Peter Kruder und Richard Dorfmeister, unter dem Titel „1995“ habt ihr zum ersten Mal ein Album mit eigenen Original-Tracks rausgebracht, die allesamt 1995 entstanden sind und bisher unveröffentlicht waren. Wenn ihr euch zurückversetzt in diese Zeit, welchen Albumtitel hättet ihr damals gewählt?
Richard: Oh, keine Ahnung. Es war ja damals nie das Thema, die Tracks als Album zu veröffentlichen.
Aber wenn ihr eure Situation vor 25 Jahren mal in ein paar Worten beschreiben würdet…
Richard: Die Zeit bis 1995 war für uns die pure, jungfräuliche K&D-Zeit. Wir haben 24 Stunden am Tag im Studio verbracht und einfach nur für die Musik gelebt. Der Sampler, der Atari, das Wohnzimmer und wir – das war Bedroom-Producing in Reinkultur. Als es dann angefangen hat mit den Remixen, dem vielen Auflegen und Reisen hatten wir immer weniger Zeit für diese Art von Produktion.
Nun ist eine Pandemie für Musiker normalerweise der schlechteste Zeitpunkt, um ein Debüt-Album zu veröffentlichen. Ist es für euch, angesichts des Genres Downbeat, der günstigste Moment?
Peter: Ja, für uns ist das definitiv gerade die beste Zeit. Die Musik passt perfekt zu dem Zustand, den wir gerade erleben. Wir haben jetzt auch nicht so ein großes Problem wie viele andere Musiker, die mehr auf Live-Konzerte angewiesen sind. Natürlich wäre es auch für uns besser, wenn wir touren und die Platte promoten könnten. Das es jetzt anders gekommen ist, müssen wir akzeptieren und wir sind jetzt nicht traurig darüber.
Entstand die Idee zur Albumveröffentlichung erst durch die Pandemie?
Peter: Nein, die Idee dazu ist uns im September 2019 gekommen, als wir mal einen Tag lang alte Sachen von uns angehört haben – was wir sonst normalerweise nie machen. Da sind dann zufällig diese Tracks aufgetaucht. Die waren auch auf einem Whitelabel-Vinyl, das wir zehn mal haben pressen lassen, für uns selbst zum Auflegen und für ein paar Freunde. Das haben wir über die Jahre vergessen – und dann im September letztes Jahr wieder herausgeholt.
Habt ihr die Tracks für die Veröffentlichung nachbearbeitet?
Peter: Ein bisschen. Wir haben keine Musik neu produziert, aber die Aufnahmen, die von DAT-Kassetten kommen, editiert. Zum Teil hatten die ein paar Dropouts, um die wir herumschneiden mussten.
Musstet ihr noch für Samples, die ihr benutzt habt, Lizenzen einholen?
Dorfmeister: Ja, wir mussten ein paar Samples clearen. Zum Beispiel bei „Swallowed the Moon“, wo wir ein Sample von Antonio Carlos Jobim verwendet haben. Wir sind schon immer wahnsinnige Jobim-Fans und als wir in den 2000er Jahren in Brasilien waren, hat sich ein Kontakt zu seiner Ehefrau Ana Jobim ergeben, die wir auch persönlich getroffen haben. Das hat uns jetzt geholfen, denn normalerweise bekommt man bei Jobim grundsätzlich die Ansage, dass keine Samples freigegeben werden. Durch das Auffrischen des alten Kontaktes haben wir dann doch noch eine Zusage bekommen.
Früher galt für Veranstaltungen: je mehr Kontakt desto besser. Doch davon entwöhnen sich die Leute im Moment massiv.
Wie stabil war eure Technik damals, als ihr die Sachen produziert habt?
Peter: Der Atari war ein Wunderwerk der Computertechnik, der ist höchstens einmal im Jahr abgestürzt. Und die Sampler haben auch gut gehalten. Ich habe insgesamt vielleicht ein oder zwei Songs verloren, durch Stromausfall oder Ähnliches. Es war aber natürlich alles noch irrsinnig langsam. Wenn du auf ‚Speichern‘ gedrückt hast, hattest du erst mal genug Zeit, dir einen Kaffee zu kochen.
In den Jahrzehnten danach begann ein sogenannter „Loudness War“, sprich Tracks werden heute wesentlich lauter gemastert. Wie groß ist der Unterschied, wenn ihr heutige Produktionen mit euren Tracks von damals vergleicht?
