„Viele neue Politiker sind Karrierefeiglinge.“

Hier gibt es noch etwas Begleitmaterial zum Interview mit Wolfgang Kubicki:

Am 04. September 2019 stellte Wolfgang Kubicki in Berlin sein Buch „Sagen, was Sache ist“ im Haus des Ullstein Verlag vor. Mit auf dem Podium saß Sigmar Gabriel und als Moderatorin Christiane Hoffmann (Der Spiegel).

Im Folgenden habe ich ein paar Auszüge des Gesprächs transkribiert, Themen sind die heranwachsende neue Politiker-Generation, das Verhältnis zwischen Politikern und Medien und Kubickis Tätigkeit als Anwalt. Audio hier, allerdings in bescheidener Qualität.

Ein paar Zitate von…

…Wolfgang Kubicki:

„Wir haben es mit einer Politikergeneration zu tun, von der ich sagen würde, dass viele Karrierefeiglinge sind.“

„Wenn wir den Klimaschutz wirklich ernst nehmen, siehe Aufforstung, dann müssen wir sofort dafür plädieren, dass gedruckte Zeitungen und Zeitschriften abgeschafft werden. Die Papierproduktion ist extrem klimaschädlich. Aber ich höre aus der Branche niemand, der dafür plädiert, dass wir jetzt keine Zeitungen und Zeitschriften mehr verlegen.“

„Der Bedeutungsverlust vieler traditioneller Medien besteht darin, dass die Menschen das Gefühl haben, dass das, was sie selbst erleben, nicht mehr abgebildet wird.“

„Die Bedeutungswirkung, die Journalisten sich zuschreiben, ist von ihrer Wirkungsmacht mittlerweile meilenweit entfernt.“

„Durch die sozialen Medien kann man mittlerweile zurückschlagen. Und das ist doch auch gut, dass Medienvertreter und ganze Medienkonzerne nicht mehr das Gefühl haben dürfen, sie seien sakrosant.“

…Sigmar Gabriel:

„Jedes Unternehmen macht Personalplanung, jedes Unternehmen überlegt sich, welche Voraussetzung man haben muss, um Führungskraft zu werden. Die einzigen, die das nicht tun, die glauben, dass das Amt den Verstand mitbringt, sind Parteien.“

„Ein Abgeordneter hat gefälligst zu seiner Feuerwehrversammlung zu gehen, zum Schützenfest, zur Fete im Stadtteil, in die Betriebsversammlungen, in den Kindergarten, in die Schule, zu dem jungen Unternehmer, dem Handwerksmeister. (…) und nicht dem Gespräch auszuweichen im Stadtteil mit Leuten, die irgendwie Angst davor haben, dass die nächste Flüchtlingsunterkunft kommt, auch wenn die Dinge, die da gesagt werden, total unangenehm sind.“

„Wenn dieser Journalist Typen wie uns auf fünf Seiten niederschreibt, fein, ein Teil unseres Gehalts ist Schmutzzulage.“

„Die Spielregeln waren doch bisher wie folgt: Journalisten dürfen Politiker kritisieren und nicht umgekehrt. Umgekehrt ist das ja fast Majestätsbeleidigung gewesen. Und ich glaube, das ist zu Ende. Und das ist ganz gut so.“

Transkript (Auszüge):

Wolfgang Kubicki: Wir erleben momentan im Politikbetrieb, dass die Generation, die aus dem Krieg gekommen ist, die noch den Aufbau erlebt hat, ausstirbt und wir es mit einer Politikergeneration zu tun haben, von der ich sagen würde, dass viele Karrierefeiglinge sind. Die lieber nichts sagen, als etwas Falsches sagen, weil das Falsche in der Interpretation dazu führt, dass ich in der Partei, in der Öffentlichkeit irgendwo Ärger kriege, was meine weiteren Wirkungsmöglichkeiten beeinträchtigen könnte. Wenn ich gelangweilt bin vom Deutschen Bundestag, was selten vorkommt, dann höre ich mir die Reden des Deutschen Bundestages aus den 60er und 70er Jahren an. Wir würden heute bei jedem zweiten Satz, der dort gesprochen wurde, einen Ordnungsruf erteilen. Aber die Auseinandersetzungen zwischen Franz Josef Strauss und Herbert Wehner, zwischen Helmut Schmidt und anderen, die sind einfach legendär. Früher hat man einfach noch den Fernseher eingeschaltet bei Bundestagsdebatten, heute schalten die Leute auf Sandmännchen.

