Berlinale 8/10

Die Bärenpreisträger stehen fest, Details dazu im nächsten Blog. Der Goldene Bär ging – nicht an: „Jud Süß – Film ohne Gewissen“ von Oskar Roehler. Christoph Schlingensief behielt trotzdem Recht; der Film über Ferdinand Marian, den Hauptdarsteller in Veit Harlans berüchtigtem antisemtischen Propagandadrama „Jud Süß“ hat die Jury nicht überzeugt, weil er eben nicht an die  echten Harlan-Filme (zum Beispiel „Opfergang“) heran reicht. Vielmehr extrahiert er die Ursachen ihrer oft so lustigen Wirkung, wendet sie in eine tragische Farce und transformiert sie wieder in jene etwas muffige, monochrome Bildsprache zurück, die für Harlans Filme und seine Zeit als typisch gelten kann. Es ist ein Film um faustische Pakte, um Verstellungen aus taktischen Gründen, der das Verstellen selbst als künstlerischen Akt in unsicherer Zeit zelebriert und gleichzeitig als Haltungsschwäche demaskiert. Dabei geht Roehler nicht subtil oder mit verhaltener Poesie zu Werke, sondern sehr direkt. Nicht platt, sondern anspielungsreich, mit vertracktem Witz. Sein Film ist innerhalb seiner Konzepte so verdammt stimmig, dass eine wichtige Auszeichnung für ihn wohl der endgültige und damit ein Faust-Pakt zuviel wäre. Denn „Jud Süß – Film ohne Gewissen“ funktioniert auch als Satire auf die Weltgeltungsbedürfnisse des deutschen Filmwesens – wäre er also dank Bärenglanz  zum neuesten Prunkstück der teutonischen Filmexporteure aufgebaut worden, hätte sich der Film gewissermaßen mit seinen eigenen Waffen geschlagen.

Man könnte noch vieles über „Jud Süß – Film ohne Gewissen“ sagen (sehr vieles, und oft Quatsch ist über ihn geschrieben worden. Einen wie stets verlässlichen Überblick bietet der erfrischend schlichte Infodienst Angelaufen.de),  An dieser Stelle soll es genug damit sein, dass er seit Jahren der erste Film war, der es mir physisch unmöglich gemacht hat, nach ihm in der U-Bahn, auf dem Weg nach Hause etwas zu lesen, oder Musik zu hören. Ich konnte und wollte nur, dass die Stimmen aus diesem Film sich ungestört aus meinem Kopf von alleine verflüchtigen, während ich mit betrunken spanischen Studenten und einem laut über Auslands-Bafög philosophierenden deutsch/kanadischen Pärchen in der U-Bahn durch die dunkle Nacht fuhr, in der ehemalige Goebbels-Stadt Berlin. Hitler taucht ja toller Weise bei Roehler nie in Person auf, nur, und damit umso stärker, als permanenter Bezugspunkt, der Hass, Egomanie, Größenwahn, verkrampfte Körperhaltungen und den schlechten Geschmack seines Gefolges legitimiert.

Schneeschmelze auf dem Roten Teppich

Ob der echte Veit Harlan am Roten Teppichen wohl Autogramme gegeben hat? Der Rote Teppich der Gegenwart ist ja so eine Sache für sich. Man steht da, hört Teenager um sich herum in verbaler (wörtlich zitierter)Extase. „Krass, die ist voll krass berühmt. Wie heißt die noch?“ Sie meinen Heike Makatsch, aber kommen nicht auf den Namen. Nach einer Minuten Blitzlichtwatching ziehen sie gewissermaßen reizunterflutet wieder von dannen.

Nirgendwo wird so hart zwischen Prominenz und Star unterschieden wie unter diesen Zaungästen. Man schaut halt da hin, auf den riesigen Monitor, der simultan überträgt, was da unmittelbar vor ihm, vor dem Berlinale-Palast am Potsdamer Platz geschieht. Man betrachtet mit Neugier und Gleichmut, als wären das gestrandete Wale, nicht Oskar Roehler und sein Trupp (siehe Bild). Allenfalls Moritz Bleibtreu bekommt einen sekundenkurzen, respektvollen Applaus. Richtig ausgerastet wird hier nur bei jemandem, wie Leonardo DiCaprio. Seltsam: Der fotografierenden Presse ist das egal. In ihrer Jagd auf Bilder schreit sie immer gleich und ihre Beute in der Yellow-Press dokumentiert nichts, außer den zunehmenden Schneeschmutz, der im Laufe des Rituals den Roten Teppich allmählich dunkler färbt.