Peter: Da hat sich schon Einiges verändert. Gegenüber unseren Tracks von damals sind heutige Sachen fünf bis sechs Dezibel lauter und sehr stark komprimiert. Früher hat man auch ein bisschen limitiert, um extreme Lautstärke-Spitzen einzufangen, aber ansonsten hat man das eigentlich so belassen.
Richard: Als vor etwa 15 Jahren der L2 rausgekommen ist, ein Limiter-Plugin, relativ erschwinglich, haben alle Produzenten angefangen, ihre Tracks bis zum Anschlag aufzupumpen. Sprich, man sieht im Frequenzbild kaum mehr Ausschläge, dafür fast nur noch komplette Balken, egal bei welcher Musik.
Was ist das Problem dabei?
Richard: Man killt dadurch ein Stück von der Musik, weil sie keine Dynamik, keine Lautstärken-Unterschiede mehr hat. Dazu kommt, dass in den letzten Jahren immer mehr mittig produziert wird, damit das bloß alle hören mit dem Handy. Unser Sound dagegen hat sehr viel Bass, ein paar Mitten und wenig Höhen.
Und ihr habt jetzt nicht die alten Tracks mit neuen Methoden ‚aufgepumpt’…
Peter: Nein. Wir haben das Soundbild so belassen, dann aber die Tracks von Bernie Grundmann mastern lassen, ein super Experte, der viele große Platten wie „Sign of the Times“ oder „Thriller“ gemastert hat.
1995 waren die meisten Menschen noch offline. Was hat das Internet im Hinblick auf die Clubmusik verändert?
Richard: Positiv verändert hat sich, dass heute jeder Zugriff auf alles hat. Früher war es ja so, dass nur eine begrenzte Zahl von Leuten an bestimmte Platten rangekommen ist – solche Limitierungen sind jetzt weg. Man braucht jetzt nur noch die Information, dass der Track existiert. Und da liegt vielleicht heute der Hund begraben: der Austausch von Information ist jetzt ein anderer. Während man damals klar wusste, in welchen Medien man nachschauen musste, ist heute alles sehr breit gestreut.
Kruder: Das Plattengeschäft hat sich dahin entwickelt, dass die Labels als Qualitätsfilter ausgefallen sind, weil heute einfach jeder sein eigenes Label macht. DJs wie wir kriegen jeden Tag zig Mails mit neuen Tracks – sich da durchzuhören ist kaum möglich.
Da heute so viel Musik produziert wird: Ist es schwierigerer geworden, als Produzent einen unique Sound, eine unverwechselbare Handschrift zu haben?
Richard: Ich glaube nicht. Entweder man hat einen eigenen Sound oder nicht.
Es gibt eine Art von Beat – sagen wir House, Drum and Bass, oder HipHop – aber das musikalische in diesem Muster ist deine Persönlichkeit und die Art, wie du Musik machst. Du solltest nicht versuchen, wie jemand anderes zu klingen, einen bestimmten Sound nach zuproduzieren. Wir produzieren eigentlich nur in unserem Stil, das macht am Ende vielleicht das Unverwechselbare aus.
Als „Kruder & Dorfmeister“ habt ihr zuletzt 2010 den Track „Aikon“ veröffentlicht und seit der Jahrtausendwende gab es keine neuen Remixe mehr…
Kruder: …ja, den letzten Remix als K&D haben wir für Madonna gemacht, 1998.
Wie oft habt ihr in den letzten 20 Jahren Musik produziert und wieder verworfen?
Richard: Wir haben schon viel gemacht, zum Beispiel Musik, die wir in unseren Live-Shows verwenden. Eigentlich entsteht permanent Musik, nur nicht unter dem Namen K&D.
Christian Prommer erzählte mir im Interview von einer Album-Produktion im Jahr 2012. Woran lag es, dass ihr das nicht veröffentlicht habt?
Kruder: Es ist einfach nicht fertig gestellt worden. Es war zu jung und noch nicht abgehangen genug. Teile davon sind weiter in Arbeit… – da muss man schauen, wann es reif ist und passt. Die Tracks müssen noch ein paar Runden drehen, bevor die raus dürfen. (lacht)
Es liegt also nicht an einem hohen Erwartungsdruck von außen, dass ihr als K&D lange nichts veröffentlicht habt?
