betr. Interview mit James Wan
Es ist oft eine ungeklärte gesellschaftliche, politische oder kulturelle Frage, die uns bei PI dazu bringt, ein bestimmtes Interview anzufragen. So war es auch beim Interview mit Regisseur James Wan, 34. Aktuell ist von ihm der Geisterhausfilm „Insidious“ im Kino zu sehen. Bekannt wurde Wan aber insbesondere durch „Saw“, ein Horrorfilm in dem ein Mörder seine Opfer durch spezielle Fallen dazu bringt, sich selbst oder andere Menschen zu verstümmeln bzw. zu töten. Hier beispielhaft eine Szenenbeschreibung (aus der Wikipedia):
„Die heroinsüchtige Amanda findet sich gefesselt mit einer Apparatur wieder, die nach Ablauf einer Frist ihren Kiefer und somit auch ihren Kopf zerreißen wird. Um an den Schlüssel zu gelangen, muss sie den Magen eines weiteren Opfers aufschneiden, das zwar unter Drogen steht, aber noch am Leben ist.“
Die für mich offene Frage war: Was bringt Menschen dazu, sich einen Film wie „Saw“ anzusehen? Und natürlich die Frage: Warum bringt jemand so etwas auf die Leinwand?
Eigentlich ist das eine längst verjährte Angelegenheit, „Saw“ kam 2004 raus, wen juckt heute noch die Brutalität von vor sieben Jahren? Doch fand ich im Netz kein Interview, in dem sich Wan schon mal ausführlich zum Aspekt der Brutalität in „Saw“ geäußert hätte.
Unser Gespräch ist nun online. Es fand telefonisch statt und dauerte 45 Minuten. Wir haben über das Horrorfilmgenre generell gesprochen, über seine Funktion, über „Insidious“ und schließlich über die Entwicklung von „Saw“ und die Idee dahinter.
Ich erfuhr zum Beispiel…
– dass James Wan als Kinozuschauer ziemlich schreckhaft ist
– dass er mit den Fortsetzungen von „Saw“ nicht sehr viel zu tun hatte, auch wenn er bei allen als „Executive Producer“ genannt wird
– dass er seinen Ruf als „Urvater des Folterporno“ mittlerweile als ziemlich lästig empfindet
– dass sich manche Menschen die „Saw“-Filme anschauen, weil es sie erregt. „Ja, ich glaube es kann erregend sein. Besonders die „Saw“-Filme, da gibt es Leute, die das total anturned“ sagt Wan. Interessant wird diese Äußerung Wans, wenn man sie einem Zitat von Sue Clark vom British Board Of Film Classification gegenüberstellt, jener Behörde, die in Großbritannien für Filme die Altersfreigaben erteilt und Filme ggf. indiziert: „Solange die Gewalt (im Film) dazu dient, Angst einzuflößen und nicht um zu erregen, ist es unwahrscheinlich, dass wir einschreiten.“
Das Zitat von Sue Clark stammt aus einem lesenswerten Artikel zum Thema, „Torture porn: movie fad or a sign of the times?“ von Stephen Phelan, erschienen im schottischen „Herald“ am 23.06.2007. Dieser Artikel beinhaltet auch ein Zitat, das verdeutlicht, welche Rolle die Filmindustrie spielt, wenn es um wachsende Brutalität auf der Leinwand geht.
Zygi Kamasa, CEO von Lionsgate UK, der Produktionsfirma von „Saw“, sagte zur Brutalität in „Saw“ und den Fortsetzungen: „Wir sind an einem Punkt angekommen, wo der Schock-Faktor sehr extrem ist. Ich persönlich verstehe die Frage, ob wir – moralisch gesehen – so etwas produzieren sollten. Wir sind aber – leider – zuerst unseren Investoren und Shareholdern verpflichtet. „Saw II“ war sogar ein größerer Erfolg als der erste Teil, also musst du noch einen machen. Wenn wir „Saw“ oder „Hostel“ nicht gemacht hätten, dann hätte es jemand anders gemacht. Und dann verlierst du Geld aufgrund von moralischen Bedenken. Im Geschäft musst du liefern und das tun diese Filme ganz bestimmt. Aber ich fühle mich auch etwas hin- und hergerissen.“
„Die Hässlichkeit der „Saw“-Filme hängt, zumindest teilweise, von diesem Imperativ ab“, schlussfolgert Stephen Phelan in seinem Artikel und schreibt weiter: „Der Hauptgrund, vielleicht auch der einzige Grund überhaupt, dafür, dass die Kamera in „Saw II“ zeigt, wie eine Drogenabhängige schreiend durch einen Becken dreckiger Injektionsnadeln schwimmt, ist der einfache Fakt, dass Regisseur Darren Lynn Bousman und Drehbuchautor Leigh Whannel dafür bezahlt werden, diese entsetzlichen Fallen zu entwickeln und zu designen, so als wäre jede einzelne ein brandneues Patent.“
Natürlich ist die Steigerung der Brutalität auf der Leinwand nicht allein auf finanzielle Motive zurückzuführen. James Wan berichtet, dass ihm Fans der „Saw“-Reihe ständig E-Mails schreiben, mit „kranken Ideen für wirklich grausame und widerliche Fallen“. Die Nachfrage durch das Publikum ist vorhanden. Nichts desto trotz stimmt es bedenklich, wenn Produktionsfirmen in Filmen den Brutalitätsfaktor nach oben schrauben, nur um die Shareholder glücklich zu machen und im finanziellen Wettbewerb gut dazustehen.
Dass für die Produktionsfirmen in diesem Wettbewerb moralische Grenzen ziemlich egal sind, ließ sich besonders gut im Jahr 2007 an der Werbekampagne für den Horrorfilm „Captivity“ ablesen. In den USA wurde der Film auf großen Plakatwänden mit den Worten „Abduction. Confinement. Torture. Termination“, auf Deutsch „Entführung. Gefangenschaft. Folter. Vollstreckung.“ beworben, dazu Fotos einer misshandelten Frau. Zahlreiche Bürgerbeschwerden führten jedoch dazu, dass die Produktionsfirmen Lionsgate und After Dark Films die Plakate wieder abhängen ließen. Und dann versuchten die Firmen, sich zu entschuldigen: Dass die Plakate aufgehängt wurden sei ein Druckereifehler gewesen, die Motive hätte man intern gar nicht freigegeben gehabt, erklärte Courtney Solomon von After Dark Films. – Diese Ausrede ist so billig, dass einem schlecht wird.
James Wan hat inzwischen das Lager gewechselt und versucht seinen Ruf als Folterporno-Regisseur loszuwerden. Sein neuer Horrorfilm „Insidious“ verzichtet auf die Brutalität, die man von der „Saw“-Reihe gewohnt ist. „Ich empfinde es als eine größere Herausforderung, einen Film mit Freigabe ab 13 Jahre zu machen, gruselig und angsteinflößend, weil du nur bis zu einer gewissen Grenze gehen darfst. Das bedeutet, dass du viel subtiler arbeitest, du überlässt viel mehr der Vorstellungskraft des Zuschauers. Ich habe bei„Insidious“ gemerkt, dass der Film ein ganz neues Publikum erreicht, eines das nach „Saw“ groß geworden ist. Ich finde es wunderbar, wenn ich eine neue Generation erreiche und einer Menge neuer Kinder Angst einflöße.“