Abdelkarim

Ein rassistischer Kabarettist hätte keinen Erfolg.

Der Komiker Abdelkarim spricht im Interview über Comedy-Streams in der Corona-Pause, Absagen nach Terroranschlägen, Migranten-Klischees, rechte Gags, seine deutscheste Eigenschaft und eine Begegnung mit Jens Spahn.

Abdelkarim

© Guido Schröder

Abdelkarim, als Bühnenkünstler bist auch du von der Corona-Krise betroffen. Bist du im Moment eher besorgt oder entspannt, weil du ein paar Wochen die Füße hochlegen kannst?

Abdelkarim: Besorgt bin ich natürlich aufgrund der Situation in den Krankenhäusern. Und als Künstler ist es für mich im Moment eine große Ungewissheit, weil niemand einem sagen kann, ab wann die Situation wieder normal ist. Viel Zeit zum Füße hochlegen hatte ich jedenfalls noch nicht, da ich sehr viele Show-Absagen telefonisch klären muss.

Und neue Termine lassen sich noch nicht planen…

Abdelkarim: Nein, da müssen wir jetzt abwarten, bis von den Verantwortlichen konkrete Ansagen kommen. Für die ausgefallenen Termine werden Ersatztermine gesucht. Die meisten stehen sogar schon fest und sind veröffentlicht. Ob die dann allerdings stattfinden, kann aktuell natürlich keiner sagen. Die Verantwortlichen kommen ja irgendwann mit einer Ansage, ab wann Großveranstaltungen wieder möglich sind. Ich warte einfach mal, bin aber alles in allem sehr optimistisch.

Inzwischen sehen wir zahlreiche Comedians im Netz und im Fernsehen ohne Saalpublikum. Wie schwierig ist das?

Abdelkarim: Ich hatte diese Erfahrung neulich zum ersten Mal in einem Instagram-Stream von Oliver Polak – und ich finde es wirklich schwierig. Weil man keine Anspielbande hat, keine Zuschauer, die einem mit ihrer Reaktion zeigen, ob es gerade gut ist oder in die falsche Richtung geht. Als wäre man im Wasser und weiß nicht, wie tief es noch geht. Aber im Moment haben wir keine andere Wahl. Es gibt natürlich auch Comedians, die das früher schon regelmäßig im Netz gemacht haben, die haben sich auf Corona vorbereitet ohne es zu wissen.

Die Corona-Krise bedroht in Deutschland viele Existenzen, die Politik schnürt Hilfspakete. Als Kabarettist, vertraut man da der Regierung?

Abdelkarim: Gute Frage. Ich denke, da es in Deutschland so viele Menschen betrifft, ist der Regierung klar, dass etwas passieren muss. Ich kann mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, dass die Politik es zulässt, dass viele Läden jetzt einfach pleite gehen. Leider hat sich in den letzten Tagen aber gezeigt, dass es zum Beispiel im Bereich der Hilfe für Solo-Selbständige und KünstlerInnen viel Chaos und Unklarheiten gibt. Ich hoffe, dass die Regierung da zeitnah eine gerechte Lösung findet, weil viele Solo-Selbständige und KünstlerInnen ohne die anfangs angekündigte Hilfe in Existenznot geraten würden. Und das sage ich im Wissen, dass es in der aktuellen Zeit natürlich wichtigere Dinge gibt, wie zum Beispiel Menschenleben retten und Krankenhauspersonal entlasten.

Kannst du der Krise auch schon etwas Positives abgewinnen?

Abdelkarim: Es ist schön zu sehen, dass Leute sich einander helfen. Oder dass man in manchen Teilen der Welt erste Auswirkungen wahrnimmt, wie sich die Natur erholt. Und es passiert jetzt wieder, dass eine ganze Familie vor dem Fernseher sitzt. Dass eine komplette Familie zur gleichen Zeit zuhause ist, sowas ist in normalen Zeiten ja eher selten.

Zitiert

In der Familie finden mich einige lustig, andere verlassen den Raum.