Kruder: Nein. Den größten Druck machen wir uns selbst, wir haben einen sehr hohen Anspruch. und wenn wir dann mal glücklich sind mit einem Track, werden auch die Leute glücklich sein.
Dorfmeister: Wir haben nie das gemacht, was die Leute von uns erwartet haben. Beim Auflegen, wenn die Leute dachten, wir spielen Downbeat, haben wir harten Drum’n’Bass aufgelegt. Das fanden die Leute zuerst komisch, aber dann auch gut.
Wir haben auch nie eine „K&D Sessions Volume 2“ gemacht. Weil wir keine Wiederholung wollten.
Was würde heute ein K&D-Remix kosten?
Kruder: Unbezahlbar. Wir machen keine mehr.
Dorfmeister: Damals zwischen 1995 und 2000 war das Pop, das war spannend, eine Entdeckungsreise. Für Depeche Mode einen Remix machen, super, so eine virtuelle Kooperation. Man konnte auch ein Musikstück interessanter machen, wie zum Beispiel „Trans Fatty Acid“ von Lamb.
Kruder: Remixe hatten damals auch eine viel größere Aufmerksamkeit, es wurde zum Teil sogar auf Plakaten angekündigt, dass Produzent X einen neuen Remix von Y gemacht hat und dann war man wahnsinnig gespannt, was der nun wieder gezaubert hat. Heutzutage ist ein Remix vollkommen egal.
Dorfmeister: Da funktionierte die Plattenindustrie ja auch noch, es gab Budget für Artwork, für tolle Grafiker, die involviert waren, und man wollte die eine Platte dann auch unbedingt haben. Die Major-Labels hatten so fette Kriegskassen, dass genug Geld da war für ein Dance-Department, so dass die ordentlich produzieren konnten.
Man liest aber auch immer wieder, dass ihr Remix-Anfragen abgelehnt habt, zum Beispiel von U2 oder David Bowie. Welche Songs wären das gewesen?
Kruder: Bei U2 weiß ich es nicht mehr, bei David Bowie war es „I’m Afraid of Americans“. Ich bin der größte Bowie-Fan der Welt, aber dieser Song hat mich nie wirklich mitgenommen. Wir haben dann sein Label gefragt, ob wir nicht einen anderen Song nehmen können und es gab die Idee, „Seven Years in Tibet“ zu remixen. Das hätten wir sehr gerne gemacht, doch dann hat Bowie den Song zusätzlich in einer anderen Sprache aufgenommen, weshalb die die Plattenfirma dann meinte, sie bräuchten keinen Remix mehr.
Dorfmeister: Bei Sade haben wir eine Remix-Anfrage zu einem Song von ihrem Album „Lovers Rock“ abgelehnt. Wir fanden die früheren Sachen von ihr wirklich fesselnd, aber das war nur so ein Plätscher-Popsong. Und klar haben die Leute zu uns gesagt: „Seid’s irre, dass ihr so ein Angebot ablehnt?“ – Wir waren damals aber sehr viel unterwegs und extrem wählerisch, egal ob der Song jetzt von einem Superstar war oder nicht. Wenn er uns nicht inspiriert hat, haben wir gesagt: Nein, wir machen stattdessen lieber was Anderes.
Und wenn euch U2 heute fragen würde?
Kruder: Nein. Wir würden U2 produzieren, das ist der interessantere Job.
Dorfmeister: Das wäre eine Herausforderung.
Kruder: Und Track-Ideen hätten wir genug.
Habt ihr als K&D schon andere Künstler produziert?
Dorfmeister: Ja, Waldeck, bei seinem ersten Album. Ansonsten war nie die Zeit dafür, weil wir permanent unterwegs waren. Sechs, sieben Wochen am Stück mit einem Künstler zu arbeiten, wäre undenkbar gewesen.
Kruder: Falco wollte, dass wir sein Album produzieren.
Dorfmeister: Deswegen haben wir ihn auch getroffen, kurz bevor er gestorben ist. Das war ein legendärer Abend bei ihm zuhause. Ich habe, glaube ich, drei Sätze an dem Abend gesagt, weil er ein so charismatischer Redner war. Und er hatte einen unglaublich guten Schmäh…
Kruder: Er hat uns damals die Songs vom Album „Out Of The Dark“ vorgespielt, die aber eigentlich schon super waren, da brauchte es uns nicht. Wir haben allerdings vereinbart, dass er auf einem Track von uns Bass spielt. Dazu ist es dann leider nicht mehr gekommen.
