Berlinale 1/10
Seit die Berlinale sich entschlossen hat, ihre Eröffnungsgala als launige Austreibung jeglichen Verdachts auf Hüftsteifigkeit zu inszenieren, wird sie von von Frauen moderiert, die man im Fernsehen als schnoddrige Ausnahme von der biederen Regel schätzt. Katrin Bauernfeind zählte dazu, Charlotte Roche sowieso, dieses Mal war wieder Anke Engelke an der Reihe. Unvergessen, wie sie wenige Wochen nach ihrem charmanten Berlinale-Debüt einst am roten Teppich der Oscar-Verleihung stand, für einen Privatsender O-Töne einsammelte und Catherine Zeta-Jones (es kann auch ein ähnlich prominenter Star gewesen sein) fragte: „Do you remmeber me? I was hosting the Berlinale-Show.“ Zeta-Jones sagte nur „No“ und lächelte. Engelke wäre nicht Anke, wenn Sie diese Abfuhr nicht souverän weggesteckt hätte. Allerdings dürfte diese Episode den generellen Erinnerungswert von Eröffnungsgalen unterstreichen, dem es ziemlich schnuppe ist, ob dort steife Begrüßungsformeln vom Zettel gelesen werden, oder ob, wie in diesem Jahr, Festival-Direktor Dieter Kosslick seiner Moderatorin zur Begrüßung hastig einen Kuss auf den Mund drückt (die überrumpelte Engelke nahm Kosslick an die Hand und kommentierte „We rehearsed the kiss but the tongue thing was too much“) oder im Folgenden einmal mehr der vermeintliche Charme angeblich schlechter Englischkenntnisse überstrapaziert wird.
Als dann wenige Minuten später in einem Filmbeitrag der 60jährigen Geschichte der Berlinale gedacht wurde, erschien Willy Brandt auf der Leinwand und erinnerte daran, dass die erste Berlinale 1951 ein Politikum gewesen sei, denn „damals war sie ein Zeichen, den Lebenswillen dieser Stadt zu bekunden.“ Heute hat man eher den Eindruck, man müsse Berlin und auch die Berlinale vom selbst auferlegten Zwang, ihren Lebenswillen in einer permanenten Party unter Beweis zu stellen, ein wenig in Schutz nehmen.
Schöne klare Worte fand Engelke dann für die Begrüßung des Präsidenten der Wettbewerbs-Jury. „Für alle, die die letzten 40 Jahre auf dem Mond waren: Der ist wirklich krass!“ Gemeint war natürlich Werner Herzog, der sich ja als Grenzen überschreitendes menschliches Gesamtkunstwerk mittlerweile einen Status zusammengelebt hat, dem er rein als Regisseur für den Rest seines Lebens wohl erfolglos hinterherfilmen dürfte. Und das will was heißen, schließlich reden wir hier über den Kinski-Bändiger von „Fitzcarraldo“, der am 25.2. mit seiner beachtlichen Variation von Abel Ferraras „Bad Lieutenant“ seinen größten deutschen Kinostart seit 1987 („Cobra Verde“) feiern wird. Gerade gab es mit ihm in einem spannenden Interview mit der Zeit folgenden Wortwechsel: Katja Nicodemus: „Ein Schiff (wie in „Fitzcarraldo“) gemeinsam mit Hunderten von Indios über einen Berg zu wuchten, ist das letztlich ein Opfer für die Kunst?“ Herzog: „Auch das ist ja eine schöne Tat, ein Schiff über einen Berg zu bringen. Auch da steckt kein Opfer drin. Aber sicher etwas, das Kunst erklärt, wobei ich aber keinen richtigen Kunstbegriff habe.“
Auch auf der Berlinale-Pressekonferenz, in der die Jury vorgestellt wurde, gab Herzog an, keinen Kunstbegriff zu haben, keine sicheren Kriterien für einen gelungenen Film zu kennen. Trotzdem: „Ich glaube, wenn ein wirklich großer Film hier laufen wird, dass die Jury ihn sehr schnell erkennt.“ Jury-Kollegin Renée Zellweger wagte sich da schon konkreter an die Rampe: „Mir gefallen Filme, die wirklich eine Herausforderung sind, die Angst machen, denn die machen den größten Eindruck“. Ob sie damit möglicherweise vor allem Werbung für ihren am 11. März startenden Horrorthriller „Fall 39“ machen wollte? Filme, die Angst machen, sind jedenfalls im dramenlastigen Wettbewerb der Berlinale erfahrungsgemäß eher in der Minderheit. (Demnächst übrigen auf Planet Interview: ein ausführliches Interview mit Zellwegers Regisseur von „Fall 39“ , Christian Alvart).
Das letzte Wort des Tages hat allerdings Wang Quan’an, der 2007 bereits mit „Tuyas Hochzeit“ den Goldenen Bären gewann und nun mit seinem neuen Film „Apart Together“ den Berlinale-Wettbewerb eröffnete. „Das höchste Ideal für uns Chinesen ist, die Familie zusammenzuhalten, die Familie zu vereinen. Unser Film erzählt davon, wie schwer das sein kann. Ein Problem sicher nicht nur für uns in China, sondern für die ganze moderne Welt, die sich in einem Umbruch befindet.“