Christiane Hoffmann: Was ist passiert? Früher war alles besser?

Kubicki: Wir haben viele Abgeordnete, denen Lebenserfahrung fehlt in bestimmten Bereichen. Ich habe eine Kneipe gehabt, ich habe studiert, ich hatte Straßenschlägereien, bin auf Menschen getroffen, die Sie sofort einschätzen können müssen – denn eine Fehleinschätzung kann zu katastrophalen Folgen führen.
Die heutige junge Politikergeneration, das beziehe ich jetzt auf meine Partei, den fehlt diese Form von Lebenserfahrung.

Hoffmann: Die falschen Menschen gehen in die Politik?

Kubicki: [unverständlich] Fragen Sie doch mal wie viel der Leute, die heute im Bundestag sitzen, einen Beruf haben, den sie auch wirklich ausüben. Und wenn die Karrierevoraussetzung ist, dass Sie Abitur haben, Studium abgebrochen haben, keinen Beruf haben aber dann Abgeordneter werden, dann stimmt irgendwas in diesem System nicht. Wenn sie dafür gelobt werden, dass sie keinen Beruf haben, den sie ausüben, stimmt etwas nicht. Die Idee unseres demokratischen Gemeinwesens besteht darin, dass Leute aus ihren beruflichen Erfahrungen ins Parlament kommen; aus unterschiedlichen Regionen und unterschiedlichen Berufen und dass diese Erfahrung eingebracht wird.
In den letzten 30 Jahren hat die Anzahl der Sachverständigen die wir anhören bei den Gutachten, die wir in Auftrag geben, exorbitant zugenommen. Das hat zwei Gründe: 1. Wir haben zu wenig Leute mit eigener Erfahrung, dann brauchen sie das ja nicht. Leute die mal an der Werkbank gestanden haben, wissen eben die Bedingungen unter denen so etwas passieren kann. Und 2. Die Flucht vor Verantwortung. Weil Sie es immer auf Dritte abwälzen können. Sie machen ein Sachverständigengutachten und sagen „wir folgen den Ausführungen des Sachverständigen“. Dann sind Sie nicht derjenige, der dafür verantwortlich ist. Sie machen eine Kohlekommission, damit andere dafür verantwortlich sind, wenn es in die Hose geht.

Hoffmann: Warum macht in der FDP niemand Karriere, der an der Werkbank gestanden hat?

Kubicki: Zunächst weil wir momentan wenig Menschen unter uns haben, die an der Werkbank stehen. Die Überlegung auch wieder von Ihnen: Man macht Karriere, weil grauhaarige weiße Männer in irgendwelchen Hinterzimmern erklären, der muss man werden…

kubicki-coverHoffmann: Ja, Hinterzimmer, das steht auf Ihrem Buch (Untertitel: „Über Machtspiele, Hinterzimmer und den Mut zum Urteil“).

Kubicki: Das ist nicht von mir, das hat der Verlag gemacht.
Konstantin Kuhle (FDP) hat ja im Spiegel erklärt, dass wir eine Frauenförderung brauchen, weil alte weiße Männer, die Karriere von Frauen verhindern. Da habe ich ihn gefragt: Konstantin, wen meinst du damit? Die FDP ist im Durchschnittsalter die jüngste Fraktion im Bundestag. Von den Männern, die du meinen könntest, gibt es in der Partei nur zwei, Hermann Otto Solms und mich. (…) Du perpetuierst ein Bild, was nicht stimmt. Und so ist es in vielen Bereichen, viele politisch Tätige orientieren sich an dem, was parteiintern und öffentlich hilft, die Position, die man einmal erreicht hat, zu behalten. (…)

Hoffmann: Die Klage darüber, dass Politiker nicht mehr authentisch sind, dass Angepasstheit gefördert wird, anstatt von Rückgrat – das ist eine bekannte Melodie. Was ist der Grund dafür?

