ist das ein typisches Dilemma?
Kluge: Ich habe mit jungen Frauen in diesem Alter gesprochen und festgestellt, es ist nicht mehr so leicht, an gewisse Positionen zu kommen. Man kann keine Praktika mehr machen, man muss sich irgendwie hochhangeln. Es klappt nicht mehr auf dem Weg, den man sich selber vorgestellt hat. Man nimmt also erstmal einen Weg, den man nicht geplant hatte. Der ist es dann aber vielleicht auch nicht und man muss einen ganz neunen Weg finden. Es ist diese bestimmte Phase, die ich da beleuchte.

Zitiert

Zeitweise sind für mich permanent Türen aufgegangen. Aber dann wurden sie mir wieder ins Gesicht geknallt.

Sophie Kluge

Der Film entfaltet seinen Zauber allein schon dadurch, dass er Ava, die von Henriette Confurius gespielt wird, beim Nachdenken und Beobachten zuschaut.
Kluge: Innerlich passiert bei ihr total viel in dieser Zeit. Sie ist nicht passiv, sie geht den Dingen auch hinterher. Sie hat nur noch kein ganz klares Ziel und auch noch keinen klaren Platz. Und das ist ja völlig legitim. Im Gegensatz dazu gibt es die Figur der Lulu, eine total aktive Person, die hat viele Männer und stürzt sich zu 100% in alles rein.

Aber dann sucht Lulu doch plötzlich die bürgerliche Sicherheit im Hafen der Ehe?
Kluge: Sie wechselt von einem Extrem in das andere und passt sich so ihren Lebenssituationen an. Und so ist Ava einfach nicht.

Wie erging es dir selbst in diesem Lebensabschnitt, mit Mitte 20?
Kluge: Unterschiedlich. Ich hatte auf jeden Fall Phasen wie Ava. Zeitweise sind für mich permanent Türen aufgegangen. Aber dann wurden sie mir wieder ins Gesicht geknallt. Auf einen großen Schritt nach vorne ging es drei zurück. In dem Alter hatte ich eine klare Vorstellung davon, wie alles funktioniert – nur um dann häufig eines Besseren belehrt zu werden. Heute bin ich mit vorgefertigten Meinungen zurückhaltender. Und wenn etwas nicht so lief, wie ich es mir vorgestellt hatte, habe ich mir natürlich auch Sorgen gemacht, dass ich meinen Weg nicht finde. Zum Glück ist es bei mir immer irgendwie weitergegangen.

Letztlich hast du deine Zwanziger aber schon eher als „golden“ und sorglos erlebt?
Kluge: Nein, nein. Das ist je eher so bittersweet. Ich empfand diese Orientierungslosigkeit und wenn man die eigenen Eltern, ähnlich wie bei Ava, so liberal sind, hat man auch nichts, wogegen man rebellieren kann. Man kann theoretisch alles machen, praktisch aber auch gar nicht. Das kann auch etwas Lähmendes haben.

Du hast u.a. am Deutschen Theater in Berlin als Regieassistentin gearbeitet. Im Film gerät Ava als Hospitantin in Theaterproben, wo ein Regisseur und seine Schauspielerin sehr lautstark, recht kindisch wirkende Konflikte austragen. Warum machen die das, wenn von vornherein alles so schrecklich und anstrengend ist?
Kluge: Ja, das fragt man sich. Die machen das aber trotzdem. (lacht) Ich selbst habe aber ganz unterschiedliche Erfahrungen am Theater gemacht. Ganz tolle, aber auch solche, gegen die das, was im Film stattfindet, geradezu harmlos wirkt. Da merkt man vom ersten Tag an, man steckt in einer Maschinerie. Für die muss Content produziert werden. Da kommt dann ein Regisseur, der an einem Stadttheater vielleicht vielversprechend war. Er trifft aber mit Schauspielern zusammen, die vielleicht überhaupt nicht zu ihm passen. Die kann er nicht casten, die sind ja fest am Haus, zumindest in Deutschland ist das so. Der Spielplan gibt halt vor, dass die Zusammen jetzt ein Stück machen. Dann wird halt probiert. Und es kann in die Richtung oder in die Richtung gehen.

Kommt es vor, dass Arbeitsbedingungen, zum Beispiel aufgrund von cholerischen Regisseuren unerträglich sind, aber das Ergebnis ist gut?
Kluge: Das gibt’s auch.

Nicht zuletzt im Zuge von #Metoo wird zur Zeit viel über die Bedingungen, unter denen künstlerisch gearbeitet wird debattiert. Die Richtlinien des Fairfilm-Awards fordern zum Beispiel eine Kommunikation am Filmset, die „offen, motivierend, gewaltfrei, wertschätzend und strukturiert“ ist. Hat das schon etwas gebracht?
Kluge: Ich weiß es nicht. Ich habe so eine ideale Kommunikation jedenfalls noch nicht erlebt. Regieführen ist eben eine sehr emotionale Arbeit, das Schauspielen auch. Deshalb kann man da keine Regeln aufstellen. Dass man sich aber an gewisse Verhaltenscodes hält, ist einfach nur gutes Benehmen. Das kann man ja schon verlangen.