Abdelkarim

Corona schickt Comedians in die Zwangspause. Es gibt aber auch Zeiten, wo Auftritte freiwillig abgesagt werden, aufgrund von Terroranschlägen oder einem Flugzeugabsturz. Wie gehst du mit solchen Ereignissen um?

Abdelkarim: Als es vor ein paar Jahren Terroranschläge in Europa gab, da war uns allen eigentlich immer sofort klar: Wir machen heute nichts. Man war schockiert und konnte nicht richtig damit umgehen. Mittlerweile setzt sich aber immer mehr der Gedanke durch: Jetzt erst recht! Wir lassen uns von Terroristen nicht diktieren, wie wir zu leben haben.
Es bleibt aber eine Abwägungssache, denn es geht ja auch um die Opfer und Hinterbliebenen. Ist es denen gegenüber legitim, zu sagen ‚Ich mache trotzdem meine Show‘? – Das ist schwer zu beantworten und wird im Einzelfall entschieden.

Musstest du so eine Entscheidung schon mal fällen?

Abdelkarim: Bislang hatte ich nur den Fall, dass ich einen Tag nach einem Anschlag eine Show hatte. Die habe ich dann gemacht. Und mir ist aufgefallen, dass dieser Auftritt genialer ankam als sonst, vor allem die Passagen, bei denen ich Bauchschmerzen hatte, weil sie das Thema Terrorismus berührten. Wenn das Thema dann aber so aktuell ist, improvisiere ich auch viel, ich erkläre mehr und versuche besonders auf die Stimmung im Saal zu reagieren.

Der jüngste Terroranschlag in Deutschland geschah in Hanau, Ziel war eine Shisha-Bar. Du hast ja 2013/2014 die Show „StandUpMigranten“ moderiert. Wer kam damals auf die Idee, aus einer Shisha-Bar heraus zu senden?

Abdelkarim: Die Idee kam vom Produktionsteam, die haben mich gefragt, ob ich mir das vorstellen könnte – und ich kann mir eine Comedy-Show eigentlich überall vorstellen.

Dir war das also nicht zu viel Klischee…

Abdelkarim: Wir wussten doch genau, dass das ein Klischeebild 8.0 ist, mehr Migranten-Klischee geht nicht. Das Konzept der Sendung bestand ja aber genau darin, das Klischee zu brechen. Also, dass der Zuschauer sehr schnell merkt, dass es den Migranten gar nicht gibt. Die Leute, die bei uns aufgetreten sind, waren alle völlig verschieden. Man konnte dort sehr gut sehen, dass es weder ‚die Migranten‘ noch ‚die Urdeutschen‘ gibt.

Du benutzt Migranten-Klischees ja auch in deinem Programm, zum Beispiel bei deiner letzten Berliner Show in den Wühlmäusen, wo du türkisch-stämmige Besucher auf ihren Job angesprochen hast. Einer sagte, er sei in einer Anwaltskanzlei worauf du entgegnet hast: „Beruflich oder als Kunde?“ Besteht die Gefahr, durch so etwas Vorurteile zu verfestigen?

Abdelkarim: Die Gefahr gibt es auf jeden Fall – und wenn sich Comedians backstage treffen, ist das immer ein Thema. Ich gehe aber bei meinen Auftritten stark davon aus, dass die Zuschauer das richtig einordnen können, also dass sie ein Klischee, das ich für einen Gag benutze, nicht für bare Münze nehmen. Wenn ich mich nach den Shows mit dem Publikum unterhalte merke ich oft, dass ich ein sehr weltoffenes und schlaues Publikum habe, zum Glück. Es ist übrigens auch, was Herkunft und Altersstruktur anbelangt, sehr durchmischt. Da kommen Vorzeige-Akademiker genauso wie Leute, die nie an der Uni waren. Mich haben schon oft Jungs angesprochen und gesagt: „Im Knast habe ich immer deine Show gesehen.“

Könntest du eigentlich auch ein Programm auf Arabisch anbieten?

