Steffen, du hast dein Album „Under Darkening Skies“ im Jahr 2020 produziert. War das so geplant oder hast du aus der Corona-Not eine Tugend gemacht?
Steffen Linck: Das war schon vorher geplant, ich hatte mir für 2020 ohnehin einen Zeitraum für die Albumproduktion geblockt. Allerdings hatte ich viel zu wenig Zeit eingeplant – insofern war ich zunächst glücklich, dass ich noch länger im Studio bleiben konnte.
Und wie lange hielt die Freude über die gewonnene Zeit an?
Linck: Drei, vier Monate. Die Arbeit am Album hat mir geholfen, nicht in ein Loch zu fallen. Auch weil ich mir für das Abmischen mit meinem Co-Produzenten einen festen Stundenplan gemacht habe. Als wir aber damit fertig waren, habe ich gespürt, dass es schwierig ist, die Motivation zu behalten, wenn man nicht weiß, für wen man das überhaupt noch macht und wann man wieder auftreten kann.
Hast du auch Gigs ohne Publikum gespielt?
Linck: Ja, drei oder vier, einen davon auf dem Berliner Fernsehturm. Wenn da ein paar Leute vom Team dabei sind, die tanzen, ist es schön, dann hat man auch in kleiner Runde Spaß. Wenn man aber völlig allein im Raum ist, kann es schon frustrierend sein. Man spielt dann eben nur für und mit sich selbst.
Wie lange kann sich die Situation noch zuspitzen, wann kommt ein richtig fettes Gewitter runter?
Viele Künstlerinnen und Künstler haben sich über zu geringe finanzielle Unterstützung während der Corona-Pandemie beklagt. Wie war es bei dir?
Linck: Zuerst war ich etwas pessimistisch, als die Ansage kam, dass als Bemessungsgrundlage für Corona-Hilfen nur im Inland generiertes Einkommen zählt. Ich spiele ja hauptsächlich im Ausland. Doch dann habe ich sehr gute Hilfen bekommen, es hat bei mir also tatsächlich gut funktioniert. Allerdings habe ich auch den Vorteil, dass ich im privaten Umfeld eine Steuerberaterin habe.
Hat sich die Corona-Zeit stimmungsmäßig auf dein Album ausgewirkt?
Linck: Ja. Als ich mit dem Album anfing, kam ich gerade von Live-Shows mit sehr hohem Energie-Level und hatte vor allem den Drang, Musik für den Dancefloor zu machen. Als dann die Corona-bedingte Pause kam, hatte ich mehr Lust, an langsameren Songs zu arbeiten, die weniger Richtung Party gehen. Deshalb sind es jetzt auf dem Album diese zwei verschiedenen Stimmungspole.
Wenn du singst „We are under darkening skies“ – ist das mehr spontane Poesie oder Ausdruck eines konkreten Gedankens?
Linck: Zum einen war dies der Track, mit dem ich 2018 meinen ersten Auftritt auf dem „Fusion“-Festival begonnen habe. Das war eine intensive Erfahrung, weil damals quasi parallel zu diesem Song der Himmel zuzog, Regen und Gewitter einsetzten – und am Ende die Wolken wieder aufbrachen und die Sonne schien.
Zum anderen umschreibt der Titel ein Gefühl, das mich seit ein paar Jahren begleitet, in Bezug auf die gesellschaftliche Lage, den Klimawandel, in Bezug auf die rasanten Veränderungen, die wir erleben. Wo man sich fragt: Wie lange kann sich die Situation noch zuspitzen, wann kommt ein richtig fettes Gewitter runter? Man sieht, dass sich am Horizont etwas zusammenbraut, man weiß aber noch nicht: Ziehen diese Wolken an uns vorüber, oder steht uns ein heftiger Sturm bevor.
Du textest viel in Metaphern. Gibt es Momente, wo du dich gerne eindeutiger ausdrücken würdest?