Ihr geltet als Pioniere des Downbeat. Wie entstand dieser Stil?
Dorfmeister: Diese Entdeckung der Langsamkeit war damals nicht geplant. Es war eher eine unbewusste Reaktion auf die damalige, in Wien ziemlich harte Techno-Szene. Und es war ein Mix von Einflüssen und Musikstilen aus unserer Plattensammlung. Der Sampler hat es möglich gemacht, mit kleinen Schnipseln jede Art von Einfluss zu kombinieren. Wir haben damals auch viel HipHop-Instrumentals gehört. So hat sich irgendwann dieser Sound ergeben.
Eure Compilation „K&D Sessions“ ist ein zeitloser Klassiker, diverse Male neu gepresst. Was macht diese Zeitlosigkeit aus?
Kruder: Auf jeden Fall spielen die Beats eine Rolle. Es ist bei uns eigentlich immer klassisches Schlagzeug, das man hört, das hat eine gewisse Zeitlosigkeit, weil es nicht modern klingt. In 80ern zum Beispiel hat man Snare-Drums mit sehr viel Hall verwendet, das kann man jetzt eindeutig als 80er-Jahre-Musik identifizieren.
Dorfmeister: Ich glaube auch, dass eine Rolle spielt, dass wir kaum Vocals verwendet haben. Es sind eigentlich alles Instrumental-Tracks, mehr oder weniger. Ich selbst liebe auch solche Alben, wo sich niemand vordrängt und wichtig macht mit einer ‚tollen‘ Vocal-Idee.
Kruder: Dabei habe ich so eine super Stimme. (lacht) Aber Richard hasst Stimmen.
Dorfmeister: Ich hasse diese normale Art, Verse, Bridge, Refrain – da wird mir schlecht. Daft Punks Vocoder-Stimmen in „Harder Better Faster Stronger“ lasse ich mir noch einreden, als Pop-Idee, das hat eine Art Charme. Und „Get Lucky“, ja da kann man nicht dran rütteln, denn es geht kaum besser. Aber wenn ich mir den Song öfter anhöre, würde ich mir eigentlich weniger Vocals wünschen.
Wo bräuchte es heute eurer Meinung nach mehr Entschleunigung?
Kruder: Wie viel Zeit haben wir? (lacht)
Dorfmeister: Da geht es ja schon los, bei der Interviewzeit, die ist begrenzt, weshalb man oft nicht dazu kommt, all das zu sagen, was man wollte. Für uns hat Zeit spätestens ab 1995 eine extreme Rolle gespielt, man war in diesem Korsett, das einen zusammenschnürt. In den Jahren davor war das anders, da waren wir völlig auf den Sound fokussiert, haben produziert, egal ob es 3 Uhr nachts oder 8 Uhr morgens war – Zeit hat keine Rolle gespielt.
Manchmal versuche ich mich heute nochmal in so einen Zustand zu versetzen, andererseits weiß ich genau, dass das eine Illusion ist.
Kruder: Es gibt am Handy ja diese Anzeige, wie viel Zeit du das Gerät genutzt hast. Da bin ich jedes Mal schockiert, wie viel Zeit man täglich damit verschwendet. Weil einen diese digitale Welt, komplett übernommen hat. Früher hat man im Studio gesessen und Beats gemacht, es gab Zeitschriften und der Fernseher hatte sechs Programme. Das war die einzige Ablenkung, die es gab.
Kommt euch also die Entschleunigung in der jetzigen Pandemie-Zeit entgegen?
Kruder: Ja, absolut. Ich habe mir vor kurzem mein Studio zuhause aufgebaut, dort arbeite ich jeden Tag, kontinuierlich – da hat sich ein guter Arbeitsrhythmus eingestellt hat. Ich war schon lange nicht mehr so fokussiert im Musikmachen wie jetzt.
Dorfmeister: Wir haben das nicht mehr so gekannt, weil wir eigentlich 25 Jahre on Tour waren, alleine oder als Duo und in den letzten zwei, drei Jahren mit der Live-Show.
Ist es jetzt bei euch kein DJ-Set mehr?