Abdelkarim: Einige Verwandte haben mich das schon gefragt, aber ich traue mich noch nicht. Ich kann Marokkanisch, nicht Hoch-Arabisch, aber in Marokko verstehen mich alle sehr gut. Allerdings merken die auch sofort: Der ist nicht von hier, der hat eine ganz andere Sprechbetonung, ganz andere Wortwahl, ich greife oft zum falschen Synonym…

…was ja auch Humor produzieren kann.

Abdelkarim: Ja, das wäre vermutlich mein einziges Comedy-Potential dort. Im Moment bin ich jedes Jahr nur zum Urlaub in Marokko, aber um ein Comedy-Programm auf Arabisch zu machen, müsste ich dort vielleicht ein halbes Jahr leben und auch viel öfter marokkanisches Radio- oder Fernsehprogramm konsumieren.

Wie groß ist die marokkanische Community in Deutschland?

Abdelkarim: Es leben hier ungefähr 150.000 Marokkaner. Aber ob all denen mein Humor passen würde? In der Familie finden mich einige lustig, andere verlassen den Raum – es ist nicht so, dass da alle sagen würden ‚Geiler Typ!‘.

Das Thema Migration nimmt in deinem Bühnenprogramm einen großen Platz ein. Hast du vor, dass inhaltlich mal zu verändern, oder bist du zufrieden damit, weil dich die Menschen aufgrund deines Aussehens mit dem Thema in Verbindung bringen?

Abdelkarim: Darüber habe ich mir ehrlich gesagt noch keine Gedanken gemacht, denn am Ende entscheidet das tägliche Leben, worüber ich spreche. Ich gehe raus, erlebe Sachen und die kommen dann auf die Bühne.
Klar, wenn ich in meiner Show über meinen Vater spreche, der bleibt immer ‚der Marokkaner‘, mein Vater wird nie ‚Wolfgang‘ sein. Und ich verkehre im Alltag natürlich viel mit Menschen, die aus Einwanderer-Familien stammen. Mein Aussehen wird sich auch nicht verändern, weshalb sich an den misstrauischen Blicken in der Bahn auch nicht viel ändern wird.

Aber wenn das alles so bleibt, bedeutet das doch auch, dass wir bei den Themen Integration und Toleranz nicht weiter kommen, oder?

Abdelkarim: Da habe ich jetzt leider keine so gute Prognose. Ich bin zwar optimistisch, dass wir das Thema Rassismus irgendwann in den Griff kriegen, andererseits: diese Vorurteile von allen Seiten, die haben wir ja nicht seit gestern. Vorurteile können auch lustig sein, es entstehen dadurch ja auch lustige Situationen und Gespräche. Aber die negativen Folgen werden genauso bleiben, da bin ich mir relativ sicher. Ich kann mir nicht vorstellen, dass in 20 Jahren alles anders ist, dafür gibt es dieses Problem schon viel zu lange. Insofern werden wir weiter damit kämpfen müssen – das Entscheidende ist nur, auch wenn es schwerfällt, cool zu bleiben und versuchen, mit Argumenten so viele Menschen wie möglich zu überzeugen.

Das heißt, Ausgrenzung und Rassismus liefern dir einerseits Pointen, andererseits bereiten sie dir im Alltag nach wir vor Schwierigkeiten.

Abdelkarim: Definitiv. Wobei ich schon immer jemand war, der diese negativen Dinge nicht zu sehr an sich ranlässt. Wenn mich im Zug jemand komisch anguckt, weil er sich fragt, ‚ist das ein Terrorist?‘, ist mir das schnuppe. Ich nehme das eher zum Anlass, Witze zu machen oder ins Gespräch zu kommen. Und ab und zu, wenn ich merke, das ist jemand von der besonders üblen Sorte, gucke ich ganz bewusst noch böser zurück.

Wie ist es mit negativer Post oder Kommentaren, lässt du so was an dich ran?