Linck: Ich denke tatsächlich manchmal, dass es schön wäre, mehr über Metaphern hinaus zu kommen. Dass ich es nicht tue, hängt vielleicht mit der Art und Weise zusammen, wie ich Songs schreibe. Ich suche mir nicht vorher ein konkretes Thema, sondern schreibe lieber intuitiv, singe drauflos, nehme das auf, höre es mir an… Manchmal bin ich selbst überrascht von bestimmten Zeilen, die so entstehen. Die kommen dann wahrscheinlich eher aus dem Unterbewusstsein und sind nicht das Ergebnis von logischer Kombination.
Es gibt aber auch immer wieder Phasen, wo ich mir andere Songwriter anhöre, bei denen es mir gut gefällt, wenn es im Text sehr ehrlich und direkt wird.
Wäre dafür denn in deinem Genre Platz?
Linck: Ich denke schon. Man setzt sich ja selbst die Schranken, in denen man sich bewegen will. Wobei es in elektronischer Musik in der Tat nicht unbedingt üblich ist. Da geht es oft um Textphrasen, die nicht all zu viel aussagen, damit sie dich nicht beim Tanzen stören.
Geht es dir bei deinen Vocals auch manchmal mehr um Lautmalerei als um Textinhalt, sprich dass eine Zeile eher nach etwas klingt, als dass sie etwas bedeutet?
Linck: Der Klang spielt auf jeden Fall eine Rolle. Ich habe das Gefühl, dass die Emotionalität eines Songs oder einer Melodie sehr stark mit der Phonetik der Wörter zusammenhängt. Da fügen sich bestimmte Wörter besser ein als andere. Deswegen wäge ich schon ab: Welches Wort klingt gut an einer bestimmten Stelle und welches hätte die bessere Aussagekraft? – Oft entscheide ich mich dann eher für den Wohlklang als für ein Wort welches die Linie brechen würde. Das ist aber natürlich von Fall zu Fall unterschiedlich.
Ist der Wohlklang auch ein Grund, warum du nicht auf Deutsch singst?
Linck: (lacht) Nein, ich mag deutsche Musik gerne, ich habe auch ein paar Songs auf Deutsch geschrieben. Allerdings bin ich ursprünglich zum Musikmachen gekommen, weil ich die englischsprachige Singer-Songwriter-Kultur für mich entdeckt habe und dann Teil dieser internationalen Community sein wollte. Ich hatte Lust, mit Musik zu reisen – da war es gar keine Frage für mich, dass ich auf Englisch singen werde.
Ich habe schon mal darüber nachgedacht, dass es vielleicht ganz schön wäre, etwas Deutsches auf meinen live Shows zu haben. Bisher hat es sich bei mir einfach noch nicht ergeben. Es wäre interessant, das auszuprobieren, denn wahrscheinlich ist das im Moment noch eine Lücke.
Ich habe gelesen, dass du früher von Künstlern wie Bob Dylan, Neil Young oder Leonard Cohen inspiriert warst. Spielen die heute noch eine Rolle für dich?
Linck: Ja, auf jeden Fall. Ich habe auch gerade ein Buch über die Beatles gelesen, die Memoiren ihres Toningenieurs Geoff Emerick („Here, There and Everywhere“), der darin erzählt, wie sie in den Abbey Road Studios die großen Alben aufgenommen haben. Daraufhin habe ich wieder sehr viel Beatles gehört und bin davon inspiriert. Ich denke, bei diesen Altmeistern gibt es so viel Substanz, darauf kann man immer wieder zurückgreifen.
Im Gegensatz zu den ‚Altmeistern‘ bewegst du dich in deiner elektronischen Musik in einem Loop-Schema, das auf Wiederholung basiert; ein Song hat von Anfang bis Ende das gleiche Tempo. Fühlst du dich manchmal eingeengt durch diese Struktur?
Linck: Ich mag den Loop als Struktur schon sehr gerne. Dieser Wiederholungsaspekt ist ja auch eins der Dinge, durch das meine meine Faszination für elektronische Musik entstanden ist: dieses Hypnotische, wodurch man in Trance-artige Zustände kommen kann.
Es stimmt aber, dass ich mich auch mal eingeengt fühle, wenn ich im Kontext von Partys auftrete. Denn da musst du schon mutig sein, um auch mal einen Song im langsamen Tempo zu spielen, ich überlege mir da sehr genau, welchen ruhigen Song ich nehme.