(…)

Sigmar Gabriel: Die eigentliche Frage war ja, wie entstehen heute Politikerinnen und Politiker. Natürlich ist eine Kriegserfahrung eine Erfahrung der ersten Jahre, des Wiederaufbaus produzieren andere Menschen und Charaktere, weil sie einfach mit existenziellen Fragen zu tun haben, von Leben und Tod, von Freiheit und Freiheit, von Hunger. Wenn das nicht mehr ihre prägende Lebenserfahrung ist, dann kommen natürlich andere Prägungen zustande.
In meiner Partei ist es so, dass natürlich wir alle auch einen Weg gegangen sind, der den sozialdemokratischen, den gesellschaftlichen Aufstieg ermöglicht hat, das Bildungsversprechen. Wolfgang Kubicki beschreibt das in seinem Buch sehr gut. Jetzt passiert aber Folgendes: Jetzt kommt eine Generation in die Politik, die diesen Bildungsaufstieg hinter sich hat, die gleich einsteigen mit Gymnasium, gleich einsteigen mit akademischer Ausbildung. Und jetzt wird es spannend: Tun die das, und bauen sich dann bewusst Brücken in die Teile der Gesellschaft, die Sozialdemokraten natürlich kannten, weil sie daher kamen, aber die ihnen heute aufgrund ihrer eigenen sozialen Situation eher fremd sind – oder tun sie das nicht? Hillary Clinton hatte ihre schwerste Niederlage in der Sekunde, wo sie über klassische Wähler in den Rust Belts als die „deplorables“ geredet hat. Das hat Trump sofort genutzt, weil es eine unfassbar arrogante Haltung von oben herab war. Es gab eine Wahlanalyse von 2013 von infratest dimap, die sagte: Wählerinnen und Wähler der SPD haben das Gefühl, dass Teile der SPD sie verachten.
Und die Antwort auf ihre Frage: Warum kommt der von der Werkbank nicht: Weil er ahnt, spürt, fühlt, dass das Klima, in dem er da in einer Parteiversammlung ist, ihm und seinem Leben fremd ist. Ich habe das mal persifliert, als ich gesagt habe: Was passiert eigentlich in der SPD, wenn einer aufsteht und sagt: ‚Ich bin Raucher, ich esse unheimlich gerne Fleisch, ich fahre gerne in den All-Inclusive-Urlaub nach Mallorca und ich habe ein Playboy-PinUp im Spind hängen.‘ – Schmeißt Ihr den sofort raus oder wird der erst Opfer von zähen Pädagogisierungsversuchen? Und die Wahrheit ist: Er kommt gar nicht erst. Und ich glaube, das ist ein Problem.
Jetzt kommt sozusagen eine Generation in die Politik, denen das fremd ist, die deshalb auch fremdeln – Wolfgang Kubicki beschreibt das in seinem Buch am Beispiel Flüchtlingspolitik – mit Menschen, die aufgrund ihrer sozialen Herkunft, ihres Bildungsstandes, nicht so multikulturell sind, nicht so weltoffen, auch weil sie verletzbarer sind, weil sie härter um Arbeitsplätze kämpfen müssen, auch gegen Zuwanderer, härter um preiswerteren Wohnraum, die Schwierigkeiten haben, wenn ihre Kinder in einer Schulklasse mit 80 Prozent Migrantenanteil sind. Jetzt haben wir keinen Zugang mehr zu denen… und jetzt gibt es eine Generation, die kommt aus dem Studium, wird Mitarbeiter im Abgeordnetenbüro, im schlimmsten Fall beenden sie das Studium vorher nicht und dann werden sie selber Abgeordnete. Das können Sie nur vermeiden, wenn Sie stärker als wir das in der Vergangenheit gemacht haben, Personalplanung machen, Kriterien schaffen dafür, wer in der Politik…. – das macht übrigens jedes Unternehmen. Jedes Unternehmen überlegt sich, welche Voraussetzung man haben muss, um Führungskraft zu werden. Die einzigen, die das nicht tun, die glauben, dass das Amt den Verstand mitbringt, sind Parteien. Und ich glaube, dass wir diese Entfremdung von Politik nicht zurückentwickeln können, nach dem Motto ‚bei uns darf keiner mehr Akademiker sein‘, das wäre Quatsch. Aber das wir uns bewusst Brücken überlegen müssen. Und dazu gehört dass ein Abgeordneter gefälligst zu seiner Feuerwehrversammlung zu gehen hat, zum Schützenfest, zur Fete im Stadtteil, in die Betriebsversammlungen, in den Kindergarten, in die Schule, zu dem jungen Unternehmer, dem Handwerksmeister – nur wenn Sie sich dieses Arbeitsprogramm auferlegen und ihnen das Gespräch im Stadtteil mit Leuten, die irgendwie Angst davor haben, dass die nächste Flüchtlingsunterkunft kommt – dass Sie diesem Gespräch nicht ausweichen. Auch wenn die Dinge, die da gesagt werden, total unangenehm sind. Nur dann schaffen Sie es, solche Brücken zu bauen.