Abdelkarim: Ich befolge da seit Langem den Rat eines Freundes, der mir sagte: Schlechte Kritiken und gute Kritiken, beides nicht lesen. Die schlechten versauen dir den Tag und bei guten Kritiken denkst du, du bist der Geilste auf der Welt.
Ich lese aber häufig in sozialen Netzwerken die Kommentare von Zuschauern und Fans. Da ist ab und zu auch konstruktive Kritik dabei. Aber wenn jemand kommt und einfach nur beleidigen will, „aber ihr Moslems seid ja alle böse“ – das macht keinen Sinn, das zu lesen. Das führt zu nichts.

Du beziehst regelmäßig u.a. auf Facebook klar Stellung gegen die AfD. Da bleiben Reaktionen vermutlich nicht aus…

Abdelkarim: Ehrlich gesagt bekomme ich sehr wenig Hass-Nachrichten. Wobei es auch nervig ist, immer wieder schreiben zu müssen, dass die AfD scheiße ist, ich komme mir dabei schon etwas albern vor. Das ist eine Binsenweisheit – die man aber im Moment leider nicht oft genug wiederholen kann.

Ich habe hier ein Zitat des deutsch-iranischen Regisseur Faraz Shariat. Er sagte 2019 bei einer Preisverleihung im Hinblick auf Künstler mit Migrationshintergrund: „Wir fragen uns, warum wir in einem Land, das seit mehreren Generationen und Jahrzehnten von Einwanderung geprägt ist, nicht Teil des nationalen Narrativ sind?“ Wie siehst du das?

Abdelkarim: Dass wir nicht Teil des Narrativs sind, ich vermute, dass er damit nicht ganz Unrecht hat. Ich selbst fühle mich als Deutscher – obwohl ich gar nicht weiß, wie sich ein Deutscher zu fühlen hat. Wenn ich nun jemandem gegenüberstehe, der mich anders sieht, dann kann ich mich noch so lange deutsch fühlen, seine Meinung werde ich nicht ändern können.

Wo liegen aber die Gründe? In den USA zum Beispiel wird Migration ganz anders gelebt und akzeptiert.

Abdelkarim: Wenn ich die Antwort hätte, wären wir vermutlich alle einen Schritt weiter. Immerhin werden Einwanderer in Deutschland nicht so oft von Polizisten erschossen wie in den USA, obwohl dort alle Einwanderer sind. Es ist den USA natürlich alles viel länger her, in Deutschland gab es die erste große Einwanderungswelle erst nach dem Krieg, in den 50er Jahren. Und die Marokkaner kamen erst in den 70ern. Vielleicht braucht man einfach Zeit, um sich aneinander zu gewöhnen. Ich kenne allerdings auch zig Menschen, ‚Urdeutsche‘, die das gar nicht thematisieren, die gar nicht fragen, woher du kommst.

Du arbeitest regelmäßig fürs Fernsehen. Wie ist dort dein Eindruck, gibt es bei den Machern auch viele mit Migrationshintergrund…

Abdelkarim: Auf der Bühne ja sowieso, bunter als die Comedy-Szene geht eigentlich gar nicht.
Und was die Leute in den Sendern angeht, merkt man auch, dass in den letzten Jahren viel passiert ist. Zum Beispiel sehe ich im Rap-Business inzwischen immer mehr Kameraleute mit Migrationshintergrund. Dass es früher weniger waren hat auch nicht unbedingt mit Rassismus zu tun, sondern damit, dass der Beruf nicht in Betracht gezogen wurde. Ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, dass jemand in meinem Freundeskreis mal gesagt hätte, ‚ich will Redakteur werden‘, oder Kameramann. Das kam alles erst in den letzten 5-10 Jahren.

Du sagst, bunter als die Comedy-Szene geht nicht. Gibt es dort für Migranten weniger Einstiegshürden?

Abdelkarim: Ja, definitiv. Es gibt sogar Kollegen, die meinen, als Migrationshintergründler hätte man es leichter, in die Comedy-Szene hereinzukommen, als ein Urdeutscher. Weil du sofort ein greifbares Thema hast. Du musst dafür nicht erst eine Figur entwickeln.