Von diesem Party-Kontext bewege ich mich momentan auch etwas weg, weil ich eben genau das vermisse, künstlerisch ein bisschen expressiver und experimenteller sein zu können. Deshalb plane ich für die nächste Zeit auch mehr Konzerte bzw. Konzert-Tourneen.
Wirst du dann allein auf der Bühne spielen?
Linck: Nein. Auf der letzten Tour, die wir im Konzert-Format gemacht haben, hatte ich einen Schlagzeuger und einen Keyboarder dabei, wie genau das nächste Setup aussehen wird, überlege ich im Moment noch.
Die Musiktechnologie hat sich in den letzten Jahrzehnten stark weiterentwickelt. Hat dir das den kreativen Prozess erleichtert?
Linck: Ja, auf jeden Fall. Ich bin mit Ableton überhaupt erst zur elektronischen Musikproduktion gekommen, dafür bietet diese Software sehr viele gute Werkzeuge. Wenn es allerdings um Melodien und Songs geht, da hilft mir Ableton gar nicht. Da habe ich eher manchmal das Gefühl, dass mich die Software ablenkt, weshalb ich dann auch zwischendurch Abstand von meinem Studio brauche, um die kreative Seite von mir zu greifen.
Während der Pandemie haben sich einige DJs und Produzenten über Kolleginnen und Kollegen empört, die trotz Corona auf Partys zum Beispiel in afrikanischen Ländern oder Indien gespielt haben. Wie blickst du auf diese Diskussion?
Linck: Ich habe 2020 auch ein paar Gigs im Ausland gespielt, wenn es die Möglichkeit dazu gab. Vor ein paar Wochen war ich in Mexiko, wo ich auch zu Silvester schon spielen sollte, was aber in letzter Minute abgesagt wurde, weil die Fallzahlen durch die Decke gingen.
Ich kann den Zorn von Kolleginnen und Kollegen sehr gut nachvollziehen. Und ich habe selbst rückblickend gedacht, dass die Gigs, die ich gespielt habe, tatsächlich nicht so vertretbar waren, wie ich es mir im Vorhinein eingeredet habe, sprich dass es ja Hygiene-Konzepte gibt, dass man nur mit PCR-Test reinkommt usw. Letztendlich war es in der Praxis doch ein großes Chaos und diese Events in keinster Weise sicher. Für mich aber war auch ein Punkt, dass dies nun mal mein Beruf ist. Und den habe ich dort ausgeübt, wo eine Regierung vor Ort entschieden hat, dass ein Event erlaubt ist.
In jedem Fall gibt es jetzt Musiker in der Szene, die mit dem Zeigefinger im Netz auf andere Musiker zeigen…
Linck: Ich habe die Empörung und Diskussion darüber nur am Rande mitbekommen. Grundsätzlich finde ich, dass diese aufkochenden Emotionen in den Kommentarspalten eine ziemlich schlechte Entwicklung unserer Zeit sind und sie von konstruktiven Auseinandersetzungen ablenken. Insofern versuche ich, mich davon nicht zu sehr einnehmen zu lassen. Nicht zuletzt auch weil man ja weiß, dass einem Kommentare sehr selektiv angezeigt werden, bestimmt von einem Algorithmus, der oft das nach oben schiebt, was dich am meisten triggert.
Ich sprach jüngst mit dem ehemaligen Berlinale-Leiter Dieter Kosslick, der heute Filmfestivals „mit ständiger Präsenz von Künstler*Innen“ auch als „großen CO2-Verursacher“ sieht. Hast du dir schon Gedanken gemacht, ob du nach der Pandemie genauso viel weltweit unterwegs sein wirst wie vor der Pandemie?
Linck: Im Moment überwiegt natürlich mein Gefühl, dass ich wieder unterwegs sein will. Aber ja, ich habe darüber schon nachgedacht, bin aber nicht wirklich zu einem Schluss gekommen, was für mich sinnvoll ist. Klimawandel ist wohl das wichtigste Thema unserer Zeit. Ich werde ganz sicher schauen, wie ich meine Flüge reduzieren oder wenigstens kompensieren kann. Aber wahrscheinlich ist dann der einzige Weg dahin, weniger Shows zu spielen.