Kubicki: Ich lese immer wieder mit großer Begeisterung, dass in den Sommerpausen die Abgeordneten 14 Tage Betriebsurlaub machen, sich da als Praktikanten irgendwo hinstellen: Was sagt uns das? Es wäre doch viel schöner, die hätten alle Berufserfahrung, zwei, drei Jahre Lebenserfahrung, dann bräuchten sie dieses Praktikum nicht. Das heißt doch, dass diejenigen, die die Gesetze machen, so weit weg sind vom normalen Leben, dass sie einen Schnupperkurs machen müssen. Wenn ich gefragt werde: Warum machen Sie das nicht, sage ich: Weil ich jeden zweiten Tag in meiner Kanzlei bin, von menschlichen Dingen so viel höre wie wahrscheinlich niemand sonst in diesem Leben. Ich weiß dass es rechtlich nicht geht, aber ich hielte es politisch und auch pädagogisch für sinnvoll, dass Abgeordneter in einem Landes- oder Bundesparlament nur werden kann, wer zwei oder drei Jahre Berufserfahrung hat, egal in welchem Beruf.

(…)

© Jakob Buhre

Wolfgang Kubicki, Sigmar Gabriel und Christiane Hoffmann im Haus des Ullstein Verlags © Planet Interview

Kubicki: Ich gebe Sigmar Gabriel in einem Punkt recht: Das Vertrauen in Lösungskompetenz bei den politischen Einscheidungsträgern ist massiv zurückgegangen. Weil wir alle wissen, dass die ambitionierten Klimaziele die wir haben, in der Umsetzungsphase ein schwieriger Prozess sind. Ich habe Robert Habeck gefragt: Was machst du jetzt eigentlich, wenn Bürger gegen Leitungsausbau klagen, oder keine Windräder mehr wollen? Nehmt ihr denen die Rechte, das zu tun, weil es euch darum geht, die Klimaziele zu erreichen? Was machen wir, wenn in Bundesländern Mehrheiten entstehen, die das nicht wollen?
Auch was die journalistischen Freunde angeht: Wenn wir den Klimaschutz wirklich ernst nehmen, siehe Aufforstung, dann müssen wir sofort dafür plädieren, dass gedruckte Zeitungen und Zeitschriften abgeschafft werden. Das können wir alles elektronisch machen, dann wird dafür kein Baum mehr gefällt, die Papierproduktion ist extrem klimaschädlich. Aber ich höre aus der Branche niemand, der dafür plädiert, dass wir jetzt keine Zeitungen und Zeitschriften mehr verlegen.

Hoffmann: Wir sind dabei.

Kubicki: Ja, aber aus anderen Gründen, weil die Auflagen sinken.

Hoffmann: Ich zitiere mal, was Sie über die Presse schreiben: „Journalisten glauben, sie sind der Nabel der Welt, sie geben nicht die Meinung der Menschen wieder, sie sind zu wenig selbstkritisch, sie überhöhen sich selbst hin zu moralisierendem Haltungsjournalismus. Sie sind nur Tagdenker, weil sie immer nur an die Zeitung für den nächsten Tag denken, während Politiker Ewigkeitsdenker sind, weil sie immer weit voraus blicken. Sie wollen nur Preise gewinnen und die Auflage steigern, sie haben keine Überlebenschancen und die klügeren wechseln alle schon den Job und machen etwas Anständiges.“

Kubicki: Das war jetzt die Kurzfassung von dem, was ich über mehrere Seiten ausgeführt habe, aber im Kern ist das richtig.

Hoffmann: Immer wieder kommt im Buch ein bisschen Genugtuung darüber zum Ausdruck, in welcher schlechten Verfassung Sie die seriöse Presse wahrnehmen.