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Welches Land feuerst du beim Fußball an?

Abdelkarim: Da bin ich völlig unnationalistisch und habe viele verschiedene Trikots im Schrank. Am meisten bin ich Fan von Spanien, Portugal und Frankreich, vor allem die südländische Spielweise von Spanien und Portugal gefällt mir, weil es so einfach und unangestrengt aussieht. Aber Deutschland finde ich genauso super, auch schon damals als Kind.

Was ist deine deutscheste Eigenschaft?

Abdelkarim: Ich bin nicht der Pünktlichste, aber ich ärgere mich, wenn andere nicht pünktlich sind. Ich habe einen urdeutschen Freund, der sich sehr gerne verspätet, da bin ich pingelig und denke manchmal ‚es reicht langsam‘. Ein paar Minuten später finde ich es dann aber voll peinlich, sich über so etwas aufzuregen.

Gibt es so etwas wie deutschen Humor?

Abdelkarim: Ich wüsste nicht, was deutscher Humor sein soll. Ich glaube, das lässt sich nicht eingrenzen. Es gibt so viele urdeutsche Komiker und alle sind unterschiedlich.

Ist Kabarett links?

Abdelkarim: Das müsste man Dieter Nuhr fragen. Er ist schon ein Gegenpol, er nimmt Positionen ein, die nicht unbedingt typisch sind fürs Kabarett. Da sind auch Meinungen dabei, die ich nicht teile. Wobei auch linke Kabarettisten oft Meinungen haben, die nicht meine sind. Aber die meisten Kabarettisten sind wahrscheinlich links, ja.

Oder anders gefragt: Ist im Kabarett Platz für konservative Standpunkte?

Abdelkarim: Ich hätte nichts dagegen. Ich höre mir alles gerne an. Je facettenreicher, desto besser. Natürlich gibt es Grenzen – das würde dann quasi der Markt regeln.

Wie meinst du das?

Abdelkarim: Ich glaube, dass ein rassistischer Kabarettist keinen Erfolg hätte. Also vielleicht einmal im Jahr in Zwickau auf einer Weihnachtsfeier, aber nicht dauerhaft.

Ich war vor kurzem in Halle bei einer Show von Uwe Steimle. Er sprach dort zum Beispiel über den Dresdner Juwelenraub und sagte: „Wenn Deutschland die Tore so weit aufmacht, muss man sich nicht wundern, dass die Leute irgendwann im Grünen Gewölbe stehen.“ Ist das witzig?

Abdelkarim: Also, wenn Steimle meint, dass die Menschen, die nach Deutschland einwandern, ins Grüne Gewölbe gehen, um zu klauen – weiß er dann mehr als die Polizei? Kennt er die Täter?
Ich kann eigentlich über sehr vieles lachen. Nur hat man auf der Bühne natürlich eine andere Verantwortung als wenn man sich backstage einen Witz erzählt. Und die Frage ist, mit welcher Prämisse Steimle das auf der Bühne sagt. Will er sachlich den Fall behandeln und zur Lösung führen – oder will er nur witzig sein? Es kommt auf den Zusammenhang an und auch darauf, wer so einen Witz macht. Es gibt einen deutschen Comedian, der vor 14.000 Zuschauern einen absolut rassistischen Witz gemacht hat, von dem ich aber weiß, dass er weltoffen und alles andere als rechts ist. Da ist der Kontext wichtig, da muss man sich das ganze Programm anschauen.

Steimle sagte in seiner Show weiter, man hätte einen Prunk-Degen aus dem Grünen Gewölbe später „in Dresden-Neustadt beim Orient Grill gefunden, als Dönerspieß“ und erntete damit viele Lacher….