Kruder: Genau, wir arbeiten auf der Bühne mit Ableton, spielen Songs gemeinsam, der eine spielt Beats, der andere legt Akkorde drüber, oder umgekehrt…
Dorfmeister: Unsere Show ist jetzt viel mehr durchstrukturiert, geprobt, abgestimmt mit den Visuals. Das ist jetzt nicht mehr ‚Komm wir legen ein paar Platten auf‘.
Inzwischen spielt ihr auch weniger in Clubs, sondern seid im Burgtheater, im Wiener Konzerthaus oder in der Berliner Philharmonie aufgetreten.
Dorfmeister: Unsere Fans sind ja auch nicht mehr die Jüngsten. Trotzdem wollen die noch das Clubgefühl haben. Also haben wir gesagt: Wir ziehen die Show vor, auf 21 Uhr. Da kann man vorher essen gehen und nachher ist es noch nicht zu spät, für diejenigen, die noch weiter machen wollen. Das hat sich in den letzten Jahren bewährt.
Kruder: Und wir haben angestrebt, in möglichst schönen Locations zu spielen. Das Publikum fühlt sich da wohl und für uns ist es spannend. Zum Beispiel waren wir 2019 zum ersten Mal im Berliner Funkhaus, wo die Leinwand auf der Bühne so groß war wie noch bei keiner anderen K&D-Show. Und ein paar Monate später kam dann die Berliner Philharmonie.
Dorfmeister: Der Anspruch an uns selbst wird immer höher. Jetzt nochmal in einer normalen Mehrzweckhalle auftreten – das verstehen wir nicht mehr und unser Publikum wahrscheinlich auch nicht. Wir suchen jetzt eher nach besonderen Locations mit einer intimen Atmosphäre, die unser Sound auch braucht.
Kruder: Ich finde es auch gut, dass man Häuser wie das Burgtheater oder die Philharmonie mit solcher Musik erobern kann, denen einen neuen Zweck gibt. Die Leute haben bei uns in der Philharmonie getanzt – und nicht dagesessen, um sich eine Sinfonie anzuhören.
Aber was ist mit Fans, die euch nochmal im Club erleben wollen?
Kruder: Unser letzter Gig vor der Pandemie war im Londoner Fabric. Das war ein acht-stündiges DJ-Set, also auch eine große Herausforderung. So etwas würden wir vielleicht noch mal machen. Aber es gefällt uns eigentlich besser, wenn wir die Bühne vollkommen selbst bestimmen können, wenn wir dem Raum unsere individuelle Note geben können. Im Club kannst du meistens nur die Beleuchtung einstellen und das war’s.
Ist es für euch noch wichtig, dass die Leute tanzen?
Kruder: Wir haben ja mehrmals in bestuhlten Sälen gespielt. Da sind die Leute nach der ersten Nummer aufgestanden und haben getanzt. Also, wir wollen schon, dass die Leute sich bewegen.
Dorfmeister: Was mir allerdings im Moment Sorgen macht: Diese ganzen Veranstaltungen der letzten Jahrzehnte sind auf Nähe und Enge aufgebaut, je mehr Kontakt desto besser. Doch davon entwöhnen sich die Leute im Moment massiv, es wird viel mehr als selbstverständlich erachtet, dass man Abstand hält. Ich weiß nicht, wie viele Jahre es dauern wird, bis sich dieser Abstand wieder effektiv reduziert und die Clubs wieder halbwegs funktionieren.
Wie steht ihr zu Online-Musikevents?
Kruder: Vielleicht sind in 20 Jahren virtuelle Konzerte etwas ganz normales. Dann wird es auch neue Definitionen geben, wie so etwas stattfindet. Im Moment sehe ich da noch viele Streams, wo virtuell versucht wird, eine Bühnensituation darzustellen – so etwas finde ich schwachsinnig.
Dorfmeister: Vielleicht kommt man irgendwann dahin, dass hinter den Musikern alle Zoom-Teilnehmer auf eine Leinwand projiziert werden. Die sind dann alle dabei, aber eben virtuell. Wenn die Pandemie noch länger andauert, wird man solche Formate entwickeln müssen. Wobei die Zuschauer dann auch bereit sein müssen, dafür zu zahlen, denn als Künstler musst du ja trotzdem die Lightshow produzieren, Kameraleute bezahlen etc.