Kubicki: Das liegt an den letzten sechs Jahren meiner Erfahrung. Weil ich die sogenannte ’seriöse‘ Presse erlebt habe wie sie sich mit Freude und Wonne daran ergötzt haben wie es der FDP ergangen ist. Das ist meine Antwort darauf.
Ich habe mir 2013, als die FDP aus dem Bundestag flog, die ganzen Artikel aufgehoben, die erklärten „die FDP wird nicht mehr gebraucht, die wird es nicht mehr geben“, weil ich mir gesagt habe: Wir werden denen in vier Jahren zeigen, wo der Hammer hängt. Und dann haben einige Journalisten, die das nicht mehr wahrhaben wollten, weil sie dann erklärt haben warum die FDP logischerweise 2017 mit so einem großen Ergebnis wieder in den Bundestag einzog – denen habe ich die Artikel von vor vier Jahren gezeigt. Dann wollten die das auf einmal nicht mehr geschrieben haben. Da ist mir klar geworden: Längerfristiges Nachdenken ist bei Tagesjournalisten nicht so sehr verbreitet. Was ich auch verstehen kann.
Ich habe mit Severin Weiland von Spiegel Online ein tolles Interview geführt. Und dann schlage ich Spiegel Online auf, und die Überschrift hatte mit dem Interview nichts zu tun. Da habe ich ihn angerufen und er sagte: Dafür bin ich nicht verantwortlich, und wir machen Überschriften auch nicht nach der Frage ‚Was steht im Interview?‘ sondern danach wie viel Klicks kriegen wir. Unsere Währung online ist Klicks‘. Das verstehe ich, aber dann machen Sie doch keine Interviews mehr sondern nur noch Überschriften.

Ich erlebe viele Diskussionen mit Journalisten, die glauben, es gehe darum eher die Wirklichkeit abzubilden, zur Meinungsbildung beizutragen – das stimmt alles, aber es steht immer auch ein Hintergrund. (…) Ich habe so meine Erfahrungen mit Journalisten. Ich gebe ein Interview für die Passauer Neue Presse in dem ich erkläre, dass wir als demokratische Parteien, die wir ja wollen, dass die AfD kleiner wird, ob die bisherige Strategie, die AfD moralisch auszugrenzen – und die Wähler damit auch teilweise ein Stück beiseite zu tun – ob die richtig ist, wenn die AfD stärker wird und nicht schwächer wird. Ich kenne auch kein Medium, das die AfD mal hochgeschrieben hat, trotzdem ist sie stärker geworden. Also müssen wir vielleicht darüber nachdenken, ob es Sinn macht, die Strategie zu ändern. – Und dann lese ich in der Welt, in einer Zwischenüberschrift, die mit dem Artikel nichts mehr zu tun hat: „Kubicki will Kurswechsel der FDP“. Da kann ich nur sagen: Fake News ist das vielleicht nicht, aber wahr ist es auch nicht.
Der Bedeutungsverlust vieler traditioneller Medien besteht darin, dass die Menschen das Gefühl haben, dass das, was sie selbst erleben, nicht mehr abgebildet wird. Dass sie selbst das Gefühl haben, wenn … Man kann über diese Reporterin vom MDR, die den Wahlabend in Sachsen kommentiert hat, sagen was man will, die hat vielleicht eine kleine Klatsche, ist vielleicht überfordert gewesen. Aber dass sie erklärt hat, man könnte eine bürgerliche Koalition zwischen AfD und CDU bilden, und jetzt wird die mit einem Shitstorm belegt, als müsste die jetzt den Sender verlassen. Oder wenn ich versuche, zu erklären, dass wir einen anderen Umgang mit der AfD pflegen, und dann bekomme ich per Twitter Nachrichten „du rechtsradikale Drecksau“, das hat schon eine Qualität die ihresgleichen sucht. Ich bin aufgefordert worden, von Genossen, von Oppermann, ich solle mein Amt als Bundestagsvizepräsident niederlegen, denn wer so redet wie ich macht die AfD stark. Da kann ich nur sagen: Ihr müsst mal darüber nachdenken, damit meine ich auch die Medien, ob die bisherige Strategie gefruchtet hat. Sie hat es offensichtlich nicht. Und wenn das Gefühl ist, dass die Wirklichkeit, die wir erleben, mit dem, was medial abgebildet wird, nicht mehr in Übereinstimmung, desto geringer ist Wirkungsmacht. Und meine Erfahrung, und das ist das, was mich wirklich freut: Die Bedeutungswirkung die Journalisten sich zuschreiben ist von ihrer Wirkungsmacht mittlerweile meilenweit entfernt.
Kommunikation findet momentan anders statt als über die traditionellen Medien. Über soziale Netzwerke. Das bedeutet, dass die traditionellen Medien immer weniger Wirkungsmacht haben.