Abdelkarim: Ich kenne sein Publikum nicht. Und von Steimle selbst habe ich bislang nur einen Kurz-Auftritt gesehen. Da habe ich zwar gemerkt, dass er sich für einen Revoluzzer hält, aber ich habe nicht rausgehört, dass er Verschwörungstheoretiker oder Rassist ist. Als Comedian auf der Bühne ist man ja auch schwer zu fassen, da gilt die Satirefreiheit und die ist schon ein sehr hohes Gut. Und bei Satirefreiheit geht es zum Glück überhaupt nicht darum, ob ich oder ein anderer Mensch etwas witzig findet oder nicht. In jedem Fall bin ich optimistisch, dass ein Comedian, der 90 Minuten lang nur menschenfeindliche Witze erzählt, keinen Erfolg haben würde.

Sollte Kabarett bzw. Comedy deiner Meinung nach Position beziehen pro Integration, pro Toleranz?

Abdelkarim: Das kann ich niemandem vorschreiben, es gibt ja auch viele Comedians, die sagen, sie sind unpolitisch.

Anders gefragt: Wenn Comedians auf der Bühne Position gegen Integration beziehen würden…

Abdelkarim: Dieser Meinung kann man sein, aber das bringt ja nichts. Wenn jemand gegen Integration ist, wird er ein einsames, frustriertes Leben führen. Wenn man auf der Bühne Position beziehen möchte, dann ist der Fall eigentlich eindeutig: Pro Menschlichkeit, pro Grundgesetz. Vor allem in der jetzigen Zeit, wo wir echte Rassisten im Bundestag haben. Wer das jetzt nicht checkt ist entweder sehr naiv oder dem ist alles egal, weil er eh bald sterben wird.

Kann man vom Grad der Satirefreiheit den Aufklärungsgrad einer Gesellschaft ableiten?

Abdelkarim: Wahrscheinlich. Je mehr man auf der Bühne zulässt, desto entspannter ist man, davon gehe ich aus. Wer nichts zu verbergen hat, lässt alle auf die Bühne.

Humoristische Formate wie „Die Anstalt“ oder die „Heute-Show“ spielen heute auch eine Rolle als Politik-Vermittler. Du selbst bist auf RTL2 mit der Sendung „Endlich Klartext“ unterwegs. Was machen Humoristen beim Anpacken politischer Themen besser als Journalisten?

Abdelkarim: Ich weiß gar nicht, ob wir da so viel besser machen. Wir haben gegenüber Journalisten allerdings den großen Vorteil, dass wir nicht objektiv sein müssen. Wir können Zusammenhänge herstellen, die nicht zu 100 Prozent passen, wir müssen nicht an jeder Stelle sachlich und korrekt sein, auch in der Ausdrucksweise können wir uns viel mehr erlauben und komplizierte Dinge humorvoll runterbrechen. Wir können das Gleiche aussagen, müssen dabei aber nicht so anspruchsvoll sein wie Journalisten, die bestimmte Regeln beachten müssen.

Kann man als Comedian vielleicht auch Leute erreichen, die für Journalisten nicht erreichbar sind?

Abdelkarim: Ich denke schon. Mir selbst ist es öfters so ergangen, dass mir ein Kabarettist Dinge erklärt hat, die ich so noch nicht wusste oder noch nicht verstanden hatte. Dazu kommt: Wenn man lacht und sich Sachen anhört, bleiben die viel besser hängen.

Wenn du jemanden wie Jens Spahn triffst, gehst du das in der Vorbereitung journalistisch an?

Abdelkarim: Natürlich bereitet man sich auf so ein Gespräch vor, man schafft es aber nie, so gut zu sein wie jemand, der schon jahrelang mit einem Thema zu tun hat. Man weiß schon, worum es geht, was Pro- und Contra-Argumente sind, wo Spahn und sein Team vielleicht Dinge übersehen oder falsch bewertet haben…

Du hast Jens Spahn 2017, damals war er noch Staatssekretär, mit einem afghanischen Flüchtling konfrontiert.