Du hast vor dem aktuellen Album noch den Song „Sinner“ veröffentlicht, dessen Text wie eine sarkastische Selbstanklage klingt…
Linck: Als dieser Song heraus kam, habe ich erstmal ein paar besorgte Fan-Nachrichten bekommen, ob bei mir denn alles OK sei. Das fand ich sehr nett – und ja, es geht mir gut, ich habe keine depressive Neigung oder Ähnliches.
Der Text ist eine Anklage an die Gesellschaft, die es nicht geschafft hat uns zu beschützen und Allen ein lebenswertes Leben zu ermöglichen.
Eine Zeile darin lautet „Keep the wheel in spin, for the sake of growth“. Damit könnte man jetzt Betriebe assoziieren, denen in der Corona-Zeit Umsatz wichtiger war, als die Gesundheit ihrer Arbeiter…
Linck: Auf jeden Fall ist es ein Song über die Schattenseiten des Kapitalismus. Und die kamen jetzt durch Corona noch ein mal ganz besonders zum Vorschein. Insofern spricht mir dieser Song auch heute noch aus der Seele.
Zum Schluss: Du warst nach der Schule mit der Gitarre unterwegs und hast Straßenmusik gemacht. Würdest du so etwas heute nochmal machen?
Linck: Ja, das kann ich mir schon vorstellen. Ich hatte sogar überlegt, ob ich vielleicht meine Album-Veröffentlichung in Form eines Straßen-Gigs mache, jetzt wo die meisten Clubs noch zu sind. Das werde ich dann spontan entscheiden.
Wohin bist du damals gereist?
Linck: Ich war nach der Schule unter anderem in Thailand, wo ich viele witzige Geschichten erlebt habe. Dadurch dass ich die Gitarre dabei hatte, habe ich sehr schnell andere Musiker kennen gelernt. So bin ich auch relativ schnell in eine Thai-Band gerutscht, mit der wir in Bars und Clubs Coverversionen gespielt haben. Das hat bis dahin geführt, dass ich einen Gig vor der Königin von Thailand gespielt habe.
Du gehst als Straßenmusiker nach Thailand und spielst dort vor der Königin?
Linck: Ja, das war schon etwas absurd. Die Band, in der ich spielte, kam aus einem kleinen Ort in der Nähe von Bangkok, gelegen am Khao Yai-Nationalpark, wo die Königsfamilie ihre Sommerresidenz hat. Die haben dort eine Neujahrs-Party gemacht und wir waren dafür als die lokale Cover-Band gebucht.
Unser Set bestand zur Hälfte aus Thai-Songs, die andere Hälfte habe ich auf Englisch gesungen. Als wir fertig waren, kam die damalige Königin Sirikit direkt zu mir und erklärte mir stolz auf Deutsch, dass sie in der Schweiz studiert und dort Deutsch gelernt hat. Sie hat danach sogar noch ihre Ansagen durchs Mikro auf Deutsch gemacht, obwohl ich wahrscheinlich der einzige war, der das verstehen konnte.
Wer weiß, was passiert wäre, wenn du auch noch auf Deutsch gesungen hättest.
Linck: Ehrlich gesagt kamen später noch Bedienstete von ihr und fragten mich, ob ich ein deutsches Volkslied singen kann. Mir war das sehr unangenehm, weil ich darauf überhaupt nicht vorbereitet war, ich hatte schlicht keines parat. Also musste ich verneinen, was natürlich sehr unhöflich war, der Königin einen Wunsch nicht zu erfüllen.
Welchen deutschen Song hättest du denn singen können?
Linck: Ich glaube das einzige Deutsche, was ich damals gespielt habe, waren die Ärzte. „Schrei nach Liebe“ hätte ich dann singen können, wäre aber wohl nicht so gut angekommen. Mittlerweile spiele ich auch gerne Songs von Rio Reiser, aber die zweite Chance, vor der thailändischen Königin zu spielen, ist bislang noch nicht gekommen.
Sehr interessantes Interview. Jakob muss einen guten Musikgeschmack haben. Die zwei ausgewählten Songs sind auch meine Lieblinge von Steffen.