„Soll“ man Interviews mit „Verschwörungsideologen“ führen?

Kommentar zu einem Kommentar von Jürn Kruse auf uebermedien.de.

Danke Jürn Kruse für den Artikel und den Denkanstoß.

Ich kann den Unmut über das DLF-Interview mit Anselm Lenz ein bisschen nachvollziehen. Die Schlussfolgerung, „das Interview ist als Darstellungsform gänzlich ungeeignet“ für den Umgang mit „Verschwörungsideologen“, halte ich in seiner Pauschalität für falsch. Und zum Fall von Lenz: Man hätte mit ihm noch viel länger sprechen müssen.

Im Einzelnen:

Zunächst, der Artikel befasst sich mit einer Problematik, die so m.W. (fast) gar nicht existiert. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk spricht mit „Corona-Leugnern“? Mit „Verschwörungsideologen“ oder mit Veranstaltern von Corona-Demos? Mit Medizinern, die die Gefahr des Corona-Virus relativieren? – Nicht, dass ich wüsste. Die 13 Minuten im Deutschlandfunk sind (5 Monate nach den ersten Corona-Einschränkungen) m.W. das allererste Mal, dass es so ein (halbwegs) ausführliches Interview gab. Angerechnet auf die Tausenden Stunden Corona-Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen TV- und Radiosender macht das Interview vielleicht einen Anteil von 0,02% aus (Wert ist geschätzt). Wenn man Kurz-Interviews mit Querdenken-Demonstranten hinzurechnet, etwa von Dunja Hayali, kommt man vielleicht noch auf 0,1%. D.h., die öffentlich-rechtlichen Sender folgen der Forderung des Artikels schon längst. Und sie machen es sich damit m.E. viel zu einfach.

Aber spielen wir es mal durch: Der Artikel-Autor empfiehlt, den Initiator von „Demokratischer Widerstand“ Anselm Lenz, der „Verschwörungsbehauptungen“ verbreitet und den Sinn der Maskenpflicht anzweifelt, aus den Medien auszuschließen, mit ihm keine Interviews zu führen. Was wäre damit erreicht? Findet Lenz dann nicht mehr statt? Stellt er seine Äußerungen ein? Nimmt er Abstand von seinen Theorien? – Wohl eher nicht. Er sucht sich andere Foren und Plattformen. Die mögen kleiner sein, sind aber immerhin so groß, dass sie 80-100.000 Menschen (Schätzung von Gaby Weber) aus ganz Deutschland motivieren können, in Berlin zu demonstrieren. Problem: Diese Plattformen teilen eher Lenz‘ Meinung, als dass sie sie kritisch hinterfragen. Es sind dann in der Regel Interviewer*Innen mit wenig Erfahrung, die auch keine Redaktion bzw. Kapazitäten (und vermutlich auch nicht den Willen) haben, Lenz‘ Behauptungen kritisch einzuordnen.

Mann kann das ganz gut an Sucharit Bhakdi sehen. Der Arzt wird m.W. seit Beginn der Corona-Pandemie von den öffentlich-rechtlichen Medien komplett boykottiert (früher sprachen sie noch mit ihm). Also führen andere Leute Interviews mit Bhakdi, zum Beispiel der Filmemacher Robert Cibis von Oval Media.

Sein Gespräch mit Bhakdi mag gut gemeint gewesen sein, eine kritische Auseinandersetzung ist es nicht, Bhakdi bezeichnet darin (Mitte Juni) Deutschland als „Diktatur“ (Min 17:44), Cibis widerspricht nicht.