Abdelkarim: Genau, der hatte hier eine Ausbildung gemacht und sollte danach wieder abgeschoben werden. Rein rechtlich gesehen war die Voraussetzung für die Abschiebung gegeben. Aber praktisch gesehen gab es nur Verlierer: Er war hier integriert, gab sich große Mühe bei seinem Job, die Firma brauchte ihn… Das hat Spahn damals auch eingesehen: Das Recht ist zwar schön und wichtig, aber es muss auch flexibel sein, es muss einen Ermessensspielraum geben.

Du hast auch eine Folge mit dem AfD-Politiker Leif-Erik Holm gedreht. Hat das dein Bild von der AfD bestätigt?

Abdelkarim: Ja, definitiv. Bei Holm kam noch erschwerend dazu, dass er nicht eine AfD-Aussage bestätigen wollte. Wir haben ihm Slogans von Plakaten und einzelne AfD-Politiker-Äußerungen gezeigt – und er hat das jedes Mal relativiert. Er hat nicht einmal gesagt: ‚Ja, das ist unsere Meinung‘. Dann habe ich ihm ein AfD-Plakat gezeigt, das er auf Facebook gepostet hatte, wo formuliert war „Der Islam ist…“ Das stand im Gegensatz zu unserem Interview, wo er sich ausdrücklich auf den Islamismus bezog. Als ich ihn dann auf das Plakat ansprach, meinte er, völlig ohne Ironie, das „-ismus“ hätte nicht mehr aufs Plakat gepasst. Wir haben Holm auch einen Clip eines AfD-Politikers gezeigt, der sagt „Ehe für alle kann heißen Päderastie für alle“ – dazu wollte er nichts sagen. Er wäre mir viel sympathischer gewesen, wenn er zu diesen menschenfeindlichen Sachen gestanden hätte, oder mich wenigstens mit einer Pauschalantwort a la ‚wir sind in der Partei nicht alle einer Meinung‘ abgefrühstückt hätte.

Ein Markenzeichen von dir ist dieses cool-gönnerhafte „Thank you“ wenn du die Bühne betrittst. Woher kommt das?

Abdelkarim: Es gab mal einen Stand-up-Auftritt von Jim Carrey, vor Ewigkeiten. Der Moderator hat ihn angekündigt, dann kam Carrey auf die Bühne und hat sich immer wieder beim Moderator bedankt, fünf, sechs Mal, völlig albern. Ich bin ein großer Jim Carrey-Groupie und habe mich kaputtgelacht. Irgendwann habe ich das dann selber gemacht – finde es aber immer noch albern.

Welche Comedians hattest du noch als Vorbilder?

Abdelkarim: Meine ersten Kontakte zur deutschen Comedy waren Volker Pispers, den ich aber oft nicht verstanden habe, Ingo Appelt, Kaya Yanar, Harald Schmidt, „RTL-Samstag Nacht“ natürlich oder auch die „Wochenshow“ mit Ingolf Lück.

Und aus dem arabischen Sprachraum?

Abdelkarim: Da finde ich die marokkanischen Geschichtenerzähler sehr lustig, so klischeemäßig auf Märkten, oder wenn ältere Menschen in der Familie Geschichten erzählen. Mein Vater zum Beispiel ist ein sehr lustiger Typ, genauso mein Onkel, wenn die erzählen ist das sehr amüsant. Marokkanische Stand-up-Comedy dagegen gibt es erst seit etwa zehn Jahren, die Szene steckt noch etwas in den Kinderschuhen, was man unter anderem daran merkt, dass die Zuschauer nach jedem Gag klatschen.

Hat Satire in Marokko in der Gesellschaft einen schweren Stand?

Abdelkarim: Überhaupt nicht. In Marokko hast du eigentlich Comedy rund um die Uhr. Man macht die ganze Zeit Witze, man muss im Gespräch ständig damit rechnen, dass man verarscht wird, egal wie ernst das Thema ist, der Ton ist oft flapsig. Erst wenn die Witze komplett ausbleiben, merkt man: jetzt wird es wirklich ernst.

Wie ist da deine Geburtsstadt Bielefeld im Vergleich?