Hoffmann: Das ist so, ja. Aber mich wundert, dass Sie das nicht ängstigt, sondern zufrieden macht, weil das für Sie als Politiker ja auch heißt, dass Kommunikation deutlich komplizierter wird. Und die sozialen Medien sind nicht gerade diejenigen, die jetzt verhindert haben, dass die AfD groß geworden ist. Ihr Vorwurf an die Qualitätsmedien ist sehr verengt. Die eigentliche Ursache ist doch eine Veränderung der Medienlandschaft und nicht die Art wie Qualitätsmedien berichten.

Kubicki: Vielleicht macht der Spiegel ja mal eine Diskussion über Selbsteinschätzung der Medien. Das Schlimme an mir ist, das kann ich völlig frei sagen: Mir ist völlig wurscht, ob der Spiegel schreibt „Kubicki ist ein Idiot“ oder nicht. Interessanterweise ist das auch meinen Leuten und meiner Partei wurscht. Es unterschätzen ja einige ihre Reichweite. Das Entscheidende ist: Bei der letzten Landtagswahl hat ein Redakteur einer schleswig-holsteinischen Tageszeitung mich angerufen und gesagt: „Kubicki, ich schreibe Sie jetzt runter“. Da habe ich geantwortet: Was wollen Sie jetzt damit sagen? „Die FDP wird keinen Stich mehr kriegen bei uns uns.“ Da habe ich gesagt: Ich habe 55.000 Follower bei Facebook. Da schreibe ich jetzt mal rein „Leute, bestellt diese Zeitung ab“ und da kann ich Ihnen sagen, da bekomme ich innerhalb von einer Viertelstunde einen Anruf Ihres Geschäftsführers, warum ich das gemacht habe. Und der wird mit mir eher seinen Frieden suchen als mit Ihnen. Und so war es auch.
Das ist das, was mich beruhigt: Durch die sozialen Medien kann man mittlerweile zurückschlagen. Und das ist doch auch gut, dass Medienvertreter und ganze Medienkonzerne nicht mehr das Gefühl haben dürfen, sie seien sakrosant.

Gabriel: Abgesehen von der Tatsache ob das gut oder schlecht ist – was Journalisten nervt, ist dass wir antworten können. Die Spielregeln waren doch bisher wie folgt: Wir als Journalisten dürfen Politiker kritisieren und nicht umgekehrt. Umgekehrt ist das ja fast Majestätsbeleidigung gewesen. Und ich glaube, das ist zu Ende. Und das ist ganz gut so.

Hoffmann: Absolut.

Gabriel: Es ist doch auch logisch. Es muss doch möglich sein, so wie wir nicht unfehlbar sind, so wie wir Unfug schreiben, reden, Fehleinschätzungen haben, gibt es das doch im Journalismus auch, wie soll es denn anders sein?

Hoffmann: Es ist nie so gewesen, dass es nicht möglich gewesen ist, Journalisten zu kritisieren.

Gabriel: (unverständlich, Gabriel spricht über Landtagsabgeordnete) … die Antwort von denen war Nein, wir wollen nicht nach Berlin. Wenn wir hier als Landtagsabgeordnete unterwegs sind haben wir eine, vielleicht anderthalb Zeitungen, mit denen wir uns auseinandersetzen, da kennen wir die Redakteure, irgendwie funktioniert das schon. Aber bei euch da in Berlin, wir haben keine Lust uns jeden Tag durch den Kakao ziehen zu lassen. Wörtlich: Wir haben keine Lust jeden Tag zu lesen, wie dumm und wie charakterlich schlecht wir sind. Das machen wir nicht, nicht für die paar Kröten mehr, die es da gibt. – Und jetzt erzählen Sie mir nicht, dass da die Politik selbst dran schuld ist und die Medien keinen Anteil daran haben.
Der Spiegel hat über den früheren Vorsitzenden der Jungen Union Mißfelder – der hat den Fehler gemacht, dass er sich begleiten ließ vom Spiegel, jeder andere der den Spiegel kennt hätte gesagt ’never‘ – Jedenfalls, der Journalist, der das gemacht hat, den hätte ich nicht an mich rangelassen. Und was macht der? Wenn er Typen wie uns auf fünf Seiten niederschreibt, fein, ein Teil unseres Gehalts ist Schmutzzulage. Aber der ist mit ihm (Mißfelder) umgegangen, wo ich gesagt habe, da müsste man sich für schämen.
Der Spiegel hat es fertig gekriegt, wenn wir schon dabei sind, eine Propaganda-Show zu machen für Thilo Sarrazin, ohne zu merken, dass der die Eugenik wiederbelebt, die Verbindung von sozialen und genetischen Fragen.
Ich glaube, dass der Beginn des Erstarkens der rechtsradikalen Kräfte etwas damit zu tun hat, dass in der Mitte der Gesellschaft, oder wenn Sie so wollen, oben in der Gesellschaft auf einmal Dinge wieder gesagt werden durften, die man über Jahrzehnte nicht sagen durfte. Auch daran sind Medien beteiligt.