Wenn jetzt alle Interviews mit Verschwörungsgläubigen so geführt würden, ja, dann würde ich dem Urteil von Jürn Kruse wohl zustimmen. Aber es geht natürlich auch anders. Dafür braucht es aber gute Interviewer mit viel Erfahrung und Wissen, die an den entscheidenden Stellen einhaken und Contra geben. So, und wo gibt es so etwas (also, außer bei Tilo Jung, meine ich)? – Genau, beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk, dem wir jedes Jahr acht Milliarden und mehr bereitstellen. Kluge, ausgezeichnete, preisgekrönte JournalistInnen weit und breit. Anja Reschke, Georg Restle, Sandra Maischberger, Markus Lanz, Frank Plasberg, Ranga Yogeshwar, die Liste ließe sich noch lange fortführen. Und die sollen alle nicht in der Lage sein, mit einem Anselm Lenz oder Sucharit Bhakdi ein kritisches Interview zu führen? Weil die Gefahr zu groß ist, dass sie dort „Verschwörungsbehauptungen“ (Kruse) aufstellen? – Das Risiko kann der öffentlich-rechtliche Rundfunk getrost eingehen. Denn dafür hat er den Fakten-Checker Plasberg, den Fakten-Finder Patrick Gensing. Und wenn das noch nicht reicht, machen die Magazine „Panorama“, „Fakt“ und „Monitor“ noch eine kritische Nachberichterstattung. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat alle Kapazitäten der Welt, um „Corona-Leugner“ und „Verschwörungsgläubige“ ins Studio einzuladen, ohne dass auch nur die geringste Gefahr besteht, dass ein(e) ZuschauerIn am Ende einer unwissenschaftlichen These Glauben schenkt. Das Einzige was fehlt, ist der Mut. Dann lieber 12 mal Karl Lauterbach einladen, das ist auf Nummer sicher. Erreicht man damit die Leute, die relativierenden Ärzten wie Bhakdi glauben? – Genau sagen kann ich das nicht, ich sehe aber inzwischen auf Bhakdis Corona-Buch ein rotes Etikett: „SPIEGEL-Bestseller Platz 1“.

Ich verstehe die Kritikpunkte an dem DLF-Interview mit Anselm Lenz, doch auch dort höre ich beim Moderator eine kritische journalistische Haltung raus. Und die wäre, da bin ich mir relativ sicher, auch noch viel mehr zur Geltung gekommen, hätte er mehr Zeit für das Interview gehabt. Michel Friedman hat mit Horst Mahler zwei Stunden gesprochen, wir haben hier mit Ken Jebsen vier Stunden diskutiert. Ja, es kostet Zeit und Mühe, aber die kann sich m.E. lohnen.

„Michel Friedmans mutiges Gespräch gibt notwendige Einblicke in die Abgründe, mit denen sich diese Gesellschaft auseinandersetzen muss“ schrieb damals Ulf Poschardt. Dem würde ich zustimmen.

Mein Kollege Adrian Arab und ich sind natürlich meilenweit von Friedmans Niveau entfernt, doch gab es m.E. auch bei unserem Gespräch mit Jebsen einen Punkt, wo wir aufzeigen konnten, an welcher Stelle Jebsens Theorien frag-würdig werden.

Der DLF hat sein Interview mit Lenz damit begründet, dass es „die Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist, alle Seiten eines Diskurses abzubilden“. Dem stimme ich zu. Es könnte im Übrigen auch taktisch klüger sein, mit jenen Leuten im Dialog zu bleiben, die die Regierungslinie in Sachen Corona anzweifeln, anstatt sie auszugrenzen. So sagte hier unlängst im Kontaktschuld-Interview X.Y. Folgendes:

„Es ist einfacher, in der Bevölkerung ein Verständnis für die Maßnahmen zu erreichen, wenn ich die verschiedenen Positionen an einem Tisch habe und darüber diskutiere. Dadurch kann sich jeder eine Meinung bilden und am Ende verstehen, warum die Regierung so handelt, wie sie handelt. Wenn ich aber bestimmte Positionen aus dem Diskurs ausschließe, sie obendrein als „Corona-Leugner“ brandmarke, dann wächst der Zweifel bei Mediennutzern. Die Positionen und die entsprechenden Realitäten sind ja trotzdem da. Man muss sich dafür nur mit seinem Arzt unterhalten oder mit Leuten, die bei einer Krankenkasse arbeiten. Für die Menschen ist es dann schwer zu verstehen, warum das nicht im ZDF zu hören ist – und sie gehen zum Beispiel zu Kenfm, um sich ein Interview mit Bhakdi anzuschauen. Ich denke grundsätzlich, dass der Dialog der richtige Weg ist.“

Ich verstehe auch vieles nicht, was und warum Anselm Lenz es in seiner Zeitung publiziert. Wie er eine Bedrohung der Demokratie wahrnimmt und hochjazzt, die ich persönlich so nicht wahrnehme. Aber dann sehe ich da zumindest auch noch zwei andere Punkte: Eine klare Distanzierung von Rechts („Von Anfang an eindeutig und ohne jeden Zweifel: Gegen Nazis! Gegen üble Geschichtsrevisionisten!“) und den regelmäßigen Abdruck des Grundgesetzes. Ich kann jeden verstehen, der es ablehnt, einem Nazi wie Horst Mahler eine Bühne zu geben. Aber mit so jemandem wie Anselm Lenz soll ein Dialog unmöglich sein? Ist das alles wirklich so gefährlich, dass ein taz-Autor öffentlich dazu aufrufen muss, seinen früheren Redaktionskollegen aus den Medien auszugrenzen?