Wenn ihr nun an einem Ort wie dem Burgtheater spielt, könnt ihr dann mit der Unterscheidung zwischen Hochkultur und Pop noch etwas anfangen?
Kruder: Nein. Das sind alte Kategorien. Die Hochkultur muss sich dringendst erneuern, nichts ist verstaubter als die Hochkultur. Wir leben in Wien ja sozusagen im Epizentrum der Hochkultur – und die suchen händeringend nach Neuem. Weil ihnen irgendwann das Publikum wegstirbt.
Dorfmeister: Wenn immer die alten Schinken gespielt werden… Selbst wenn es modern inszeniert wird, gucken die Leute nach fünf Minuten wieder aufs Handy, weil es das spannendere Medium ist.
Kruder: Ich gehe schon noch in die Oper, aber der Erneuerungsbedarf ist dort einfach extrem. Diese ständige Wiederholung desselben Stoffes – als würde man zum tausendsten Mal einen Remix von „La Traviata“ produzieren. Das Bühnenbild stellt es vielleicht noch in einen anderen Kontext, aber wirklich Neues passiert nicht.
Ihr habt 1998 Madonnas „Nothing Really Matters“ geremixt. Vor ein paar Jahren sprach ich mit ihrem damaligen Produzenten William Orbit, der sagte, er könne nicht verstehen warum „so viel schreckliche Popmusik im Radio läuft, wo es doch so viel bessere Musik gibt.“ Wie seht ihr das?
Dorfmeister: Wenn wir in Wien mit dem Taxi fahren, und dort Kronehit Radio läuft, spätestens nach 2-3 Minuten fragt dann einer von uns den Fahrer: Können wir nicht umschalten?
Kruder: Ich habe vor kurzem ein Interview mit Jim Morrison gesehen, in dem er sich darüber beklagte, dass die Radiostationen immer nur die gleichen 35 Songs rauf und runter spielen. Und er meinte: Wenn die Leute es oft genug hören, werden sie es mögen. Und wenn oft Müll läuft, werden sie auch diesen Müll mögen. – Das hat er damals schon gesagt und das hat sich bis heute überhaupt nicht geändert. Heute haben wir außerdem tausendfach Formatradio-Sender mit computer-generierten Playlists, wo es nie jemanden gibt, der das kuratiert. Sondern der Sender kauft das Programm Top50 ein, und dann werden die Top50 Tag und Nacht gespielt.
Dorfmeister: Es gibt Ausnahmen, wie bei uns FM4 oder Superfly. Aber ansonsten hört man leider sehr viel diesen Tagespop, wie er sich in den letzten Jahren entwickelt hat. Sehr mittelastig, alles hat die gleiche Songstruktur….
Aber wie erklärt sich das?
Kruder: Es gibt Plattenfirmen, die Geld hineinstecken. Wenn ich mir die Billboard-Charts angucke: Jedes Madonna-Album, egal wie schlecht es ist, wird Nummer 1, genauso Taylor Swift. Es wird eben massiv promotet.
Dorfmeister: Allerdings, wenn wir von Einheitspop reden, da gibt es zwischendurch auch die Leute, die sehr viel verändern. Drake zum Beispiel, das zweite Album, da hat er auf einmal ganz neue Dinge gemacht, das hatte diesen deepen, eigenartigen Down-Sound, der dann ganz viele andere Künstler beeinflusst hat und der auch irgendwann auf den Formatradio-Stationen lief.
Zum Abschluss habe ich drei Songs rausgesucht, die 1995 in Österreich auf Platz 1 waren: Rednex – Cotton Eye Joe, Scatman John – Scatman und Coolio – Gangsta’s Paradise. Welchen davon würdet ihr remixen?
Kruder: Am ehesten wohl noch Coolio.
Dorfmeister: Wobei mir die Nummer schon damals nicht gefallen hat.
Kruder: Gut, dann nehmen wir „Cotton Eye Joe“. Allerdings würden wir den 500 mal langsamer abspielen, so dass der Song zwei Stunden dauert – und dann legen wir alle vier Minuten eine Bassdrum drüber.
Vielen Dank! Ich habe sie damals in den 90ern gehört und kehre immer wieder zu ihnen zurück. Deutsche Elektronik ist einfach die beste, andere haben es einfach nicht drauf. Ich kann sie während der Arbeit laufen lassen, ohne genervt zu sein, wie von all dem anderen Zeug.