Dax, Teske und Timoteo über die Arbeit ihrer Jurys

Neben den Hauptpreisen, den Bären der verschiedenen „großen“ Jurys werden an die 20 Preise von „kleinen“ Jurys verliehen – unter dem Dach des Festivals, aber von unabhängigen Institutionen.    Wie haben drei Juroren, drei Richter auf Zeit zu ihrer Arbeit befragt. Welche Erkenntnisse gewinnt man im Bezug auf die Arbeit einer Jury? Was macht einen Preis wichtig?

Zunächst: Max Dax, Chefredakteur der SPEX, der in den letzten Tagen auch in seinem Blog Dissonanz über seine Tätigkeit als Juror in der internationalen Kurzfilmjury berichtete:
„Die letzte Frage ist am leichtesten zu beantworten, also die, was einen Preis wichtig macht. Uns ist während der viertägigen Jury-Tätigkeit klar geworden, dass man entweder die vier „besten“ Filme prämiert oder aber ein „Jury-Statement“ abgibt. Es war interessant zu sehen, dass wir den Goldenen Bären in zehn Sekunden hatten, und die Diskussion, wer den Silbernen Bären bekommt, anschließend sechs Stunden lang dauerte. Die Jury hat einerseits mit sehr harten Bandagen argumentiert, andererseits haben wir wie in einem Sudoku-Spiel alle Möglichkeiten durchgespielt. Entscheidend war, dass argumentiert wurde, denn in einer Dreier-Jury hätte leicht das Problem entstehen können, dass sich zwei gegen einen verbünden und Mehrheitsentscheidungen erzwingen. Das war bei uns nicht der Fall. Wir hätten die Preise, bis auf den Goldenen Bären, auch anders vergeben können, aber wir stehen vereint hinter der Vergabe.

Im Sinne eines Jury-Statements wollten wir den Regisseuren, von denen wir der Meinung sind, dass wir ihnen aufgrund ihres Talents und ihres Ehrgeizes und ihrer eigenen Bildsprache bald im großen Kino wiederbegegnen werden, helfen. Wir waren uns als Jury bald einig, dass wir das Gesamtprogramm abbilden und keine Geschmacksurteile zulassen wollten und zugleich wollten wir klarstellen, dass wir multiperspektivische Erzählweisen honorieren – siehe die komplexen Scripts von „Incident by a Bank“ und „Venus vs. Me“. Ich habe viel von den beiden Jurymitgliedern Samm Haillay, Zita Carvalhosa gelernt. Ihre Urteile waren klar und hart, ihre Argumentation ließ wenig Verständnis aufblicken für Formfehler und Eitelkeiten, die sich in einigen der Filme fanden. Umgekehrt waren beide mit der Befürchtung nach Berlin gefahren, dass ich möglicherweise aus Lokalpatriotismus für die Filme der Berliner Regisseure stimmen würde.“

Benjamin Teske kennt den Festival-Zirkus vor allem aus eigener Erfahrung als junger Regisseur.  Diese Berlinale erlebte er aber vor allem als Mitglied der Jury für den Zuschauerpreis der Berliner Morgenpost. Vor der Bekanntgabe ihrer Entscheidung – als besten Wettbewerbsfilm wurde „A Somewhat Gentle Man“ vom Norweger Hans Petter Moland ausgezeichet – beantwortete er unsere Fragen wie folgt:

„Ich persönlich finde, dass es bei der Verleihung von Preisen nie gerecht zugehenkann. Es spielt immer zu sehr der persönliche Geschmack, die Zeit, der Ort, dieStimmung, in der ein Film gesehen wird eine Rolle. Einen Film kann man janicht messen wie eine sportliche Leistung, in der es zum Beispiel um Geschwindigkeit geht. Im Grunde könnte man das mit den Preisen auch sein lassen. Aber dann würde es weniger Spaß machen. Und wo bitte wäre der Glamour?