++++

Übrigens, zum Thema Verschwörungsgläubige: Man kann auch mit ‚Flatearthern‘ Interviews führen, beweist Holger Kreymeier.

5 Kommentare zu “„Soll“ man Interviews mit „Verschwörungsideologen“ führen?”

  1. Timo Rieg |

    Viele Journalisten sollten wohl einfach mal wieder das Nachrichtenschreiben üben. Soviel Unfug, den ich jeden Tag vor Augen und Ohren bekomme, gründet allein im Unvermögen, eine Nachricht zu formulieren.
    Das hätten sowohl Rainer Brandes als auch Jürn Kruse machen sollen, mit dem Material, das ihnen Anselm Lenz geliefert hat. Ich wäre wirklich gespannt.
    Danach erst käme die Frage, ob diese Meldung irgendeine Relevanz hat. Und wenn nicht: ob der Interviewte oder der Interviewer zu langweilig war. Und danach die Frage, ob Lenz nicht (wenigstens) Themen bzw. Stichpunkte geliefert hat, zu denen recherchiert werden sollte. Und ja, die hätte es gegeben, und nein, ganz sicher nicht der unendlich von den Medien selbstgerecht angeführte Gates’sche Microchip.
    Einfach mal wieder „sagen, was ist“. Was u.a. verlangt, Meinungen nicht für Fakten zu halten (was durchgängig geschieht). Könnte irgendein Intensivmediennutzer z.B. eine brauchbare Meldung über die Demo „Das Ende der Pandemie – Der Tag der Freiheit” vor zwei Wochen in Berlin schreiben, gerne unter Zuhilfenahme aller journalistischen Medienarchive? Oder über die entsprechende, sehr kleine Demo eine Woche später in Stuttgart? Ich könnte es nicht. Von der ersten habe ich einen völlig surrealen „Streit“ um die Teilnehmerzahl sowie eine Einschätzung von Dunja Hayali mitbekommen, von der zweiten den Jubel über Florian Schroeders Verständnis von Meinungsfreiheit. Aber selbst für eine ganz kurze Meldung würde es nicht reichen, weil jede Information ertränkt wird in „Haltung“, „Einordnung“, „Framing“ etc. Ausführlich am Beispiel SPIEGEL gezeigt.
    https://www.spiegelkritik.de/2020/08/05/corona-journalismus-zerrspiegel-einer-demo/
    Ich hoffe, Jürn Kruse antwortet hier noch auf den ausführlichen Kommentar von Jakob Buhre – so von wegen Dialektik.

    Antworten
  2. Ritter der Nacht |

    Kruse kommt ja zu dem Schluss, dass ein derartiges Interview nutzlos sei, weil es keinen Erkenntnisgewinn gebe. Und da würde ich mich erst einmal anschließen. Ebenso wie das verlinkte Interview mit dem Flatearther hat es für mich einen gewissen Unterhaltungswert, was aber schwerlich der Anspruch sein kann. Insofern würde ich doch noch mal bei Ihnen nachfragen, wo genau Sie entweder einen Erkenntnisgewinn (und für wen) oder auch einen ganz anderen Nutzen bei so einem Interview sehen.

    Antworten
    1. Weihnachten |

      Genau das wollte ich auch eben schreiben, ich stimme Ritter der Nacht vollkommen zu: Ich hab mit großem Interesse auf das Interview mit einem Flatearther geklickt, aber nach dem Ansehen verstehe einfach nicht was das soll. Es wird zwar nachgefragt, aber nicht besonders kritisch und wenn der Interviewte dann das Thema wechselt, statt sich der Nachfrage zu stellen, geht der Moderator meistens mit. Widersprochen oder explizit konfrontiert wird nicht.

      Am Ende ist der Erkenntnisgewinn gleich null, es hat nicht mal ein richtiger Austausch stattgefunden. Und in den Kommentaren ergeht sich die Meute in Belustigung über den Typen. Was bringt das denn?