Hochtrabende Themen werden in „Golden Twenties“ nur angetäuscht. Ein Gespräch über die Oktoberrevolution verebbt, bevor es richtig stattfindet. In einem Wohnzimmer hängt der Name Theodor W. Adorno als Plakat an der Wand. Was steckt dahinter?
Kluge: Ich will auch ein bisschen den Kontrast zwischen den Generationen zeigen. Das eine ist die Mentalität der Jungen, die wohl auch die eingangs erwähnte Frau vor dem Kino so aufgeregt hat, von der auch Avas Mutter irritiert ist. Diese ältere Generation sagt: Geh‘ aus! Komm nicht nachhause! Die haben sich ihre Ziele ganz anders erarbeitet.
Das Adorno-Plakat habe ich auf einem Mode-Blog gefunden. Es hing da einfach so im Wohnzimmer. Da lagen überall Kleidungsstücke, aber kein einziges Buch. Ich fand das total interessant als Aussage: Man schmückt sich mit solchen Symbolen, hat aber vielleicht nichts weiter damit zu tun.

Spielt die Auseinandersetzung mit Politik, Revolution und Philosophie für dich eine Rolle?
Kluge: Ich bin da nicht so tief drin, aber je älter ich werde, desto mehr wächst mein Interesse daran. Vielleicht bin ich auch zu privilegiert groß geworden, um auf besondere Weise nach Revolution zu streben. Aber ich finde zum Beispiel ganz toll, dass die Generation nach mir jetzt anscheinend so aktiv und bewusst ist. Leute in meinem Alter waren eben nicht bei „Fridays for Future“. Aber man kann es auch überhaupt nicht verallgemeinern.

© 20th Century Fox

Szene aus „Golden Twenties“ mit Henriette Confurius als Ava © 20th Century Fox

Gegen die heutige „Generation Greta“ wirkt die Jugend in deinem Film geradezu aus der Zeit gefallen.
Kluge: Man kann in einem Film ja nicht alles einfangen. Ich habe von einer bestimmten Person in einer bestimmten Situation erzählt. Ich wollte ja nicht die gesamte Jugend einfangen, kein generationsübergreifendes Mammutwerk schaffen. Das wäre jetzt ein bisschen anmaßend, finde ich. (lacht)

Du hast „Golden Twenties“ deiner 2017 verstorbenen Tante Alexandra Kluge gewidmet. Welche Rolle hat sie in deinem Leben gespielt?
Kluge: Ich habe mit ihr viel über den Film gesprochen. Ich habe sie immer wieder besucht und ihr von den neuesten Entwicklungen erzählt, dass Henriette mitspielt, dass ich Produktionspartner gefunden habe und so weiter. Sie hat noch mitbekommen, dass ich den Film finanziert bekommen habe, aber sie ist dann ein Jahr vor Drehbeginn gestorben.

Sie feierte 1966 als Hauptdarstellerin im Regiedebüt deines Vaters „Abschied von Gestern“ große Erfolge. Auch in diesem Film ist eine junge Frau auf der Suche nach ihrem Weg und ihrem Platz im Leben.
Kluge: Es gibt eine ganz zarte Parallele zwischen „Abschied von Gestern“ und „Golden Twenties“. Aber ich sehe sie eher als kleine, indirekte Fußnote. Als Alexandra gestorben ist, habe ich mir einige Ausschnitte aus „Abschied von Gestern“ nochmal auf Youtube angeschaut. Aber ich war schon ganz woanders und wollte etwas ganz anderes erzählen.

Im Vergleich zu deinem Film ist das Debüt deines Vaters geradezu wild und roh, wie eine Collage.
Kluge: Das ist eine andere Zeit, eine andere Mentalität, eine andere Art Filme zu machen. Ich wollte eine gewisse Banalität erzählen, die daraus entsteht, dass viele Dinge eben nicht passieren. Das ist auch schmerzhaft. Ava verliebt sich eben nicht wirklich. Sie erwischt auch diesen jungen Typen eben nicht in flagranti mit einer anderen im Bett. Der macht einfach sein Ding weiter. Die Gefühle haben halt nicht gereicht. Man kriegt in Filmen oft so eine Romantik vorgegaukelt, aber die Realität ist eben eher banal und ich wollte auch diesen Schmerz über diese leicht banale Enttäuschung einfangen. Selbst wenn man extrem lebt und alles mitnimmt, hinterlässt das oft eine Leere. Mich interessiert eher diese Ecke, das Nichterleben von Dingen, die aber erwartet werden. Das war eigentlich mein Ansatz.

Ist deine Tante in ihrer Entschlossenheit, eine vielversprechende Schauspielkarriere auszuschlagen und doch Ärztin zu bleiben auch ein Vorbild für dich gewesen?
Kluge: Naja, mir liegt ja keine Filmschauspielerkarriere zu Füßen. (Lacht) Ich bin auch keine Medizinerin. Sie war sich damals ganz sicher in ihrer Entscheidung. Die haben viele bedauert, auch in unserer Familie. Aber für sie war das die richtige Entscheidung. In dem, was sie als Schauspielerin gemacht hat, hat sie ja auch gestrahlt. Deswegen war das auch völlig in Ordnung, dass sie weiter Ärztin sein wollte und sie war auch eine sehr gute Ärztin.