Mein Fazit zum Festival als Jurymitglied: schade, dass es so viele Filme in den Wettbewerb geschafft haben, die wirklich nichts dort zu suchen hatten. So viele Filme in so kurzer Zeit zu sehen, ist sehr anstrengend und leider auch nicht förderlich, wenn man einen Film wirklich genießen möchte. Einige Beiträge hätte ich, in einem anderen Kontext und nicht so geballt gesehen, bestimmt anders bewertet.“

Für Teske war zurückliegende Woche allerdings nicht nur aufreibend, weil er täglich um 9 Uhr im ersten Wettbewerbsfilm sitzen musste. Er wurde auch zum Teil der Urheberrechts-Diskussion um Helene Hegemann, die letztes Jahr beim Max Ophüls Preis seine Kurzfilms „Try a Little Tenderness“ gesehen und – ungefragt – große Teile in eine online publizierte Geschichte übernommen hatte. Viel wolle er zu Hegemann nicht mehr sagen, resümiert Teske, „außer, dass man so viele verschiedene Meinungen gehört hat, dass man nicht weiß, wem man da noch glauben soll. Jeder lebt eben in seiner eigenen Realität.“

Im Programm des diesjährigen Max Ophüls-Festivals lief übrigens Teskes neuer, von seiner eigenen Firma Das Kind mit der goldenen Jacke produzierte Kurzfilm „Rummel“. Ebenfalls, aber im anderen Sinne des Wortes auf Schwindel erregende Weise erzählt er mit Witz und in wunderbaren Bildern einen Beziehungsstreit, der ausnahmslos in Karussells und Achterbahnen ausgetragen wird.

Sabine Timoteo ist nicht nur dem Berlinale-Publikum bestens bekannt. Als eine der stärksten Schauspielerinnen ihrer Generation war die Schweizerin unter anderem in den Wettbewerbsfilmen „Gespenster“ (2005) und „Der freie Wille“ (2006) zu sehen. „Ich mag es, wenn sich ein Film nicht so aufdrängt, wenn er mir nicht so sehr diktiert, was ich zu sehen und zu fühlen habe,“ sagt sie uns im Interview, direkt nach der Verleihung des Femina Filmpreises, zu dessen Jury sie dieses Jahr gehörte und der, wie jedes Jahr, eine herausragende Technikerin einer deutschen Produktion auszeichnet. Dieses Mal fiel die Entscheidung auf Reinhild Blaschke für das Szenenbild des Forum-Films „Im Schatten“ von Thomas Arslan. Timoteo liest erstmal aus der Begründung der Jury vor: „Mit nur wenigen minimalistischen Ausbrüchen aus der Funktionalität charakterisieren die Räume die Sehnsüchte der Figuren und bewahren zugleich die Diskretion des Ganzen. Das Blau-Grau wird bereits behutsam aufgebrochen vom Rot einzelner Elemente, bevor es sich schließlich im Blut einer Schusswunde entlädt. Reinhild Blaschke gelingt eine klischeefreie Übersetzung von Film Noir Atmosphären in ein heutiges Berlin.“

„Ich habe mich hier sehr wohl gefühlt beim Femina Filmpreis,“ erzählt Timoteo. „Man sieht Filme auch anders, wenn man sie gemeinsam sieht, und in einer Jury spricht man im Detail über Filme, was man sonst eher nicht so macht.“ Auf die Frage, welcher Bedeutung solche Preise überhaupt zukommen sagt sie: „Wenn Preise, dann solche, wie den Femina Filmpreis. Denn Preise haben  genau jene verdient, denen es nicht wichtig ist, Preise zu bekommen, die aus sich heraus das tun, was sie tun.“

Demnächst: ein Interview mit Michael Gwisdek, der bereits zweimal den Silbernen Bären als bester Darsteller bekommen hat und dessen neuer, melancholisch witzige Film „Boxhagener Platz“ in der Reihe „Berlinale Special“ seine Premiere feierte, hier, auf Planet Interview.

Dieser Beitrag entstand als Teil einer Kooperation von Planet Interview und Berliner-Filmfestivals.de

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