Abdelkarim: Ich bin in Bielefeld ja in einer Parallelwelt aufgewachsen, unter Migranten-Kindern, insofern hatte ich nie das Bild von dem Bielefelder. Ich bin mir aber relativ sicher, dass Bielefelder nicht so durchgehend im Ironie-Verarschungsmodus sind wie Marokkaner.

Du hast selbst eine Zeit lang Islamwissenschaft studiert. Wie siehst du das Verhältnis von Islam und Unterhaltung? Lässt sich das gut miteinander vereinbaren?

Abdelkarim: Ich halte nichts von diesen ganzen Urteilen zum Islam, weil es einfach zu viele Islamexperten gibt. Es gibt die Gelehrten, die dir zum Beispiel sagen ‚Musik geht nicht im Islam‘, dann sagen wieder andere Gelehrte ‚Ja, darfst du machen‘. Vielleicht würden auch welche sagen, Comedy und Kabarett ist unislamisch, wenn du jemanden persönlich angreifst. Es gibt da nicht die eine Meinung.

Du hast mal gesagt, dass du es vermeidest, Leute aus dem Publikum zu sehr aufs Korn zu nehmen…

Abdelkarim: Ich versuche es zumindest. Wenn ich improvisiere lässt es sich nicht immer vermeiden, aber wenn ich merke, dass einer, den ich rausgepickt habe, gerade tausend Tode stirbt, versuche ich mich zu bremsen. Am besten ist es, wenn diejenigen, die ich kritisiere, am lautesten mitlachen.

Nach einem Jahr Islamwissenschaft hast du dann noch ein Jura-Studium angefangen. Gibt es noch den Plan B, Jurist zu werden?

Abdelkarim: Jura finde ich genial, damit habe ich großen Spaß an der Uni gehabt, auch weil ich coole Professoren hatte. Aber um das abzuschließen und mich gut aufs Examen vorzubereiten, müsste ich mir locker 18 Monate Zeit nehmen. Den Plan habe ich im Moment nicht.

Auch nicht in der Corona-Pause?

Abdelkarim: Nein, da bin ich dann doch optimistisch, dass die Auszeit so lange nicht dauern wird.

[Infos zu Tourdaten gibt es auf facebook.com/weindochnicht und abdelkarim.tv.]

7 Kommentare zu “Ein rassistischer Kabarettist hätte keinen Erfolg.”

  1. as140 |

    Ein echter Entertainer würde keine Stimmung pro/kontra eine politische Partei machen, sondern würde sich neutral positionieren.

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  2. M.S. |

    Gott, sind die Fragen platt…

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  3. Anke |

    warum wird hier gegen uwe steimle gestichelt? habt ihr das nötig? er ist ein hervorragender kabrettist. die fragen basieren auf einem merkwürdigen menschenbild.

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  4. Libella |

    Der Interviewer vergleicht Corona mit Terror. Das ist geschmacklos.

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    1. Arndt |

      Liebe Libella, vergleicht der Interviewer nicht eher die Absage von Auftritten aufgrund der Corona-Krise mit der Absage von Auftritten aufgrund möglicher erneuter Terroranschläge? Was ist daran geschmacklos, Events in gefährlichen Zeiten abzusagen? Das scheint mir eine eher vernünftige Reaktion des Künstlers zu sein. Viele Grüße!

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  5. Frau Shakira |

    ihr habt ihn nicht zu dem angriff befragt, ganz ganz schwach… und warum duzt ihr ihn, das ist weder höflich noch journalistisch

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    1. Arndt |

      Ganz einfach: Weil das Interview am 21.4.2020 hier veröffentlicht und wahrscheinlich Tage oder Wochen vorher gehalten wurde. Der Angriff selbst ist am 1.5.2020 passiert. Das kann man aber auch ganz oben nachlesen! :) Und ob man jemanden duzt oder siezt, kann man auch im Vorgespräch klären. In anderen Interviews wird er auch geduzt, ich glaube, damit hat Abelkarim auch kein Problem! Viele Grüße

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