Es fällt auf, dass du deinen Musikberater, Martin Hossbach, im Abspann auffallend groß und prominent nennst, gleich nach dem Kameramann.
Kluge: (Lacht) Das stimmt. Wir hatten ja keine klassische Filmmusik und generell eher wenig Musik im Film.

Wenn überhaupt dringt sie aus Radios oder Plattenspielern.
Kluge: Aber genau das musste dann sitzen. Daher war das ein ziemlich intensiver, langer Prozess, bis wir alle Songs zusammen hatten, die stimmungstechnisch passten, die Figur widerspiegeln und die wir uns mit unserem Budget auch leisten konnten. Unseren Titelsong „Andromeda“ von Wyes Blood finde ich zum Beispiel großartig. Deshalb ist es auch legitim, dass der Berater hier diesen großen Credit hat.

Gerade als Regiedebütantin ist das ein ungewöhnlicher Schritt. Geht dir Filmmusik sonst auf die Nerven?
Kluge: Manchmal kann das sein.

Weil sie oft so manipulativ eingesetzt wird?
Kluge: Ich hab diesen Film nicht mit Musik gedacht und geschrieben. Wir haben dann auch mal probiert, Szenen mit Musik zu unterlegen, dadurch hat man sie dann aber wahninnig kommentiert und einfach aufgeblasen. Das wäre dem Film gegenüber untreu gewesen und ein eher beiläufiges Geplätsche wäre ja auch eine Zumutung. Ich habe dann gedacht: Es reicht. Die Schauspieler tragen das schon. Es macht keinen Sinn, das jetzt noch irgendwohin pushen.

Das klingt so, als wärest du Regisseurin geworden, weil du etwas im Kino vermisst, nicht um irgendwelchen Vorbildern nachzueifern. Gab es einen bestimmten Moment, in dem du dich für das Medium Film entschieden hast?
Kluge: Es gab mehrere. Mein Weg war immer ein Hin-und-zurück. Als ich zum ersten Mal einem Produzenten von dem Film erzählte, den ich im Kopf habe, wurde mir erst bewusst, dass ich mich von dem Bild, das hier im Kino von jungen Frauen gezeichnet wurde, nicht angesprochen gefühlt habe, vor allen in den 90er Jahren. Entweder hat man Arthouse-Filme von irgendwelchen männlichen Regisseuren geguckt, oder halt romantische Komödien. Die waren auch ganz nett, aber man fühlte sich nicht wirklich ernst genommen und angesprochen, auch in seiner Emotionalität und das habe ich vermisst. Die enden ja auch immer gleich und vermitteln einem ein falsches Bild. Das hat sich tatsächlich erst mit Sofia Coppola geändert, die mal anders mit der Emotionalität von jungen Frauen umgegangen ist. „Lost in Translation“ hat mich damals beeindruckt. Ich hatte mich als junge Frau zum ersten Mal gesehen gefühlt.

Karoline Herfurths „SMS für Dich“ hat ja gezeigt, dass man im Mainstream auch etwas andere, eigene Akzente setzen kann.
Kluge: Ja, das stimmt. Ich schaue mir per se auch Blockbuster oder eine typische romantische Komödie gerne an. Aber wenn es nur diese Sorte Film gibt, finde ich das doof. Vor allem die Frauenfiguren haben sich auch schon ein bisschen verändert. Die waren früher ja ohne Mann noch hilfloser.

Die Frauenfiguren in den Filmen deines Vaters, wie z.B. „Die Patriotin“ würden dir auch als Vorbilder taugen?
Kluge: Nein, an denen habe ich mich nicht orientiert. Es sind schon unkonventionelle Frauen, die er da zeichnet, das ist schon gut. Aber es war auch nicht wirklich eine Identifikationsfigur für mich dabei. (lacht)

Für die Filmförderung wäre es generell schon hilfreich, wenn man eine Frau in einem Antrag schlichtweg als „stark“ bezeichnet, oder?
Kluge: Es gibt Leute, die springe darauf an, andere nicht, ich weiß es nicht. Die lassen sich auch nicht ins Bockshorn jagen. Was ich denen immer erzählt habe und worauf alle, die mit diesem Stoff was anfangen konnten auch angesprungen sind, ist, dass ich eine Frauenfigur erzählen wollte, die nicht laut und wütend ist. Das bedeutet nicht, dass man nicht stark ist. Und ich habe gerade so das Gefühl, dass sich ein Missverständnis etabliert, dass eine starke Frau sauer sein muss und laut und wütend ist. Oder eben wie ein Mann. Ich glaube, eine starke Frau hat das nicht nötig. Oder es ist nicht ihre einzige Ausdrucksform. Man kann auch stiller Rebell sein.

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