Hoffmann: Herr Kubicki beschwert sich darüber, dass wir die Dinge nicht schreiben, dass sie nicht gesagt werden dürfen. Und Sie sagen jetzt, wir hätten verhindern müssen, dass sie gesagt werden…

Gabriel: Nein, dass wir als Politiker jetzt soziale Medien nutzen, um zu antworten – das darf Sie doch nicht wundern.

Hoffmann: Nein, eher begrüßen, im Gegenteil.

Kubicki: Ein Beispiel: Es melden sich zwei Redakteurinnen des Stern bei mir und sagen, sie wollen ein Interview mit mir machen über mein Verhältnis zu Frauen. Dann sagt mein Büro ‚machen wir nicht‘ und ich sage ‚machen wir doch, da kommen jetzt zwei Redakteurinnen und wollen aus mir Brüderle2 machen, das Spiel spielen wir jetzt mal mit.‘ Dann sitzen mir in Strande zwei charmante Redakteurinnen gegenüber, stellen intelligente Fragen „was unterscheidet Robert Habeck von Ihnen? Ist es heute einfacher Frauen anzumachen als früher?“ Habe ich gesagt: Weiß ich nicht, ich mache das nicht mehr. Das ging anderthalb Stunden und jetzt lesen Sie mal das Interview durch: Da sagen Sie sich, was ist das eigentlich für eine Zielrichtung, dass sie mich auf die Schleimspur locken wollen, dass ich mich selbst so blöd benehme, dass sie hinterher schreiben können: Kubicki ist aus der Zeit, aus der Rolle gefallen. Das gibt es nicht nur beim Stern, auch anderswo, das gab es auch beim Spiegel.

(…)

Frage (Planet Interview): Sie haben Ihre Tätigkeit als Anwalt erwähnt. Warum kommt die im Buch nur auf zwei Seiten vor? Vielleicht haben Sie noch eine Anekdote aus Ihrer Tätigkeit als Anwalt?

Kubicki: Möglicherweise ist das nur von Ihnen auf zwei Seiten gelesen worden. Aber das ganze Buch durchzieht auch die Frage: Warum bin ich Strafverteidiger geworden? Was mache ich, welche Erfolge und welche Misserfolge habe ich erlitten. (…) Selbstverständlich kann ich über mein Mandat und meine Mandanten nicht öffentlich berichten, das verbietet auch meine Berufsordnung. (…) Baxxter, HP Baxxter, zu dem ich eine freundschaftliche Beziehung habe, hat mich mal angerufen, ob ich ihn anwaltlich vertreten kann. Ich fragte: Was hast du denn gemacht? – Ich bin mit Scooter über Russland auf die Krim gereist um da ein Konzert zu geben. Das ist in der Ukraine eine Straftat, die haben ein Verfahren eingeleitet (Kontext). Das wird mit bis zu acht Jahren Gefängnis bestraft, wenn man so etwas macht. Der Generalstaatsanwalt der Ukraine hat ein Auslieferungsbegehren an Deutschland gerichtet, und Scooter hat mich gefragt: Kannst du da was tun? Da habe ich ihm gesagt: Wir liefern niemanden aus, das ist nicht erlaubt. Und dann habe ich den von mir sehr geschätzten ukrainischen Botschafter getroffen und ihm gesagt: Es ist ist nicht Ihr Ernst, dass die Ukraine HP Baxxter haben will? Sie kriegen keine Freunde in Deutschland. Und ich habe eine Reise vor, in die Ukraine und ich habe Schwierigkeiten damit, dort hin zu fahren, wenn das Problem vorher nicht geklärt ist. Sie können sich entscheiden, ob Ihnen HP Baxxter wichtiger ist oder ich. Und ich war in der Ukraine.

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