      Antworten
    2. Jakob Buhre Artikelautor|

      Hallo Ritter, danke für deinen Kommentar.
      Kruse kommt nicht allein zu dem Schluss,“dass ein derartiges Interview nutzlos sei“, sondern empfiehlt, GRUNDSÄTZLICH keine Interviews mit Verschwörungsideologen zu führen.
      In meinem Text mache ich deutlch, dass es sehr wohl solche Interviews mit Verschwörungsgläubigen gibt, die nutzlos oder gar kontraproduktiv sind, weil sie nicht mal im Ansatz versuchen, aufgestellte Behauptungen zu hinterfragen oder kritisch einzuordnen. Doch wir haben in Deutschland Dutzende hochbezahlte Top-JournalistInnen, die genau das können. Welchen Erkenntnisgewinn könnte das bringen? Man könnte herausfinden, woher die Leute ihre Theorien haben, wo haben sie sich radikalisiert, warum sind sie immun geworden gegen Fakten? Jemand wie Anselm Lenz wurde sehr wahrscheinlich nicht als Verschwörungsgläubiger geboren, er hat bis vor kurzem noch für die taz geschrieben. Wo ist der Punkt, wo das ganze bei ihm „gekippt“ ist? Genau das hätte ich mir von einem aktiven taz-Journalisten gewünscht, dass er das mal herausarbeitet. Stattdessen ruft er nun auf, den einstigen Kollegen zu boykottieren. Nun ja, kann man machen, wird uns aber m.E. beim Verständnis von Verschwörungsmythen und ihrer wachsenden Popularität keinen Deut weiterbringen.
      Neben dem Erkenntnisgewinn wäre dann natürlich auch die Einordnung/Korrektur/der Widerspruch ein Faktor: Ich vermute schon, dass jemand wie Sucharit Bhakdi heute weniger Bücher verkaufen würde, wenn man ihm auf offener Bühne widersprochen und ihn möglicherweise in Erklärungsnot gebracht hätte. Das hat der ÖRR aber abgelehnt, Bhakdi trifft daher auf andere Interviewer, die ihm gerne zustimmen und die ihm genügend Öffentlichkeit bieten, um sein Buch zum Bestseller zu machen.

      Warum habe ich nun das Flath Earth Interview eingebettet:
      Ehrlich gesagt, das war ein nicht gaanz so ernst gemeinter Zusatz. Ich habe Verständnis dafür, dass Kreymeier da keinen Fakten-Check eingebaut hat, weil ich auch der Ansicht bin, dass 99,99 Prozent der Zuschauer den bei dieser Theorie nicht brauchen. Wobei er an der Stelle wo es um die Bibel geht, tatsächlich eine Quelle einblendet, die das Gesagte widerlegt.
      Erkenntnisgewinn? Könnte höher sein, ja, das Video ist allerdings auch nur die gekürzte Fassung (die Langfassung kenne ich nicht). Ich weiß jetzt zumindest, wie so ein Flat Earther seine Theorie herleitet und welche dicken Bretter er da konkret für verbiegt. Und ich weiß jetzt, dass diese Theorie am Ende auf eine andere Verschwörungstheorie zurückgeht, nämlich, dass es da mal wieder die bösen Konzerne/Eliten/Politiker gibt, die uns etwas verheimlichen, um Reibach zu machen. Ich sehe da jemanden, der komplett das Vertrauen in staatliche Autorität verloren hat. Ich denke, so ein Einblick kann u.U. bei der Frage helfen, wie man solche Leute in Zukunft eben nicht mehr an obskure Theorien aus dem Netz verliert.

      Antworten
  3. Arndt |

    Vielen Dank für Ihren Kommentar zu der Übermedien-Kolumne. Nachdem ich den Text von Kruse vorhin gelesen habe, war ich davon enttäuscht. Daher freut es mich umso mehr, dass Sie hier Stellung beziehen und eher das Gespräch als das Interview mit kontroversen Gästen vorschlagen. Und dass Sie auch Ihr eigenes Selbstverständis und andere Beispiele erklären, wie man meinungspluralistisch arbeitet. Denn das Wichtigste ist wohl – besonders für die Öffentlich-Rechtlichen – auch andere Stimmen hörbar zu machen, wenngleich sie verpönt sind. Ansonsten wird mehr und mehr der Vorwurf von den Kritikern aufkommen, man „unterdrücke“ deren Meinung. Ich hoffe mal, dass Kruse Ihren Kommentar mitbekommt. Und vielleicht auch das Interview zum Thema „Kontaktschuld“ lesen wird, was ich nach Ihrem Kommentar hier auch direkt lesen musste! :)
    Viele Grüße

    Antworten

Kommentar schreiben

* Erforderliche Angaben. Emailadresse wird nicht veröffentlicht.